Der blaurote Methusalem - Karl May 10 стр.


Degenfeld sah ihm das an und erlöste ihn aus seiner Pein, indem et ihm wohlwollend sagte: »Nicht wahr, Sie können nicht recht begreifen, wen Sie vor sich haben? Sie sollen bald Klarheit haben. Wo wohnen Sie?«

»Hier im Hotel, Mijnheer.«

»So nehmen Sie bei uns Platz, denn wir werden auch hier logieren!«

Er schob ihm zwei Stühle zusammen, und der Holländer ließ sich auf dieselben nieder.

»Hier logieren?« fragte Turnerstick. »Das fällt mir nicht ein! Wir müssen ja nach Kanton. Wir fahren mit dem Dampfboote.«

»Das geht wöchentlich nur zweimal. Ich habe mich beim Konsul erkundigt. Das nächste geht erst in drei Tagen ab.«

»Was? Wie? Und so lange sollen wir hier warten?«

»Ja, wenn wir es nicht vorziehen, uns auf einer chinesischen Dschunke einzuschiffen.«

»So thun wir das, wenn wir da auch viel langsamer vorwärts kommen.«

»Nun, eine Dschunke läuft ziemlich schnell, wenn sie guten Wind hat und mit der Flut aufwärts geht. Aber wollen Sie es wirklich wagen, sich einem solchen Fahrzeuge anzuvertrauen?«

»Warum nicht? Fürchten Sie sich?«

»Fürchten, nein, obgleich ich gelesen habe, daß man sich möglichst in acht nehmen solle, da es Dschunken gibt, denen nicht zu trauen ist. Aber ich denke an die Unreinlichkeit, welche uns sehr lästig werden könnte.«

»Pah! Werde die Kerls schon zur Reinlichkeit bringen. Bin ja Mandarin!«

»Wird man das glauben?«

»Will keinem raten, daran zu zweifeln! Wird überhaupt gar niemanden geben, der mich nicht für einen Mandarin hält. Ich mit meiner Kleidung, meiner persönlichen Würde, meinen tiefen Sprachkenntnissen und vortrefflichen Endungen. Wenn ich diesen Menschen mit meinem Kank-keng-king-kong-kung angesegelt komme, so verkriechen sie sich aus lauter Respekt in alle Löcher. Die Hauptsache ist nur, schnell eine Dschunke zu finden.«

»Habe mich auch in dieser Beziehung erkundigt. Mit der morgen Vormittag steigenden Flut segelt eine hier ab. Sie heißt Schui-heu, zu deutsch Königin des Wassers.«

»Schöner Name, der etwas verspricht. Eine Königin muß sauber sein. Unreinlichkeit werden wir also nicht zu befürchten haben. Und da eine Regentin sich nicht wohl mit Gesindel befassen kann, haben wir auch Sicherheit vor sonstigen Unbilden. Was hat sie geladen?«

»Allerlei Artikel. Etwas Spezielles konnte ich nicht darüber erfahren. Ich habe sie übrigens schon gesehen.«

»Sah sie schmuck aus?«

»Recht leidlich.«

»Und haben Sie mit dem Kapitän gesprochen? Das ist ja die Hauptsache.«

»Da haben Sie unrecht, obgleich Sie selbst Kapitän sind. Der eigentliche Kapitän oder Pilot, hier Ho-tschang genannt, hat mit der Ladung, mag dieselbe nun aus Gütern oder Menschen bestehen, gar nichts zu schaffen. Er hat sich allein nur mit der Leitung des Schiffes zu beschäftigen. Wer Fracht aufgeben oder selbst mitfahren will, hat sich an den Eigentümer der Dschunke oder dessen Superkargo zu wenden. Und das habe ich gethan.«

»Schon mit ihm abgeschlossen?«

»Nein, denn ich wußte nicht, ob ich Ihre Einwilligung erhalten würde. Uebrigens gefiel mir der Mann gar nicht so recht.«

»Warum?«

»Das kann ich eigentlich nicht sagen. Er hatte ein Gesicht, welches mir Mißtrauen einflößte, und seine allzu große Höflichkeit stieß mich ab.«

»Unsinn! Gesicht! Danach darf man gar nicht gehen. Mancher Schurke hat das einnehmendste Gesicht, und mancher Häßliche ist ein Ehrenmann. Und Höflichkeit muß sein. Ich wollte es keinem Sohne der Mitte raten, es daran fehlen zu lassen. Schließen Sie immerhin ab! Morgen segeln wir. Kennen Sie die Höhe des Passagepreises?«

