Satan und Ischariot I - Karl May 3 стр.


Ich brachte es nur mit Anstrengung fertig, ernst zu bleiben, und konnte mir nun das Aussehen des Fremdenbuches erklären. Ich hatte, während er Wasser kochte, darin geblättert. Die Schrift war auf den letzten Seiten dunkelgelb, wurde je weiter nach vorn desto heller und war endlich gar nicht mehr zu lesen. Die vordersten Seiten schienen niemals beschrieben worden zu sein.

»Jetzt passen Sie auf, Sennor,« sagte er. »Ich habe einzutragen den Tag und das Jahr Ihrer Ankunft bei mir, Ihren Namen, Ihren Stand oder Beruf und die Absicht, in welcher Sie sich hier befinden. Ich hoffe, daß Sie mir das alles der strengsten Wahrheit gemäß angeben!«

Ich machte ihm die Angaben, und er malte sie in Buchstaben nieder, welche in Beziehung auf Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Er malte nicht nur, sondern er mahlte förmlich, langsam, sehr langsam, mit einem Drucke und einer Hingebung, wie es einer so wichtigen und edlen Beschäftigung würdig war. Als er nach einer guten halben Stunde den letzten Strich verbrochen hatte, machte er ein sehr befriedigtes Gesicht, schob das Buch von sich ab und fragte mich dann:

»Wie gefällt Ihnen meine Hand, Sennor? Haben Sie schon einmal solche Buchstaben und Züge gesehen?«

»Nein, noch nie,« antwortete ich der Wahrheit gemäß. »Sie haben eine sehr charaktervolle Hand.«

»Das ist kein Wunder, da ich es bin, der fast alle Namen einzutragen hat, denn die meisten Gäste verstehen, gerade so wie Sie, mit Tinte und Feder nicht umzugehen. Ich danke Ihnen für Ihre Angaben; sie sind leicht verständlich; nur eine kann ich mir nicht erklären. Sie haben als Ihren Beruf angegeben, daß Sie Litterat sind. Dieses Geschäft ist mir noch nicht vorgekommen. Ist es ein Handwerk, eine militärische Charge, oder bezieht es sich auf den Handel im allgemeinen oder auf das Hausieren insbesondere?«

»Keines von alledem. Ein Litterat ist das, was Sie im Spanischen mit dem Worte Autor oder Escritor bezeichnen.«

Da sah er mich überrascht an und fragte:

»Haben Sie Vermögen?«

»Nein.«

»Dann bedauere ich Sie von ganzem Herzen, da Sie bei Ihrem Berufe notwendigerweise verhungern müssen.«

»Wieso, Don Geronimo?«

»Das fragen Sie noch? O, ich kenne diese Verhältnisse sehr genau, denn wir haben hier in Guaymas auch einen Escritor. Er ist sehr reich und schreibt für ein Blatt, welches in Hermosillo erscheint. Er muß sehr viel Geld bezahlen, um seine Einsendungen gedruckt zu sehen. Es ist ein Geschäft, welches große Ausgaben verursacht und gar nichts einbringt. Wie können Sie leben; was wollen Sie essen und trinken, und womit wollen Sie sich kleiden? Ich bedauere Sie auf das herzlichste! Können Sie denn bezahlen, was Sie bei mir genießen?«

»Ja. Dazu reicht es noch aus.«

»Das freut mich sehr. Hm, ein Escritor! Da ist es kein Wunder, daß Sie so ungemein herabgekommen sind, und ich finde es fast unbegreiflich, daß Sie dabei ein so gutes und gesundes Aussehen haben. Aber Caramba, da fällt mir ein: Wenn Sie ein Escritor sind, müssen Sie doch schreiben können?«

»Allerdings.«

»Und trotzdem haben Sie diese harte Arbeit mir überlassen! Warum verheimlichten Sie die Kunst, deren Sie mächtig sind?«

»Weil es unhöflich gewesen wäre, Ihnen zu widersprechen, als Sie mich für einen Mann erklärten, welcher die Feder nicht zu führen versteht.«

»Richtig! Diese Ihre Höflichkeit dient Ihnen als Empfehlung. Darf ich fragen, woher Sie kommen?«

»Von jenseits der Sierra Verde!«

»Als Fußgänger? Sie armer Teufel!«

»Ich war beritten, wie Sie daran sehen, daß ich Sporen trage. Mein Pferd stürzte und brach das Bein; ich mußte es erschießen.«

