Diese hatte den Kopf über Wasser gehalten, um das Kleine zu beobachten und ihm, wenn nötig, beizustehen. Jetzt, da sich dasselbe auf festem, sicherem Boden befand, kam auch sie an das Ufer, eine gewaltige, unförmliche Körpermasse, welche sich wassertriefend und schnaubend an und durch das sumpfige Ufer arbeitete.
Das Junge sah die Alte kommen und trollte gemütlich weiter, sich den Negern nähernd, ohne dieselben, welche sich jetzt niederbückten, zu beachten. Es hatte noch keine Ahnung von den Gefahren, welchen sogar ein anmutvolles Nilpferd ausgesetzt ist.
Ich war ganz Auge. Meine Aufmerksamkeit war nur auf die beiden Tiere gerichtet. Alles andere erschien mir nebensächlich. So schien es auch den vier Negern zu gehen. Sie dachten nicht an die Boote, zu denen sie geschickt worden waren; sie sahen den köstlichen Braten, wenn auch in noch ungeröstetem Zustande, vor sich, und durch ihre Seelen ging ein tiefes Rühren, dem sich alles andere unterordnen mußte.
Jeder halbwegs gebildete Europäer kennt den gewaltigen Unterschied zwischen dem köstlichen Geschmacke eines zarten Spanferkels und dem schon mehr profanen Genusse, den ein alltäglicher Schweinebraten bietet. Ebenso weiß jeder leidlich erfahrene Sudanese zwischen dem Braten eines Nilpferd-Küchleins und demjenigen eines alten Hippopotamus zu unterscheiden. Hier kam das zarte Küchlein den Schwarzen so gar bequem entgegengetrollt, daß sie der Versuchung unmöglich widerstehen konnten. Sie sprangen auf, fielen mit den Rudern über das ahnungslose Tierchen her und schlugen es nieder. Es kreischte zwei- oder dreimal auf und erlag dann den schnellen, kräftigen Hieben, welche auf die empfindliche Nase gerichtet waren. Ich sah kommen, was nun kommen mußte, nämlich das alte Tier.
Dieses hörte kaum die Schmerzenslaute seines jungen, so ließ es ein grimmiges Schnauben hören, welches mit sonst nichts zu vergleichen ist, und stürzte sich vorwärts. Mit einer Schnelligkeit, welche man dieser unförmlichen Fleischmasse gar nicht zutrauen sollte, schoß es durch die Falle. Dabei berührte es die Auslösung; die Harpune fiel aber hinter dem Tiere, weil die Bewegung desselben zu schnell gewesen war. Das Nilpferd blieb unverletzt und jagte weiter, bis dahin, wo das junge lag. Dort hielt es an und wendete es mit der Schnauze einige Male von einer Seite auf die andere.
Hatten die vier Neger sich für sicher vor dem Alten gehalten? Hatten sie gemeint, daß dieses nicht weiter als bis unter die Falle kommen könne? Wenn das der Fall war, so sahen sie sich schrecklich enttäuscht. Sie standen erst starr vor Entsetzen; aber dadurch, daß die Alte bei dem jungen anhielt, gewannen sie Zeit zur Flucht. Sie warfen die Ruder weg und rannten zurück, an mir vorüber, in den Wald hinein, dem Lager zu. In demselben Augenblicke hörte ich meines Gefährten laute, befehlende Stimme:
»Halt, bleib' stehen, sonst bist du eine Leiche!«
Dieser Drohung war zu entnehmen, daß die andern Neger oder wenigstens wieder einige von ihnen kamen. Die vier Ausreißer brüllten ihnen mehrere Worte, die ich nicht verstand, entgegen, jedenfalls eine Warnung. Zehn und noch mehr Stimmen brüllten; die Tierwelt erwachte aus dem Schlafe; Affen kreischten, Vögel erhoben ihre so verschiedenen Stimmen; der Schuß meines Gefährten krachte; im Lager heulten die Schwarzen; der ganze Wald war lebendig geworden. Meine drei andern Doppelposten ließen ihre Rufe ertönen; ich hörte ihre Schüsse fallen. Und das alte Nilpferd? Und ich?
Nun, wir waren hart hintereinander her, aber nicht etwa es hinter mir, sondern ich hinter ihm. Ich hatte mich tief in die Lianen gedrückt, um die vier Neger an mir vorüber zu lassen, und den Blick nicht von dem Tiere gewendet. Als es sich überzeugt hatte, daß das junge tot war, stürzte es wieder vorwärts, sah die Neger unter den Palmen verschwinden und schoß ihnen nach. Die Schnelligkeit, mit welcher dies geschah, war ganz unglaublich. Dabei ließ es einen Ton oder vielmehr Töne hören, welche gar nicht zu beschreiben sind. Das war kein Schnaufen mehr, kein Schnauben, kein Grunzen, kein Brüllen, und doch war es das alles und noch viel mehr als das.
