Eine Spur von Verbrechen - Блейк Пирс 2 стр.


„Nicht viel“, sagte Ray und lenkte das Auto geschmeidig durch den Stadtverkehr. Es war Anfang Januar und draußen war es kalt, aber Keri bemerkte Schweißperlen auf Rays Stirn. Er war nervös. Doch bevor Keri der Sache nachgehen konnte, redete er weiter.

„Verheiratet, Mutter arbeitet von zu Hause aus. Sie entwirft Hochzeitseinladungen. Der Vater arbeitet in Silicon Beach für eine IT-Firma. Sie haben auch einen jüngeren Sohn, er ist sechs Jahre alt. Er ist heute den ganzen Nachmittag in der Hausaufgabenbetreuung. Die Mutter hat dort angerufen um sicherzugehen, dass dort alles in Ordnung ist. Hillman hat ihr geraten, ihn vorerst noch dort zu lassen, damit für ihn alles so lange wie möglich normal bleibt.“

„Klingt soweit alles ganz normal“, kommentierte Keri. „Ist die Spurensicherung schon unterwegs?“

„Ja, Hillman hat sie informiert. Vielleicht sind sie schon vor Ort und untersuchen Fahrrad und Rucksack auf Fingerabdrücke.“

Ray passierte gerade die Kreuzung bei Jefferson Boulevard. Keri konnte ihr Appartement fast schon sehen. Der Strand war nur noch eine halbe Meile entfernt. Das Haus der Raineys lag in einem angesagten Gebiet des Stadtteils in den Hügeln. Keine fünf Minuten von dort befanden sich mehrere Multimillionen-Dollar Villen.

Keri bemerkte, dass Ray ungewöhnlich still geworden war. Sie wusste, dass er Anlauf nahm, etwas Unangenehmes anzusprechen. Ohne zu wissen warum, fürchtete sie sich davor.

Sie kannte Ray Sands seit mehr als sieben Jahren, noch bevor Evie entführt worden war. Damals hatte sie als Professorin für Kriminologie an der Loyola Marymount University gearbeitet und er war als Gastredner in ihrem Kurs gekommen.

Als Keris Leben nach der Entführung ihrer Tochter auseinanderzufallen begann, war er für sie da gewesen – als ermittelnder Detective und auch als Freund. Er stand ihr zur Seite, als sie sich von ihrem Mann scheiden ließ und als ihre Karriere den Bach hinunterging. Ray hatte sie damals überzeugt, Polizistin zu werden. Nach zwei Jahren Streifendienst kam sie dann zur Einheit für Vermisste Personen und Ray wurde ihr Partner.

Mit der Zeit waren sie sich näher gekommen. Vielleicht lag es an ihrer lockeren Art miteinander zu flirten. Vielleicht lag es daran, dass sie sich mehrmals gegenseitig das Leben gerettet hatten. Vielleicht lag es einfach an der besonderen Anziehungskraft zwischen ihnen. Irgendwann war ihr aufgefallen, dass Ray, der schon immer beliebt bei den Frauen gewesen war, aufgehört hatte, über seine weiblichen Bekanntschaften zu sprechen.

In den letzten Monaten hatten sie immer mehr Zeit miteinander verbracht. Sie besuchten sich gegenseitig nach Feierabend, sie gingen zusammen ins Restaurant, sie riefen sich gegenseitig an, wenn es Dinge zu besprechen gab, die nichts mit der Arbeit zu tun hatten. Es war fast, als wären sie ein Paar; in fast jeder Hinsicht. Sie hatten bisher nie den letzten entscheidenden Schritt gewagt, um ihre Beziehung zu besiegeln. Sie hatten sich noch nicht einmal geküsst.

Warum will ich nicht, dass er es sagt?

Keri war gerne mit Ray zusammen und ein Teil von ihr wollte mehr von ihrer Beziehung. Sie fühlte sich ihm so nah, dass es beinahe komisch war, dass nichts zwischen ihnen passierte. Dennoch fürchtete sie sich vor dem nächsten Schritt, auch wenn sie den Grund dafür nicht in Worte fassen konnte. Jetzt spürte sie, dass Ray kurz davor war, diese unsichtbare Schwelle zu überschreiten.

„Kann ich dich etwas fragen?“, begann er, als er in Pershing Drive einbog. Diese Straße würde sie bis in die reiche Gegend von Playa del Rey bringen.

„Okay.“

Bitte tu es nicht. Das wird alles ruinieren.