»Das Fahrgeld wird hier sehr drolliger, aber ganz bezeichnender Weise Schui-kio genannt; das heißt wörtlich Wasserbeine. Die Geldstücke, welche man bezahlt, sind die Beine, mit denen man über das Wasser läuft. Der Mann verlangte pro Person nur einen Dollar bis Kanton. Auf dem Dampfer hätten wir das Vierfache zahlen müssen.«

»So segeln wir. Speisung ist nicht dabei?«

»Nein. Man hat hier eben für alles zu sorgen, auch für die Betten.«

»Brauche ich nicht. Schlafe so, wie ich es finde. Soll ich, wenn ich nach China will, etwa vorher zweihundert böhmische Gänse und ebensoviele Gänseriche rupfen und monatelang Federn schleißen, um dann hier von Gänseleberpastete nur träumen zu können, ohne sie wirklich verspeisen zu können. Das «

»Oh!« unterbrach ihn der Holländer, indem et seufzend die Hände auf die Gegend seines Magens legte. »Eene knusperene gebraden gans of eend is klein, maar goed eine knusperige gebratene Gans oder Ente ist zwar klein, aber gut!«

»Da haben Sie recht!« stimmte der Methusalem bei. »Leider haben wir es jetzt mit einer Dschunke, nicht aber mit einer gebratenen Martinsgans zu thun. Die Schui-heu ist das einzige Schiff, welches morgen aufwärts geht. Es fragt sich, ob wir es benutzen wollen. Der Superkargo gefiel mir nicht, aber ich füge mich den andern Stimmen.«

»Wir fahren,« sagte der Kapitän. »Hoffentlich ist Gottfried nicht dagegen?«

»Ich bin dabei,« meinte der Genannte. »Warum sollen wir hier hocken bleiben. Je eher wir abjondeln, desto eher werfen wir um, und dat ist doch auch eine jewisse Art von Vergnüjen.«

»Ja, Onkel Methusalem,« bat Richard. »Wollen hier nicht unsre Zeit verschwenden. Ich möchte gern sobald wie möglich am Ziele sein.«

»Gut, so werde ich nachher gehen, um die Passage fest zu machen und Lebensmittel einzukaufen, mit denen wir bis Kanton reichen.«

»Das ist meine Sache.« fiel Turnerstick ein. »Sie sind ja hier noch meine Gäste, und ich habe noch siebzehnhundert Li, ein wahres Vermögen für die hiesige Gegend.«

Der Methusalem lachte heimlich in sich hinein und. antwortete: »Wenn Sie darauf bestehen, so müssen wir uns freilich fügen.«

»Natürlich stehe ich fest auf meinem Willen.«

»Ohne Rücktritt?«

»Ohne zurückzutreten. Den Anfang will ich jetzt machen. Also wir logieren bis morgen hier im Hotel?«

»Ja, denn es ist das einzige anständige. Die andern Gasthäuser sind nur Spelunken.«

»Gut, es wird hier geblieben! Und damit der Wirt sogleich bemerkt, daß er feine Gäste hat, will ich jetzt das Bier bezahlen. Wir haben dreißig Flaschen.«

Auf den Tisch klopfend und sich nach dem Wirte umdrehend rief er: »Heda, Hoteliering, ich will bezahleng. Was kostang dreißing Flaschong?«

Der Wirt kam langsam herbei. Er hatte Turnerstick nicht verstanden, verbeugte sich tief und fragte: »What bid you, Sir was befehlen Sie, Sir?«

»Bezahleng!«

»I can not understand.«

»Was? Sie könning mich nicht versteheng?« rief Turnerstick zornig. »Das ist mir unbegreifling! Ich drücküng mich doch deutling aus. Passeng Sie nur richting auf! Ich will bezahling!«

Der Wirt schüttelte verlegen den Kopf. Da sprang der Kapitän vom Stuhle auf und schrie erbost: »Habing Sie keine Ohreng? Ich will bezahlang, bezahleng, bezahling, bezahlong und bezahlung!«

Der Wirt fuhr erschrocken zurück. Sein Gesicht verriet, daß er ratlos sei; darum belehrte ihn der Methusalem in halblautem Tone: »He will to pay.«

»Ja, to pay, to payeng will ich, payeng, verstandung?« rief Turnerstick. »Aber Li, lauter Li will ich geben.«

Bei diesen Worten zeigte er auf die Geldschnuren, welche um seinen Hals hingen. Im Gesichte des Methusalem war der Ausdruck lustiger Spannung zu bemerken. Der Wirt verstand den Kapitän jetzt; er gab sich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken, und sagte sehr höflich: »Thirty bottles, Sir? I beg, ten thousand Li!«

Turnerstick prallte zurück, als ob er einen Hieb in das Gesicht erhalten habe.

Waaaas?« fragte er. »Zehntausend Li?«

»Jawohl, zehntausend Li!« bestätigte der Methusalem.

