INHALT
Kapitel 1
Leo schaut fern
Kapitel 2
Liebeskummer
Kapitel 3
Der Kontakt
Kapitel 4
In der Lagerhalle
Kapitel 5
Die Situation überstürzt sich
Kapitel 6
Steves Tod
Kapitel 7
Die Befreiung
Kapitel 8
An der Beerdigung
Kapitel 9
Angriff auf den Schwarzen Mann
Kapitel 10
Beim Tierarzt
Kapitel 11
Im Labor
Kapitel 12
Der Plan
Kapitel 13
Vorbereitung auf die Flucht
Kapitel 14
Giotto bricht aus
Kapitel 15
Die Befreiung
Kapitel 16
Der Lieferwagen
Kapitel 17
Endlich frei
Kapitel 18
Auf dem Bauernhof
kapitel 19
Das melancholische Saufgelage
Kapitel 20
Giotto, der Philosoph
Kapitel 21
Betrachtungen
Kapitel 22
Bekenntnisse
Kapitel 23
Bei der Lagerhalle
Kapitel 24
In der Lagerhalle
Kapitel 25
Der Walkman
Kapitel 26
Giotto der Held
Kapitel 27
Die Geschichte wiederholt sich
Kapitel 28
Die Rettung
Kapitel 29
Die Operation
Kapitel 30
Das neue Leben
Kapitel 31
Die Nachbarn
Kapitel 32
Barbie und der Dobermann
Kapitel 33
Der Dobermann und ich
Kapitel 34
Das Geständnis
Kapitel 35
Stefanias Besuch
Kapitel 36
Puffis Neckereien
Kapitel 37
Die (Liebes)-Erklärung
Kapitel 38
Bitte um Hilfe
Kapitel 39
Romantisches Abendessen
Kapitel 40
Das Attentat
Kapitel 41
Das Erwachen
Kapitel 42
Wie ist Leo gestorben
Kapitel 43
Stefania kommt
Kapitel 44
Die Polizei
Kapitel 45
Wieder zu Hause
Kapitel 46
Schon wieder Stefania
Kapitel 47
Schnell lernen
Kapitel 48
Der erste Tag als Mensch
Kapitel 49
Der erste Ausgang
Kapitel 50
Der Einkauf
Kapitel 51
Meine Beerdigung
Kapitel 52
Italos Geist
Kapitel 53
Das Hundeparadies
Kapitel 54
Ich will meinen Körper wieder!
Kapitel 55
Der Deal
Kapitel 56
Die Prügelei
Kapitel 57
Einladung zum Abendessen
Kapitel 58
Auf dem Parkplatz
Kapitel 59
In der Zentrale
Kapitel 60
Vorbereitungen für das Abendessen
Kapitel 61
Die Falle
Kapitel 62
Das Buch über die Gespenster
Kapitel 63
Abendessen bei Stefania
Kapitel 64
Nach dem Abendessen
Kapitel 65
Zweifel und Versuchung
Kapitel 66
Sieg!
Kapitel 67
Am nächsten Tag
Kapitel 68
Endgültiger Kampf
Kapitel 69
Die Wendung
Kapitel 70
Die Zauberformeln
Kapitel 71
Die Monster kommen
Kapitel 72
Fazit
Kapitel 73
Die Rückgabe
Kapitel 74
„Das hat ganz schön lange gedauert!“
Kapitel 1
Leo schaut fern
Draußen war es stockdunkel, die Kirchenglocken hatten lange geläutet und ein herrlicher Duft nach etwas Essbarem drang unter der Eingangstür hervor. Die Nachbarn hatten eben angefangen zu streiten und Teller zu zertrümmern, wie jeden Abend, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Looney Tunes bald anfangen würden! Ich rannte zur Couch, um es mir da bequem zu machen, in der Hoffnung, dass mein Lieblingstrickfilm Silvester gezeigt würde, dann drückte ich wahllos auf den Tasten der Fernbedienung herum, mit dem verflixten Versuch, die Lautstärke einzustellen. Als ich mich abermals fragte, weshalb die Fernbedienungen und ihre entsprechenden Tasten so klein hergestellt werden, trat Steve ein, und sogleich spielte sich pünktlich, wie an jedem regnerischen Abend, die gleiche Szene ab. Die nassen Sohlen seiner Schuhe rutschten auf dem Parket und er stolperte über den Teppich direkt gegen die Vitrine, die schon länger leer in einer Ecke am Eingang stand. Diese begann zu schwanken und Steve setzte zu einer Art griechisch-römischen Kampf an, um sie festzuhalten. Mein Freund Steve war ein Polizeiinspektor, ein echt guter Polizist, der beste, mit dem ich je zusammengearbeitet habe (eigentlich der einzige, wenn ich ehrlich sein soll!). So scharfsinnig und präzise, bestimmt und aufmerksam er bei der Arbeit war, so war im Privatleben ein Hudler. Er war unordentlich und zerstreut und außerdem schüchtern und unsicher. Gerade