»Warum haben Sie nicht Sattel und Zaum mitgenommen?«

»Weil ich mich nicht mehrere Tage lang in solcher Hitze mit dieser Last schleppen wollte.«

»Aber Sie konnten es verkaufen und von dem Erlöse vielleicht zwei volle Tage leben. Sie thun mir wirklich leid. Lieber hätten Sie sich mit den beiden alten Schießgewehren, die ich da sehe, nicht schleppen sollen; sie sind keinen halben Dollar wert, ganz alte Konstruktion; ich verstehe mich darauf.«

Er nahm den Henrystutzen in die Hand, betrachtete ihn und schüttelte, indem ihm die Patronenkugel am Schlosse auffiel, den Kopf. Dann griff er nach der alten Bärenrifle, um sie aufzunehmen, ließ sie aber liegen, da sie so schwer war, daß er sie mit einer Hand nicht zu heben vermochte.

»Werfen Sie dieses Zeug weg!« riet er mir. »Es hat keinen andern Zweck, als daß Sie sich mit demselben das Reisen erschweren. Wohin wollen Sie von Guaymas aus?«

»Mit einem Schiffe nördlich weiter, über Hermosillo hinauf.«

»Da können Sie lange warten. Schiffe, welche soweit gehen, sind selten.«

»So reite ich.«

»Da müßten Sie sich ein Pferd oder Maultier kaufen, und ich versichere Ihnen, daß selbst für schweres Geld jetzt keines zu haben ist. Wenn Sie Zeit zum Warten hätten, könnten Sie später die Eisenbahn benutzen, welche nach Arispe geht.«

»Wie gehen die Züge dorthin?«

»Züge? Man sieht, daß Sie hier fremd sind, Sennor. Die Bahn ist noch nicht fertig. Man sagt, daß sie in drei, vier oder auch fünf Jahren vollendet sein wird; das aber sind Ihnen unbekannte Dinge. Sie sollten nicht in einem Lande reisen, welches Sie nicht kennen und welches soweit von Ihrer Heimat liegt. Bei Ihrer Armut ist dies ein gefährliches Beginnen. Sie haben als Ihre Heimat Sajonia angegeben. Wo liegt diese Stadt?«

»Es ist keine Stadt, sondern ein Königreich, welches zu Alemania gehört.«

»Ganz richtig! Man kann nicht alle Landkarten im Kopfe haben. Also Sie dürfen bei mir bleiben. Wegen Ihrer Armut und weil Sie infolge Ihres guten Dominospieles ein vorzüglicher Gesellschafter sind, will ich ein Einsehen haben und Ihnen den möglichst billigen Preis stellen. Sie sollen vollständige Pension und die beste Verpflegung für einen Peso täglich haben. Das ist ein Preis, den Sie sehr niedrig finden werden.«

»Ich danke Ihnen und bin einverstanden,« erklärte ich, denn ein Peso beträgt vier und eine halbe Mark, bei welchem Preise ich »vollständige« Pension und »beste« Verpflegung halb als geschenkt betrachten mußte.

Er nickte befriedigt, schob das Fremdenbuch zur Seite, griff wieder nach den Dominosteinen und sagte:

»Da Sie Hunger und Durst haben, wird Felisa Ihnen das Essen bereiten, und inzwischen können wir noch einige Partien spielen. Beginnen wir!«

Ob ich Lust dazu hatte, das fragte er nicht. Er schien es für ganz selbstverständlich zu halten, daß ich ein ebenso leidenschaftlicher Spieler sei, wie er war. Wir begannen, denn ich wollte nicht ungefällig sein. Ich hatte die Absicht, ihn gewinnen zu lassen, konnte dieselbe aber nicht ausführen, da er wirklich zu schlecht spielte. Bei der dritten Partie begann sich vom Herde, an welchem die Sennorita beschäftigt war, ein Duft nach verbranntem Mehle zu verbreiten. Mitten in der vierten hielt der Wirt plötzlich inne, schlug sich mit der Hand an die Stirn und rief aus:

»Wie konnte ich das vorhin vergessen! Sie wollen über Hermosillo hinaus, Sennor, und ich habe gar nicht daran gedacht, daß es eine prächtige Gelegenheit für Sie giebt. Sennor Enriquo erwartet nämlich ein Schiff, welches hier anlegen und dann hinauf nach Lobos gehen wird.«

