Wenn Sie Wüsste - Блейк Пирс 2 стр.


Am folgenden Tag fuhr Kate zu ihrem bevorzugten Café. Das Café in Familienhand hatte nicht nur besseren Kaffee als das überteuerte Gebräu von Starbucks, aber es war auch nicht überlaufen von Yuppies und Fußball-Muttis. Sie ging hinein und erblickte ihren Stammtisch hinten im Café, bevor sie ihren Kaffee am Tresen bestellte. Zwei der anderen drei Frauen waren schon da und winkten ihr zu.

Kate schnappte sich ihren Kaffee mit Haselnussgeschmack und gesellte sich zu ihren Freundinnen. Sie setzte sich neben Jane Patterson, einer siebenundfünfzigjährigen, die seit sieben Monaten im Ruhestand war, nachdem sie ein Leben lang für verschiedene Firmen in der Telekommunikationsbranche in der Akquise gearbeitet hatte. Gegenüber saß Clarissa James, seit gut einem Jahr im Ruhestand von ihrem Job als Kriminologie-Ausbilderin beim FBI. Das vierte Mitglied ihres traurigen kleinen Klubs, die fünfundfünfzigjährige Debbie Meade, war noch nicht da.

Merkwürdig, dachte sich Kate, Deb ist normalerweise immer als erste hier.

Als sie sich setzte, schienen Clarissa und Jane sich zu versteifen. Das war vor allem für Clarissa ungewöhnlich, denn sie plauderte normalerweise sofort drauf los. Im Gegensatz zu Kate hatte Clarissa am Ruhestand schnell Gefallen gefunden. Es half sicher, dachte sich Kate, dass Clarissa mit einem zehn Jahre jüngeren Mann verheiratet war, der in seiner Freizeit an Schwimmwettkämpfen teilnahm.

„Was ist los mit euch“, fragte Kate. „Ihr wisst, ihr sollt mich motivieren in Sachen Ruhestand. Ihre beide seht geradezu traurig aus.“

Jane und Clarissa warfen sich einen Blick zu, den Kate schon zahllose Male gesehen hatte. Während ihrer Zeit als Agent war ihr dieser Blick in Wohnzimmern begegnet, in Vernehmungsräumen, und in Wartezimmern von Krankenhäusern. Dieser Blick sprach Bände. Wer sagt es ihr?

„Was ist los?“, fragte sie.

Plötzlich war sie sich Debs Abwesenheit sehr bewusst.

„Es geht um Deb“, sagte Jane und bestätigte damit ihre Befürchtung.

„Naja, nicht um Deb selbst“, fügte Clarissa hinzu. „Es geht um ihre Tochter Julie. Bist du ihr je begegnet?“

„Einmal, glaube ich“, sagte Kate. „Was ist passiert?“

„Sie ist tot“, sagte Clarissa. „Ermordet. Bis jetzt haben sie keine Ahnung, wer es getan hat.“

„Oh mein Gott“, stieß Kate hervor, ehrlich betroffen für ihre Freundin. Sie kannte Deb seit ungefähr fünfzehn Jahren, hatte sie in Quantico kennengelernt. Damals arbeitete Kate als Assistenzausbilderin mit einer neuen Gruppe von Agenten, und Deb arbeitete mit den Technologieexperten an einem neuen Sicherheitssystem. Die beiden waren sofort auf einer Wellenlänge gewesen und hatten sich schnell angefreundet.

Die Tatsache, dass Deb sie weder angerufen noch ihr die Nachricht getextet hatte zeigte, wie sich Freundschaft über die Jahre verändern konnte.

„Wann ist es passiert?“, fragte Kate.

„Irgendwann gestern“, antwortete Jane. „Sie hat mir heute Morgen getextet.“

„Und sie haben keinen Verdächtigen?“ wollte Kate wissen.

Jane zuckte die Schultern. „Sie sagte nur, sie wissen nicht, wer es ist. Kein Anhaltspunkt, keine Spur, nichts.“

Sofort spürte Kate, wie sie in den Agentenmodus hineinrutschte. Wahrscheinlich war es genauso, als ob ein professioneller Läufer sich nach zu langer Zeit auf der Aschenbahn wiederfand. Sie hatte vielleicht kein Feld und keine jubelnden Zuschauer, die sie an ihre glorreichen Tage erinnerten, jedoch hatte sie ihren scharfen kriminologischen Verstand.

„Fang nicht an damit“, sagte Clarissa, die wusste, was Kate durch den Kopf ging.

