Er erhob sich, reichte ihm die Hand und verließ das Wartezimmer. Draußen war der Train bereits vorgefahren. Er verlangte nach erster Klasse und erhielt ein Coup, angewiesen, in welchem bereits ein Herr saß, welcher allem Anscheine nach dasselbe schon längere Zeit innegehabt hatte.
Es begann zu dämmern, doch konnte man sich gegenseitig noch ganz genau erkennen. Der Fremde trug durchweg einen graukarrirten Anzug; seinen Kopf bedeckte ein breitrandiger Panamahut, und auf der Spitze seiner Adlernase balancirte in verwogener Stellung ein blauglasiges Pincenez, welches mit dem feinen Teint des Angesichtes scharf kontrastirte. Die feinen Bockstiefeletten und die fleischfarbenen Gummihandschuhe zeigten ebenso wie der wohlgepflegte Backenbart und die schwergoldene Uhrkette, daß er gewohnt sei, auf seine äußere Erscheinung die möglichste Sorgsamkeit zu verwenden. Man mußte auf den ersten Blick den Engländer in ihm erkennen. "Guten Abend!" grüßte der Schwarze.
"Good evening!" antwortete der Graue und drehte den Kopf langsam dem Eingestiegenen zu. Kaum hatte er ihn erblickt, so ergriff er den blauen Zwicker und ließ ihn von der Nasenspitze nach der gehörigen Stelle zurückretiriren. Der Blick, welchen er jetzt scharf durch die blauen Gläser warf, war erstaunt, verächtlich und feindselig zugleich. Hatte er in dem kleinen Manne eine ihm verhaßte Persönlichkeit erkannt?
"Sie reisen auch nach der Residenz, Sir?" frug dieser, als er es sich bequem gemacht hatte. Der Gefragte zog statt der Antwort ein goldenes Etui hervor, entnahm demselben eine Cigarette und steckte sie in Brand.
"Ich freue mich, bis dahin Gesellschaft zu finden. Eine Reise ohne Unterhaltung gehört zu den größten Unannehmlichkeiten, welche ich kenne."
Der Graue ließ das Fenster nieder, wandte sich gleichmüthig von seinem Gegenüber ab und blickte hinaus auf die in optischer Täuschung vorüberfliegende Landschaft." Hier meine Karte, Sir! Darf ich wissen, mit wem mich der glückliche Zufall zusammenführt?" Auf der kleinen Karte war in feinen Zügen "Aloys Penentrier, Rentier" zu lesen. Der Engländer hielt es nicht der Mühe werth, einen Blick darauf zu werfen, sondern behielt beharrlich seine Stellung bei.
"Sie scheinen mehr nachdenklich als unterhaltend gestimmt zu sein, Sir. Oder soll ich vielleicht in der Nichtbeachtung meiner Karte eine absichtliche Beleidigung erkennen?" Der Graue steckte jetzt den Kopf ganz zum Fenster hinaus; das bleiche Gesicht des Kleinen röthete sich. Er legte die Hand auf den Arm des Engländers und frug: "Wollen Sie die Güte haben, zu hören, was ich sage?"
Der Engländer zog unter dieser Berührung den Kopf zurück. Die Lorgnette war ihm unter dieser raschen Bewegung wieder vor auf die Nasenspitze gerutscht.
"Very well, uoll' Sie flieg' aus das Uagen hinaus in das Luft? Uas uag' Sie, anzugreif meinen Person!"
"Ich frage nur, ob Sie die Absicht haben, mich zu beleidigen?"
"Stand off, bleib' Sie mir von das Leib! Uas frag ich nach Ihr' Kart', Ihr Personage und Ihr Beleidigung! Halt' Sie das Mund; ich uill hab' Ruhe!"
Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, welcher dem Kleinen ganz wider Willen imponirte. Er zog sich in seine Ecke zurück, murmelte etwas von "Unverschämtheit" und "Spleen", warf noch einen giftigen Blick auf den Grauen und schloß dann die Augen. Die Reise wurde schweigend fortgesetzt. An jeder bedeutenderen Station blickte der Schwarze aus dem Wagen und nahm dann jedesmal von einer Person, welche den Zug erwartet haben mußte, ein Couvert in Empfang, welches er öffnete, um den Inhalt zu überfliegen. Dieser Umstand fiel dem Engländer auf, doch ließ er sich nicht das Mindeste davon merken. Nach der jedesmaligen Lektüre, die durch das im Coup, brennende Licht ermöglicht wurde, legte der Kleine das Schriftstück neben sich auf den Sitz. So lagen acht bis neun dieser Skripturen neben ihm, als man die letzte Station an der Residenz erreichte. Auch hier bog er sich durch das Fenster, um ein Couvert in Empfang zu nehmen und mit dem Überbringer desselben einige Worte zu wechseln. Der Engländer benutzte diesen Augenblick; mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er eins der Papiere ergriffen und in seiner Tasche verborgen.
"Sie scheinen mehr nachdenklich als unterhaltend gestimmt zu sein, Sir. Oder soll ich vielleicht in der Nichtbeachtung meiner Karte eine absichtliche Beleidigung erkennen?" Der Graue steckte jetzt den Kopf ganz zum Fenster hinaus; das bleiche Gesicht des Kleinen röthete sich. Er legte die Hand auf den Arm des Engländers und frug: "Wollen Sie die Güte haben, zu hören, was ich sage?"
Der Engländer zog unter dieser Berührung den Kopf zurück. Die Lorgnette war ihm unter dieser raschen Bewegung wieder vor auf die Nasenspitze gerutscht.
"Very well, uoll' Sie flieg' aus das Uagen hinaus in das Luft? Uas uag' Sie, anzugreif meinen Person!"
"Ich frage nur, ob Sie die Absicht haben, mich zu beleidigen?"
"Stand off, bleib' Sie mir von das Leib! Uas frag ich nach Ihr' Kart', Ihr Personage und Ihr Beleidigung! Halt' Sie das Mund; ich uill hab' Ruhe!"
Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, welcher dem Kleinen ganz wider Willen imponirte. Er zog sich in seine Ecke zurück, murmelte etwas von "Unverschämtheit" und "Spleen", warf noch einen giftigen Blick auf den Grauen und schloß dann die Augen. Die Reise wurde schweigend fortgesetzt. An jeder bedeutenderen Station blickte der Schwarze aus dem Wagen und nahm dann jedesmal von einer Person, welche den Zug erwartet haben mußte, ein Couvert in Empfang, welches er öffnete, um den Inhalt zu überfliegen. Dieser Umstand fiel dem Engländer auf, doch ließ er sich nicht das Mindeste davon merken. Nach der jedesmaligen Lektüre, die durch das im Coup, brennende Licht ermöglicht wurde, legte der Kleine das Schriftstück neben sich auf den Sitz. So lagen acht bis neun dieser Skripturen neben ihm, als man die letzte Station an der Residenz erreichte. Auch hier bog er sich durch das Fenster, um ein Couvert in Empfang zu nehmen und mit dem Überbringer desselben einige Worte zu wechseln. Der Engländer benutzte diesen Augenblick; mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er eins der Papiere ergriffen und in seiner Tasche verborgen.
(\20\)B Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und hielt nach kaum einer Viertelstunde auf dem Bahnhofe der Hauptstadt. Der Schwarze nahm die Schriftstücke zusammen und steckte sie, ohne das Fehlen des einen zu bemerken, zu sich. Ohne Wort und Gruß verließ er den Wagen.
Der Graue stieg schnell hinter ihm aus. Ein Diener, welcher zweiter Klasse gefahren war, wartete bereits auf ihn, und neben demselben stand Doktor Brandauer, welcher, von seiner Kahnfahrt zurückgekehrt, sich nach dem Bahnhofe begeben hatte, um den Sohn des Lord Halingbrook zu empfangen.
"Emery!"
"Max!"
Sie begrüßten einander durch eine herzliche Umarmung, welche sich aber Emery schnell zu lösen beeilte.
"Have care! Siehst Du dort den kleinen schwarz gekleideten Menschen mit dem Gepäckschein in der Hand?"
Er konnte jetzt sehr gut deutsch sprechen. Hatte er sich vorhin nur verstellt? "Du meinst den, welcher mit dem Kofferträger verhandelt?" "Yes, denselben." "Was ist mit ihm?"
