Satan und Ischariot III - Karl May 4 стр.


»Was ich da gehört habe, waren ganz alltägliche Dinge. Sie flüsterten aber sehr viel miteinander; sie mußten Heimlichkeiten haben, die niemand hören sollte.«

»Womit beschäftigte sich Small Hunter? Da er fast gar nicht ausging, stand ihm viel Zeit zur Verfügung. Hat er diese denn nicht auf irgend eine nützliche Weise verbracht?«

»Nein. Er saß immer am Fenster.«

»Mir aber wurde gesagt, er habe sich mit Studien beschäftigt?«

»Das ist nicht wahr. Nur wenn der Advokat kam, wurden Bücher zur Hand genommen.«

»Ah, dachte es mir! Was hattet Ihr eigentlich für eine Ansicht über den Mann? Es muß Euch doch aufgefallen sein, daß er sich nicht beschäftigte.«

»Ich hielt ihn für krank, für tiefsinnig. Diese Ansicht aber änderte sich dann, als wir bemerkten, daß er nach oben ging, zu der Dame, welche sich über uns eingemietet hat.«

»Wohnt sie allein?«

»Nein. Sie hat zwei Dienerinnen bei sich, welche ich für Indianerinnen halte.«

»Ist sie jung?«

»Ja, und schön.«

»Wie heißt sie?«

»Silverhill.«

»Das ist ein englischer Name.«

»Ja. Doch glaube ich kaum, daß ihre Eltern und Verwandten Yankees oder Engländer sind. Wir hören sie zuweilen mit ihren Dienerinnen sprechen; das ist immer spanisch.«

»Hm! Und bei dieser Dame verkehrte Euer Mietwohner?«

»Erst nach der ersten Woche. Da er stets am Fenster Saß, ist sie ihm bei ihren Ausgingen und wenn sie heimkehrte, aufgefallen. Er erkundigte sich bei mir nach ihr; dann machte er ihr seinen Besuch, und von da an war er oft bei ihr.«

»Wußte Advokat Murphy davon?«

»Ich weiß es nicht, glaube es aber auch nicht.«

»Gäbe es sonst vielleicht noch irgend eine Bemerkung oder Mitteilung, welche Ihr mir über den falschen Hunter machen könnt?«

»Wohl nicht. Wenigstens könnte ich mich auf nichts besinnen, was für Euch von Wert sein könnte. Wenn Ihr mich aber noch einmal besuchen wollt, werde ich Euch gern sagen, ob mir noch etwas eingefallen ist.«

»Eurer freundlichen Einladung werde ich wahrscheinlich einmal Folge leisten, falls ich nicht fürchten muß, Euch allzusehr zu belästigen.«

»O, Ihr belästigt mich nicht; Ihr seid mir sogar willkommen. Ich freue mich darüber, daß Ihr aus einem Manne, der die Unwahrheit sagen wollte, zu einem ehrlichen geworden seid.«

»Aber nur durch Euch, Madame,« antwortete ich, auf ihren Scherz eingehend. »Wißt Ihr vielleicht etwas über die Verhältnisse der Dame da oben?«

»Sehr wenig. Sie ist reich. Meine Köchin hat einigemale mit den Indianerinnen gesprochen. Die Dame spielt leidenschaftlich, und dabei stets mit Glück. Sie lud Herren zu sich ein, welche ebenso leidenschaftliche Spieler sind. Das ist alles. Übrigens nehme ich an, daß sie Witwe ist. Eine der Indianerinnen hat einmal eine darauf bezügliche Äußerung fallen lassen. Und ihr Mann scheint nicht von gewöhnlichem Stande gewesen zu ein.«

»Wohl gar ein Indianerhäuptling!«

Ich sagte das im Scherze, und sie lachte auch darüber; aber in demselben Augenblicke kam mir ein sehr ernster Gedanke, dem ich auch gleich Ausdruck gab:

»Habt Ihr schon früher einmal ein indianisches Dienstmädchen gesehen?«

»Nein.«

»Eine freie Indianerin wird sich niemals erniedrigen, einer Weißen häusliche Dienste zu erweisen. Es müssen hier ganz besondere Verhältnisse vorliegen. Ich kenne da einen Fall, daß eine Weiße einen Indianerhäuptling geheiratet hat. Ist die Dame da oben blond?«

»Nein, tiefschwarz. Ich halte sie für eine Jüdin.«

»Jüdin? Ah! Kennt Ihr ihren Vornamen?«

»Ja, es wurde einmal ein Brief gebracht und meiner Mulattin übergeben. Diese kann nicht lesen und brachte ihn mir. Ich sah die Adresse. Die Dame heißt Judith Silverhill.«