„Womit?“

„Werde jetzt nicht zum weisen Agenten“, sagte Clarissa. „Sei jetzt einfach ihre Freundin. Ich kann sehen, wie die Rädchen sich in deinem Kopf in Bewegung setzen. Mensch, Lady. Hast du nicht eine schwangere Tochter? Wirst du nicht demnächst Großmutter?“

„Nochmal nachtreten, wenn ich schon am Boden liege, was?“, sagte Kate mit einem Lächeln. Sie ging nicht weiter darauf ein und fragte, „Debs Tochter… hatte sie einen Freund?“

„Keine Ahnung“, meinte Jane.

Eine unangenehme Stille überkam die kleine Runde. Während des letzten Jahres, seitdem sich die frischen Ruheständler angefangen hatten zu treffen, waren die Gespräche immer leichter Art gewesen. Dies war das erste ernste Thema, und es passte nicht in die Runde. Kate war natürlich an so etwas gewöhnt. Durch ihre Zeit beim FBI wusste sie solche Situationen zu handhaben.

Doch Clarissa hatte Recht. Als sie die Nachricht gehört hatte, war Kate ganz schnell wieder in ihren Agentenmodus gerutscht. Sie wusste, sie hätte zuerst als Freundin denken sollen – sie hätte an Debs Verlust und ihren emotionalen Zustand denken sollen. Aber der Agent in ihr war zu stark, ihre Instinkte waren stärker als alles andere, nachdem sie ein Jahr lang brachgelegen hatten.

„Was also können wir tun, um ihr zu helfen?“, fragte Jane.

„Ich dachte daran, sie mit Essen zu versorgen“, meinte Clarissa. „Ich kenne ein paar andere Frauen, die sich sicher gern daran beteiligen. Einfach sicherstellen, dass sie in den nächsten Wochen nicht selbst für ihre Familie kochen muss, während sie versucht, mit allem fertigzuwerden.“

Über die nächsten zehn Minuten planten die drei Frauen, wie sie dies für ihre trauernde Freundin am effektivsten bewerkstelligen konnten.

Aber Kate war bei diesem Gespräch nur oberflächlich dabei. Ihre Gedanken waren ganz woanders; sie versuchte, Fakten und versteckte Dinge über Deb und ihre Familie zusammen zu tragen; versuchte, einen Fall zu entdecken, wo vielleicht gar keiner war.

Oder vielleicht doch, dachte sich Kate. Und ich nehme an, dass es nur einen Weg gibt, um das herauszufinden.

KAPITEL ZWEI

Als sie in den Ruhestand ging, zog Kate wieder zurück nach Richmond, Virginia, wo sie in der Kleinstadt Amelia aufgewachsen war, ungefähr vierzig Minuten von Richmond entfernt. Zum College war sie direkt dort in der Innenstadt gegangen. Sie hatte dort ihre ersten Jahre verbracht, wollte nichts mehr als Kunst zu studieren. Nach drei Jahren war ihr durch einen ihrer Psychologiekurse klar geworden, dass sie ein Herz für die Kriminologie hatte. Der Weg nach Quantico und ihre anschließende, dreißigjährige Vorzeigekarriere war alles andere als geradlinig gewesen.

Jetzt fuhr sie durch einige Straßen Richmonds, die ihr so vertraut waren. Sie war erst einmal bei Debbie Meade zuhause gewesen, aber sie wusste noch genau, wo sie wohnte. Sie wusste es deshalb so genau, weil sie die Nachbarschaft neidvoll betrachtet hatte. Es war eines dieser älteren Gegenden, dicht an der Innenstadt gelegen, wo die Straßen von Bäumen gesäumt waren anstatt von Straßenlaternen und Hochhäusern.

Derzeit war Debs Straße voller buntem Laub der Ulmen, deren Äste sich über der Straße ausbreiteten. Sie musste drei Häuser weiter parken, da Familienangehörige und Freunde schon alle Parkmöglichkeiten vor Debs Haus in Beschlag genommen hatten.

Sie schritt den Bürgersteig entlang und versuchte sich zu überzeugen, dass dies keine gute Idee war. Ja, sie plante, das Haus als nichts als eine Freundin zu betreten – obwohl Jane und Clarissa sich entschieden hatten, bis zum Nachmittag zu warten, um Deb ein wenig Ruhe zu ermöglichen. Doch da war auch noch etwas anderes, etwas Tieferes. Die ganzen letzten Monate hatte sie nach etwas gesucht, was sie beschäftigen könnte, etwas von Bedeutung. Oft schon hatte sie davon geträumt, auf selbständiger Basis für das FBI arbeiten zu können, und wenn es sich dabei nur um Recherchearbeiten handelte.

Schon die kleinste Referenz zu ihrem Beruf versetzte sie in Aufregung. Sie war beispielsweise nächte Woche geladen, bei Gericht eine Aussage hinsichtlich einer Bewährungsanhörung zu machen. Sie war zwar nicht scharf darauf, sich wieder mit Kriminellen zu umgeben, aber schon der kleinste Ausflug in ihre alte Arbeitswelt war ihr willkommen.