»Dieser Ort würde mir allerdings sehr bequem liegen. Wer aber ist der Mann, den Sie Sennor Enriquo nennen?«

»Ein Gast von mir, dessen Name im Fremdenbuche gleich vor dem Ihrigen steht. Haben Sie ihn nicht gelesen?«

Das hatte ich nicht gethan. Ich griff also nach dem Buche und las: »Harry Melton, Heiliger der letzten Tage.« Diese Worte waren allerdings in englischer Sprache geschrieben. Also ein Mormone! Wie kam der hierher? Welche Angelegenheit konnte ihn aus der großen Salzseestadt soweit südlich nach Guaymas geführt haben?

»Warum blicken Sie so nachdenklich in das Buch?« fragte der Wirt. »Ist an dem Eintrage vielleicht etwas Besonderes, etwas Auffälliges zu bemerken?«

»Eigentlich nicht. Sie haben die Worte gelesen?«

»Ja, aber nicht verstanden. Der Sennor ist so ernst, so stolz und so fromm, daß ich ihn nicht mit Fragen belästigen wollte. Wahrscheinlich sprach ich seinen Namen falsch aus, und da erklärte er mir, daß Harry genau soviel wie das spanische Enriquo bedeute. Darum nenne ich ihn so.«

»Er wohnt also bei Ihnen?«

»Er schläft bei mir, geht des Morgens fort und kommt des Abends wieder,«

»Was treibt er inzwischen?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe keine Zeit, mich um jeden meiner Gäste zu bekümmern.«

Ja, der kleine Mann spielte und schlief, schlief und spielte und konnte also unmöglich dazu kommen, einem Gaste eine solche Aufmerksamkeit zu schenken. Er fuhr fort.

»Ich weiß eben nur seinen Namen und daß er auf ein Schiff nach Lobos wartet. Der Sennor spricht sehr wenig. Seine Frömmigkeit ist rühmenswert. Schade nur, daß er nicht Domino spielen kann!«

»Woher wissen Sie, daß er fromm ist?«

»Weil er den Rosenkranz beständig durch die Finger gleiten läßt und niemals kommt oder geht, ohne sich vor dem Heiligenbilde, welches dort in der Ecke hängt, zu verbeugen und Weihwasser aus dem Becken dort an der Thüre zu nehmen.«

Ich wollte eine Bemerkung machen, hielt es aber für besser, zu schweigen. Ein Mormone mit dem Rosenkranze! Vielweiberei und Weihwasser! Das Buch Mormon und die Verbeugung vor einem Heiligenbilde! Dieser Mann war jedenfalls ein Heuchler, und seine Heuchelei mußte einen Grund haben.

Es war nicht möglich, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn Sennorita Felisa brachte mir jetzt eine Tasse, welche eine braune, dicke Materie enthielt, und wünschte mir, wohl zu speisen. Da der Wirt sich diesem Wunsche anschloß, so vermutete ich ganz rechtmäßigerweise, daß ich den Trank genießen solle. Ich nahm also die Tasse an den Mund und kostete, kostete wieder und kostete abermals, bis meine Zunge mir sagte, daß ich es mit einer Mixtur von Wasser, Sirup und verbranntem Mehle zu thun hatte.

»Was ist das?« fragte ich.

Da schlug Felisa vor Erstaunen die Hände zusammen und rief aus:

»Ist das Möglich, Sennor? Haben Sie noch keine Schokolade getrunken?«

»Schokolade?« fragte ich, wobei mein Gesicht einen nicht eben sehr geistreichen Ausdruck gehabt haben mag. »Ja, die habe ich schon oft getrunken.«

»Nun, das ist ja welche!«

»Schokolade? Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht!«

»Nicht wahr?« nickte mir der Wirt erfreut zu. »Ja, meine Schokolade ist weithin berühmt. Wer weiß, was Sie an anderen Orten für Zeug getrunken haben. Die meinige aber ist so echt, ist so einzig, daß ein jeder, der zum erstenmale zu mir kommt, sich darüber verwundert und gar nicht glauben will, daß es Schokolade ist. Hieraus mögen Sie ersehen, daß Sie bei mir alles vortrefflich finden werden.«

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