deswegen ist es ihm wahrscheinlich mit 37 Jahren noch nicht gelungen, eine ernste und feste Beziehung mit seinesgleichen aufzubauen. Nachdem sich Steve vom Kampf mit der Vitrine erholt hatte, fluchte er ein paarmal, rieb sich heftig das Knie, stampfte vor Wut und Schmerz mit dem Fuß auf den Boden und warf den abgenützten und durchnässten Regenmantel fluchend an den Kleiderhaken. Schließlich ließ er sich wie jeden Abend in den Sessel fallen, die Arme baumelnd über den Armlehnen und den Kopf in den Nacken geworfen. Er schloss für einen Augenblick die Augen, anscheinend um einen kurzen Moment des Friedens zu erheischen, besann sich aber und öffnete die Augen, um mich ernst zu mustern. Er stand auf und nahm mir die Fernbedienung weg, ohne meinen bösen Blick zu beachten, dann stürzte er sich erneut in den Sessel. Er stellte die Lautstärke, die ich eben erst mühsam eingestellt hatte, leiser und begann zu sprechen. Es war mir klar, was mich erwartete. Resigniert seufzte ich und flößte mir ein, dass ich Opfer einer regelrechten Ungerechtigkeit war: da arbeitet einer von morgens bis abends, schlecht bezahlt und wenig geschätzt, oft sogar schlecht behandelt und ohne sichere Aussichten auf Zukunft und Pension. Am Ende des Tages legst du dich ohne große Ansprüche und ohne jemanden zu stören auf die Couch, in der Hoffnung, in aller Ruhe lediglich einen Trickfilm zu schauen…aber nein! Du musst das Geschwätz deines Arbeitskollegen, der das verdammte Laster hat, sich niemals zu entspannen, über dich ergehen lassen. Ehrlich gesagt, hat er sich nicht oft so verhalten, aber wenn, dann habe ich ihn ernsthaft verabscheut, vor allem dann, wenn gerade die Looney Tunes am Fernseher liefen.
«Es tut mir leid, dass ich dich alleine gelassen habe, ich hatte zu tun. Bald werden wir uns den „Gesang eines Vögelchens“ anhören» sagte er mit hellbegeisterter Miene, und ich habe nie verstanden, weshalb er sich so gerne auf diese Art und Weise, wie die Figur aus einem Kriminalfilm vierter Kategorie, ausdrückte. Widerwillig drehte ich den Kopf, nur wenig, um den Fernseher nicht aus den Augen zu verlieren und schaute ihn scheinbar interessiert von unten her an.
«Genau so ist es, wir sind nahe dran, wir haben es fast geschafft!» fügte er aufgeregt hinzu, nachdem er lange genickt hatte, um meine Neugier auf Alarmstufe zu bringen. Ich schaute ihn weiterhin gedankenverloren an, ohne mit der Wimper zu zucken, aber nur für einen Augenblick. Sofort wanderten meine Augen, unwiderstehlich angezogen, wieder auf den Bildschirm. Der Kater Silvester hatte sich eben etwas zu weit über die Dachrinne gelehnt, so dass er vom Dach eines 26-stöckigen Hochhauses stürzte.
Kapitel 2
Liebeskummer
«Hey, ich spreche mit dir» ermahnte mich mein Begleiter, und wiederum betrachtete ich ihn irritiert. Wenn ich schon kein Audio haben konnte, so wollte ich mir doch zumindest den unglückseligen Sturz des Katers nicht entnehmen lassen. Als dieser benommen wieder aufstand, mit blutunterlaufenen Augen und den Vögelchen, die um seinen Kopf tanzten und alsbald in tausend Stücke zerbröckelten, zerplatzte ich vor Lachen.
«Ich habe einen neuen Kontakt,» beharrte Steve mit strahlenden Augen, «bald werden wir uns mit einem Vertrauten treffen. Er wird uns konkrete Beweise liefern, damit wir es endlich verhindern können, dass im Polizeirevier extra Geld in Umlauf gebracht werde. Wir werden so viele korrupte Agenten nach Hause schicken, dass die Behörden gezwungen sind, ein neues Auswahlverfahren auszuschreiben, ansonsten wird es in der Stadt zu wenige Polizisten geben…hey, hörst du mir überhaupt zu oder nicht?»
