Das Eulenhaus - Eugenie Marlitt 19 стр.


Dann wanderte sie im Zimmer umher, trat zuweilen ans Fenster und sah in die regennasse Landschaft hinaus. Eine Stunde verrann, noch immer kam sie nicht. Da horch ein Wagen! Sie trat vom Fenster zurück, als zu ihrem Erstaunen Baron Gerold gemeldet wurde, »den Hoheit befohlen«. Sie hatte das ganz vergessen. Heute? Ja, es mußte wohl so sein! Richtig, sie hatte ihn gebeten, ihr einige Nachrichten über die angeblich große Armut von Wahlerode, dem nahe gelegenen Dorfe zu bringen.

Sie freute sich, ihn zu sehen, und fragte eingehend nach allem, aber zwischendurch horchte sie immer wieder in die Ferne.

»Sie werden mich zerstreut finden, Baron. Ich erwarte nämlich Besuch«, sagte sie lachend, als sie sich inmitten einer Auseinandersetzung, den Bau eines Gemeindearmenhauses betreffend, rasch zum Fenster wandte. »Raten Sie, wen? Aber nein, raten Sie lieber nicht, dann wird es eine Überraschung für Sie. Also, mein lieber Gerold, wenn Sie sich des Baues annehmen wollen, so können Sie auf meine Hilfe völlig rechnen.«

»Hoheit sind, wie immer, die Güte selbst«, sprach Lothar und erhob sich.

»Seine Hoheit«, scholl plötzlich die Stimme der Frau von Katzenstein, und gleich darauf trat der Herzog ein.

»O, wie gemütlich, Liesel«, sagte er heiter, die zarte Frauenhand küssend, die sich ihm entgegenstreckte. »Und Sie, lieber Baron, wissen Sie, dass ich eben meinen Jäger zu Ihnen schickte? Ich dachte an eine Partie L'hombre heute. Zum L'hombrespielen just das rechte Wetter, wie?«

»Hoheit wollen über mich befehlen.«

Der Herzog verbarg ein leises Gähnen und nahm Platz am Kamin. Die alte Hofdame war am Nebentische beschäftigt den Tee zu bereiten, ein Diener ging mit behutsamen Schritten ab und zu und stand jetzt wie ein Schatten an der Tür, des Augenblicks gewärtig, wo er die Tassen reichen könne. Die Dämmerung war rasch heruntergesunken, man unterschied nur undeutlich noch die Gesichter der Anwesenden. Hier und da zuckte ein Flämmchen im Kamin empor und warf ein flüchtiges Streiflicht auf den Herzog. Er sah abgespannt aus und seine große weiße Hand strich in regelmäßiger Wiederholung durch den blonden Vollbart.

»Es ist doch sehr einsam hier an solchen Tagen«, begann er endlich, »wir sind faktisch auf dem ganzen Wege, ausgenommen Ihr Fräulein Schwester, lieber Gerold, keiner Seele begegnet. Die resolute Dame ging mit Regenschirm und Wettermantel so vergnügt auf der einsamen nassen Straße dahin, als sei es der wonnigste Maimorgen. Vermutlich steuerte sie nach dem Eulenhause, denn sie schlug den Weg nach rechts ein.«

»Sicher, Hoheit, sie lässt sich so leicht durch kein Wetter abhalten ihrer Cousine einen Besuch zu machen.«

Der Herzog nahm eben eine der wappengeschmückten Tassen. »Beneidenswert!«, sagte er halblaut und tat ein riesiges Stück Zucker in den duftenden Trank.

»Die Gesundheit, meinen Hoheit? In der Tat, die Gerolds wissen sämtlich nicht, was Nerven sind, sie haben Nerven wie Stahl und Knochen wie Elfenbein.«

»Allerdings, das meinte ich«, klang es aus dem Munde des Herzogs. Und hastig die Tasse leerend, fragte er: »Ist es jetzt Mode bei dir, im Dunkeln zu sitzen, Liesel? Früher mußtest du Licht haben um jeden Preis.«

»Fräulein Klaudine von Gerold!« sagte plötzlich die alte Hofdame, und zugleich tönte das Rauschen eines seidenen Gewandes. Durch die tiefe Dämmerung schritt eine Gestalt, und eine leicht vibrierende klangvolle Frauenstimme sprach: »Hoheit haben befohlen!«

»Ach, meine liebe Klaudine!« rief die Herzogin erfreut und winkte nach einem Sessel, »meine ungeduldige Bitte hat Sie doch nicht gestört?«

In diesem Augenblicke flammten die Lampen unter der Decke auf, und ein durch mattes Glas gedämpftes Licht erhellte das Gemach und tauchte die kleine Gruppe der am Kamin versammelten Menschen in einen milden weißen Schein.

