Bevor er Tötet - Блейк Пирс 2 стр.


„Das ist bereits geschehen“, erwiderte Nelson selbstgefällig. „Die Tote heißt Hailey Lizbrook, sie ist dreiundfünfzig Jahre alt, hat zwei Kinder und war eine Mittelklassetänzerin im Club The Runway in Omaha.“

Er ratterte die Fakten herunter, als ob er eine Bedienungsanleitung vorlesen würde. Mackenzie nahm an, dass er schon lange genug eine Position innehatte, in der Opfer keine Menschen mehr waren, sondern einfach nur Rätsel, die gelöst werden mussten.

Doch Mackenzie, die erst seit ein paar Jahren in dem Gebiet arbeitete, war nicht so abgehärtet und herzlos. Sie betrachtete die Frau mit zwei Augen, mit dem einen versuchte sie herauszufinden, was passiert war, aber mit dem anderen sah sie auch die Frau, die zwei Kinder zurückgelassen hatte – zwei Söhne, die den Rest ihres Lebens ohne ihre Mutter verbringen müssten. Dass die Frau als Mutter von zwei Kindern Stripperin war, führte Mackenzie zu der Annahme, dass sie Geldprobleme gehabt haben musste und dass sie so gut wie alles dafür getan hätte, um für ihre Kinder zu sorgen. Doch nun war sie hier, an einen Pfahl gefesselt und von einem gesichtslosen Mann schwer misshandelt –

Ein Rascheln der Maisstängel hinter ihr unterbrach ihren Gedankengang. Sie drehte sich um und sah wie sich Walter Porter seinen Weg durch den Mais bahnte. Als er auf die Lichtung trat und den Dreck sowie die Maisgrannen von seinem Mantel wischte, machte er einen genervten Eindruck.

Er schaute sich einen Moment lang um, bevor sein Blick auf Hailey Lizbrooks Leiche am Pfahl fiel. Auf sein Gesicht legte sich ein überraschter Ausdruck, sein ergrauter Schnurrbart zog sich in einem seltsamen Winkel nach rechts. Dann schaute er zu Mackenzie und Nelson, zu denen er schnell trat.

„Porter“, sagte der Polizeichef. „White löst den Fall bereits. Sie ist ziemlich scharfsinnig.“

„Das ist sie manchmal“, entgegnete er abweisend.

So war es immer. Nelson machte ihr in Wirklichkeit kein Kompliment. Tatsächlich zog er Porter damit auf, ein junges Mädchen am Hals zu haben, das aus dem Nichts auftauchte und die Position eines Detectives ergattert hatte – das hübsche junge Mädchen, das nur wenige Männer über Dreißig auf dem Polizeirevier ernst nahmen. Und Porter konnte das bei Leibe nicht ausstehen.

Während sie es genoss, zuzusehen, wie Porter sich unter den Neckereien wand, war es das nicht wert, sich unzulänglich oder nicht geschätzt zu fühlen. Immer wieder hatte sie Fälle gelöst, bei denen die anderen Männer nicht weiterkamen, und sie wusste, dass sie sich dadurch bedroht fühlen. Sie war gerade einmal fünfundzwanzig, viel zu jung, um sich in dem Beruf, den sie einmal geliebt hatte, ausgebrannt zu fühlen. Aber jetzt, da sie an Porter und diese Polizeistation gebunden war, fing sie an, ihren Beruf zu hassen.

Porter machte Anstalten zwischen Nelson und Mackenzie zu treten, um ihr zu bedeuten, dass es jetzt seine Show war. Mackenzie bemerkte, wie sie so langsam anfing zu kochen, doch sie schluckte es herunter. Das tat sie schon seit drei Monaten, seit ihr aufgetragen wurde, mit ihm zusammenzuarbeiten. Vom ersten Tag an hatte Porter kein Geheimnis daraus gemacht, dass er sie nicht mochte. Immerhin war sie der Ersatz für Porters vorherigen Partner, mit dem er achtundzwanzig Jahre lang gearbeitet hatte, und der laut Porter aus dem Dienst entlassen worden war, um einer jüngeren, weiblichen Kollegin Platz zu machen.

Mackenzie ignorierte dieses offenkundige Fehlen von Respekt, sie ließ es nicht zu, dass es ihre Arbeitseinstellung beeinflusste. Ohne ein Wort zu verlieren ging sie zu der Leiche. Sie schaute sie sich genau an. Es tat ihr innerlich weh, sie so genau zu betrachten, und doch war sie davon überzeugt, dass er keine Leiche gab, die sie so sehr treffen würde, wie die erste, die sie je gesehen hatte. Sie hatte schon fast den Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr jedes Mal, wenn sie einen Tatort betrat, die Leiche ihres Vaters vor Augen hatte. Aber an diesem Punkt war sie noch nicht ganz angekommen. Sie war sieben Jahre alt gewesen, als sie das Schlafzimmer betreten und ihn auf dem Bett in einer Pfütze seines eigenen Blutes liegend gesehen hatte. Seitdem bekam sie das Bild nicht mehr aus dem Kopf.