Ich schnaubte immer ärgerlicher und lenkte den Blick nun definitiv auf ihn, mittlerweile lief bereits der Abspann des Trickfilms. Ich streckte mich und bereitete mich geistig vor, spitzte die Ohren, um ihm zuzuhören und beschloss, dass ich am Ende seiner Geschichte ein Nickerchen machen werde. Aber mein Begleiter, längst beleidigt über mein Verhalten, gab es schließlich auf. Er griff nach hinten und drückte die Taste des Anrufbeantworters auf dem Schrank hinter ihm, um die Freisprechanlage einzuschalten.
„Steve, mein Schatz, wann kommst du Mamma besuchen? Seit Wochen lässt du nichts von dir hören. Melde dich aber einen Tag vorher, dann koche ich dir einen Auberginen -Auflauf, der dir so gut schmeckt…ah, ich habe dir drei Paar Unterhosen gekauft, von diesen bequemen…und denke bitte daran, dass …“
Mein Freund schüttelte den Kopf und drückte eine andere Taste.
„Tschau Champion, ich bin es, Paolo. Lebst du noch? Vergiss bitte nicht, dass wir morgen Abend die Revanche des Boccia-Turniers haben. Bitte komm dieses Mal mit voller Konzentration, nach der schlechten Figur, die wir das letzte Mal gemacht haben, müssen wir dieses mal mehr als gewinnen. Dieses Mal müssen wir sie alle demütigen, oder das ganze Revier wird uns bis zur Pension auf den Arm nehmen.“
Steve drückte die Taste nochmals, um das Band schneller laufen zu lassen, dabei ignorierte er die Nachrichten, die ihn nicht interessierten. Plötzlich war eine Frauenstimme zu hören.
„Ich bin es, Mara“ sagte sie in schmeichlerischem Ton, „ich wollte mich für die Blumen bedanken. Es ist wirklich sehr freundlich von dir, dass du an meinen Geburtstag gedacht hast. Ich habe mich sehr darüber gefreut, ehrlich, aber ich nutze dennoch die Gelegenheit, um etwas klarzustellen: in den letzten drei Monaten hast du mir mehrfach das reinste Gewächshaus nach Hause geschickt. Du hast mir am Radio sechzehn Lieder gewidmet, wir haben uns vierzehn Sonnenuntergänge und einundzwanzig Liebesfilme angeschaut, und schließlich hast du mir vier aphrodisisches Abendessen zubereitet… aber an mehr als das, ist wohl kaum zu denken! Hör zu, ich bin nicht Heidi. Ich bin nun fast vierzig Jahre alt, du hättest mir zumindest einen Kuss geben können. Jetzt habe ich jedenfalls das Bedürfnis etwas nachzudenken, also bitte suche mich nicht… ich werde mich dann schon melden.“
Steve errötete und schaute mich verwundert an. Ohne ein Wort zu sagen, warf ich ihm verlegen einen den Umständen entsprechenden Blick zu, so als ob ich sagen wollte: “Na, keine Sorge, es gibt noch viele andere.“ Dabei fragte ich mich, warum wohl die Beziehungen zwischen Mann und Frau oft so schwierig sind. Der Mensch sind weltweit die einzige Spezies, bei der zwei Elemente unterschiedlichen Geschlechtes eine Menge Regeln einhalten müssen, um eine Beziehung aufzubauen: in erster Linie müssen sie sich aus ästhetischer Sicht gegenseitig gefallen, dann sollten sie einen Dialog finden und den gleichen Geschmack in Sachen Kino und Musik, Hobbys, Lektüre und Kultur haben. Außerdem sollten die entsprechenden Familien Gefallen aneinander finden, ganz zu schweigen von Mundgeruch und Look, oder der Farbe der Augen und der Haare…oder der Arbeit und des Bankkontos, auch wenn alle diese Elemente oft ein unterschiedliches Gewicht haben. Jedenfalls hat jede Regel ihre Ausnahmen, und so kann es vorkommen, dass jemand der sich auf eine Liebesgeschichte einlässt, nur am Bankkonto oder an einer einzigen anatomischen Besonderheit ausreichend Interesse findet. Kaum zu glauben, dass sich alle anderen Rassen, die den Planeten bewohnen, mit einem Geruch oder mit einer Farbe begnügen!