»Das ist doch nur ein dummer Witz!«

»O nein, Kapitän, es ist Ernst.«

»Unmöglich! Bedenken Sie, zehntausend Li! Das ist ja unbegreiflich!«

»Es ist im Gegenteile leicht erklärlich. Zehntausend Li sind nach deutschem Gelde ungefähr sechzig Mark.«

»Also die Flasche zwei Mark?«

»Ja.«

»Die daheim fünfzehn Pfennige kostet!«

»Wir sind nicht daheim. Wir haben deutsches Bier getrunken, irre ich mich nicht, aus der Waldschlößchenbrauerei zu Dresden. Dieses Bier muß den Aequator zweimal passieren. Haben Sie denn noch nie so fern von der Heimat unser Bier gekostet?«

»Nein.«

»Nun, dann ist es eben kein großes Wunder, daß Sie sich um die betreffenden Preise nicht bekümmert haben.«

»Wußten Sie es denn?«

»Ja.«

»Und da verlangen Sie vierundzwanzig Flaschen! Das sind achtundvierzig Mark, die in noch nicht fünf Minuten durch die Gurgel gelaufen sind! Ihr Hund allein hat acht Mark vertrunken; das sind zwei Thaler zwanzig Groschen. Welche Verschwendung, da Sie den Preis gekannt haben!«

Der gute Turnerstick war eigentlich ein sparsamer Mann, wenn auch kein Filz. Sechzig Mark, sage zehntausend Li für Bier, das war ihm doch zu viel; darüber hatte ihn der Zorn ergriffen. Der Methusalem berücksichtigte das, indem er in ruhigem Tone meinte: »Meine Mittel erlauben mir das. Uebrigens war es ein Willkommentrunk, den ich nicht zu wiederholen beabsichtige, und ich konnte nicht wissen, daß Sie diese Zeche auf sich nehmen wollten. Jetzt denke ich, daß Sie die Absicht, zu bezahlen, aufgeben werden?«

Der Kapitän antwortete nicht. Er hatte behauptet, nicht zurücktreten zu wollen, aber die Summe war ihm doch zu hoch. Mijnheer van Aardappelenbosch war der Scene mit großem Interesse gefolgt. Seine Kenntnis der deutschen Sprache ermöglichte es ihm, jedes Wort zu verstehen. Um dem Kapitän, welcher vorher den großen Mund gehabt hatte und nun mit der Bezahlung zögerte, einen kleinen Hieb zu geben, sagte er zu dem Kellner, welcher ihn bedient hatte: »Oppasser, ik zull mijn gelag betalen, maar in Li Kellner, ich will meine Zeche bezahlen, aber in Li!«

»Drie duizend en vijf hondert Li,« antwortete der Markeur.

»Zijn vijf Dollars, twintig Mark en tachtig feningen sind fünf Dollars, zwanzig Mark und achtzig Pfennige.«

Er griff in die Tasche, zog die fünf Dollars und noch ein Trinkgeld heraus und gab es ihm. Turnerstick hatte alles verstanden. da die holländischen Zahlwörter den deutschen und englischen ähnlich klingen.

»Fast einundzwanzig Mark!« sagte er. »Das nenne ich Preise!«

»Ik heb goed ontbeten en goed gedronken; ik heb mij goed vermaakt en will dus ook gaarne goed betalen ich habe gut gefrühstückt und gut getrunken; ich habe mich gut amüsiert und will also auch gern gut bezahlen,« antwortete der Dicke.

Turnerstick merkte den Stich. Er fühlte sich an der Ehre gepackt, zog seinen Beutel und sagte in spitzem Tone: »Das will ich auch, obgleich ich gar nicht gegessen und nur einige Schlucke Lagerbier getrunken habe. Hier sind fünfzehn Dollars! Das macht sogar noch mehr als die Zeche. Der Ueberschuß mag Trinkgeld sein. Ein chinesischer Mandarin läßt sich nicht lumpen.«

»Ganz recht!« lachte der Methusalem. »Wie lange haben wir uns noch als Ihre Gäste zu betrachten?«

»Bis zu diesem Augenblick; nun aber ist es aus.«

»Also treten Sie doch zurück?«

»Ja. Ich habe keine Lust, in China bankerott zu werden. Ich wollte für Sie bezahlen, so lange wir uns in Hongkong befinden; aber wir bleiben bis morgen hier, und wer weiß, wie hoch da die Pension zu stehen kommt.«

»Hier an der Wand ist es angeschlagen, pro Mann fünf Dollars ohne die Getränke.«

»Das wären zwanzig Dollars, und wenn Sie so forttrinken, wie Sie angefangen haben und sich dabei sogar von dem Neufundländer unterstützen lassen, so müßte ich, Wein und andres gar nicht gerechnet, nur für Bier dreihundert Mark bezahlen. Danke bestens! Unsereiner hat doch auch eine gute Gurgel, aber bei Euch läuft's ja wie durch Kellerlöcher. Eure Kehle ist das größte Leck, das es nur geben kann. Es zieht die ganze See ein und kann nie verstopft und kalfatert werden.«

»Und anstatt am Lecke pumpen wir unmoralischerweise an den Manichäern herum!« stimmte der Blaurote lustig ein.

