Der blaurote Methusalem - Karl May 13 стр.


»Gottfried, halte die Pfeife fest!« rief der Methusalem, indem er die Spitze derselben fahren ließ.

Der Dicke stürzte auf ihn, und zwar mit solchem Gewichte, daß der Blaurote sich und ihn nicht zu halten vermochte; beide krachten von der Treppenleiter herab und auf die Erde nieder.

Der Methusalem raffte sich augenblicklich wieder auf; der Dicke aber blieb liegen, hielt die Hände und Füße empor, spreizte alle zehn Finger auseinander und schrie: »Mijn God, mijn hemel, o mijn rug en mijne neus! Daar ligg ik hoe een walvisch in de fontein! Ik ben dood. Goede nacht, gij boose wereld mein Gott, mein Himmel, o mein Rücken und meine Nase! Da lieg ich wie ein Walfisch im Springbrunnen! Ich bin tot. Gute Nacht, du böse Welt!«

Gottfried hatte die Pfeife fest gehalten, so daß sie ihm nicht entrissen worden war. Er kam herabgestiegen, um den beschmutzten Anzug seines Herrn mit dem Taschentuche zu reinigen. Dabei fragte er denselben: »Wie nennt man eigentlich im Holländischen das Parterre?«

»Gelykvloers,« antwortete der Bemooste.

»Und Strohsack?«

»Stroozak.«

»Danke!«

Sich nun an den Holländer, welcher noch immer alle vier Extremitäten von sich streckte und die Augen geschlossen hielt, wendend, rief er: »Mijnheer, wollen Sie hier gelykvloers liegen bleiben wie ein Stroozak? Erheben Sie sich doch in Ihre janze Herrlichkeit!«

»Ik kan niet!« antwortete der Aufgeforderte im kläglichsten Tone.

»Warum nicht?«

»Ik ben dood, muisdood. Ik sterv in deze oogenblik. Ik ben een ongelukkige nijlpaard. Wij worden afschied nemen!«

»Wat, so mausetot sind Sie, dat Sie Abschied nehmen wollen?« lachte der Wichsier. »Wer so weich fällt wie Sie, der kann sich jar nie zu Tode fallen. Sollten Sie aber dennoch bereits nach dem Jenseits hinüberjeschlummert sein, so habe ich da meine Posaune des letzten Jerichtes, mit welcher ich Ihnen aus dat Erbbejräbnis blasen werde. Wollen Sie jefälligst auf?«

»Neen! Ik kan niet!«

»Dann werde ich nachhelfen.«

Er hielt ihm die Oboe an das Ohr und blies. Es kam ein so entsetzlicher, langgezogener Mißton zum Vorscheine, daß sich der Holländer sofort in sitzende Stellung aufrichtete und beide Ohren mit den Händen verschloß.

»Dat hilft! Nicht wahr?« kicherte Gottfried ihn an. »Weiter! Noch einmal!«

Aber obgleich der zweite Ton noch schrecklicher als der erste war, der Dicke blieb sitzen. Er zog zwar das jämmerlichste Gesicht, welches denkbar ist, hielt sich aber die Ohren zu und bewegte sich nicht.

»Will's nicht weiter wirken?« fragte Gottfried. »Die erste Fermate hat doch jeholfen! Warum die zweite nicht? Auf, Mijnheer! Es wird schon jehen!«

Ik fort niet; ik word sterven!« antwortete der Dicke kopfschüttelnd.

»Laß ihn!« rief der Methusalem, welcher mittlerweile die Leiter emporgestiegen war. »Man soll jedem Toten seine Ruhe gönnen. Möge ihm die Erde leicht werden! Wir aber haben mehr zu thun. Hier oben an Deck riecht es geradezu zum Entzücken. Ich glaube, es wird an Bord ein seines Diner abgehalten. Ich rieche Rumpsteaks mit Schmorkartoffeln; auch nach Selleriesalat duftet es. Man scheint also schon beim zweiten Gange zu sein. Komm also schnell herauf, Gottfried! Ein chinesisches Essen, das dürfen wir unmöglich versäumen!«

»Gebraden rumpvleesch?« rief der Dicke, indem er die Hände von den Ohren nahm. »Selrisalade? Een middageten in een chijnedischen scheep? Ik word ook met eten. Ik kom ook met in't scheep gebratenes Lendenfleisch? Selleriesalat? Ein Mittagsessen in einem chinesischen Schiffe? Ich werde auch mit essen. Ich komme auch mit in das Schiff!«

Was Gottfried mit seiner Oboe nicht fertig gebracht hatte, das war dem Methusalem mit seiner Ankündigung gelungen. Einem Rumpsteak konnte der Dicke nicht widerstehen. Er sprang vom Boden auf, steckte den Tornister, welcher ihm entfallen war, wieder auf die beiden Gewehrläufe, ergriff auch den Familienschirm und kletterte dann mit einer Beweglichkeit, welche ihm vorher niemand zugetraut hätte, an der Leiter empor.