„Du stehst mir so nahe, wie kein anderer auf dieser Welt“, sagte er sanft. „Und ich habe den Eindruck, dass es dir mit mir nicht anders geht. Habe ich recht?“

„Ja.“

Fahr doch etwas schneller, wir sind fast da. Ich muss aus diesem Auto raus.

„Aber wir haben nichts in diese Richtung unternommen“, sagte er.

„Wohl nicht“, murmelte sie unsicher.

„Ich möchte das gerne ändern.“

„M-hm.“

„Ich bitte dich hiermit ganz offiziell um ein Date, Keri. Ich will am Wochenende gerne mit dir ausgehen. Würdest du mit mir zu Abend essen?“

Sie antwortete nicht sofort. Als sie schließlich den Mund öffnete, um etwas zu sagen, war sie selbst nicht sicher, was es war.

„Besser nicht, Ray. Aber danke für die Einladung.“

Ray starrte geradeaus auf die Straße. Sein Mund stand ein bisschen offen, aber er sagte nichts.

Auch Keri war erstaunt von ihrer Antwort und kämpfte schweigend gegen den Drang an, aus dem fahrenden Auto zu springen.

KAPITEL ZWEI

Ohne noch ein Wort zu wechseln bogen sie von Pershing Drive in Rees Street ein und fuhren den steilen Hügel hinauf, bis sie Ridge Avenue erreichten. Keri sah den Transporter der Spurensicherung vor einem großen Haus stehen.

„Ich sehe die Spurensicherung“, sagte sie tumb, um endlich das Schweigen zu brechen.

Ray nickte und parkte den Wagen hinter dem Transporter. Sie stiegen aus und gingen zum Haus. Keri fummelte an ihrem Pistolengürtel herum, um Ray ein paar Meter Vorsprung zu geben. Sie spürte, dass er nicht in der Stimmung war, Seite an Seite mit ihr zu erscheinen.

Während sie hinter ihm ging, bestaunte sie wieder einmal, wie beeindruckend seine Statur war. Ray, ein einundvierzig Jahre alter Afro-Amerikaner, war über ein Meter neunzig groß, wog bestimmt 100 Kilo und hatte einen Glatzkopf. Früher hatte er als professioneller Boxer sein Geld verdient.

Er sah immer noch aus, als wäre er fit für den Ring, trotz aller Herausforderungen, denen er sich seit dem Ende seiner sportlichen Karriere stellen musste: das Ende seiner Ehe, das neue Leben mit einem Auge aus Glas, die Schussverletzung. Er war stark bemuskelt, aber nicht übergewichtig, und gleichzeitig überraschend galant für einen Mann seiner Größe. Kein Wunder, dass er so beliebt bei den Frauen war.

Ein paar Monate zuvor hätte sie sich vielleicht gewundert, warum er sich für sie interessierte. Aber in letzter Zeit hatte sie, obwohl sie fast sechsunddreißig war, wieder den jugendlichen Elan zurückgewonnen, der ihr auch früher schon Bewunderung vom anderen Geschlecht eingebracht hatte.

Sie würde nie ein Supermodel werden, aber seit sie wieder Kampfsport betrieb und nicht mehr so viel Alkohol trank, hatte sie fünf Kilo abgenommen und war wieder so fit, wie vor der Scheidung. Außerdem hatte sie keine dunklen Ringe mehr unter den Augen und hin und wieder trug sie ihr dunkelblondes Haar sogar offen, anstatt wie gewöhnlich in einem strengen Pferdeschwanz. Sie fühlte sich endlich wieder wohl in ihrer Haut. Warum hatte sie also Rays Einladung ausgeschlagen?

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt um persönliche Probleme zu wälzen. Konzentrier‘ dich lieber auf den Fall.

Also verdrängte sie alle irrelevanten Gedanken und sah sich aufmerksam um. Sie wollte sich einen Eindruck von der Welt der Raineys verschaffen, bevor sie die Ermittlungen aufnahm.

Playa del Rey war keine besonders große Nachbarschaft, aber die sozialen Differenzen waren gravierend. Keris Appartment befand sich beispielsweise direkt über einem chinesischen Restaurant, in einem Bezirk, in dem größtenteils Arbeiter lebten.

Das gleiche galt für die kleinen Wohnblocks bei Manchester Avenue. Aber je näher man dem Strand und dem Hügel kam, auf dem die Raineys wohnten, desto größer und pompöser wurden die Häuser, die fast alle Ausblick aufs Meer boten.

Das Haus, vor dem sie jetzt stand, war ziemlich beeindruckend, wenn auch nicht so mächtig wie einige Villen in der Gegend. Es strahlte jedoch eine familiäre Gemütlichkeit aus.

