Festmahl der Drachen - Морган Райс 3 стр.


„Aber ich kann nirgends sehen, wo ein Schiff anlegen könnte“, sagte Thor.

„Das wäre zu einfach“, schoss Kolk zurück.

„Und wie kommen wir dann auf die Insel?“, fragte O’Connor.

Kolk grinste auf sie hinunter; es war ein fieses Grinsen.

„Ihr schwimmt“, sagte er.

Einen Moment lang fragte sich Thor, ob er scherzte; doch dann erkannte er an seinem Gesichtsausdruck, dass es ihm ernst war. Thor schluckte.

„Schwimmen?“, wiederholte Reece ungläubig.

„Diese Wasser strotzen vor Ungeheuern!“, sagte Elden.

„Oh, das ist das geringste Problem“, fuhr Kolk fort. „Diese Fluten sind tückisch; diese Wirbel können euch in die Tiefe reißen; diese Wellen werden euch gegen diese scharfen Felsen schmettern; das Wasser ist heiß; und wenn ihr es an den Felsen vorbei geschafft habt, müsst ihr einen Weg finden, diese Klippen hoch auf festen Boden zu klettern. Wenn die Meereskreaturen euch nicht vorher erwischen. Willkommen in eurem neuen Zuhause.“

Thor stand mit den anderen an der Reling und starte auf das schäumende Meer hinunter. Das Wasser wirbelte unter ihm wie ein lebendiges Wesen, die Strömungen wurden jede Sekunde stärker, schaukelten das Boot und erschwerten es ihm, das Gleichgewicht zu halten. Unter ihm tosten die aufgewühlten Fluten, ein helles Rot, das das Blut der Hölle selbst zu enthalten schien. Schlimmer noch: wie Thor bei näherer Beobachtung feststellte, wurden diese Gewässer alle paar Fuß getrübt vom Auftauchen eines weiteren Seeungeheuers, das hervorkam, mit langen Zähnen schnappte und wieder untertauchte.

Ihr Schiff senkte plötzlich den Anker, weitab vom Ufer, und Thor schluckte. Er blickte zu den Felsen hoch, die die Insel umringten, und fragte sich, wie sie es von hier dorthin schaffen sollten. Das Tosen der Wellen kam jede Sekunde näher, und die anderen mussten rufen, um gehört zu werden.

Er sah zu, wie mehrere kleine Ruderboote zu Wasser gelassen und dann von den Kommandanten weit vom Schiff weggeführt wurden, gut dreißig Schritt entfernt. Sie würden es ihnen nicht einfach machen: sie würden schwimmen müssen, um sie zu erreichen.

Beim Gedanken daran wurde Thor flau im Magen.

„SPRINGT!“, schrie Kolk.

Zum ersten Mal verspürte Thor Angst. Er fragte sich, ob ihn das zu einem geringeren Legionär machte, einem geringeren Krieger. Er wusste, dass Krieger zu allen Zeiten furchtlos sein sollten, doch er musste sich eingestehen, dass er gerade Furcht verspürte. Er hasste die Tatsache und wünschte, es wäre anders. Doch so war es.

Als Thor sich aber umblickte und um sich herum verängstigte Gesichter sah, war er erleichtert. Überall um ihn herum standen die Jungen starr vor Angst an der Reling und starrten auf das Wasser hinunter. Ein Junge war gar so eingeschüchtert, dass er bibberte. Es war der Junge, der an dem Tag mit dem Schild-Training so viel Angst gehabt hatte und gezwungen worden war, Runden zu laufen.

Kolk musste das gespürt haben, denn er kam über das Schiff auf ihn zu. Kolk schien unbeeindruckt, als der Wind sein Haar zurückwarf; mit finsterer Miene schritt er vorwärts, als würde er die Natur selbst bezwingen wollen. Er kam neben ihm zu stehen und sein Gesicht verzog sich noch mehr.

„SPRING!“, schrie Kolk.

„Nein!“, antwortete der Junge. „Ich kann nicht! Ich tu’s nicht! Ich kann nicht schwimmen! Bringt mich nach Hause zurück!“

Kolk trat an den Jungen heran, als dieser von der Reling zurückwich, packte ihn hinten am Hemd und hob ihn in die Luft.

„Dann wirst du das Schwimmen lernen!“, zischte Kolk und warf dann vor Thors ungläubigen Augen den Jungen über Bord.