»So ist es; geht mich aber nichts an. Uebrigens werden Sie am wenigsten an derartigen Pumpen gestanden haben.«

»Haben's auch nicht nötig,« bemerkte Gottfried von Bouillon. »Unsre finanzielle Konstitution hat kein Jebrechen aufzuweisen. In dieser Beziehung sind wir andern stets über jewesen, wat ich mit aller Fourore hiermit konstatieren muß. Also Ihre Leib- und Lieblingsjäste sind wir nun nicht mehr. Dat ist jut, denn nun können wir uns nach unsrem individuellen Jelüste und müssen uns nicht mehr nach Ihrem Jeldbeutel richten. Wie steht es mit das Fäßchen, oller Methusalem. Von wejen dem Salamander ist es freilich nichts; aberst wir könnten zur Abwechselung doch mal versuchsweise einen Turnerstick reiben.«

»Danke!« rief der Kapitän. »Ich mag nicht noch mehr gerieben werden. Ich habe auch ohnedies, wohin ich sehe, meinen grünen Aerger. Habe ich nicht das herrlichste Chinesisch gesprochen, ohne daß der Wirt mich verstehen wollte? Das war die strafwürdigste Auflehnung gegen meine Mandarinenwürde. Aber das Holländische des Mijnheer hat der Kellner gleich verstanden!«

»Weil dieser Mann des Niederländischen mächtig ist, wie leicht zu hören war,« erklärte Degenfeld. »Ich rate Ihnen, Ihren Groll schwinden zu lassen, aber «

»Aberst dat Fäßchen lassen wir nicht schwinden,« fiel ihm Gottfried, um Turnerstick zu ärgern, in die Rede. »Dat muß anjeschwommen kommen!«

»Bier gibt es hier nur in Flaschen; von einem Faß kann also überhaupt nicht die Rede sein!«

»So soll ich wohl vor Durst zu meinen Ahnen hinüberschmachten? So pflanze mir eine einsame Ranke Hopfen auf mein frühes Jrab, und denk dabei, an dich sei alles Malz verloren!«

Während dieser Wortfechterei hatte der Mijnheer dem Wirte heimlich einige Worte gesagt. Infolgedessen brachten die Kellner dreißig Bierflaschen herbei, welche sie in Reih und Glied auf den Tisch pflanzten.

»Wat ist dat?« rief Gottfried elektrisiert. »So einen halben Zug Garde du Corps lasse ich mich jefallen! Welcher ingeniale Stratege hat diese Helden ins Vordertreffen jeschickt?«

»Ik ben deze veldheer,« antwortete der Dicke. »Hier is het slagveld en de belegering, en wij zijn dappere krijgslieden. Jagen wij alzoo onze vyanden buiten veld ich bin dieser Feldherr. Hier ist das Schlachtfeld und die Belagerung. Wir sind tapfere Kriegsleute. Jagen wir also unsre Feinde aus dem Felde!«

Sein fettes Gesicht strahlte in solcher Freundlichkeit, daß ihm seine Gastlichkeit unmöglich übel genommen werden konnte. Der Kapitän aber hatte ihm den vorhergehenden Stich noch nicht vergeben und sagte: »Wie, Mijnheer, Sie wollen uns traktieren? Das ist doch nur unter guten Bekannten gestattet. Sie aber sind uns völlig fremd.«

»Gerade weil ik Ihnen niet fremd bleiben will, habe ik Sie gebeten,« antwortete der Dicke ohne allen Groll. »Ik möcht so gaarne Ihr vriend sein und mit Ihnen nach Kanton reizen, weil ik sonst niet wieder so goede Gezelschap finde. Werden Sie mij das erlauben?«

»Natürlich, natürlich, lieber Freund!« antwortete der Methusalem. »Ich trinke zwar nicht gern aus andrer Leute Beutel, aber in dieser Weise und unter solcher Voraussetzung angeboten, kann ich die Gastfreundschaft nicht zurückweisen. Wollen's heut mal gelten lassen; deutsches Bier kriegt man in diesem Lande der Zöpfe nicht allemal! Hier meine Hand; wollen gute Kameradschaft halten!«

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