Das Gras im Vorgarten war ein bisschen zu lang, um ordentlich zu sein, und überall lagen Spielsachen verstreut, einschließlich einer blauen Plastik-Rutsche und einem umgeworfenen Dreirad. Der gepflasterte Weg zur Haustür war mit Kreide verziert, eindeutig das Werk des sechsjährigen Sohnes. Der Treppenabsatz an der Haustür wies die ausgefeilteren Kunstwerke eines Teenagers auf.

Ray klingelte und warf lieber einen Blick durch den Türspion als zu Keri. Sie spürte seinen Frust und seine Verwirrung und sie beschloss, sich zurückzuhalten. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, was sie sagen sollte.

Keri hörte, wie jemand zur Tür eilte und keine Sekunde später flog die Tür auf und eine Frau Ende dreißig erschien vor ihnen. Sie trug eine lange dunkle Hose und eine elegante Baumwollbluse. Sie hatte kurzes dunkles Haar und hatte ein sympathisches, offenes Gesicht. Ihre Augen waren gerötet und feucht von Tränen.

„Mrs. Rainey?“, fragte Keri in ruhigem Ton.

„Ja. Sind Sie die Detectives?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Ja“, entgegnete Keri. „Ich bin Keri Locke und das hier ist mein Partner, Ray Sands. Dürfen wie hereinkommen?“

„Natürlich. Bitte. Mein Mann Tim holt gerade ein paar Fotos von Jessi. Er wird gleich zu uns stoßen. Haben Sie schon etwas herausgefunden?“

„Noch nicht“, sagte Ray. „Aber wie ich sehe, ist das Team von der Spurensicherung bereits eingetroffen. Wo sind sie?“

„In der Garage. Sie untersuchen Jessis Sachen gerade auf Fingerabdrücke. Mir wurde gesagt, dass ich nichts anrühren soll. Aber ich konnte die Sachen doch nicht einfach auf der Straße liegen lassen. Wenn jemand sie mitgenommen hätte, hätten wir überhaupt keine Beweise mehr.“

Während sie sprach, wurde ihre Stimme immer höher und panischer. Keri sah ihr an, dass sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand.

„Ganz ruhig, Mrs. Rainey“, sagte sie. „Mögliche Abdrücke können immer noch sichergestellt werden und Sie können uns später zeigen, wo Sie den Rucksack und das Fahrrad gefunden haben.“

In diesem Moment hörten sie, dass jemand die Treppe herunterkam. Keri drehte sich um und sah einen Mann mit einem Stapel Fotos auf sich zukommen. Er war schlank und hatte wirres braunes Haar und eine Brille mit einem dünnen Silberrahmen. Tim Rainey trug ein Hemd und Khakis. Er sah genauso aus, wie Keri sich einen IT-Experten vorstellte.

„Tim“, sagte seine Frau, „das sind die Detectives, die uns helfen werden, Jessi wieder zu finden.“

„Danke, dass Sie sofort gekommen sind“, sagte er so leise, dass es fast geflüstert war.

Keri und Ray schüttelten ihm nacheinander die Hand und Keri bemerkte, dass die andere Hand, in der er die Fotos hielt, leicht zitterte. Seine Augen waren zwar nicht rot, aber er war unendlich blass und auf seiner Stirn zeichneten sich Sorgenfalten ab. Er wirkte völlig überwältigt von dem plötzlichen Stress.

Keri wusste genau, wie er sich jetzt fühlte.

„Vielleicht sollten wir Platz nehmen und Sie erzählen uns ganz genau, was sich heute ereignet hat“, sagte sie, als ihre Knie ebenfalls zu zittern begannen.

Carolyn Rainey führte sie ins Wohnzimmer, wo ihr Mann die Fotos auf den Tisch legte und sich schwer auf die Couch fallen ließ. Sie setzte sich neben ihn und legte ihre Hand auf sein Knie, das jetzt wild auf und ab wippte. Unter der Berührung beruhigte er sich sofort.

„Ich bin losgegangen um Jessi von der Schule abzuholen“, begann Carolyn, „ich gehe ihr jeden Tag entgegen und sie fährt mit dem Fahrrad, bis wir uns treffen. Den Rest gehen wir gemeinsam nach Hause. Wir treffen uns fast immer an der gleichen Stelle, einen Block hin oder her.“

Tim Raineys Knie begann wieder wild zu zittern und sie tätschelte es, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Sobald er sich entspannte, redete sie weiter.

