âNeinâ, knurrte Ren praktisch. âWenn du mir eine Nadel und einen Faden gibst, glaube ich, dass ich es ertragen kann, für ein paar verdammte Minuten an einem Ort zu bleiben.â Er lehnte sich zurück gegen einen Tisch, um Storms Hand auszuweichen. âUnd wenn du mich noch einmal anrührst, wirst du deine Hand verlieren.â
Storm lachte und öffnete einen der oberen Schränke, dann zeigte er mit der Hand auf all die medizinischen Utensilien dort. Sein Lächeln verschwand, als Ren sein Hemd aufknöpfte und Storm die tiefen Wunden sah, die der Haut-Dämon hinterlassen hatte. Nur wenige Sekunden später und Ren wäre verloren gewesen.
âIch denke, nachdem du so auf Dämonen stehst, dass du vielleicht noch ein wenig mehr über sie lernen solltest, bevor du den nächsten zum Kampf herausforderst.â Storm schaute von den Wunden weg, wissend, wie die Narben aussehen würden. Er kannte Ren schon lange⦠die Freundschaft war nur einfach noch nicht entstanden.
Ren streckte die Hand nach dem offenen Schrank aus und nahm etwas heraus, das ihm nach einem sterilisierten Nähköfferchen aussah, dann ging er zu dem Spiegel an der Wand. âWenn du einen Dämon getroffen hast, hast du sie alle getroffen⦠nicht wahr?â Er konnte den Sarkasmus nicht aus seiner Stimme verdrängen, während er innerlich versuchte, den Schmerz zu ignorieren⦠es funktionierte nicht.
âFalschâ, korrigierte Storm. âDu weiÃt nur, was ich in die Datenbank hochladen habe lassen.â Er setzte sich auf das Krankenbett in der Mitte des Zimmers.
Ren sah durch den Spiegel auf den Mann hinter ihm. Die Dinge, die in der Datenbank versteckt waren, genügten, um die Welt in Flammen aufgehen zu lassen⦠es war genug, sodass es schon gefährlich war, die Datenbank überhaupt zu haben. Es war schwer zu glauben, dass da noch mehr war⦠aber andererseits: er wusste einige Dinge, die nicht einmal in der Datenbank waren.
âIch höre.â Und er hörte zu⦠wochenlang.
Storm hatte recht damit, die Information, die er mit Ren teilte, nicht in die Archive zu lassen, aus denselben Gründen, weshalb der Vatikan das Zeug in ihren geheimen Kellern versteckte. Wenn auch nur ein Teil dieser Information die normale Bevölkerung erreichen sollte, würde das das Ende der Welt, wie wir sie kennen, bedeuten.
Ren wusste ohne jeglichen Zweifel, dass ihm der Mann noch immer Informationen vorenthielt, denn welche Götter ihm auch die Macht gegeben hatten, in Raum und Zeit zu springen, hatten es auch gefährlich für ihn gemacht, jemandem etwas zu erzählen, was über das Jetzt hinausging. Er könnte der beste Geschichtslehrer der Welt sein⦠aber wenn Storm versuchen würde, jemandem von der Zukunft zu erzählen, könnte das die Raum-Zeit-Verbindung zerreiÃen⦠und diese Verbindung war Storm selbst.
Er hatte auch recht, was ihre Freundschaft betraf. Sie waren vom ersten Tag an Freunde gewesen und das sagte viel, denn sie beide waren nicht die Art Person, die jemandem vertraute. In Wahrheit⦠ähnelten sie einander in vielfältiger Art und Weise.
Storms kleine Erholungsinsel war tatsächlich irgendwo in der Vergangenheit, aber Storm hatte sie mit allen Annehmlichkeiten einer modernen Villa ausgestattet. Eine Seite des Gebäudes erzeugte in Ren ein Gefühl, als wäre er in einer riesigen Glasschüssel, während die andere Seite in das harte Gestein der Insel gebaut worden war. Das Beste daran war die völlige Einsamkeit. Dies war der eine Ort, an den Ren kommen konnte, wo nichts Paranormales ihn berühren konnte, abgesehen von Storms Fähigkeit in der Zeit zu reisen.
Zuerst hatte er gedacht, dass Storm Mitte zwanzig war, aber nachdem er ihn seit mehr als zehn Jahren kannte und Storm keinen Tag älter geworden war, fragte er sich, wie lange Storm schon auf der Welt war. Selbst Ren alterte nun weniger schnell, da er so viel Zeit in der Nähe von Storm und seiner Macht verbrachte.
Ren zuckte zusammen, als eine Stimme ihn aus seinen Gedanken riss.