Aber das war nächste Woche. Im Moment erschien ihr das wie eine Ewigkeit entfernt.

Sie beäugte die vordere Veranda von Deb Meades Haus. Sie wusste, warum sie in Wirklichkeit hier war. Sie wollte Antworten finden auf einige Fragen, die ihr durch den Kopf tobten. Sie fühlte sich egoistisch, so als benutze sie den Verlust ihrer Freundin um wieder etwas tun zu können, das sie seit einem Jahr nicht hatte tun können. Dass die Situation eine Freundin involvierte, machte sie delikat. Aber der alte Agent in ihre hoffte, dass sich hieraus etwas anderes ergeben würde. Die Freundin in ihr sah allerdings das Risiko. Insgesamt fragte sie sich, ob sie es nicht dabei belassen sollte, weiterhin von der Rückkehr zu ihrer Arbeit nur zu träumen.

Vielleicht tu ich gerad genau das, dachte Kate, als sie die Stufen zum Haus der Meades emporstieg. Und wenn sie ehrlich war, war sie nicht sicher, wie sie sich dabei fühlen sollte.

Zart klopfte sie an die Tür. Sofort wurde von einer älteren Dame geöffnet, die Kate nicht kannte.

„Gehören Sie zur Familie?“, fragte die Frau.

„Nein“, antwortete Kate, „ich bin nur eine sehr enge Freundin.“

Die Frau nahm sie in Augenschein, bevor sie sie einließ. Kate trat ein und ging den Flur entlang. Sie kam an einem Wohnzimmer vorbei, in dem mehrere ernst dreinblickende Leute um eine Person in einem Sessel herum saßen. Die Person in dem Sessel war Debbie Meade. Den Mann, der neben ihr stand und sich mit einem anderen Mann unterhielt, erkannte Kate als Debs Ehemann Jim.

Ein wenig befangen betrat Kate den Raum und ging direkt auf Deb zu. Ohne Deb die Zeit zu geben, sich aus dem Sessel zu erheben, beugte sich Kate zu ihr hinab und umarmte sie.

„Es tut mir so leid, Deb“, sagte sie.

Das Weinen hatte Deb zweifellos ausgelaugt; sie konnte nur nicken. „Danke, dass du gekommen bist“, flüsterte Deb in ihr Ohr. „Lass uns in ein paar Minuten in der Küche treffen.“

„In Ordnung.“

Kate befreite sich aus der Umarmung und nickte den anderen Personen, die sie erkannte, zu. Sie fühlte sich fehl am Platze, und so ging sie den Flur entlang in Richtung Küche. Niemand hielt sich dort auf, aber es standen noch benutzte Teller und Gläser herum. Auf dem Tresen standen einige Quiches, Schinkenbrote und anderes Finger Food. Kate fing an, aufzuräumen und das Geschirr zu spülen.

Kurz darauf kam Jim Meade in die Küche „Das brauchst du nicht“, sagte er.

Kate drehte sich zu ihm um; er sah müde und unglaublich traurig aus. „Ich weiß“, sagte sie. „Ich bin hergekommen, um meine Unterstützung zu zeigen. Als ich hereinkam, herrschte im Wohnzimmer eine sehr bedrückende Stimmung. Ich unterstütze euch lieber, indem ich hier klar Schiff mache.“

Er nickte, wobei er so aussah, als ob er auf der Stelle einschlafen könnte. „Eine Freundin sagte, sie habe eben eine Frau hereinkommen sehen. Ich bin ziemlich froh, dass du es bist, Kate.“

Kate erblickte eine weitere Person, die in Richtung Küche kam. Sie sah genauso müde und gebrochen aus. Deb Meades Augen waren verquollen und rot vom vielen Weinen. Ihre Haare waren durcheinander, und als sie versuchte Kate anzulächeln, schien ihr dieses Lächeln geradewegs vom Gesicht zu rutschen.

Kate legte das Geschirr weg, das sie gerade spülte, trocknete schnell ihre Hände an einem Geschirrtuch ab, das neben der Spüle hing, und ging zu ihrer Freundin hinüber. Sie war noch nie ein Fan von körperlichem Kontakt gewesen, aber sie wusste, wann eine Umarmung nötig war. Sie hatte erwartet, dass Deb während dieser Umarmung anfangen würde zu weinen, doch da war nichts, nur ihr Gewicht, das sie hinunterzog.

Wahrscheinlich kann sie inzwischen nicht mehr weinen, dachte sich Kate.

„Ich habe es erst heute morgen erfahren“, sagte Kate. „Es tut mir so leid, Deb. Für euch beide“, fügte sie hinzu, während sie Jim einen Blick zuwarf.