"Komm! Wir müssen ihm folgen; wir müssen sehen, wo er wohnt!" "Warum?"
"Später! Unterwegs sollst Du es erfahren." "Der Wagen wartet draußen auf Dich." "Können ihn nicht gebrauchen. Go on, vorwärts!"
Er warf dem Diener einen kurzen Befehl hin, nahm den Freund unter den Arm und folgte mit ihm dem Schwarzen, welcher nach dem Ausgange schritt und dort einen Fiaker nahm. In der Nähe hielt eine Equipage mit dem Peerswappen der Familie Halingbrook. Sie schritten an ihm vorüber und nahmen eine Droschke.
"Dem Fiaker dort nach, aber ohne daß es bemerkt wird!" befahl Emery beim Einsteigen. Dann nahmen sie Platz.
Der Weg ging durch mehrere Straßen und über einige Plätze der Stadt. Während der Fahrt konnte Emery seine Mittheilung machen. Max sagte sich, daß der kleine Mann eine sehr beachtenswerte Persönlichkeit sein müsse, da der junge Lord nach einer langen und beschwerlichen Reise nicht zur Wohnung fuhr, sondern diesen Unbekannten sofort vom Bahnhofe weg verfolgte. "Du kennst ihn?" frug er.
"Yes, und zwar sehr. Er ist ein Jesuit, eines der hervorragendsten Mitglieder dieser Brüderschaft."
"Ah!"
"Er hat in Freiburg, wo ich ihm begegnete und von ihm sprechen hörte, ohne daß er mich bemerkte, seine Erziehung genossen und gilt als der feinste Schlaukopf der ganzen Kongregation. Später sah ich ihn in Paris, Brüssel, London und Washington, und überall war mit seinem Erscheinen ein Streich verbunden, welchen die heiligen Väter der Regierung spielten. Heut nun fuhr er mit mir in demselben Coup,, und zwar unter Umständen, welche mich schließen lassen, daß er nicht nur hier bereits heimisch ist, sondern an einer Aufgabe arbeitet, welche jedenfalls eine den Interessen des Thrones feindliche ist." "Den Jesuiten ist der Aufenthalt im Lande streng untersagt."
"All right! Nehmen wir diesen Umstand, die Politik des Herzogs von Raumburg, die Gerüchte, welche mit immer größerer Deutlichkeit ihre Stimme erheben und die im Auslande besser gekannt werden als von Euch selbst, und dazu die Anwesenheit dieses Menschen, welcher an jeder Station schriftliche Berichte entgegennimmt, so ergibt sich jedenfalls die Nothwendigkeit, wenigstens seine Wohnung kennen zu lernen."
"Und ihm auch noch etwas näher auf die Finger zu sehen. Ich weiß sehr genau, daß der Herzog die Aufnahme der Jesuiten eifrig befürwortet."
"Behold! Ich schätze sehr, daß er mit diesem Ungeziefer in Verbindung steht. Vater und ich sind in Folge unserer hiesigen Besitzungen Unterthanen Seiner Majestät, und so habe ich die Verpflichtung, das Thun und Treiben solchen Gezüchtes nicht unbeachtet zu lassen. Woher kennst Du diese Befürwortung?" "Der König selbst hat gegen uns davon gesprochen."
"Well. Der Hofschmied erfährt mehr als mancher Rath und Minister. Du hast bessere Chancen als Mancher, dessen Stammbaum bis in die antediluvianische Zeit hinaufreicht, und ich begreife nicht, daß Du have care, er hält! Wem gehört dieses Boarding-house?" "Wahrhaftig, er hält bei unserer guten Barbara Seidenmüller! (\21\)A Jetzt kannst Du mir ihn getrost überlassen. Ich bin hier bekannt; die Wirthin ist meine Spezialgönnerin und wird mir jedwede Auskunft gern ertheilen. Deine Anwesenheit aber würde auffallen." "Fair! So fahre ich nach Hause. Hier hast Du ein Schreiben, welches ich ihm weggekapert habe. Ich konnte es bisher nicht lesen, und da Du ihm folgst, ist es Dir vielleicht nöthiger als mir."