âIch habe dich gerade zum stolzen Besitzer eines der ältesten Häuser von LA gemachtâ, verkündete Storm, als er auf dem langen Landesteg erschien, der sich vor der Insel erstreckte. Er grinste, als er sah, dass Ren vor Schreck fast aus der Haut fuhr.
âVerdammt, kannst du vielleicht ein Geräusch machen, wenn du so aus dem Nichts springst?â Ren drehte sich um und lehnte sich an das Geländer, während er den zufriedenen Ausdruck auf Storms Gesicht betrachtete.
âHast du jemand anders erwartet?â Storm lachte.
Ren schenkte ihm nur einen bescheuerten Blick, denn kein anderer hatte je einen Fuà auf die Insel gesetzt. âOkay, ich beiÃe an. Wieso hast du mir eine alte, heruntergekommene Hütte gekauft? Es ist noch nicht einmal mein Geburtstag.â
Ohne Vorwarnung griff Storm nach Rens Schulter und der Ozean kippte weg und plötzlich standen sie auf einem Rasen direkt vor einem Gebäude, das als eine moderne, gotische Villa aus dunklem Stein durchgehen könnte. Als er Wellenschlag hörte, sah Ren nach rechts und erkannte das Meer. Er drehte sich einmal im Kreis und runzelte die Stirn, als er erkannte, dass die Zufahrt so weit war, wie er sehen konnte, und auf der linken Seite war nichts als dichter Wald.
âNicht so schlecht für eine heruntergekommene Hütte.â Storm nicke in Richtung des Hauses. âZwanzig Hektar am Meer und mit jedem modernen Luxus ausgestattet. Es ist schwer zu glauben, dass dies früher ein kleines Schloss war.â
âNicht so schwer.â Ren wandte sich Storm zu. âWo ist der Haken?â
âLA braucht dich.â Storm zuckte die Schultern und ging los. âKannst du es nicht fühlen?â
Ren antwortete nicht, als er Storm ins Gebäude folgte. In Wahrheit sagte ihm sein Spinnensinn, dass er so schnell er konnte davonrennen sollte. Los Angeles⦠bisher klang es mehr wie ein aufgezwungener Urlaub.
Einmal drinnen fand er sich in einem riesigen, runden Raum mit einer offenen Wendeltreppe wieder, die zur nächsten Etage führte, die in zwei Flügel unterteilt war. Storm ging auf die groÃe Doppeltür auf der rechten Seite zu, also seufzte Ren und folgte ihm.
âNa, das ist mehr mein Stilâ, meinte Ren erleichtert, als er die Ãberwachungsmonitore sah, die die gesamte Wand bedeckten und einen Glasschreibtisch, in den ein Computer eingebaut war.
âIch dachte mir, dass dir das gefallen würde.â Storm machte es sich auf dem Sofa gemütlich, das einsam in einer leeren Ecke des riesigen Zimmers stand. Er beobachtete Ren, als dieser sich an den Schreibtisch setzte und begann, die Steuerungselemente zu erforschen. âNiemand kann dich hier aufspüren, auÃer dir⦠und zum Glück zählst du nicht.â
Storm sah, wie die Augen seines Freundes leuchteten, als Rens Finger über der Tastatur schwebten. Es war eine merkwürdige Macht, die er hatte, und er kannte sonst niemanden, der es tun konnte, aber so konnte Ren die Schutzwände des TEP durchbrechen, die noch hundert Jahre moderner waren, als die der Regierung. Er saugte buchstäblich all die Information aus diesem Computer und wer weiÃ, vielleicht fütterte er ihm sogar noch mehr.
Es war lustig, denn Ren sah nicht wie ein üblicher Computer-Nerd aus⦠sein Aussehen war recht auffällig. Er hatte gesehen, wie Frauen beinahe über ihre eigenen FüÃe stolperten, wenn sie ihn erblickten.
Sein Haar war ein wenig mehr als schulterlang, nachtschwarz mit blauen Strähnen, wenn die Sonne es im richtigen Winkel traf. Aber sogar ohne die Sonne konnte man die dicken, silbernen Strähnen nicht übersehen, die Ren mehr wie ein wildes Kind aussehen lieÃen. Dazu kam das Kreuz, das von seinem Ohr baumelte und die Tatsache, dass er immer schwarz gekleidet war, was eine ziemlich beeindruckende Kombination ergab. Um den Effekt noch zu verstärken, waren Rens Iris wie poliertes Silber mit blauen Flecken und ein pechschwarzer Ring umgab sie. Er hatte aufgrund dieser Besonderheit immer Sonnenbrillen bei sich.
