Was sie hinterher mit ihm tun würden … darüber wollte er lieber nicht nachdenken.
Der Vernehmer schickte sich an, die Sensoren mit Klettband an zwei von Reids Fingern zu befestigen, eine Manschette um seinen linken Oberarm zu wickeln und zwei Kabel um seine Brust zu legen. Er setzte sich wieder, zog einen Bleistift aus seiner Tasche und steckte sich das Ende mit dem Radiergummi in den Mund.
„Sie wissen, was das ist“, sagte er schlicht. „Sie wissen, wie es funktioniert. Wenn Sie irgendetwas anderes sagen, als die Antworten auf meine Fragen, werden wir Ihnen wehtun. Haben Sie das verstanden?“
Reid nickte einmal. „Ja.“
Der Vernehmer legte einen Schalter um und drehte an den Reglern der Maschine. Der finster aussehende Brutalo stand hinter ihm, blockierte das Licht von der Verhörlampe und starrte Reid an.
Die dünnen Nadeln tanzten leicht auf der Rolle des weißen Papiers und hinterließen vier schwarze Spuren. Der Vernehmer markierte das Blatt mit einem Gekritzel und richtete dann seinen kalten Blick zurück auf Reid. „Welche Farbe hat mein Hut?“
„Weiß“, antwortete Reid ruhig.
„Welcher Spezies gehören Sie an?“
„Mensch.“ Der Vernehmer erstellte eine Basislinie für die nachfolgenden Fragen – für gewöhnlich vier bis fünf bekannte Wahrheiten, damit er danach potenzielle Lügen aufdecken konnte.
„In welcher Stadt wohnen Sie?“
„New York.“
„Wo befinden Sie sich jetzt?“
Reid spottete fast: „Auf einem … auf einem Stuhl. Ich weiß es nicht.“
Sein Vernehmer markierte das Papier wieder. „Wie lautet Ihr Name?“
Reid versuchte sein bestes, seine Stimme ruhig zu halten. „Reid. Lawson.“
Alle drei blickten auf die Maschine. Die Nadeln liefen ungestört weiter; es gab keine signifikanten Höhen oder Tiefen in den gekritzelten Linien.
„Was ist Ihr Beruf?“, fragte der Vernehmer.
„Ich bin ein Professor für europäische Geschichte an der Columbia Universität.“
„Wie lange sind Sie schon ein Universitätsprofessor?“
„Dreizehn Jahre“, antwortete Reid wahrheitsgemäß. „Ich war für fünf Jahre ein Assistenzprofessor und für weitere sechs Jahre ein außerordentlicher Professor in Virginia. Seit zwei Jahren bin ich Dozent in New York.“
„Waren Sie jemals in Teheran?“
„Nein.“
„Waren Sie jemals in Zagreb?“
„Nein!“
„Waren Sie jemals in Madrid?“
„N – ja. Einmal, ungefähr vor vier Jahren. Ich war dort zu einem Gipfeltreffen im Auftrag der Universität.“
Die Nadeln blieben ruhig.
„Sehen Sie es nicht?“ So sehr Reid auch brüllen wollte, er zwang sich ruhig zu bleiben. „Sie haben die falsche Person. Nach wem auch immer Sie suchen, ich bin es nicht.“
Die Nasenflügel des Vernehmers weiteten sich, aber sonst gab es keine Reaktion. Der Brutalo faltete seine Hände, seine Venen waren deutlich unter seiner Haut zu sehen.
„Haben Sie jemals einen Mann namens Scheich Mustafar getroffen?“, fragte der Vernehmer.
Reid schüttelte seinen Kopf. „Nein.“
„Er lügt!“ Ein großer dünner Mann kam in den Raum – einer der beiden anderen Männer, die ihn in seinem Haus angegriffen hatten, der gleiche, der ihn zuerst nach seinem Namen gefragt hatte. Er kam mit langen Schritten herein, sein feindlicher Blick war auf Reid gerichtet. „Diese Maschine kann überlistet werden. Wir wissen das.“
„Es würde irgendein Zeichen geben“, antwortete der Vernehmer ruhig. „Körpersprache, Schwitzen, Vitalwerte … alles hier deutet darauf hin, dass er die Wahrheit sagt.“ Reid kam nicht umhin zu denken, dass sie zu seinen Gunsten Englisch sprachen.
