Es war minimal möbliert, nur mit ihrem Tisch, einer Bodenlampe, einem kleinen Bücherschrank und zwei Stühle gegenüber ihrem Tisch. Ein großer Dry-Erase Kalender hing an der Wand. Sie starrte auf den Kalender, während sie eine Pause zwischen E-Mails und Anrufen machte, in dem Versuch mehr Einzelheiten über einen bestimmten Fall herauszufinden.
Es war ein älterer Fall …. Ein Fall, der mit einer Visitenkarte verbunden war, die sie auf dem Dry-erase Kalender mit einem Magneten befestigt hatte:
Barker Antiquitäten
Es war der Name eines Geschäfts, das anscheinend niemals existiert hatte.
Alle Ermittlungsversuche, die aufkamen, wurden für gewöhnlich sofort wieder gestrichen. Am nächsten waren sie dem Ganzen gekommen, als Agent Harrison einen Ort in New York entdeckt hatte, der eine mögliche Verbindung sein konnte. Aber das war am Ende ein Mann gewesen, der alte Knock-off Antiquitäten in seiner Garage in den späten 80ern verkauft hatte.
Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie so nahe dran war, einen Hinweis zu finden, der sie zu Antworten führen würde, nach denen sie gesucht hatte – Antworten im Hinblick auf den Tod ihres Vaters und dem augenscheinlich verbundenen Mord, der früher in diesem Jahr stattgefunden hatte.
Sie versuchte an dem Gefühl, dass da draußen etwas war festzuhalten, es war unsichtbar, aber dennoch irgendwie direkt vor ihrer Nase. Das musste sie, an Tagen wie diesem, wenn sie drei mögliche Hinweise hatte, die alle durch Handy Anrufe und E-Mails gestorben war.
Die Visitenkarte war für sie zu einem Puzzlestück geworden. Sie starrte jeden Tag darauf, versuchte eine Herangehensweise herauszufinden, die sie noch nicht probiert hatte.
Sie war so darin vertieft, dass sie sich ein wenig erschrak, als jemand an ihre Bürotür klopfte. Sie schaute zur Tür und sah Ellington dort stehen. Er steckte seinen Kopf hinein und schaute sich um.
“Naja, eine Büroanstellung steht dir immer noch nicht.”
“Ich weiß”, sagte Mackenzie. “Ich fühle mich wie eine Heuchlerin. Komm rein.”
“Oh, ich hab nicht so viel Zeit”, sagte er. “Ich hab mich nur gefragt, ob du vielleicht mit mir Mittagessen gehen willst.”
“Klar”, antwortete sie. “Warte unten auf mich in einer halben Stunde und –“
Ihr Telefon klingelte und unterbrach sie. Sie las das Display und sah, dass es McGraths Durchwahl war. “Eine Sekunde”, sagte sie. “Das ist McGrath.”
Ellington nickte und machte ein spielerisch ernstes Gesicht.
“Agentin White”, sagte sie.
“White, hier ist McGrath. Ich will Sie beide in meinem Büro sehen, so schnell wie möglich, es geht um einen neuen Auftrag. Sagen Sie Ellington Bescheid und bringen Sie ihn mit.”
Sie öffnete ihren Mund um Ja, Sir zu sagen, aber McGrath legte auf, bevor sie so viel Atem hatte holen können.
“Scheint so, als ob das Mittagessen warten muss”, sagte sie. “McGrath will uns sehen.”
Sie teilten einen unbehaglichen Blick, als derselbe Gedanke sie zu durchfahren schien. Sie hatten sich schon oft gefragt, wie lange sie ihre Beziehung vor ihren Kollegen geheim halten konnten, besonders vor McGrath.
“Glaubst du er weiß Bescheid”, fragte Ellington.
Mackenzie zuckte mit den Schultern. “Ich weiß es nicht. Aber er hat gesagt, er will uns wegen eines Auftrag sehen. Wenn er es also weiß, dann ist das anscheinend nicht der Grund für seinen Anruf.”
“Dann lass es uns herausfinden”, meinte Ellington.
Mackenzie loggte sich auf ihrem Computer aus und zusammen mit Ellington ging sie durch das Gebäude und in Richtung McGraths Büro. Sie versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass es ihr wirklich egal war, ob McGrath über sie Bescheid wusste. Es war kein Grund zur Suspendierung oder Ähnliches, aber er würde ihnen wahrscheinlich nie wieder erlauben zusammenzuarbeiten, wenn er es herausfand.
Sie versuchte also ihr Bestes sich nicht allzu besorgt zu sein, war es aber trotzdem ein wenig. Sie versuchte es so gut wie möglich hinunterzuschlucken, als sie sich McGraths Büro näherten. Sie versuchte absichtlich so weit wie möglich entfernt von Ellington zu gehen.