Was ihn an Ren am meisten verwunderte, war, dass Computer eine Sache waren, die Ren glücklich machten, was seine Macht betraf. Ren war auf jede Art ein Sukkubus. Wenn er in der Nähe eines Computers war, dann ernährte er sich von der Energie des Computers, fast als würde er sie herunterladen⦠aber seine Art von Sukkubus erlaubte es ihm auch, jedermanns Macht zu nehmen und sie für sich selbst zu nutzen.
Zum Beispiel⦠wenn er in der Nähe eines Formwandlers war, konnte er sich verwandeln. Wenn er in der Nähe eines Dämons war, hatte er jede Macht, die diese Art von Dämon hatte, aber der Nachteil davon war, dass es war, als würde er einen Spiegel verwenden. Er konnte dem Dämon seine Macht nicht wegnehmen. Beide Seiten hatten dann dieselbe Macht, und das war nicht immer eine Situation, von der beide Seiten profitierten⦠vor allem, wenn dein Gegner die Macht schon länger hatte, und besser wusste, wie er sie verwenden konnte.
Eine Art, auf die Ren dies zu seinem Vorteil nutzen konnte, war, wenn es mehr als eine paranormale Macht in der Reichweite seines Sukkubus gab⦠denn musste man sich in Acht nehmen, denn er konnte sie alle zu seinem Vorteil verwenden.
Ein weiterer Nachteil war, dass Ren kein guter Teamspieler war, also weigerte er sich, mit anderen zusammenzuarbeiten, was ewig schade war. Storm hätte ihn gemeinsam mit mächtigen Leuten arbeiten lassen können, und er hätte all ihre Mächte nutzen können. Selbst jetzt, wenn Ren sich um die halbe Welt und fünfzig Jahre in die Vergangenheit teleportieren wollte, dann könnte er es. Zum Glück hatte er kein Interesse an derartigen Dingen. Er beobachtete, wie das Licht in Rens Augen erlosch, als er aus der Welt des Cyberspace zurückkam.
Ren blinzelte und zog seine Hände von der Tastatur zurück, als er sich in seinen Drehstuhl zurücklehnte. âNiemand weiÃ, dass ich hier bin?â
âNur Zacharyâ, gab Storm zu, obwohl er wusste, dass er hierüber eine schwere Diskussion mit Ren führen würde müssen. âIch werde Zachary die meisten derjenigen, die schon hier sind, beaufsichtigen lassen.â
âWieso gefällt mir nicht, wie das klingt?â Rens Augen wurden schmal, aber er hatte das Gefühl, dass er diesmal verlieren würde. âWas ist mit der Villa und all dem hier? Wieso willst du mich bestechen?â
Storm hob eine Augenbraue. âEs ist irgendwie schwierig, jemanden zu bestechen, der zu jedem beliebigen Geldautomaten gehen und Geld herausholen kann.â
âDu weichst meiner Frage ausâ, bemerkte Ren.
âIch habe bisher zugelassen, dass du dich vor den Teams für paranormale Ermittlungen versteckst, und verdammt⦠ich habe deine Einsamkeit öfter mit dir verbracht, als ich es tun hätte sollen.â Storm hob seine Hand, als Ren ihm widersprechen wollte. âDu hast immer behauptet, dass du mir etwas schuldest⦠ich bitte dich jetzt, deine Schuld zu bezahlen.â
âUnd zwar wie?â Rens Stimme hatte aus Respekt ihre Schärfe verloren. Storm hatte recht⦠er schuldete ihm sein Leben und Storm würde ihn nicht für eine Kleinigkeit holen.
Storm ging vor dem Schreibtisch auf und ab. âDie einzige echte Antwort, die ich dir im Moment geben kann, ist, dass du hier bist, um mir im Kampf zu helfen. Ich fordere hier eine Menge Schuldzahlungen ein. Ich hole die besten TEP-Teams in die Stadt und du bist nun zu meinem Stellvertreter befördert worden.â
âVielen Dank.â Die Tatsache, dass dies ohne jegliche Emotion gesagt wurde, wurde von beiden ignoriert.
âZachary wird die Verantwortung haben, wenn uns etwas zustöÃtâ, fügte Storm betont hinzu. âUnd früher oder später werdet ihr beide Informationen austauschen müssen⦠besonders, wenn ich nicht erreichbar bin.â
âNa, das klingt nicht gut.â Ren runzelte still die Stirn und fragte sich, wieso Storm nicht schon die Antworten auf seine eigenen Fragen hatte. Für jemanden, der in die Zukunft springen konnte, war es komisch, dass er nicht wusste, wer eine Schlacht gewinnen würde.