Als es mir nahte, blieb ich stehen, nicht vor Schreck, sondern aus Berechnung. Meine beiden Läufe waren geladen; ich hätte schießen können, war aber vorsichtig genug, dies nicht zu thun. Das Riesentier mußte so getroffen werden, daß es sofort fiel; hier unter den Bäumen aber hatte ich kein sicheres Zielen, und ein Nilpferd besitzt keineswegs viele Stellen, an denen es tödlich verwundbar ist. Von vorn durfte ich es auf keinen Fall nehmen.
Als es an mir vorüberschoß, streifte es mich, ganz leicht nur, im Verhältnisse zu seiner Stärke und seiner Masse; aber ich flog doch, wie von zehn Pferdekräften geworfen, seitwärts in das Dickicht, raffte mich jedoch sofort wieder auf und rannte hinterdrein. Was nun folgte, läßt sich wirklich leichter erleben als beschreiben.
Man denke sich einen von einem Nilpferde ausgetretenen Pfad, der keineswegs einem parkettierten Fußboden gleicht, sondern buchstäblich aus tiefen, runden Löchern, in denen das Wasser steht, zusammengesetzt ist. Rechts und links Dickicht. Oben die Palmenwipfel, welche den Pfad verdunkeln, und bricht ja ein einzelner Strahl des Mondes durch, so bewirkt er nur, daß die Unsicherheit vergrößert wird. Vorn Schüsse, Rufe, das Geheul und Geschrei der erschrockenen Menschen, von allen Seiten das Geplärr, Gekrächz, Gestöhn, Gebrumm, Gebrüll und Gekreisch der Tiere! Hart vor der Hand ein wütendes Ungeheuer, dem man den Garaus machen will, machen muß, um zehn und noch mehr Menschenleben zu retten!
Wie ich mit solcher Schnelligkeit vorwärts gekommen bin, wußte ich damals nicht und kann es heute noch viel weniger sagen. Das Nilpferd flog und ich flog auch, über die Löcher und Pfützen hinweg, zwischen den Lianenwänden hin. Ich stolperte über menschliche Körper, welche von dem Untiere niedergerannt worden waren, und kam doch nicht selbst zum Falle. Meine Füße berührten kaum den Boden, und doch blieb ich so gut bei Atem, als ob ich ruhig auf einem Sofa säße. Da lichtete sich das Dunkel über mir. Der Pfad war zu Ende, und die Bäume traten zurück. Die Lichtung begann und war vom Mondenscheine förmlich überflutet. Rechts, links, vorn rannten, flogen, schossen, stürzten, purzelten, wälzten sich schwarze Gestalten. Zehn, zwölf Sprünge vor mir stampfte das Nilpferd einen Mann unter den Beinen zu Brei. Fünf, sechs weite Sprünge links nach vorn, dann blieb ich stehen und legte an. Die Aufmerksamkeit zunächst auf mich selbst richtend, bemerkte ich, daß ich nicht zitterte; dann den Blick auf das Visier, die Mündung handtief hinter das linke Ohr des Hippopotamus gerichtet und dann losgedrückt. Der Schuß erdröhnte durch den Wald; die zweite Kugel folgte sofort nach; ich schnellte mich weiter nach links bis in den Schatten der nächsten Hütte, fuhr mit der Linken in die Tasche, wo ich die Patronen hatte, und wendete mich erst nun zurück, um schnell wieder zu laden und dabei zu sehen, welchen Erfolg meine Schüsse hatten.
Das Tier stand aufrecht, ohne sich zu bewegen. Es hatte den Rachen weit geöffnet und ließ die starken, stumpfen Hauer sehen. Es schien, als ob es in verderblicher Wut brüllen wolle, aber der Rachen blieb stumm; die Quelle der Stimme, die Lunge, war gelähmt. Ein schweres Zittern lief langsam über den Körper; er neigte sich nach rechts, nach links, nach vorn, wieder nach rechts und fiel dann schwer, wie aus Holzklötzen geschnitten, nach dieser Seite um. Da lag er starr und steif, ohne daß auch nur ein einziges Glied sich einmal noch bewegte.
Unterdessen hatte ich wieder geladen und näherte mich vorsichtig dem Kopfe, bereit, demselben nötigenfalls noch zwei schnelle Kugeln zu geben. Es war nicht nötig. Wie sich später zeigte, waren die beiden ersten direkt in das Gehirn gedrungen und hatten das Ungeheuer augenblicklich und vollständig gelähmt; es war tot.