Gottfried stieg hinter ihm her und rief lachend: »So erfährt man, wie tote Leichen aufjeweckt und zu Verstand jebracht werden! Hängt man diesem juten Mijnheer einen Bahnzug von sechzig Kohlenwagen hinten an und hält ihm vorn eene saftige Kotelette vor. so zieht er die Lowrys im Jalopp über den Sankt Jotthard hinweg. Es jibt eben Menschen, deren Magen jradezu allmächtig ist.«

Als er eben an Bord anlangte, reichte er dem Methusalem vor allen Dingen die Schlauchspitze hin und zündete ein Holz an, um den Tabak in Brand zu stecken. Er hielt es eben für unmöglich, daß sein Herr als »Nichtraucher« eine chinesische Dschunke besteigen werde, um mit dem Besitzer derselben wegen der Passage in Unterhandlung zu treten.

Zunächst war kein Mensch zu sehen. Das Schiff schien ausgestorben zu sein. Auch von einem Bratengeruche war nichts zu verspüren, was den Dicken zu dem Ausrufe der Enttäuschung veranlaßte: »Ik ben verschrikt! Hier wordt niets kocht ich bin erschrocken. Hier wird nichts gekocht.«

Er hielt seine Nase in alle Richtungen der Windrose, und da er von einem Bratendufte keine Spur bemerkte, so stieß er den Schirm zornig auf und rief: »Ik houd niet van zulk een gedrag; ik loop waarlyk naar mijne herberg ich halte nichts von so einem Betragen; ich gehe wahrhaftig nach meinem Gasthofe!«

Er wollte sich wirklich wieder nach der Treppe wenden, ließ sich aber durch einen interessanten Anblick, welcher sich ihm bot, daran hindern.

Zunächst war es kein Anblick, sondern ein lieblicher Geruch, welcher plötzlich in seine Nase drang. Es duftete wirklich nach gebratenem Fleische, wodurch der Scherz des Blauroten zum Ernste wurde. In der Stützwand des hohen Hinterdeckes wurde eine Mattenthür geöffnet, und es traten vier Chinesen hervor, welche einen Tisch trugen. Auf diesem standen mehrere Porzellangefäße verschiedener Formen mit gebratenem Fleische, Kuchen, Wein und duftenden Blumen.

»Het middageten komt!« rief der Dicke, indem sein Gesicht einen freudigen Ausdruck annahm.

»Dat scheint wirklich so!« nickte Gottfried von Bouillon. »Sollte man unsre Ankunft jemerkt haben und nun mit einem Freundschaftsimbiß feierlichst bejehen wollen? So eine diplomatische Jeschicklichkeit hätte ik bei diese Söhne der Mitte freilich nicht jesucht!«

»Abwarten!« lachte der Methusalem. »Diese Delikatessen sind jedenfalls nicht für uns.«

»Dann könnten mir diese Kinder des Zopfes immer wieder jestohlen werden.«

Es zeigte sich, daß der Methusalem recht hatte, denn die vier Chinesen machten sehr erstaunte Gesichter, als sie die Fremden erblickten. Sie trugen den Tisch bis zwischen den Mittel- und Hintermast, setzten ihn dort nieder und entfernten sich schleunigst, jedenfalls um die Anwesenheit der Europäer zu melden.

Gleich darauf kamen aus derselben Thür zwei Männer, welche sich in langsamen und würdevollen Schritten näherten. Beide waren lang und hager. Sie trugen die gewöhnliche chinesische Tracht, ohne Abzeichen eines litterarischen oder militärischen Ranges und hatten breitkrempige Basthüte auf den rundum kahlgeschorenen Köpfen. Nur auf den Scheitelstellen waren die Haare nicht entfernt worden; sie hingen von dort aus in Gestalt von Zöpfen unter den Hüten hervor. Waffen waren nicht zu sehen; dennoch aber, und obgleich die beiden Männer in diesem Augenblicke ein höfliches Lächeln zeigten, hatten ihre breiten, mongolischen Gesichter einen Ausdruck, welcher nicht auf weichliche Gesinnung schließen ließ.