***
McGrath schaute sie argwöhnisch an, als sie auf den beiden Stühlen vor seinem Tisch Platz nahmen. Es war ein Stuhl, an den Mackenzie sich langsam gewöhnte, darauf zu sitzen und entweder eine Lektion zu bekommen oder von McGrath gelobt zu werden. Sie fragte sich, was es heute wäre, ehe er ihnen ihren Auftrag zuteilte.
“Also lassen Sie uns zuerst einmal mit Gerüchten aufräumen”, sagte McGrath. “Ich habe bemerkt, dass da was zwischen Ihnen vor sich geht. Ich weiß nicht, ob es Liebe ist oder nur ein Flirt oder was … und es ist mir auch ehrlich gesagt egal. Aber das ist Ihre erste und einzige Warnung. Wenn das Ihre Arbeit beeinträchtigt, dann werden Sie nie wieder als Partner zusammenarbeiten. Und das wäre verdammt schade, weil Sie beide wirklich gut zusammenarbeiten. Haben wir uns verstanden?”
Mackenzie sah keinen Grund zu widersprechen. “Ja Sir.”
Ellington wiederholte ihre Antwort und sie grinste, als sie sah, dass er ein wenig peinlich berührt aussah. Sie nahm an, er war nicht der Typ, der daran gewöhnt war, von Vorgesetzten gemaßregelt zu werden.
“Okay, da wir das jetzt aus der Welt geschafft haben, kommen wir jetzt zum Fall”, sagte McGrath. Wir haben einen Anruf vom Sheriff einer kleinen südlichen Stadt, namens Stateton bekommen. Dort befindet sich ein Blindenheim – und das war es, soviel ich weiß. Letzte Nacht wurde dort eine blinde Frau ganz nah an der Einrichtung getötet. Und als wenn das nicht schon tragisch genug wäre, ist es der zweite Mord an einer blinden Person im Staat Virginia innerhalb von zehn Tagen.
In beiden Fällen scheint es ein Trauma im Nacken zu geben, was ein Erwürgen anzeigt, sowie auch Reizung an den Augen.”
“War das erste Opfer auch Bewohner des Heimes?”, fragte Mackenzie.
“Ja, aber soweit ich weiß, war das ein viel kleineres Heim. Ursprünglich wurde spekuliert, dass der Mörder ein Familienmitglied war, aber es hat nur eine Woche gedauert, bis das ausgeräumt war. Mit einer zweiten Leiche und dem, was aussieht wie ein sehr spezifisches Set an Zielen, ist es wahrscheinlich nicht zufällig. Sie verstehen also die Dringlichkeit dieser Situation, hoffe ich. Ehrlich, wenn ich das so höre, machen mir Kleinstädte bald Angst. Es gibt nicht viele Menschen dort, es sollte also einfacher sein, schnell den Verdächtigen zu finden. Ich gebe Ihnen beiden den Fall, weil ich von Ihnen erwarte, den Fall innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden abzuschließen. Weniger wäre noch besser.”
“Ist Agent Harrison in dem Fall nicht involviert?”, fragte Mackenzie. Da sie seit seine Mutter gestorben war, nicht wieder mit ihm gesprochen hatte, fühlte sie sich schon fast schuldig. Auch wenn er sich nie wie ein Partner angefühlt hatte, respektierte sie ihn dennoch.
“Agent Harrison wird woanders gebraucht”, sagte McGrath. “Für diesen Fall wird er für Sie recherchieren … Recherchen, schnellere Informationen und solche Dinge. Ist es Ihnen unangehnem mit Agent Ellington zu arbeiten?”
“Nein überhaupt nicht Sir”, antwortete sie und bereute das sie überhaupt etwas gesagt hatte.
“Gut. Die Personalabteilung bucht Ihnen ein Zimmer in Stateton. Ich bin kein Idiot …. Also habe ich nur ein Zimmer angefordert. Auch weenn bei Ihnen nichts außer dieser kleinen Affäre herauskommt, dann spare ich dem Büro zumindest die Unterbringungskosten.”
Mackenzie war sich nicht sicher, ob das McGraths Versuch war einen Witz zu machen. Es war schwer zu sagen, weil dieser Mann nie zu lächeln schien.
Als sie aufstanden, um ihren Auftrag zu erfüllen, fiel Mackenzie auf wie vage McGraths Antwort auf Harrison ausgefallen war. Er war anderweitig beschäftigt, dachte Mackenzie. Was sollte das bedeuten?