„Als ich schon weit über die Hälfte zurückgelegt hatte, habe ich mir langsam Sorgen gemacht. Es ist erst zweimal vorgekommen, dass ich  ganz zur Schule gehen musste. Einmal hatte sie ein Textbuch in ihrem Spind vergessen und musste umkehren und einmal war ihr plötzlich schlecht geworden. Beide Male hat sie mich angerufen und Bescheid gesagt.“

„Wenn ich kurz unterbrechen darf“, sagt Ray, „geben Sie mir doch bitte ihre Handynummer. Wir können sie vielleicht tracken.“

„Daran habe ich auch schon gedacht. Ich habe sie also sofort angerufen, als ich ihre Sachen gefunden habe. Ihr Handy lag im gleichen Busch. In dem ich den Rucksack gefunden habe.“

„Haben Sie es hier?“, fragte Keri. „Vielleicht können wir noch verwertbare Daten darauf finden.“

„Die Spurensicherung hat es.“

„Sehr gut“, sagte Keri. „Wir werden es uns ansehen, sobald sie es freigeben. Darf ich Ihnen zunächst noch ein paar Fragen stellen?“

„Natürlich“, sagte Carolyn.

„Hatte Jessica in letzter Zeit mit irgendjemandem Schwierigkeiten? Vielleicht mit Freunden?“

„Nein. Aber sie hat sich plötzlich für einen anderen Jungen interessiert. Die Winterferien gingen vor kurzem zu Ende und sie sagte, dass die Ferien einiges verändert hätten. Da ihr erster Schwarm aber nie herausgefunden hat, dass sie in ihn verliebt war, glaube ich kaum, dass ihr Verschwinden etwas damit zu tun hat.“

„Es wäre dennoch hilfreich, wenn Sie uns die Namen der beiden Jungen aufschreiben könnten“, sagte Ray. „Hat sie ihnen je von besonderen Leuten innerhalb oder außerhalb der Schule erzählt?“

Die Raineys schüttelten gleichzeitig den Kopf.

„Darf ich?“, fragte Keri und deutete auf die Fotos.

Carolyn nickte. Keri nahm den Stapel in die Hand und begann, sich die Aufnahmen anzusehen. Die zwölfjährige Jessica Rainey sah ganz normal aus. Sie zeigte ein breites Lächeln und hatte die leuchtenden Augen ihrer Mutter und die wilden braunen Haare ihres Vaters.

„Wir werden jede mögliche Spur untersuchen“, versicherte Ray ihnen. „Aber bitte ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse. Es ist durchaus möglich, dass es sich nur um ein Missverständnis handelt. Seit über zwei Jahren gab es in dieser Gegend keine gemeldeten Fälle von Kindesentführung, wir sollten uns mit solchen Vermutungen also vorerst zurückhalten.“

„Das ist uns auch bewusst“, sagte Carolyn Rainey, „aber Jessi würde nicht einfach mit Freunden nach Hause gehen und ihre Sachen am Straßenrand liegen lassen. Und sie würde niemals freiwillig ihr Handy zurücklassen. Das passt einfach nicht zu ihr.“

Ray antwortete nichts darauf. Keri wusste, dass er das Gefühl hatte, eine andere Erklärung anbieten zu müssen. Normalerweise würde er auch nicht so schnell an eine Entführung glauben wie Keri. Aber jetzt schien selbst Ray keine Gründe zu finden, warum Jessica ihre Sachen einfach auf der Straße liegengelassen hätte.

„Können wir ein paar dieser Fotos mitnehmen?“, fragte Keri, um die unangenehme Stille zu überbrücken. „Wir würden sie gerne an ein paar Kollegen weitergeben.“

„Natürlich. Nehmen Sie alle mit, wenn Sie wollen“, sagte Carolyn.

„Nicht alle“, meldete Tim sich zu Wort und zog ein Foto aus dem Stapel. „Das hier würde ich gerne behalten, wenn Sie einverstanden sind.“

Auf dem Foto war Jessica mit Wanderstiefeln und einem viel zu großen Rucksack in einem Wald zu sehen. Ihr Gesicht zeigte eine Art Kriegsbemalung und um den Kopf hatte sie ein buntes Band gewickelt. Sie grinste fröhlich. Zur Identifikation war es eher ungeeignet, und Keri spürte, dass es ihrem Vater sehr wichtig war.

„Behalten Sie es. Wir haben, was wir brauchen“, sagte sie sanft, bevor sie wieder zur Sache kam. „Es gibt noch ein paar andere Dinge, die wir so schnell wie möglich von Ihnen brauchen. Schreiben Sie es sich besser auf. In solchen Situationen ist Zeit ein wichtiger Faktor. Leider werden wir nicht immer Rücksicht auf Ihre Gefühle nehmen können. Sind Sie bereit?“

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