Kapitel 3
Der Kontakt
Plötzlich verfinsterte sich Steves Miene, und er wurde traurig. Ich bemerkte, wie sehr es mir leid tat, nur selten habe ich ihn so verbittert erlebt. Während das Band des Anrufbeantworters mit banalen Nachrichten weiterlief, zog er sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Er nahm ein Foto und ein paar zusammengefaltete Briefe heraus, betrachtete einen Augenblick das Foto und überflog die Briefe, nur schnell, denn er kannte sie ja schon auswendig. Er nahm ihren Duft auf, zerknitterte sie dann und war schon im Begriff, sie wegzuschmeißen, dachte aber nochmals darüber nach. Er ging zum Schrank im Wohnzimmer, steckte den Schlüssel ins Schubladenschloss und öffnete sie. Ich für mich habe sie „die Schublade der verpassten Chancen“ getauft, weil sie von Fotos, Briefen, Schlüsselanhängern, parfümierten, musizierenden und leuchtenden Kuscheltierchen, Kino- und Discotickets, Postkarten, Plüschtieren und verschiedenen Gadgets nur so überquoll. Seufzend schmiss er die Fotos und Briefe hinein und knallte dann die Schublade mit einem zornigen Stoß zu. Genau in diesem Moment machte sich in mir die erschreckende Erkenntnis über das, was mich nun erwarten würde, breit: mindestens zwei Stunden empörten Wutausbruchs, mit einer Zusammenfassung aller Liebesromanzen der letzten neunundzwanzig Jahre seines Lebens… oder mit anderen Worten, seitdem er acht Jahre alt war…, die nie begonnen haben oder bereits im Keime erloschen sind. Das Absurde an der Sache war, dass praktisch alle Frauen des Reviers auf ihn standen, aber er, der so von seiner Arbeit eingenommen war, bemerkte es nicht einmal. Wenn er sich bloß etwas umgeschaut hätte, anstatt stets nur an seine Pflicht zu denken, hätte er in weniger als fünf Minuten eine Freundin gefunden. Ich suchte nach einer bequemeren Position, um mich auf die Tortur vorzubereiten und versuchte, eine aufmerksame und Anteil nehmenden Miene aufzusetzen, schließlich ging es um meinen Kumpel und ich wollte ihn nicht auch noch enttäuschen!
«Möglich, dass seit dem ersten Mal, als…» begann er eben zu sagen, während er im Wohnzimmer hin und her wanderte, als er plötzlich innehielt.
Er rannte zum Anrufbeantworter, der inzwischen weiterhin Nachricht um Nachricht herunterrasselte, spulte die letzte Aufnahme zurück und ließ sie erneut von vorne laufen.
«Wir haben es geschafft, der Kerl von dem ich dir erzählt habe ist zur Mitarbeit bereit aber er will eine Menge Geld. Die Verabredung findet heute Abend um neun Uhr im alten Industrieviertel, vor der einzigen leerstehenden Lagerhalle statt. Versuche pünktlich zu sein und vor allem komm alleine und unbewaffnet, sonst haut er ab und wir spüren ihn nicht wieder auf» sagte eine heisere Stimme, und ich war ihr so dankbar, denn sie bewahrte mich vor einer regelrechten Qual. Steve schaute auf die Wanduhr und sprang auf, ging zum Kleiderständer und nahm den Regenmantel, der inzwischen eine Wasserlache auf dem Boden hinterlassen hat, danach drehte er sich um und schaute mich ernst an: “Verdammt, die ganze Welt hat sich gegen mich verbündet: keine Trickfilme und kein Nickerchen!“ sagte ich mir enttäuscht, sprang von der Couch herunter und folgte ihm widerwillig.
Kapitel 4
In der Lagerhalle
Glücklicherweise hatte es inzwischen aufgehört zu regnen. Steve hatte die schlechte Angewohnheit, alles alleine in Ordnung bringen zu wollen, sodass sein Auto mit Klappverdeck an einem fernen Juniabend definitiv zum Cabriolet geworden ist. Er war der einzige, der an jenen kalten und regnerischen Tagen Ende Februar mit einem Sonnenschirm zwischen den Beinen eingeklemmt herumfuhr. Als Rechtfertigung dafür erklärte er mir wiederholt, dass ihn die Reparatur der automatischen Abdeckung mehrere Monatsgehälter gekostet hätte. Das Problem war nur, dass der Sonnenschirm bei erhöhter Geschwindigkeit jedesmal entweder umkippte oder gar davonflog…mit den Auslagen, die er für die Sonnenschirme aufbringen musste, hätte er sich einen neuen Wagen leisten können!
«Verdammt, wir sind zu spät gekommen» bemerkte mein Freund, als er das Auto vor der Lagerhalle anhielt. Die Luft war frisch und hatte einen intensiv bitteren Geruch nach Erdöl. Vor dem Tor erwartete uns ein Mann, die Händen in den Taschen vergraben. Er trug einen schwarzen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen und einen Hut mit breiter Krempe, die, vom Regen durchnässt, seitlich herunterfiel, sodass sein Gesicht praktisch vollständig verdeckt war. Steve stieg aus und lief ihm entgegen, ich folgte ihm.