Das war aber dennoch nicht ihre Sorge. Stattdessen hatte sie einen Fall von McGrath zugeteilt bekommen, der schnell erledigt werden sollte. Sie konnte bereits die Herausforderung in sich brodeln fühlen, die sie dazu drängte, sofort anzufangen.
KAPITEL ZWEI
Mackenzie fühlte ein Frösteln, als Ellington sie die State Route 47 runter fuhr, tiefer in das Herz des ländlichen Virginias. Ein paar Kornfelder tauchten hier und da auf und unterbrachen die Monotie der weitläufigen Felder und Wälder. Die Anzahl der Kornfelder war nicht das, was sie von Nebraska gewöhnt war, aber der Anblick ließ sie sich ein wenig unwohl fühlen.
Gott sei Dank sah sie, je näher sie der Stadt Stateton kamen, umso weniger Kornfelder. Sie wurden von frisch eingeebneten Hektar Land ersetzt, die von den einheimischen Holzfirmen zerrissen worden waren. Bei ihrer Nachforschung über die Gegend auf der viereinhalbstündigen Fahrt hierher hatte sie gesehen, dass es eine recht große Anzahl an Holzverteilern in der Gegend gab. Die Stadt Stateton bestand aus dem Wakeman Blindenheim, ein paar Antiquitätsläden und sehr wenig anderen Läden.
“Gibt es irgendetwas, dass diese Akten dir sagen und das ich noch nicht weiß? Es ist ein wenig schwer, die ganzen E-Mails vom Fahrersitz aus zu lesen.”
“Nicht wirklich”, antwortete sie. “Sieht so aus, als wenn wir die übliche Prozedur vor uns haben. Familien besuchen, das Blindenheim, die Art von Dinge.”
“Familien besuchen … das sollte leicht sein in so einer inzüchtigen kleinen Stadt wie dieser, hm?”
Sie war zuerst geschockt, aber ließ es dann durchgehen. Nach ein paar Wochen als, wie sie annahm, “Paar” mit Ellington hatte sie gelernt, dass dieser einen relativ aktiven Sinn für Humor hatte; er konnte aber manchmal ziemlich trocken sein.
“Hast du schon mal Zeit an so einem Ort verbracht?”, fragte Mackenzie.
“Sommercamp”, antwortete Ellington. “Ein Teil meiner Teenagerzeit, die ich wirklich gerne vergessen würde. Und du? War es jemals so schlimm in Nebraska?”
“Nicht so wie hier. Aber es war recht einsam manchmal. Manchmal glaube ich, dass ich die Ruhe hier eher bevorzuge, als den ganzen Verkehr und die Menschen in DC.”
“Ja, ich glaube, das kann ich verstehen.”
Es machte Mackenzie Spaß Ellington besser ohne die Fallen einer traditionellen Date Beziehung kennenzulernen. Anstatt sich bei netten Abendessen oder langen Spaziergängen im Park kennenzulernen, hatten sie sich bei Autofahrten und Zeit im FBI-Büro oder Konferenzräumen kennengelernt. Und sie hatte jede Minute davon genossen. Manchmal fragte sie sich, ob sie jemals müde wurde ihn kennenzulernen.
Bis jetzt war sie sich nicht sicher, ob das möglich sein würde.
Vor ihnen hieß sie ein kleines Schild am Straßenrand in Stateton, Virginia willkommen. Eine einfache zweispurige Straße führte sie an weiteren Bäumen vorbei. Ein paar Häuser und ihre Gärten durchbrachen die Gleichmäßigkeit des Waldes für eineinhalb Kilometer oder so, ehe echte Anzeichen einer Stadt übernahmen. Sie kamen an einem fettigen Spoon-type Dinner, einem Friseur, zwei Antiquitäten Läden, einem ländlichen Versorgungsladen, zwei Minimärkten, einer Post vorbei und dann drei Kilometer nach all dem erschien ein perfekt quadratisches Backsteingebäude direkt von der Hauptstraße abgehend. Ein sehr militärisch angehauchtes Schild davor informierte über die Stateton County Polizei und Justivollzugsanstalt.
“Hast du so was schon einmal gesehen?”, fragte Ellington. “Eine Polizeiwache und Justizvollzugsanstalt in einem Gebäude?”
“Ein paar Mal in Nebraska”, antwortete sie. “Ich denke das ist an solchen Orten wie hier nicht ungewöhnlich. Das nächste Gefängnis für Stateton liegt in Petersburg und das ist über hundertachtundzwanzig Kilometer entfernt, glaube ich.”
“Meine Güte, dieser Ort ist so klein. Wir sollten das recht schnell abwickeln können.”
Mackenzie nickte, während Ellington in die Einfahrt fuhr und dann in die Parklücke, des großen Backsteingebäudes, das aussah, als wenn es wortwörtlich mitten im Nichts stünde.