Mackenzie suchte nach Beweisen dafür, dass es sich nicht um ein Sexualdelikt handelte. Sie sah keine Kratzspuren oder blaue Flecken an ihren Brüsten oder am Hintern, auch fand sie kein Blut an ihrem Schambereich. Dann schaute sie die Hände und Füße der Frau an und fragte sich, ob es sich vielleicht um einen religiösen Mord handeln könnte, doch weder an den Handflächen, Fußknöcheln noch an den Füßen konnte sie Anzeichen einer Kreuzigung feststellen.

In dem kurzen Bericht, den sie und Porter erhalten hatten, stand, dass die Kleider des Opfers noch nicht gefunden wurden. Mackenzie hielt es für Wahrscheinlich, dass sie der Mörder entweder noch bei sich oder schon entsorgt hatte. Das deutete darauf hin, dass er entweder sehr vorsichtig oder fast schon grenzwertig besessen war. Wenn man hierzu noch die Tatsache hinzuzählte, dass seine Tat in der letzten Nacht sehr wahrscheinlich nicht aus einem sexuellen Motiv heraus begangen hatte, dann erhielt man einen schwer fassbaren und kalkulierenden Mörder.

Mackenzie zog sich zum Rand der Lichtung zurück, um die gesamte Szene in sich aufzunehmen. Porter warf ihr einen Seitenblick zu, dann ignorierte er sie einfach und wandte sich wieder seinem Gespräch mit Nelson zu. Sie bemerkte, dass die anderen Polizisten sie beobachten. Zumindest einige von ihren verfolgten ihre Arbeit. Sie hatte ihre Stelle mit dem Ruf, außerordentlich klug zu sein und war von der Mehrzahl ihrer Ausbilder auf der Polizeiakademie geschätzt worden. Hin und wieder stellten ihr jüngere Polizisten – sowohl Männer als auch Frauen – ernstgemeinte Fragen und holten ihre Meinung über einen Fall ein.

Andererseits war ihr auch bewusst, dass ihr einige der Männer, die sich ebenfalls auf der Lichtung befanden, anzügliche Blicke zuwarfen. Sie wusste nicht, was schlimmer war: die Männer, die auf ihren Hintern starrten, wenn sie vorbeiging, oder diejenigen, die hinter ihrem Rücken das kleine Mädchen auslachten, das die Rolle eines knallharten Detectives spielen wollte.

Als sie die Szene betrachtete, überkam sie wieder der nagende Verdacht, dass etwas hier einfach nicht stimmte. Sie hatte das Gefühl, ein Buch zu öffnen und die erste Seite einer Geschichte zu lesen, von der sie wusste, dass sie voller Intrigen stecken würde.

Und das ist gerade erst der Anfang, dachte sie.

Ihr Blick wanderte zu dem Dreck um die Stange und sah ein paar Fußabdrücke, die aussahen, als ob jemand beim Gehen seine Füße nicht richtig hochgehoben hätte, doch daraus konnte man keine Abzüge erstellen. Ebenfalls entdeckte sie fast schon geschwungene Linien auf dem Boden. Sie ging in die Hocke, um sich die Spuren näher anzuschauen. Dabei fiel ihr auf, dass die geformten Abdrücke nebeneinander verliefen und den hölzernen Pfahl umrundeten, sodass der Eindruck entstand, dass ihr Verursacher mehrmals um ihn herumgegangen sein musste. Dann betrachtete sie wieder den Rücken der Frau und bemerkte, dass die Striemen auf der Haut in etwa die gleiche Form hatten wie die Spuren auf dem Boden.

„Porter“, sagte sie.

„Was ist denn?“, fragte er, verärgert, dass sie ihn einfach unterbrochen hatte.

„Ich glaube, ich habe die Spuren der Waffe gefunden.“

Porter zögerte einen Moment, bevor er zu der Stelle ging, an der Mackenzie im Dreck kauerte. Als er neben ihr in die Hocke ging, stöhnte er leicht auf und sie konnte hören, wie sein Gürtel knirschte. Er wog etwa fünfundzwanzig Kilo zu viel, was sich immer deutlicher machte, je weiter sich diese Zahl der dreißig näherte.