»Meine Ahnung, meine Ahnung! Silverhill ist zu Deutsch Silberberg, und so hieß die Jüdin, welche den Indianerhäuptling zum Manne nahm. Ich muß hinauf zu ihr!«

»Wie? Ihr kennt Sie?«

»Ja, wenn ich mich nicht ganz und gar irre. Das ist ein höchst interessanter Zufall, welcher mir wahrscheinlich von großem Nutzen sein wird. Madame, Ihr seid so lieb und freundlich zu mir gewesen; ich bitte, mir noch eine große, recht große Gunst zu erweisen!«

»Wenn es in meiner Möglichkeit liegt, wird es sehr gern geschehen.«

»Ihr seid nie in ein Gespräch mit der Dame gekommen?«

»Noch nie.«

»Der Zufall könnte es fügen, daß dies doch geschehe. Bitte, erwähnt nicht, weshalb ich bei Euch gewesen bin; sprecht überhaupt nicht von mir, und verbietet auch Eurer Mulattin, den Indianerinnen da oben zu erzählen, daß der vermeintliche Small Hunter eigentlich ein anderer ist.«

»Sie weiß es noch gar nicht, und ich werde es ihr auch nicht sagen. Ihr wollt dieser Dame also wirklich einen Besuch machen?«

»Auf alle Fälle!«

Ich bedankte mich herzlich für die mir erwiesene Freundlichkeit und wurde aufgefordert, getrost wiederzukommen. Ich stieg die Treppe empor. Es gab da oben nur ein Entree. Als ich die Glocke gezogen hatte, wurde von einem Mädchen geöffnet, in welchem auch ich sogleich eine Indianerin vermutete. Sie trat beiseite, um mich einzulassen, und öffnete, ohne mich zu fragen oder ein Wort zu sagen, eine zweite Thür, durch welche ich in ein sehr schön ausgestattetes Zimmer kam. Im Nebenzimmer hörte ich ein Geräusch. Die Portieren wurden auseinandergeschlagen, und vor mir stand Judith Silberstein, die Jüdin, welche ich zuletzt als Verlobte des Yumahäuptlings gesehen hatte. Sie hatte sich seit damals noch mehr entwickelt und war schöner, höher und auch stärker geworden. Freilich zeigte der erste Blick gleich, daß sie ihre damaligen Anlagen fleißig ausgebildet hatte und eine vollständige Kokette geworden war. Sogar jetzt, daheim, wo kein Besuch zu erwarten war, hatte sie echte Diamanten am Halse und an den entblößten Armen schimmern. Sie erkannte mich auf der Stelle. In einem Tone, welchem halb Freude, halb Besorgnis anzuhören war, rief sie in spanischer Sprache aus:

»Sie, Sennor Sennor ! Welch eine frohe Überraschung! Wie habe ich mich gesehnt, Sie einmal zu sehen! Bitte, kommen Sie herein ins Boudoir! Setzen Sie sich zu mir! Wir haben uns viel, viel zu erzählen.«

Sie zog mich an der Hand in ihr Zimmer, und ich mußte neben ihr auf dem Diwan Platz nehmen. Ja, sie war ein schönes Weib; aber der Scheitel lag voller Haarschuppen; der Hals schien heute noch nicht gewaschen zu sein; die schön geformten Fingernägel hatten Trauerränder. Sie behielt meine Hand in der ihrigen und sagte mit einem neckischen Augenaufschlage:

»Ich muß Ihnen gleich von vornherein gestehen, daß ich Ihren Namen vergessen habe. Ist das nicht unverzeihlich?«

»Allerdings, besonders da Sie mir soeben versicherten, sich so sehr nach mir gesehnt zu haben.«

»Sie dürfen verzeihen! Man sieht, hört und erlebt soviel, daß man das einzelne leicht vergißt. Sie hatten, wenn ich nicht irre, zwei Namen, Ihren wirklichen und einen andern, mit dem Sie von den Indianern genannt wurden. Dieser letztere hieß hieß wie nur gleich? Es war wohl Hand oder Fuß dabei!«

»Old Firefoot,« fiel ich schnell ein, indem ich ihr einen falschen Namen sagte. Es war mir ungemein lieb, daß sie sich nicht mehr besinnen konnte. Sie hatte mit Jonathan Melton hier verkehrt; es war jedenfalls besser, wenn sie meine Namen nicht wußte.

»Ja, ja, so war's ein foot war dabei; das wußte ich,« nickte sie lachend. »Und Ihr Familienname? Wenn ich mich nicht irre, hießen Sie wie einer von den zwölf Monaten?«

»März,« sagte ich.