Der Herzog hatte sich, wie auch Baron Gerold, erhoben, und beide sahen zu dem schönen Mädchen hinüber; beide mit dem nämlichen Ausdruck der Überraschung. In den Augen Seiner Hoheit blitzte es einen Augenblick auf, dann wurde der Ausdruck wieder genau so apathisch wie vorher. Auf des Barons Stirn lag eine düstere Falte, doch auch sie verschwand blitzgeschwind. Dort neben dem Sofa der Herzogin stand sie, die schwarze einfache Seidenrobe hob ihre schlanke, ebenmäßige Gestalt prächtig hervor. Sie hatte kaum einen Hauch von Farbe auf ihren Wangen und sah nach einer tiefen Verbeugung vor Seiner Hoheit mit stillem Gesichtsausdruck zu der fürstlichen Frau hinunter.

Die Herzogin wies auf einen Sessel, den man hingeschoben hatte, und sprach von einem gemütlichen Plauderabend, und ob Klaudine auch wohl sei, sie sehe so blaß aus. Und mit eigener Hand reichte sie der jungen Dame ein Kristallfläschchen: »Nur ein paar Tropfen, liebste Klaudine, etwas Arrak macht warm nach der kalten Fahrt.«

Der Herzog hatte nicht wieder Platz genommen, er lehnte am Kamin und sah augenscheinlich mit größtem Interesse auf die Bewegungen der alten Freiin, die eben mit einem Körbchen voll bunter Wollsträhne sich ihrer Gebieterin näherte und auf die abweisende Handbewegung der eifrig Sprechenden sich wieder entfernte. Mit keinem Worte beteiligte er sich an der Unterhaltung, in welche die fürstliche Frau auch Lothar hineinzog. Dieser stand hinter dem Sessel Klaudines, dem Herzog gegenüber, und antwortete mit eigentümlichem Tonfall, als ob eine Gemütsbewegung ihn am fließenden Sprechen hinderte.

»Ich meine, der L'hombretisch wird uns erwarten«, sagte der Herzog plötzlich, indem er leicht die Stirn seiner Gemahlin küßte und mit einer flüchtigen Verbeugung gegen Klaudine hinausschritt, gefolgt von Lothar.

»Liebste Katzenstein«, bat die Herzogin, »ich weiß, Sie wollen Briefe schreiben, lassen Sie sich nicht stören! Sie sehen, ich bin in der allerliebenswürdigsten Gesellschaft. Lassen Sie die Vorhänge zuziehen, die Spuren des Teetisches beseitigen und meinen Liegesessel hierherschieben. Ich finde es so behaglich am Kamin, obgleich heute der sechste Juni im Kalender steht. Und, liebste Katzenstein, die Lampen an den Flügel. Sie singen doch ein wenig?« wandte sie sich an Klaudine.

»Wenn Hoheit befehlen.«

»O, ich bitte darum. Aber zunächst plaudern wir!«

Die lebhafte junge Frau, auf dem Ruhebette liegend, versuchte durch die bezauberndste Liebenswürdigkeit ihre stille Gefährtin zu diesem »Plaudern« zu bewegen, und es lag doch wie ein Bann auf dem Mädchen. Es war ihr, als müsse sie ersticken in diesem künstlich erwärmten Raume, in den Erinnerungen an vergangene Zeiten, die sich aus jedem Winkel lösten, aus jeder Stuckarabeske auf sie herniederschwebten. Hier in diesem schönen großen Gemach war ihnen als Kindern immer zu Weihnacht beschert worden, Joachim und ihr, hier hatte die kleine Ballfestlichkeit stattgefunden, ihrem jungen achtzehnjährigen Dasein zu Ehren, hier hatte sie weinend in tiefer Trauer den heimkehrenden Bruder und sein junges schönes Weib empfangen, während dort unten im Erdgeschoß die Leiche des Vaters aufgebahrt lag. Damals war jener Erker in einen Garten verwandelt gewesen, unter blühenden Granatbäumen hatten Sessel gestanden, damit Joachims Weib die nordische Heimat nicht gar so traurig erscheine. Die purpurroten Blüten sollten ein Gruß sein aus dem fernen Vaterlande, hatte Klaudine gemeint, und sie hatte doch nur erreicht, daß die schönen Augen der jungen Schwägerin sich mit Tränen füllten. »O, wie klein sind diese Blüten, wie sehen sie krank aus!« hatte sie geklagt. Ach, wie schwer war doch diese Zeit gewesen!