Der Junge flog schreiend durch die Luft und stürzte gut fünfzehn Fuß tief auf die schäumenden Fluten zu. Er landete mit einem Platschen und trieb dann mit zappelnden Armen an die Oberfläche.

„HILFE!“, schrie er.

„Was ist das erste Gesetz der Legion?“, rief Kolk an die anderen Jungen an Bord gewandt, den Jungen im Wasser ignorierend.

Thor war die richtige Antwort vage bewusst, doch er war zu abgelenkt vom Anblick des Jungen, der unter ihm ertrank, um zu antworten.

„Einem anderen Legionär in Not beizustehen!“, schrie Elden hervor.

„Und ist er in Not?“, schrie Kolk und zeigte auf den Jungen hinunter.

Der Junge hob die Arme, tauchte im Wasser auf und ab, und die anderen Jungen standen am Deck, starrten und hatten zu viel Angst, um hinunterzuspringen.

In dem Moment geschah etwas Seltsames mit Thor. Während er sich auf den ertrinkenden Jungen konzentrierte, wurde alles andere unwichtig. Thor dachte nicht länger an sich selbst. Der Gedanke, dass er ertrinken könnte, kam ihm gar nicht erst. Das Meer, die Ungeheuer, die Strömung...all das verblasste. Das Einzige, woran er denken konnte, war, jemand anderen zu retten.

Thor kletterte auf die breite Eichenreling, ging in die Knie, und ohne nachzudenken sprang er hoch in die Luft und stürzte sich kopfüber in das blubbernde Rot der Gewässer unter ihm.

KAPITEL FÜNF

Gareth saß auf seines Vaters Thron im Großen Festsaal und ließ seine Hände über die glatten hölzernen Armlehnen gleiten, während er die Szenerie vor ihm betrachtete: tausende seiner Untertanen waren in den Raum gepfercht; aus allen Ecken des Rings waren die Menschen angereist, um diesem einmaligen Ereignis beizuwohnen: zu sehen, ob er das Schicksalsschwert ziehen konnte. Zu sehen, ob er der Auserwählte war. Das Volk hatte seit den Jugendtagen seines Vaters keine Gelegenheit mehr gehabt, einer Schwertziehung beizuwohnen—und es schien, als ob niemand es verpassen wollte. Aufregung hing wie eine Wolke in der Luft.

Gareth selbst war vor Anspannung ganz benommen. Während er zusah, wie sich der Raum immer weiter füllte, mehr und mehr Menschen sich hereindrängten, fragte er sich, ob die Ratgeber seines Vaters doch recht hatten; ob es eine schlechte Idee gewesen war, die Schwertziehung im Großen Festsaal abzuhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie hatten ihn beschworen, es in der kleinen, privaten Schwertkammer zu versuchen; sie argumentierten, dass es so weniger Zeugen geben würde, falls er scheitern sollte. Doch Gareth traute den Leuten seines Vaters nicht; er fühlte sich seines Schicksals sicherer als die alte Garde seines Vaters, und er wollte, dass das gesamte Königreich seinem Triumph beiwohnen und miterleben konnte, dass er der Auserwählte war, während es passierte. Er wollte den Augenblick für alle Zeiten festgehalten haben. Der Augenblick, an dem sein Schicksal sich verwirklichte.

Gareth war mit Flair in den Saal getreten, in Begleitung seiner Berater hindurchstolziert, bestückt mit seiner Krone und seinem Mantel, das Zepter in der Hand—er wollte, dass ihnen allen bewusst war, dass er, nicht sein Vater, der wahre König, der wahre MacGil war. Wie er es erwartet hatte, hatte es nicht lange gedauert, bis es sich für ihn so angefühlt hatte, dass dies sein Schloss war, seine Untertanen. Er wollte, dass sein Volk es nun zu spüren bekam und diese Machtdemonstration weithin zu sehen war. Nach dem heutigen Tage würden sie mit Bestimmtheit wissen, dass er ihr einer und einziger wahrer König war.

Doch jetzt, da Gareth alleine auf dem Thron saß und auf die leeren Eisenstützen in der Mitte des Saales blickte, in die das Schwert gelegt werden würde, beleuchtet von einem Sonnenstrahl, der durch die Decke hereinbrach, war er sich nicht mehr sicher. Die Schwere dessen, was er gleich tun würde, fing an, ihn zu bedrücken; es würde ein nicht umkehrbarer Schritt sein, und es würde kein Zurück geben. Was, wenn er tatsächlich scheiterte? Er versuchte, es aus seinen Gedanken zu bannen.