»Ja, März, März war es. Also, Sennor März, können Sie sich besinnen, wie wir damals auseinandergegangen sind?«

»Nicht eben sehr freundlich.«

»Nein, gar nicht. Wissen Sie, welche Drohung Sie sogar aussprachen?«

»Ja, das weiß ich noch.«

»Hätten Sie den Mut, es mir heute zu sagen?«

»Warum nicht? Ich wollte Sie peitschen lassen, falls Sie sich noch einmal von mir erblicken ließen.«

»Schrecklich! Hören Sie nur, wie das klingt! Eine Dame, noch dazu eine junge, hübsche, prügeln lassen! Hoffentlich war es nur eine Drohung von Ihnen!«

»Sie waren vom Gegenteil überzeugt, denn Sie haben sich dann nicht wieder sehen lassen.«

»Also hätten Sie die Drohung wirklich zur Wahrheit gemacht?«

»Ganz gewiß! Ich gebe Ihnen mein Wort, daß es mir voller Ernst war.«

»Entsetzlich! Sie sind kein Sennor, kein Mensch, sondern ein Tyrann!«

»Nein. Ich besitze im Gegenteil ein sehr weiches Herz, tausche aber nicht gern Wachs für Eisen ein. Beides hat Berechtigung, aber jedes nur zu seiner Zeit. Wenn es sich nicht nur um die Freiheit so vieler Menschen handelt wie damals, sondern um Blutvergießen, um Leben und Tod, pflege ich keiner Laune zu folgen, selbst wenn es die Laune einer jungen und hübschen' Dame wäre.«

»Warum legen Sie den Ton so auf dieses Wörtchen hübsch? Fanden Sie mich damals häßlich?«

»Nein.«

»Ihr Verhalten ließ es mich aber sehr vermuten.«

»Weil das Ihrige nicht hübsch war. Sie gingen von der noch warmen Leiche Ihres Verlobten wie von einem Braten, der für den Herd geschlachtet worden ist.«

»Ich liebte ihn nicht mehr. Also hübsch fanden Sie mich doch? Und jetzt? Haben Sie nicht bemerkt, daß ich mich verändert habe?«

»Ja. Sie sind schöner geworden.«

»Und das sagen Sie in einem so eisigen Tone? Sie sind wirklich ein entsetzlicher Mensch und ganz derselbe wie damals geblieben. Ich bin schöner, Sie aber sind nicht besser und gefühlvoller geworden. Aber gerade Ihre Kälte, Ihre Härte hat mir schon damals imponiert.«

»Sprechen wir nicht von mir, sondern von Ihnen. Wie ist es Ihnen seit damals gegangen? Haben Sie sich immer wohlbefunden?«

»Ja.«

»Sie bereuten nicht, das Weib eines Wilden geworden zu sein?«

»Zunächst nicht, denn er hielt Wort. Ich bekam alles, was er versprochen hatte, Gold, Edelsteine, einen Palast und sogar auch ein Schloß.«

»Ach! Ich weiß zwar, daß es Indianer gibt, welche das Lager großer Schätze kennen, aber daß der Häuptling sein Versprechen so streng nehmen werde, das dachte ich damals nicht. Er war also wirklich so reich, wie er sagte?«

»Ja. Er trug viel Gold zusammen, woher, das weiß ich heute noch nicht; er hat es mir niemals sagen wollen. Jedenfalls holte er es aus den Bergen, wo es noch heute viele alte Stollen und Adern geben soll. Wir verließen die Sonora und zogen an die Grenze von Arizona und Neumexiko. Dort liegt das Schloß. Es ist ein gewaltiger Aztekenbau, den außer mir noch kein Bleichgesicht gesehen hat. Zehn Yumaindianer, welche von ihrem Häuptlinge nicht lassen wollten, zogen nebst ihren Frauen und Kindern mit. Es war sehr, sehr einsam da oben, und ich sehnte mich nach der Stadt. Wir gingen also nach Francisco, auch schon des Palastes wegen. Ich bekam ein Haus.«

»Sie Glückliche! Wo ist Ihr Mann?«

»In den ewigen Jagdgründen,« antwortete sie gleichgültig.