Was sie dachte, aber nicht sagte, war: Ich hoffe, du hast uns gerade nichts herbeibeschworen.
***
Mackenzie roch dunklen Kaffee und etwas wie Febreeze, als sie in die kleine Lobby vor dem Gebäude trat. Es sah recht nett innen aus, aber es war ein altes Gebäude. Das Alter konnte man an den Rissen in der Wand und der offensichtlich dringenden Notwendigkeit eines neuen Teppichs in der Lobby sehen. Ein riesiger Tisch stand an der entfernten Wand, und obwohl er so alt wie der Rest des Gebäudes aussah, sah er gut erhalten aus.
Eine ältere Frau saß hinter dem Tisch und blätterte durch einen dicken Ordner. Als sie Mackenzie und Ellington eintreten hörte, schaute sie mit breitem Lächeln hoch. Es war ein wunderbares Lächeln, aber es zeigte auch ihr Alter. Mackenzie schätzte, dass sie fast siebzig war.
“Sind Sie die Agenten vom FBI?”, fragte die ältere Dame.
“Ja Ma’am”, antwortete Mackenzie. “Ich bin Agentin White und das ist mein Partner, Agent Ellington. Ist der Sheriff da?”
“Ist er”, sagte sie. “Tatsächlich hat er mich gebeten, Sie direkt in sein Büro zu bitten. Er ist ziemlich beschäftigt Anrufe entgegenzunehmen über den neusten schrecklichen Mord. Gehen Sie einfach den Flur hinunter nach links. Sein Büro ist die letzte Tür rechts.”
Sie folgten ihren Anweisungen, und als sie den langen Flur hinuntergingen, der ins Hintere des Gebäudes führte, wurde Mackenzie von der Stille des Ortes überrascht. Inmitten eines Mordfalles hatte sie erwartet, dass der Ort vor Taten brummte, auch wenn es inmitten vom Nichts war.
Als sie zum Ende des Flurs gingen, bemerkte Mackenzie ein paar Schilder, die an den Wänden hingen. Einer sagte: Gefängniszutritt erfordert Schlüsselkarte. Ein weiteres sagte: Alle Gefängnisbesuche müssen vom Bezirksbeamten abgeklärt sein. Die Zustimmung muss beim Besuch vorgelegt werden!
Ihr Verstand begann zu rotieren mit Gedanken an Verwaltung und Regelungen, die es an einem Ort, das gleichzeitig Gefängnis und Justizvollzugsanstalt war, geben musste. Sie fand es recht faszinierend. Aber ehe ihr Verstand noch weiter arbeiten konnte, erreichten sie das Büro am Ende des Flurs.
Goldene Buchstaben standen auf der oberen Glashälfte der Tür, Sheriff Clarke. Die Tür war angelehnt und so öffnete Mackenzie langsam die Tür zu dem Geräusch einer kräftigen, männlichen Stimme. Als sie hinein schielte, sah sie den schwergewichtigen Mann hinter dem Tisch, der laut in ein Tischtelefon sprach. Ein weiterer Mann saß in einem Stuhl in der Ecke und textete wütend auf seinem Handy.
“Eine Minute Randall”, sagte er. Dann bedeckte er das Mundstück und schaute zwischen Mackenzie und Ellington hin und her.
“Kommen Sie vom Büro”, fragte er.
“Kommen wir” erwiderte Ellington.
“Gott sei Dank”, seufzte er. “Geben Sie mir eine Sekunde.” Dann nahm er die Hand wieder von der Sprechmuschel und redete weiter. “Hör zu Randall, die Kavallerie ist grad angekommen. Hast du in fünfzehn Minuten Zeit? Ja? Okay, gut. Bis dann.”
Der schwergewichtige Mann legte auf und ging um seinen Tisch herum. Er bot ihnen seine fleischige Hand an, wobei er sich Ellington zuerst näherte. “Nett Sie kennenzulernen”, sagte er. “Ich bin Sheriff Robert Clarke. Das”, sagte er und nickte in Richtung des Mannes in der Ecke, “ist Beamte Keith Lambert. Mein Vertreter ist draußen und überwacht die Straßen, er tut sein Bestes, um irgendeinen Hinweis in diesem Riesendurcheinander zu finden.”
Er vergaß Mackenzie fast, nachdem er Ellington die Hand geschüttelt hatte, erst fast im Nachhinein bot er ihr seine Hand an. Als sie sie schüttelte, stellte sie sich beide vor, in der Hoffnung, dass ihm die Tatsache klar wurde, dass sie genauso gut die Ermittlungen leiten konnte, wie die Männer im Zimmer. Sofort kamen alte Erinnerungen an Nebraska in ihr hoch.