Am anderen Ende des Saals öffnete sich knarrend die riesige Tür, und mit einem aufgeregten Wispern legte sich langsam erwartungsvolles Schweigen über den Raum. Herein marschierten ein Dutzend der stärksten Männer am Hof, die das Schwert zusammen geschultert hatten und allesamt unter seinem Gewicht ächzten. Sechs Männer standen zu beiden Seiten und trugen das Schwert in langsamem Marsch Schritt für Schritt seinem Liegeplatz entgegen.

Gareths Herz schlug schneller, während er zusah, wie es näherkam. Für einen kurzen Augenblick flackerte Unsicherheit auf—wenn diese zwölf Männer, größer als alle, die er je gesehen hatte, es kaum tragen konnten, welche Chance hatte er dann? Doch er versuchte, diese Gedanken zur Seite zu schieben—immerhin ging es bei dem Schwert um Schicksal, nicht um Kraft. Und er zwang sich dazu, nicht zu vergessen, dass es sein Schicksal war, hier zu sein, der Erstgeborene der MacGils zu sein, König zu sein. Er suchte in der Menge nach Argon; aus irgendeinem Grund verspürte er plötzlich ein dringendes Bedürfnis, seinen Rat einzuholen. Dies war der Moment, in dem er ihn am meisten brauchte. Aus irgendeinem Grund konnte er an niemand anderen denken. Doch natürlich war er nirgends zu finden.

Endlich hatte das Dutzend Männer die Mitte des Saales erreicht, trugen das Schwert in den Sonnenstrahl und platzierten es auf den eisernen Stützen. Es landete mit einem schallenden Klirren, und der Klang breitete sich in Wellen durch den ganzen Saal. Im Saal herrschte absolute Stille.

Instinktiv teilte sich die Menge, um Platz zu machen, damit Gareth heruntersteigen und versuchen konnte, es zu ziehen.

Langsam erhob sich Gareth von seinem Thron und kostete den Moment aus, all diese Aufmerksamkeit. Er konnte spüren, wie alle Augen auf ihn gerichtet waren. Er wusste, ein Augenblick wie dieser würde nie wieder kommen, in dem das gesamte Königreich ihm so vollkommen gebannt zusah, so eingehend jede seiner Bewegungen analysierte. Er hatte diesen Moment in Gedanken so oft durchlebt, schon seit seiner Jugend, und nun war er gekommen. Er wollte, dass es langsam ging.

Er stieg bedächtig die Treppe vor dem Thron hinunter, Stufe für Stufe, jeden Schritt voll auskostend. Er schritt den roten Teppich entlang, fühlte, wie weich er unter seinen Füßen war, kam immer näher an die Lichtsäule, an das Schwert. Es war, als würde er in einem Traum wandeln. Er fühlte sich, als hätte er seinen Körper verlassen. Ein Teil von ihm fühlte sich, als wäre er diesen Teppich schon viele Male entlanggeschritten; immerhin hatte er das Schwert im Traum schon eine Million Mal gezogen. Er fühlte nur noch stärker, dass es ihm bestimmt war, es zu ziehen; dass er seinem Schicksal entgegenschritt.

In Gedanken konnte er schon sehen, wie es ablaufen würde: er würde tapfer vortreten, eine Hand ausstrecken, und während seine Untertanen sich gespannt vorbeugten, würde er es mit einem Ruck dramatisch hoch über sein Haupt erheben. Sie alle würden den Atem anhalten und sich zu Boden werfen und ihn zum Auserwählten erklären, dem bedeutendsten MacGil-König, der je regierte, der Eine, dem es bestimmt war, auf immer zu regieren. Sie würden bei dem Anblick vor Freude weinen. Sie würden vor Furcht vor ihm zurückschrecken. Sie würden Gott danken, dass sie zu dieser Zeit am Leben waren, um dies zu erleben. Sie würden ihn als einen Gott anbeten.

Gareth kam auf das Schwert zu, das nun wenige Fuß entfernt war, und er fühlte, wie er innerlich bebte. Er trat in das Sonnenlicht, und obwohl er das Schwert schon viele Male zuvor gesehen hatte, war er von seiner Schönheit überwältigt. Es war ihm noch nie gestattet gewesen, ihm so nahe zu sein, und er war überrascht. Es war ein durchdringender Anblick. Mit einer langen, glänzenden Klinge, aus einem Material gefertigt, das noch niemand entschlüsselt hatte, hatte es den am aufwändigsten gearbeiteten Griff, den er je gesehen hatte; von feinem, seidenartigem Gewebe umhüllt, besetzt mit allen Arten von Edelsteinen, und geprägt mit dem Siegel des Falken. Als er einen Schritt nähertrat und direkt über ihm schwebte, spürte er die mächtige Energie, die es verströmte. Es schien zu pulsieren. Er konnte kaum atmen. In nur einem Augenblick würde es in seiner Hand liegen. Hoch über seinem Haupt. Im Sonnenlicht glänzen, vor den Augen der Welt.