Der große Mann drehte sich weg und lief im Betonraum auf und ab, während er wütend etwas auf Arabisch murmelte. „Frage ihn nach Teheran.“
„Das habe ich“, antwortete der Vernehmer.
Der großgewachsene Mann drehte sich wütend zu Reid um. Reid hielt die Luft an und wartete darauf, wieder geschlagen zu werden.
Stattdessen ging der Mann weiter auf und ab. Er sagte kurz etwas auf Arabisch. Der Vernehmer antwortete. Der Brutalo starrte Reid an.
„Bitte!“, sagte er laut, um ihre Unterhaltung zu übertönen. „Ich bin nicht der, für den Sie mich halten. Ich habe keine Erinnerung an irgendetwas, was Sie mich fragen …“
Der großgewachsene Mann verstummte und riss plötzlich seine Augen weit auf. Er schlug sich fast selbst gegen die Stirn und sprach dann aufgeregt mit dem Vernehmer. Der passive Mann mit der Kufi strich sich übers Kinn.
„Möglich“, sagte er in Englisch. Er stand auf und nahm Reids Kopf zwischen seine beiden Hände.
„Was soll das? Was machen Sie da?“, fragte Reid. Die Fingerspitzen des Mannes suchten langsam seine Kopfhaut ab.
„Ruhe“, sagte der Mann schlicht. Er testete Reids Haaransatz, seinen Nacken, seine Ohren – „Ah!“, sagte er endlich. Er plapperte wieder auf Arabisch mit seinen Kollegen, die hinüberkamen und Reids Kopf gewalttätig auf eine Seite drückten.
Der Vernehmer ließ seinen Fingern über Reids linken Warzenfortsatz gleiten, der kleine Abschnitt des Schläfenbeins, direkt hinter dem Ohr. Dort gab es eine längliche Beule unter der Haut, kaum größer als ein Reiskorn.
Der Vernehmer bellte den großgewachsenen Mann an und der verschwand schnell aus dem Raum. Reids Hals schmerzte von dem seltsamen Winkel, in dem sie seinen Kopf festhielten.
„Was? Was ist los?“, fragte er.
„Diese Beule hier“, sagte der Vernehmer und ließ seinen Finger wieder darüber gleiten. „Was ist das?“
„Es ist … es ist ein Knochensplitter“, sagte Reid. „Ich habe ihn seit einem Autounfall in meinen Zwanzigern.“
Der großgewachsene Mann kam schnell wieder. Dieses Mal mit einem Plastiktablett. Er stellte es auf den Wagen neben den Lügendetektor. Trotz des gedämmten Lichts und dem merkwürdigen Winkel seines Kopfs konnte Reid klar sehen, was sich auf dem Tablett befand. Angst schnürte ihm die Kehle zu.
Auf dem Tablett lag eine Reihe scharfer, silberner Werkzeuge.
„Wofür sind die?“ Seine Stimme war panisch. Er wand sich in seinen Fesseln. „Was machen Sie da?“
Der Vernehmer gab eine kurze Anweisung an den Brutalo. Der trat vorwärts und das plötzlich grelle Licht der Verhörlampe ließ Reid fast erblinden.
„Warten Sie … Warten Sie!“, schrie er. „Sagen Sie mir einfach, was Sie wissen wollen.“
Der Brutalo griff Reids Kopf mit seinen großen Händen und hielt ihn fest, zwang ihn stillzuhalten. Der Vernehmer wählte ein Werkzeug – ein Skalpell mit dünnem Messer.
„Bitte nicht … Bitte nicht …“, Reids Atmung war kurz und keuchend. Er hyperventilierte fast.
„Schhh“, sagte der Vernehmer ruhig. „Sie werden stillhalten wollen. Ich möchte nicht gerne Ihr Ohr abschneiden. Zumindest nicht aus Versehen.“
Reid schrie, als das Messer die Haut hinter seinem Ohr aufschlitzte, aber der Brutalo hielt ihn ruhig. Jeder Muskel in seinen Gliedmaßen war angespannt.