âIch werde eine Weile lang nicht oft hier sein, weil ich all die Teams finden muss. Obwohl sie in Zweierteams arbeiten, haben sie eine ärgerliche Angewohnheit, einfach zu verschwinden und ihre eigenen Aufträge zu kreieren, wenn ihnen etwas über den Weg läuft.â Er fuhr mit den Händen durch sein Haar. âEs wird selbst für mich schwierig werden, sie aufzuspüren.â
âUnd wenn du sie hier ablieferst, darf ich Kindermädchen spielen?â, fragte Ren, der noch nicht ganz verstanden hatte.
âNein.â Storm schüttelte seinen Kopf, aber lächelte über die Vorstellung. âDiese Leute sind keine Kinder. Ihr Auftrag ist derselbe wie deiner⦠die Stadt zu schützen. Ob ihr miteinander kommuniziert, liegt an dir. Aber mit deiner Macht kannst du ein Raster über die Stadt zeichnen und ihnen sagen, wo alle wichtigen Punkte sind. Dies ist vorerst einfach nur die Basis. Du und Zachary, ihr werdet die einzigen sein, die mich kontaktieren können, wenn ich nicht hier bin.â
âWirklich?â Ren schaukelte in seinem Stuhl, denn all die Geheimnisse faszinierten ihn. âUnd ich dachte, dass ich der Asoziale von uns beiden warâ, bemerkte Ren. âHast du vor zu verschwinden?â Es hätte ein Scherz sein sollen, aber als er erkannte, wie Storm zuckte, hörte er auf zu schaukeln.
Storm rieb sich den Nacken, wählte seine Worte sehr sorgfältig. âIch kann in dieser Dimension durch die Zeit reisen, aber wenn es eine Gegend gibt, wo die dimensionalen Wände rissig geworden oder durchbrochen sind⦠wird sie meine Macht verweigern.â Das war noch milde ausgedrückt.
Zwischen Storms Zeilen zu lesen war eine Wissenschaft für Ren geworden und plötzlich verstand er, wieso Storm nicht wusste, wer die Schlacht gewinnen würde. âIch folge dir nochâ, bemerkte er.
Storm ging zu dem riesigen Fenster hinüber, das auf das Meer hinausblickte und klopfte gegen das Glas. âDieses Glas ist mehr als nur kugelsicher.â Er seufzte, als er sich wieder umdrehte und seinen Rücken an die Scheibe lehnte. âAber es ist nicht undurchlässig für das Böse.â Er nickte in Richtung des Sofas, das er eben erst verlassen hatte und flüsterte Worte, die in der Geschichte längst vergessen waren.
Ren atmete scharf ein, als an der Decke und am Boden rechts im Zimmer ein groÃer Kreis aufleuchtete, das Sofa genau in dessen Mitte. Er konnte sogar die flimmernde Schutzmauer sehen, die sich zwischen den Kreisen vom Boden zur Decke zog.
âWas ist das?â Er versuchte, die Bewunderung nicht in seiner Stimme zu zeigen, aber er schaffte es bei Weitem nicht.
âFür Laien⦠ist es eine Dämonenfalleâ, antwortete Storm, sonnte sich in der Tatsache, dass er offiziell Rens Bewunderung hatte, was sehr schwer zu erreichen war. âKomm⦠geh durch die Wand. Es tut nicht weh.â
Ren streckte seine Hand aus, aber hielt inne, ehe er den Schild berührte. âErwarte ich einen dämonischen Besucher?â
Storm legte seinen Kopf zur Seite. âLass mich dich an etwas erinnern: Wenn ein Kind der Gefallenen Engel in deine Nähe kommt, dann wirst du⦠der Dämon.â Er senkte seine Stimme, sodass sie gespenstisch klang, als er âder Dämonâ sagte. Er und Ren waren sich über diese Sache nicht ganz einig. Ren hatte immer noch Vorurteile gegen alles, was er nicht verstand.
Ren machte einen Schritt zurück, als er das, was Storm gesagt hatte, verarbeitete. Er brauchte sogar mehrere Sekunden, bis ihm eine gute Entgegnung einfiel. âZumindest werde ich derjenige sein, der weiÃ, wo der Schlüssel für den Käfig ist. Die Frage ist⦠wie bringen ich ihn hier herein? Soll ich Dämonen-Leckereien auf das Sofa legen?â
Storm lächelte und schob Ren in den Kreis.
Ren wirbelte herum und wollte wieder zu Storm zurückgehen, aber rannte in etwas, das ihn an einen Eisblock erinnerte. Er machte einen Schritt zurück und drückte seine Handflächen fest dagegen, blinzelte, als er sah, wie die Wände der Barriere Wellen schlugen, als wären sie aus Wasser.