Er, Gareth, der Große.

Gareth streckte die rechte Hand nach vorne und legte sie auf den Griff. Langsam krümmte er die Finger herum, fühlte jeden Edelstein, jeden Umriss, während er es elektrisiert fasste. Eine durchdringende Energie strahlte durch seine Handfläche, seinen Arm hinauf, durch seinen Körper. Er hatte so etwas noch nie gefühlt. Dies war sein Augenblick. Sein Moment für die Ewigkeit.

Gareth würde kein Risiko eingehen: er streckte auch die andere Hand aus und legte sie um den Griff. Er schloss die Augen, sein Atem wurde flach.

So es die Götter wollen, lasst zu, dass ich es ziehe. Gebt mir ein Zeichen. Zeigt mir, dass ich König bin. Zeigt mir, dass ich zum Herrschen bestimmt bin.

Gareth betete still, auf Antwort wartend, auf ein Zeichen, auf den perfekten Augenblick. Doch Sekunden verstrichen, ganze zehn Sekunden, vor den aufmerksamen Augen des gesamten Königreichs, und er konnte nichts vernehmen.

Dann, plötzlich, sah er das Gesicht seines Vaters, das ihn wütend anblickte.

Gareth öffnete entsetzt die Augen und versuchte, das Bild aus seinen Gedanken zu bannen. Sein Herz pochte, und er fühlte, dass dies ein furchtbares Omen war.

Der Moment war gekommen, jetzt oder nie.

Gareth lehnte sich vor, und mit all seiner Kraft setze er an, das Schwert zu ziehen. Er gab alles, was er hatte, bis sein gesamter Körper sich vor Anstrengung verkrampfte.

Das Schwert rührte sich nicht. Er hätte genauso gut versuchen können, das Fundament der Welt zu bewegen.

Gareth versuchte es noch stärker, und weiter und weiter. Schließlich stöhnte und schrie er merklich.

Augenblicke später brach er zusammen.

Die Klinge hatte sich keinen Fingerbreit bewegt.

Ein schockiertes Raunen breitete sich durch den Raum, als er am Boden aufschlug. Mehrere Berater eilten ihm zu Hilfe, um nachzusehen, ob es ihm gut ginge, und er stieß sie grob von sich. Beschämt und verlegen richtete er sich aus eigener Kraft wieder auf die Beine.

Gedemütigt blickte sich Gareth unter seinen Untertanen um, um zu sehen, wie sie ihn nun betrachten würden.

Sie hatten sich bereits abgewandt und verließen nach und nach den Saal. Gareth konnte die Enttäuschung in ihren Gesichtern erkennen; konnte sehen, dass er nur ein weiteres erfolgloses Spektakel in ihren Augen war. Nun wussten sie alle, jeder Einzelne von ihnen, dass er nicht ihr wahrer König war. Er war nicht der bestimmte und auserwählte MacGil. Er war ein Nichts. Nur ein weiterer Prinz, der den Thron an sich gerissen hatte.

Gareth fühlte, wie er vor Scham brannte. Er hatte sich noch nie so alleine gefühlt wie in diesem Moment. Alles, was er sich je erträumt hatte, seit seiner Kindheit, war eine Lüge gewesen. Eine Einbildung. Er hatte sein eigenes Märchen geglaubt.

Und es hatte ihn unter sich begraben.

KAPITEL SECHS

Gareth marschierte in seinem Gemach auf und ab. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Er war fassungslos, dass er es nicht geschafft hatte, das Schwert zu ziehen, und versuchte, die Auswirkungen dessen zu erfassen. Er fühlte sich wie betäubt. Er konnte kaum glauben, dass er dämlich genug gewesen war, zu versuchen, das Schwert zu ziehen, das Schicksalsschwert, das die letzten sieben Generationen lang kein MacGil erfolgreich gezogen hatte. Wie war er auf die Idee gekommen, dass er besser sein würde als seine Vorfahren? Warum hatte er angenommen, dass es ihm anders ergehen würde?

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