Ein seltsamer Klang erreichte seine Ohren – eine sanfte Melodie. Der Vernehmer sang ein arabisches Lied, während er Reids Kopf aufschnitt.
Er ließ das blutige Skalpell auf das Tablett fallen, während Reid kurzatmig durch seine zusammengebissenen Zähne Luft holte. Dann griff der Vernehmer nach einer Nadelzange.
„Ich befürchte, das war nur der Anfang“, flüsterte er in Reids Ohr. „Der nächste Teil wird wirklich wehtun.“
Die Zange griff etwas in Reids Kopf – war es sein Knochen? – und der Vernehmer zog. Reid schrie mit Höllenqualen, als der unermessliche Schmerz durch sein Gehirn schoss und in den Nervenenden pulsierte. Seine Arme zitterten. Seine Füße traten gegen den Boden.
Der Schmerz wurde stärker und stärker, bis Reid dachte, er konnte auf keinen Fall mehr ertragen. Blut rauschte in seinen Ohren und seine eigenen Schreie klangen, als wären sie weit weg. Dann dimmte sich das Licht der Verhörlampe und alles um ihn wurde dunkel, als er langsam in die Bewusstlosigkeit sank.
KAPITEL DREI
Als Reid dreiundzwanzig Jahre alt gewesen war, war er in einen Autounfall verwickelt gewesen. Die Ampel war auf grün gesprungen und er war auf eine Kreuzung gefahren. Ein Lieferwagen fuhr über die rote Ampel und krachte in seine vordere Beifahrerseite. Sein Kopf wurde gegen das Fenster geschleudert. Er war für mehrere Minuten bewusstlos gewesen.
Seine einzige Verletzung war ein gebrochenes Schläfenbein in seinem Schädel. Es heilte gut; der einzige Beweis für den Unfall war eine kleine Beule hinter seinem Ohr. Der Arzt sagte ihm, es wäre ein Knochensplitter.
Die seltsame Sache bezüglich des Unfalls war, dass er, obwohl er sich an den Vorfall erinnern konnte, sich an keinerlei Schmerzen erinnerte – nicht, als es passierte und auch nicht hinterher.
Aber er konnte sie jetzt fühlen. Als er wieder zu Bewusstsein kam, war der kleine Knochen hinter seinem Ohr quälend schmerzhaft. Die Verhörlampe schien wieder in seine Augen. Er blinzelte und stöhnte leicht. Seinen Kopf auch nur ein wenig zu bewegen, verursachte erneute Schmerzen in seinem Hals.
Plötzlich hatte er so etwas wie einen Geistesblitz. Das helle Licht in seinen Augen war überhaupt nicht die Lampe.
Die Nachmittagssonne scheint heiß aus einem blauen wolkenlosen Himmel. Eine A-10 Warthog flog über seinen Kopf, steuerte nach rechts und verlor an Flughöhe über den flachen, grauen Dächern von Kandahār.
Die Erinnerung war nicht durchgängig. Sie kam in Stücken, wie mehrere Fotos in einer Sequenz nacheinander; so, als würde man jemanden beim Tanzen unter einer Blitzlampe beobachten.
Du stehst auf dem beigefarbenen Dach des teilweise zerstörten Hauses, ein Drittel davon ist in die Luft gegangen. Du bringst den Hinterschaft auf deine Schulter, siehst durch das Zielfernrohr und peilst auf einen Mann unten auf der Straße …
Reid zuckte mit seinem Kopf und stöhnte. Er war in dem Betonraum unter dem kritischen Blick der Verhörlampe. Seine Finger zitterten und seine Gliedmaßen fühlten sich kalt an. Schweiß tropfte seine Augenbrauen hinunter. Es war gut möglich, dass er in Schock verfiel. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass die linke Schulter seines Hemdes mit Blut vollgesaugt war.
„Knochensplitter“, sagte die gelassene Stimme des Vernehmers. Dann kicherte er höhnisch. Eine schlanke Hand erschien in Reids Sichtweite und griff nach der Nadelzange. In der Zange steckte etwas Winziges, etwas Silbernes, aber Reid konnte keine Details ausmachen. Sein Blick war verschwommen und der Raum leicht geneigt. „Wissen Sie, was das ist?“
Reid schüttelte langsam seinen Kopf.