»Was war die Ursache seines Todes?«

»Ein Messer.«

»Bitte, erzählen Sie! Ich bin außerordentlich gespannt darauf. Er war ein Indianer, aber ein tapferer, braver und ehrlicher Mann. Er hielt mir treulich Wort, und ich habe immer gern an ihn gedacht.«

»Was soll ich da erzählen! Die Sache ist sehr einfach. Ich wurde in Frisco bald bemerkt; man besuchte mich; man machte mir den Hof, und das wollte er nicht dulden, Wir waren eines Tages auf Besuch bei einem Haziendero; es waren noch andere Herrschaften geladen. Dabei gab es einige sehr interessante Caballeros und Offiziere, welche sich mit mir beschäftigten. Die Messer wurden gezogen. Der Caballero erhielt einen Stich in den Arm, mein Mann aber einen in das Herz.«

»Und Sie? Was fühlten, was dachten, was thaten da Sie?«

»Ich? Was sollte ich thun! Wissen Sie nicht, daß eine Frau, deren Mann unter solchen Umständen stirbt, eine von andern Frauen beneidete Berühmtheit wird? Das Band, mit welchem ich mich so leichtsinnigerweise an den Wilden gefesselt hatte, war zerrissen, und ich hatte meine kostbare Freiheit wieder.«

Diese Herzlosigkeit war empörend. Sie fuhr in ruhigem Tone fort:

»Ich genoß sie natürlich mit vollen Zügen. Ich hatte das Spiel kennen gelernt und brauchte nun nicht mehr um die Erlaubnis zu bitten. Ich gewinne fast stets, so oft ich spiele, und was die Liebe betrifft, nun so habe ich jetzt, wenn ich heimkehre, einen neuen Bewerber, der so in Fesseln liegt, daß er mich um meine Hand gebeten hat.«

»Auch ein Offizier?«

»Nein, sondern ein junger, sehr hübscher und hochgebildeter Caballero, welcher fast die ganze Erde und besonders den Orient bereist hat, und dem soeben eine Erbschaft von einigen Millionen zugefallen ist.«

»Wetter noch einmal! Da haben Sie freilich Glück!« rief ich aus, innerlich hocherfreut, denn ich zweifelte nicht, daß Jonathan Melton gemeint war.

»Es kommt gar nicht zu früh, dieses Glück,« fuhr sie fort. »Ich habe zwar gesagt, daß ich fast nie verliere; aber ich verbrauche viel, und das Gold des Häuptlings ist alle geworden. Ich habe das Haus in Frisco verkauft, und wenn die dafür gelöste Summe zur Neige geht, bleibt mir nur der alte Aztekenbau in der Wildnis übrig, für welchen niemand einen Dollar zahlt.«

»Ist es denn gewiß, daß er Ihnen gehört? Haben Sie einen Besitztitel darüber?«

»Nein, doch ist mir das gleichgültig. Ich brauche nur zu wollen, so wird Mr. Hunter mein Mann, und ich kann mich zu den Millionärinnen rechnen. Was gebe ich da auf den alten Felsenbau in der Wildnis!«

»Ist der Sennor, von welchem Sie sprechen, vielleicht jener so sehr interessante Small Hunter, dem vor einigen Tagen durch den Advokaten Murphy einige Millionen ausgezahlt worden sind?«

»Ja, derselbe. Kennen Sie ihn vielleicht?«

»Nein; ich habe von ihm gehört. Sie können es sich doch denken, daß von einem Millionenerben gesprochen wird. Man sagt, er sei nach Indien gegangen.«

»Das ist nicht wahr.«

Ach habe es überall gehört. Man hat ihn doch auf das Schiff steigen sehen. Sein Advokat ist bei ihm gewesen.«

»Das ist richtig; aber er hat sich unterhalb der Stadt per Boot wieder abholen lassen. Ich selbst habe in dem Boote gesessen. Wir sind dann, als es Abend war, hierher gegangen und haben gespielt bis nach Mitternacht, wo erst seine eigentliche Abreise erfolgte.«

»Das interessiert mich ungemein. Warum hat er denn den Leuten weisgemacht, daß er mit dem Schiffe nach England und von da nach Indien will?«

»Das ist ein Geheimnis, welches ich nur Ihnen verraten will. An dieser Täuschung trage nämlich nur ich die Schuld.«

»Sie? Wieso?«

»Sein Vater, der alte Hunter, ist früher oft in Indien gewesen und hat das Land so liebgewonnen, daß er auf die Idee gekommen ist, daß sein Sohn vom Empfang des Erbes an zehn Jahre lang in Indien leben soll. Fehlt nur ein einziger Tag an den zehn Jahren, so wird ihm das Vermögen wieder abgenommen. Auch soll er während der zehn Jahre nicht heiraten dürfen. Er ist auf die Bedingungen eingegangen und hat sich unterschrieben. Zwei Tage später lernte er mich kennen. Was das heißt, können Sie sich denken. Mich sehen und mich zu seiner Frau begehren, war für ihn ganz dasselbe. Sagen Sie, kann er da nach Indien? Kann er die Bedingungen erfüllen, auf welche er eingegangen ist?«

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