Jim nickte und schaute dann den Flur hinunter. Als er sah, dass sich niemand in der Nähe aufhielt – das Murmeln der anderen Gäste war aus dem Wohnzimmer zu hören – trat er auf Kate zu, gerade als sich Deb aus der Umarmung löste.

„Kate, wir müssen dich etwas fragen“, flüsterte er kaum hörbar.

„Und bitte“, sagte Deb und ergriff ihre Hand, „lass uns ausreden, bevor du etwas Vernichtendes sagst.“ Kate spürte, wie Debs Hand ganz leicht zitterte, und ihr Herz brach.

„Sicher“, entgegnete Kate. Ihre bettelnden Blicke und das Gewicht der Trauer hing über ihnen wie ein Amboss, der jederzeit auf sie hinab zu stürzen drohte.

„Die Polizei hat absolut keinen Schimmer, wer es getan haben könnte“, sagte Deb. Plötzlich verwandelte sich ihre Erschöpfung in etwas, das Zorn ähnelte. „Basierend auf einigen Dingen, die wir gesagt haben und auf einigen Textmitteilungen, die sie auf Julies Handy gefunden haben, hat die Polizei ihren Ex-Freund sofort verhaftet. Aber er wurde für weniger als drei Stunden festgehalten und dann haben sie ihn gehen lassen. Einfach so. Aber Kate… ich weiß, dass er es getan hat. Er muss es gewesen sein.“

Während ihrer Zeit als Agent hatte Kate dieses Verhalten vielfach gesehen. Trauernde Familien verlangten nach sofortiger Gerechtigkeit. Aus dem Bedürfnis heraus, Rache zu üben, schoben sie jegliche Logik und die Notwendigkeit einer gründlichen Untersuchung beiseite. Und wenn die Resultate der Ermittlungen nicht schnell genug kamen, stellte die trauernde Familie die Polizei oder das FBI als inkompetent dar.

„Deb, wenn sie ihn so schnell haben gehen lassen, muss die Beweislage solide gewesen sein. Schließlich… wie lange es her, dass sie zusammen waren?“

„Dreizehn Jahre. Aber seit Jahren hat er versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen, sogar nachdem sie geheiratet hatte. Einmal musste sie ihn sogar per einstweiliger Verfügung von sich fernhalten.“

„Trotzdem… die Polizei muss ein gutes Alibi für ihn gesehen haben, dass sie ihn so schnell wieder freigelassen hat.“

„Also, wenn es ein gutes Alibi gab, dann haben sie mir jedenfalls nichts davon erzählt“, sagte Deb.

„Deb… sieh‘ mal“, sagte Kate und drückte tröstend Debs Hand. „Dein Verlust ist noch zu frisch. In ein paar Tagen wirst du klarer denken können. Das habe ich schon hunderte male erlebt.“

Deb schüttelte den Kopf. „Kate, ich bin mir da ganz sicher. Sie waren drei Jahre lang zusammen und nicht ein einziges Mal hat er mein Vertrauen gewonnen. Wir sind ziemlich sicher, dass er sie mindestens zweimal geschlagen hat, aber Julie hat sich uns nie anvertraut. Er wurde schnell wütend. Selbst er sagte das.“

„Ich bin sicher, dass die Polizei…“

„Das ist der Gefallen, um den es geht“, unterbrach Deb sie. „Ich will, dass du dich darum kümmerst. Ich will, dass du dich in den Fall einschaltest.“

„Deb, ich bin im Ruhestand. Das weißt du.“

„Ja, weiß ich. Und ich weiß auch, wie sehr du die Arbeit vermisst. Kate… dieser Mann, der meine Tochter umgebracht hat, ist mit einem kleinen Schrecken und etwas Zeit im Vernehmungsraum davongekommen. Und jetzt sitzt er gemütlich zuhause während ich planen muss, wie ich meine Tochter beerdige. Das kann nicht richtig sein, Kate. Bitte… wirst du dich darum kümmern? Ich weiß, dass du es nicht offiziell tun kannst, aber… was immer du tun kannst. Ich weiß das zu schätzen.“

Soviel Schmerz lag in Debs Augen, dass Kate spürte, wie dieser auf sie überging. Alles in ihr sagte ihr, dass sie sich nicht überreden lassen sollte, dass sie Deb keine Hoffnung machen sollte. Aber zur gleichen Zeit hatte Deb Recht. Sie hatte ihre Arbeit vermisst. Und selbst, wenn es sich nur um einige Anrufe beim Richmond Police Department handelte oder bei ihren früheren Kollegen beim FBI, es wäre immerhin etwas.

Auf jeden Fall wäre es besser, als wie besessen über ihre Karriere nachzudenken, gepaart mit einsamen Trips zum Schießstand.

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