Jetzt sah ich mich um. Mehrere Tote und Gequetschte lagen hier und dort an der Erde, sonst war niemand zu sehen; aber im Innern der Tokuls hörte ich Stimmen. Ich begab mich zum größten, trat in den Eingang und fragte:
»Agadi, bist du noch hier?«
»Ja, Effendi,« antwortete er. »O Allah, welch ein Schreck kommt über die Erde!«
»Bist du noch gebunden?«
»Ja, Ich hänge hier am Pfosten.«
»Sind noch andere hier?«
»Eine ganze Menge.«
»Ich werde dich abschneiden.«
Seine Stimme sagte mir, wohin ich mich zu wenden hatte.
Ich stieg zwischen, auf und über Menschen hinweg, welche ich nicht sah, und die sich dies ruhig gefallen ließen, schnitt ihn los, machte auch seine Hände frei und zog ihn dann hinaus auf den Platz. Wir waren, außer den Toten und Verwundeten, die einzigen Menschen draußen; die andern waren von der Angst in die Hütten getrieben worden. Als er das Tier liegen sah, schlug er die Hände zusammen und rief aus:
»Da liegt das Ungetüm, bei Allah, da liegt es! Ist es denn wirklich tot?«
»Ja, ich habe es erschossen.«
Ehe er antworten konnte, ertönte hinter der Tierleiche der laute Ruf:
»Allah akbar! Da liegt der vierfüßige Teufel, der uns alle verschlingen wollte! Er ist tot; er hat sein Leben lassen müssen und ist in seinen Sünden dahingestorben. Nicht wahr, du bist es, der ihn erschossen hat, Effendi? Ich steckte am Wege, und obgleich es dunkel war, sah ich dich hinter ihm her rennen.«
Der Sprecher war der Askari, mit dem ich am Wege gelauert hatte.
»Jetzt haben wir,« rief Agadi, »gewonnenes Spiel. Du hast das ganze Lager gerettet, hast den Kriegern der Bor das Leben erhalten, denn dieses Ungetüm hätte die Hütten und mit ihnen alle, welche sich darin befanden, niedergestampft. Nun kann uns niemand mehr als Feinde betrachten; nun wird man mir glauben, wenn ich wiederhole, daß du nicht Ibn Asl bist. Komm' mit herein, damit ich dem Häuptling sage, daß du sein Retter bist!«
»Dazu bedarf es meiner Gegenwart wohl nicht. Gehe also allein zu ihm. Er mag die Feuer wieder anbrennen lassen. Wenn wir das Tier zerlegen, soll jeder Bor ebenso wie jeder Askari sein Teil bekommen. Sage ihm das. Inzwischen will ich nach meinen Asakern sehen.«
Agadi trat wieder in den Tokul. Der Askari, welcher sich mit mir auf Posten befunden hatte, begleitete mich, als ich ging, um nach den sechs andern Asakern zu sehen. Sie hatten sich wacker gehalten. Keiner war von seinem Platze gewichen. Sie hatten das Geschrei, die Warnungsrufe gehört und die Verwirrung bemerkt, ohne aber zu wissen, welchen Grund dies habe, da sie die Sprache der Bor nicht verstanden. Die Schwarzen hatten vor dem Nilpferde fliehen und aus dem Lager brechen wollen, waren aber durch die Schüsse der sechs Asaker zurückgetrieben worden und hatten sich dann vor Angst in die Tokuls verkrochen. Freilich durfte ich meinen Posten ihr ruhiges Ausharren nicht allzuhoch anrechnen. Hätten sie gewußt, daß ein Nilpferd im Anzuge sei, so wären sie, obgleich sie den Schwarzen so wacker standgehalten hatten, sehr wahrscheinlich auch davongelaufen.
Ich führte sie in das Lager, ohne mich zu fragen, ob ich das auch wagen dürfe. Ich dachte gar nicht mehr daran, daß uns eine Gefahr drohen könne; ich war Herr der Situation gewesen und hatte das Gefühl, daß ich dies auch bleiben werde. Darum befahl ich meinen Soldaten, zwei große Feuer in der Nähe des Nilpferdes anzubrennen, damit es bei dem Scheine derselben ausgewirkt werde.