„Eine Art Peitsche?“, vermutete er.

„Schaut so aus.“

Sie untersuchte den Boden, wobei sie den Spuren im Sand bis hin zum Pfahl folgte – dabei fiel ihr etwas Anderes auf. Es war so unauffällig, so klein, dass sie es fast nicht gesehen hätte.

Sie ging zu dem Pfahl, darauf bedacht, die Leiche nicht zu berühren, bevor die Forensiker sie nicht untersucht hatten. Wieder ging sie in die Hocke, doch diesmal bekam sie die volle Nachmittagshitze zu spüren, die sie niederdrückte. Unerschrocken rückte sie mit ihrem Kopf näher an den Pfahl heran, so nah, dass sie ihn fast mit ihrer Stirn berührte.

„Was zur Hölle tun Sie da?“, fragte Nelson.

„Hier ist etwas eingeritzt“, sagte sie. „Es schaut aus, als wären es Zahlen.“

Porter trat heran um nachzuforschen, doch er konnte sich nicht noch einmal hinunterbeugen. „White, dieses Holzstück ist locker zwanzig Jahre alt“, meinte er. „Diese Einkerbungen schauen genauso alt aus.“

„Vielleicht“, entgegnete Mackenzie. Aber das glaubte sie nicht.

Porter, der schon das Interesse an ihrer Entdeckung verloren hatte, ging zurück zu Nelsen, mit dem er die Informationen abglich, die ihm der Bauer, der die Leiche gefunden hatte, gegeben hatte.

Mackenzie holte ihr Handy hervor und fotografierte die Zahlen ab. Sie vergrößerte das Bild, wodurch sie deutlicher wurden. Sie so detailliert zu sehen, verstärkte das Gefühl, dass all das hier der Anfang etwas viel Größeren war.

N511/J202

Die Zahlen sagten ihr gar nichts. Vielleicht hatte Porter Recht, vielleicht bedeuteten die Zahlen überhaupt nichts. Vielleicht stammten sie von dem Holzfäller, der den Pfahl geschaffen hatte. Vielleicht hatte ein einsames Kind irgendwann im Laufe der Jahre die Nummer eingeritzt.

Aber all diese Vermutungen fühlten sich nicht richtig an.

Nichts davon fühlte sich richtig an.

Und tief in sich drinnen wusste sie, dass dies erst der Anfang war.

KAPITEL ZWEI

Mackenzie spürte einen Knoten im Bauch, während sie aus dem Auto schaute und die neuen, aufgereihten Vans sowie die Reporter sah, die um die besten Plätze kämpften, um sich auf sie und Porter zu stürzen, sobald sie vor dem Polizeirevier halten würden. Als Porter parkte, beobachtete sie, wie mehrere Nachrichtensprecher über den Rasen der Polizeiwache rannten, hinter ihnen eilen schwerbeladene Kameramänner her.

Mackenzie sah, dass Nelson bereits an der Eingangstür war und sein Bestes tat, um die Medien zu beruhigen. Man merkte deutlich, dass er sich nicht wohl fühlte und dass er ziemlich aufgebracht war. Sogar von hier aus konnte sie den Schweiß auf seiner Stirn glänzen sehen.

Nachdem sie ausgestiegen waren, holte Porter sie ein, um sicherzustellen, dass sie nicht der erste Detective wäre, den die Medien sahen. Als er an ihr vorbeilief, meinte er: „Sagen Sie den Blutsaugern bloß nichts.“

Bei seinem herablassenden Befehl erfasste sie eine Welle der Empörung.

„Das weiß ich, Porter.“

Die Traube aus Reportern und Kameras erreichte sie. Mindestens zehn Mikrofone stachen aus der Menge hervor und in ihre Gesichter, während sie an ihnen vorbeigingen. Fragen prasselten wie ein Schwarm Insekten auf die beiden ein.

„Haben Sie schon die Kinder des Opfers benachrichtigt?“

„Wie reagierte der Bauer, als er die Leiche fand?“

„War es sexueller Missbrauch?“

„Ist es denn sinnvoll, dass eine Frau diesen Fall ermittelt?“

Die letzte Frage traf Mackenzie ein wenig. Natürlich wusste sie, dass sie einfach nur eine Reaktion hervorrufen wollten, und auf eine kurze und dennoch sensationsreife Aufnahme für die Nachmittagssendung hofften. Es war gerade einmal vier Uhr, wenn sie schnell waren, dann hätten sie vielleicht ein Stück exklusiver Informationen für die sechs Uhr Nachrichten.

Als sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte und in das Gebäude eintrat, hallte diese letzte Frage wie ein Donner in ihrem Kopf wider.