Als sie herangekommen waren, blieb der eine einen Schritt hinter dem andren stehen. Der letztere verbeugte sich tief und sagte in ziemlich gutem Englisch: »Die hochgeborenen Herren beehren mein schmutziges Schiff mit Ihrer glänzenden Anwesenheit. Welchem glücklichen Umstände habe ich, der allerunwürdigste Ihrer Diener, diese leuchtende Gnade zu verdanken?«

Als sie herangekommen waren, blieb der eine einen Schritt hinter dem andren stehen. Der letztere verbeugte sich tief und sagte in ziemlich gutem Englisch: »Die hochgeborenen Herren beehren mein schmutziges Schiff mit Ihrer glänzenden Anwesenheit. Welchem glücklichen Umstände habe ich, der allerunwürdigste Ihrer Diener, diese leuchtende Gnade zu verdanken?«

Selbst im Verkehr mit seinesgleichen gebietet nämlich die Höflichkeit dem Chinesen, von sich nur in wegwerfenden, von dem andern aber in erhebenden Ausdrücken zu sprechen.

Der Methusalem verbeugte sich ebenso tief und öffnete bereits den Mund, um diese Frage zu beantworten; da aber trat Turnerstick schnell vor und rief: »Tsching, tsching, tsching! Wir kommeng als Passagierings und wollang mit der Königing des Wassers fahrung. Wir hoffeng, gute Wohnung zu finding und werdeng nobel bezahlang. Fünf Personung und ein Hund. Was habeng wir für den Ramsch zu bezahlung?«

Der Neufundländer war nämlich auch mit über die Treppe heraufgeklettert.

Der Chinese warf einen unbeschreiblich verblüfften Blick auf den Kapitän, schüttelte den Kopf und sah die andern fragend an.

»Nun!« sagte Turnerstick ungeduldig. »Sie werdeng doch hoffentling Chinesisch verstehang! Ich lasse nur den reinsteng und feinsteng Dialekting hörung. Verstanding? Ich will Antwort habeng!«

Der Chinese stand noch ebenso verwundert wie vorher. Darum fuhr Turnerstick in erhöhtem Tone fort: »Seid ihr beideng etwa taubstumming? Ich kann verlangung, gehört zu werdeng. Ich bin bin bing «

Leider hatte er das Wort nun schon vergessen. Er entfaltete also seinen Fächer, um es abzulesen, und ergänzte: »Ich bing ein Wu-kuan und heiße Tur-ning sti-king, Schiffskapitäng und chinesischer Obermandaring; ich werde «

Er wurde unterbrochen. Der Chinese gebot ihm durch eine Armbewegung Schweigen und fragte den Methusalem, sich wieder der englischen Sprache bedienend: »Wer ist dieser erlauchte Herr? Meine ungehorsamen Ohren vermögen es nicht, seine Worte zu verstehen.«

Der Gefragte antwortete in derselben Sprache: »Er ist ein Wu-kuan, ein Fu-tsiang seines Vaterlandes, und bedient sich des höchsten Dialektes der Beamten von der Pfauenfeder, welchen andre nicht zu kennen scheinen.«

»So muß es sein, denn ich kenne diese Sprache nicht. Wollen uns also lieber derjenigen der Yan-kui-tse[23] bedienen, in welcher ich die weisen Herren wohl verstehen kann. Ich bin der ganz unwürdige Ho-tschang dieses Schiffes, und mein Kamerad hier ist der To-kung desselben. Unsre Tau-muh haben uns gesagt, daß einige erleuchtete Männer an Bord gekommen seien, und so haben wir uns beeilt, unsre ganz demütigen Dienste anzubieten.«

»Hat der Besitzer dieser Dschunke nicht davon gesprochen, daß ein Tao-dse-kue[24] hier gewesen ist, um für sich und noch vier andre Platz für Kanton zu bekommen?«

»Er hat es gesagt. Wenn ihr diese vom Himmel gesandten Herren seid, so wird es für uns eine ganz unverdiente Ehre sein, euch bei uns aufzunehmen und nach Kuang-tscheu-fu[25] zu bringen.«

»Wir sind es. Wo ist der Schiffsherr?«

»Er befindet sich bei dem Hiang-kung, um mit demselben für das Gelingen unsrer Reise zu beten. Wenn das Gebet vollendet ist, werden wir hier auf dem Deck das Kong-pit vornehmen, um ganz sicher zu sein, daß uns unterwegs kein Uebel widerfahre.«

»Werdet ihr uns erlauben, dieser Zeremonie beizuwohnen?«

»Ja, da ihr mit uns fahren wollt. Aber da muß ich nach euren berühmten Namen und euren glänzenden Würden fragen, damit ich euch die euren hohen Verdiensten angemessenen Plätze anweisen kann.«

»Ihr sollt sie erfahren. Dieser berühmte Held ist, wie bereits erwähnt, ein Wu-kuan. Sein Titel ist aus seinem Fächer verzeichnet: Tur-ning sti-king kuo-nyan ta-fu-tsiang. Mein Name ist Me-thu-sa-lem-tsiung-wan, woraus ihr ersehen werdet, wen ihr vor euch habt.«