Klaudines Blicke kehrten wie aus tiefen Träumen in die Gegenwart zurück. Die Stimme der Herzogin hatte sie geweckt, und so bang und tränenschwer waren diese Blicke, daß die fürstliche Frau verstummte; aber eine zaghafte Hand griff nach der des Mädchens und hielt sie fest.

»Ach, ich vergaß, daß es Sie traurig machen muß, fremde Menschen in Ihrem Vaterhause zu sehen.«

Es klang so innig, so weich, und Klaudine wandte den Kopf, um die Tränen zurückzudrängen, die ihre Augen verschleierten.

»Weinen Sie doch, es erleichtert«, sagte die Herzogin einfach.

Klaudine schüttelte den Kopf und bemühte sich gewaltsam, ihre Fassung wiederzugewinnen, doch wollte es ihr nicht recht gelingen. Was tobte und stürmte nicht alles in ihrer Seele, und nun auch noch die Güte dieser Frau!

»Verzeihung, Hoheit, Verzeihung!« stieß sie endlich hervor. »Gestatten Hoheit, daß ich mich bald zurückziehe. Ich fühle, ich kann heute nicht die Gesellschaft sein, die Hoheit wünschen.«

»O nimmermehr, meine liebe Klaudine! Ich lasse Sie nicht! Denken Sie, ich vermöchte Sie nicht zu verstehen? Mein liebes Kind, auch ich habe heute schon geweint.« Und der erregten leidenschaftlichen Frau lief eine stille Träne um die andere über das fieberheiße Gesicht. »Ich habe einen traurigen Tag heute«, sprach sie weiter, »ich fühle mich so krank, ich muß immerfort ans Sterben denken, mir kommt das schreckliche Erbbegräbnis unter der Schloßkirche unserer Residenz nicht aus dem Sinn, und dann denke ich an meine Kinder und an den Herzog. Warum muß man solche Gedanken haben, wenn man noch so jung ist und so glücklich wie ich? O, sehen Sie mich nur an, liebste Klaudine, ich bin glücklich bis auf meine Krankheit. Ich habe einen Gatten, dem ich über alles teuer bin, und so liebe, liebe Kinder, und doch diese schwarzen, diese schrecklichen Beängstigungen! Mir wird heute das Atmen so schwer.«

»Hoheit«, sagte das junge Mädchen bewegt, »es ist die schwüle Luft.«

»O, natürlich! Ich bin nervös, und es geht vorüber, ich weiß es. Seit Sie hier sind, ist es auch schon besser. Kommen Sie nur oft, recht oft! Ich will Ihnen gestehen, meine liebe Klaudine, ich hege, seit ich Sie gesehen, ein so großes Verlangen, Sie in meiner Umgebung zu haben. Mama war aber selbst so entzückt von Ihnen, daß sie nichts von einer Trennung wissen wollte. Ich kann es ihr ja auch nicht verdenken. Der Herzog selbst bat für mich, aber sie schlug es rund ab.«

Klaudine rührte sich nicht, nur ihre Augen senkten sich, und ihr Antlitz überflog einen Augenblick eine Purpurglut.

»Es ist wunderbar, die gute Mama versagt mir sonst nichts! Ja, und nun, liebe Klaudine, komme ich zu meiner Bitte: Bleiben Sie bei mir, wenigstens für die Zeit unseres hiesigen Aufenthaltes!«

»Hoheit, es ist unmöglich!« stieß Klaudine fast schroff hervor. Und wie flehend setzte sie hinzu: »Mein Bruder, Hoheit, sein Kind!«

»O, ich lasse das gelten, aber Sie müssen mindestens einige Stunden täglich für mich erübrigen, Klaudine, ein paar Stunden nur! Geben Sie mir die Hand darauf. Nur ein paar Lieder dann und wann! Sie wissen gar nicht, wie wohl mir wird bei Ihrem Gesang.«

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