Ist es denn sinnvoll, dass eine Frau diesen Fall ermittelt?

Sie erinnerte sich daran, wie gefühllos Nelson die Informationen zu Hailey Lizbrook vorgelesen hatte.

Natürlich ist es das, dachte Mackenzie. Es ist sogar von größer Bedeutung.

Schließlich waren sie im Polizeirevier und die Türen fielen hinter ihnen zu. Mackenzie atmete erleichtert auf, wieder Stille um sich zu haben.

„Verdammte Blutsauger“, sagte Porter.

Jetzt, da er nicht länger von Kameras verfolgt wurde, verloren seine Bewegungen ihren Schwung. Er ging langsam am Empfangstresen vorbei und lief den Flur hinunter, der zu den Konferenzzimmern und den Büros führte, aus denen das Polizeirevier bestand. Er schaute müde aus, bereit, nach Hause zu gehen, bereit, diesen Fall abzuschließen.

Mackenzie betrat das Konferenzzimmer zuerst. Dort saßen mehrere Polizisten an einem großen Tisch, einige von ihnen trugen Uniform, andere jedoch ihre Alltagskleidung. Aus der Anwesenheit der vielen Polizisten und dem immer neuen Auftauchen der Medien schloss Mackenzie, dass die Geschichte in den zweieinhalb Stunden, in denen sie ihr Büro verlassen hatte, zum Maisfeld gefahren und zurückgekommen war, an die Öffentlichkeit gelangt war. Es war nicht mehr nur ein zufälliger, grausamer Mord, jetzt war er zu einem Spektakel geworden.

Mackenzie nahm sich eine Tasse Kaffee und setzte sich an den Tisch. Jemand hatte bereits Akten auf dem Tisch verteilt, in denen die wenigen Informationen standen, die zu dem Fall schon gesammelt wurden. Während sie die Akte durchblätterte, füllte sich der Raum immer weiter. Als Porter schließlich eintrat, setzte er sich ans andere Ende.

Mackenzie nahm sich einen Moment Zeit, auf ihr Handy zu schauen, und sah, dass sie acht verpasste Anrufe, fünf Sprachnachrichten und ein dutzend E-Mails hatte. Es erinnerte sie wieder daran, dass sie schon viel zu tun gehabt hatte, bevor sie heute Morgen zum Kornfeld geschickt worden war. Die traurige Ironie dabei war, dass ihre älteren Kollegen, trotz der Tatsache, dass sie sie immer wieder niedermachten und sie subtil beschimpften, auch ihr Talent erkannten. Deshalb gehörte sie zu den Polizisten, die am meisten ausgelastet waren. Bis jetzt hatte sie jedoch bei keinem einzigen in ihrem Zeitplan zurückgeblieben und hatte eine ausgezeichnete Rate von gelösten Fällen.

Sie spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, ein paar der E-Mails zu beantworten, während wartete, doch bevor sie die Chance dazu hatte, betrat Hauptkommissar Nelson ein. Schnell schloss er die Tür des Konferenzzimmers hinter sich.

„Ich weiß nicht, wie die Medien so schnell davon erfahren haben“, knurrte er, „aber wenn ich herausfinde, dass jemand in diesem Raum dafür verantwortlich ist, dann wird mich diese Person kennenlernen.“

Im Zimmer breitete sich Stille aus. Ein paar der Polizisten und Angestellten begannen, sich nervös den Inhalt der vor ihnen liegenden Akten anzusehen. Auch wenn Mackenzie Nelson nicht mochte, musste sie doch zugeben, dass der Mann mit seiner Anwesenheit und Stimme einen Raum ohne große Mühe beherrschen konnte.

„Die Sachlage ist folgende“, fuhr Nelson fort. „Das Opfer ist Hailey Lizbrook, eine Stripperin aus Omaha. Sie ist vierunddreißig Jahre al, hat zwei Söhne, der eine ist neun und der andere fünfzehn. Soweit wir wissen, wurde sie entführt, bevor sie zum Arbeitsbeginn stempeln konnte, denn ihr Chef behauptete, dass sie in dieser Nacht nicht aufgetaucht wäre. Die Sicherheitsüberwachung vom Runway, ihrer Arbeitsstelle, zeigt nichts. Deshalb gehen wir davon aus, dass sie irgendwo zwischen ihrem Apartment und dem Runway gekidnappt wurde. Das umfasst eine Strecke von siebeneinhalb Meilen – ein Gebiet, in dem wir zurzeit gemeinsam mit den Polizisten in Omaha ein paar Leichenfunde ermitteln.“

Назад Дальше