Während sie diesen Befehl ausführten, beobachtete ich die Schwarzen. Sie brannten ihre Feuer wieder an und holten ihre Angehörigen herbei, welche von dem Nilpferde getötet oder verletzt worden waren. Auch diejenigen, welche schon auf dem Pfade zu Fall gekommen waren, wurden gebracht. Im ganzen waren vier Mann tot und acht verwundet, und zwar meist schwer. Dies alles geschah in einer Weise, als ob unsere Anwesenheit ganz selbstverständlich sei. Als dann die Toten beiseite geschafft und die Verletzten in einem Tokul untergebracht worden waren, kam der Dolmetscher in Begleitung eines Schwarzen, den er mir als den Häuptling bezeichnete, zu mir. Ich konnte mir den Mann beim Scheine der jetzt wieder brennenden Feuer betrachten. Er stand im mittleren Lebensalter; sein Gesicht war beinahe vollständig schwarz, doch zeigten seine Züge nicht den bekannten Negertypus. Wie fast alle Angehörige des Dinkavolkes hatte er das Haar geschoren und nur auf der Mitte des Scheitels eine Art Skalplocke stehen lassen. Auch die bereits bei der Beschreibung des Dolmetschers erwähnte Tättowierung war in genau derselben Weise vorhanden. Sein Anzug bestand aus einem blauleinenen Hemde, welches ihm fast bis an die Füße reichte. Es wurde von einem Riemen zusammengehalten, in welchem eine alte Pistole und ein Messer steckten. In der Hand trug er eine lange, einläufige, arabische Steinschloßflinte. Er machte mir eine tiefe Verneigung, betrachtete mich mit neugierigen Augen, wobei sein Gesicht sehr bemerkbar freundlicher wurde, und sagte dann:
»Nein, du bist nicht Ibn Asl. Ich sehe das jetzt.«
Er bediente sich der Sprache seines Stammes, sodaß Agadi mir die Worte verdolmetschen mußte. Hierbei sei erwähnt, daß auch fernerhin jede Unterredung mit ihm oder einem seiner Leute nur mit Hilfe Agadis stattfand.
»Kennst du diesen Mann persönlich?« fragte ich ihn.
»Ja. Ich habe ihn einmal unten am Mokren el Bohur gesehen.«
»So kannst du allerdings entscheiden, ob ich dieser Halunke bin oder nicht.«
»Vorhin, als du an unserem Lager standest, konnte ich dein Gesicht nicht deutlich erkennen, und da ich weiß, daß Ibn Asl einen Sklavenzug zu unternehmen beabsichtigt, mußte ich vorsichtig sein. Nun da ich dich aber so nahe vor mir habe, glaube ich den Worten dessen, den du zu mir sandtest. Ich mußte ihm mißtrauen, da ich erfahren hatte, daß er sich bei Ibn Asl befand.«
»Ich habe ihn über die Absichten des Slavenjägers aufgeklärt, und er hat sich infolgedessen von diesem losgesagt. Du kannst ihm und mir vertrauen.«
»Ich vertraue dir jetzt sehr gern. Sage mir, wie ich dir dankbar sein kann! Ich werde es gern thun.«
»Was ich gethan habe, bedarf keiner Dankbarkeit; aber es giebt allerdings eine Gefälligkeit, um welche ich dich bitten möchte und die wir dir gut und ehrlich bezahlen werden. Wir brauchen Ochsen zum Reiten und zum Tragen unseres Gepäckes.«
»So ist es also wahr, daß Ibn Asl gegen die Gohk ziehen will?«
»Er will nicht nur, sondern er ist bereits unterwegs. Ich weiß, daß sie zu deinem Stamme gehören, und hoffe deshalb, daß du uns deine Hilfe nicht verweigern wirst.«
»Sie sind unsere Freunde und Verwandten, und es ist also unsere Pflicht, ihnen beizustehen. Dazu kommt, daß du uns gerettet hast. Dir sind sie fremd, und dennoch willst du sie retten; wie könnten wir, die wir zu ihnen gehören, dir unsere Hilfe versagen! Wie viel Ochsen brauchst du?«
»Ungefähr zweihundert. Wirst du so viele auftreiben können und zwar schnell?«
»Wenn du willst, kannst du schon morgen um die Zeit des Mittags tausend haben, denn wir sind sehr reich an Rindern, reicher als alle anderen Stämme, welche in dieser Gegend ihre Dörfer haben. Zweihundert werden zu wenig sein.«
Indem er diese letzteren Worte sagte, betrachtete er mich mit einem Lächeln, als ob er dabei einen für mich angenehmen Hintergedanken habe.
»Warum?« fragte ich ihn erwartungsvoll.
»Weil zweihundert Ochsen alle die Krieger, welche ausziehen werden, nicht fortbringen könnten. Wenn fremde Krieger sich solchen Entbehrungen und Gefahren unterwerfen, um den Gohk beizustehen, so dürfen doch wir unmöglich zurückbleiben. Ich werde zweihundert meiner besten Leute versammeln und mit euch ziehen.«