Die Klasse der Tsiung-wan ist nämlich die erste der fünf obersten Klassen des persönlichen Adels, wohin nur die Mitglieder und Abkommen der kaiserlichen Familie gehören. Als die beiden Chinesen diese zwei Silben hörten, verbeugten sie sich so tief, daß ihnen ihre Zöpfe nach vorn über die Köpfe flogen, und der Ho-tschong fragte im Tone tiefster Ergebenheit: »So sind Sie der Nachkomme eines glänzenden Ahnen?«

»Des glänzendsten, den es gibt. Er hieß A-dam; vor ihm beugten sich alle Geschöpfe der Erde, und er ist der Urvater aller Kaiser und Könige. Mein Name wird also genügen, so daß ich diejenigen meiner andern Begleiter nicht zu nennen brauche. Jeder von ihnen ist ein Tao-kuang[26] in unserm Vaterlande, und wenn wir mit euch fahren, werdet ihr alle ihre zehntausend Vortrefflichkeiten kennen lernen. Vor allen Dingen aber möchten wir wissen, wie viele Wasserfüße wir haben müssen, um mit euch nach Kanton zu gelangen.«

»Der Herr des Schiffes hat mir bereits gesagt, daß er für die Person einen Dollar verlangt hat. Da ihr aber so vornehme Herren seid, denke ich, daß ihr uns beiden außerdem noch ein Kom-tscha[27] geben werdet.«

»Ihr sollt pro Mann einen Dollar bekommen.«

»Herr, eure Gnade ist über alles Erwarten groß. Wenn ihr das Geld sogleich bezahlt, werdet ihr sofort Zeuge des Kong-pit sein.«

Turnerstick und der Mijnheer zahlten je zwei Dollar, der Methusalem für sich, Gottfried und Richard vier Dollar, folglich hatten die beiden Schiffsoffiziere drei Dollar Trinkgeld, worüber sie sich außerordentlich erfreut zeigten.

Während des Gespräches hatte sich das vorher so menschenleere Deck bevölkert. Die Bemannung war unter Deck gewesen und nun heraufgekommen. Die Leute standen in der Nähe des Tisches. Von ihnen lösten sich zwei ab, welche langsam herbeikamen. Der Methusalem erkannte den Schiffseigner. Der andre trug eine mönchsähnliche Tracht. Jedenfalls war er der Hiang-kung, der Priester des Schiffes.

Der erstere erhielt von dem Kapitän das Passagegeld, natürlich aber nicht das Trinkgeld. Die vier Chinesen traten beiseite, sprachen eine Weile miteinander und warfen dabei scharf forschende Blicke auf die Passagiere. Der Schiffseigner hatte, wie von Degenfeld ganz richtig bemerkt worden war, kein vertrauenerweckendes Gesicht, der Priester sah noch finsterer aus. Ihre Blicke glichen denen von Händlern, welche eine Ware scharf abschätzen wollen.

»Die Kerls gefallen mir gar nicht,« sagte der Methusalem. »Sie betrachten uns wie Kolli, die in ihren Besitz übergehen sollen. Warum sprechen sie heimlich miteinander?«

»Das ficht mich nichts an,« antwortete Turnerstick. »Ein Kapitän muß wissen, wen er an Bord hat, und daß wir ihr Befremden erregen müssen, versteht sich ganz von selbst. Lassen Sie die Kerls immer reden. Mir gefallen sie, obgleich sie kein Wort von meinem Hochchinesisch verstehen. Lassen Sie uns nur in das Innere des Landes kommen. Da werden Sie sehen, welchen Effekt ich mit meinen Sprachkenntnissen mache! Ueberdies ist diese Schui-heu ein wahres Prachtschiff, schmuck und sauber im höchsten Grade. Vielleicht läßt man uns auch einen Blick unter Deck werfen. Am liebsten möchte ich gleich hier bleiben. Vielleicht thue ich es auch, wenn sie es erlauben. Warum soll ich im Hotel übernachten und so viel Geld bezahlen?«

Als ob sie die Worte des Kapitäns gehört hätten, kamen die vier jetzt wieder herbei, und der Kapitän sagte: »Ich habe den Hiang-kung benachrichtigt, daß ihr das Kong-pit mit ansehen wollt. Er würde es gern erlauben, darf aber nicht, weil ihr dann wohl das Schiff verlassen werdet, um erst morgen früh wieder an Bord zu kommen.«

»Das beabsichtigen wir allerdings,« bestätigte Degenfeld. »Aber warum soll dieser Umstand ein Hindernis sein?«

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