„Ich muss zugeben, ich habe so etwas bisher auch nur einmal gesehen“, sagte der Vernehmer. „Ein Chip zur Erinnerungsunterdrückung. So etwas ist sehr nützlich für Menschen in Ihrer speziellen Situation.“ Er ließ die blutige Zange und das kleine silberne Korn auf das Plastiktablett fallen.
„Nein“, grunzte Reid. „Unmöglich.“ Das letzte Wort kam ein bisschen lauter, als nur ein Murmeln hervor. Erinnerungsunterdrückung? So etwas war Science-Fiction. Damit so etwas funktionierte, musste es das gesamte limbische System des Gehirns beeinflussen.
Die fünfte Etage des Ritz in Madrid. Du richtest deine schwarze Krawatte, bevor du die Tür mit einem kräftigen Tritt direkt über der Türklinke eintrittst. Der Mann im Raum wird überrascht; er springt auf seine Füße und greift nach einer Pistole auf seinem Schreibtisch. Aber bevor der Mann sie auf dich richten kann, greifst du nach der Waffenhand und drehst sie nach unten und weg. Die Kraft bricht das Handgelenk problemlos …
Reid schüttelte die verworrene Szene aus seinem Gehirn, als der Vernehmer erneut ihm gegenüber Platz nahm.
„Sie haben mir irgendetwas getan“, murmelte er.
„Ja“, stimmte der Vernehmer zu. „Wir haben Sie aus Ihrem mentalen Gefängnis befreit.“ Er lehnte sich mit einem knappen Schmunzeln vor und suchte in Reids Augen nach irgendetwas. „Sie erinnern sich. Es ist faszinierend, dabei zuzusehen. Sie sind verwirrt. Ihre Pupillen sind ungewöhnlich geweitet, trotz des Lichts. Was ist real ‚Professor Lawson‘?“
Der Scheich. Koste es, was es wolle.
„Wenn unsere Erinnerungen versagen …“
Letzter bekannter Ort: der Unterschlupf in Teheran.
„Wer sind wir?“
Eine Kugel klingt in jeder Sprache gleich … Wer hat das gesagt?
„Zu wem werden wir?“
Du hast das gesagt.
Reid fühlte, wie er wieder in die Leere fiel. Der Vernehmer ohrfeigte ihn zweimal und rüttelte ihn zurück in den Betonraum. „Jetzt können wir ernsthaft weitermachen. Ich frage Sie also noch mal. Wie … lautet … Ihr … Name?“
Du betrittst den Verhörraum allein. Der Verdächtige ist an einen schlaufenförmigen Bolzen am Tisch gekettet. Du greifst in deine Innentasche und ziehst eine in Leder eingebundene Ausweismarke heraus und öffnest sie …
„Reid. Lawson.“ Seine Stimme war unsicher. „Ich bin ein Professor … für europäische Geschichte …“
Der Vernehmer seufzte enttäuscht. Er signalisierte dem brutalen, finster aussehenden Mann mit einem Finger. Eine schwere Faust traf sein Gesicht. Ein Backenzahn flog mit einem Schwall frischen Bluts über den Fußboden.
Für einen Moment gab es keinen Schmerz; sein Gesicht war taub und pulsierte vom Einschlag. Dann kamen erneute nebulöse Höllenqualen über ihn.
„Nnggh...“ Er versuchte Worte zu formen, aber seine Lippen wollten sich nicht bewegen.
„Ich frage Sie noch einmal“, sagte der Vernehmer, „Teheran?“
Der Scheich versteckte sich in einem Unterschlupf, der als verlassene Textilfabrik getarnt war.
„Zagreb?“
Zwei iranische Männer wurden auf einem privaten Flugplatz festgenommen, als sie ein gechartertes Flugzeug nach Paris besteigen wollten.
„Madrid?“
Das Ritz, fünfte Etage: eine aktivierte Schläferzelle mit einer Kofferbombe. Mutmaßlicher Angriffsort: der Plaza de Cibeles.
„Scheich Mustafar?“
Er verhandelte im Tausch für sein Leben. Gab uns alles, was er wusste! Namen, Orte, Pläne. Aber er wusste nur so viel …
„Ich weiß, dass Sie sich erinnern“, sagte der Vernehmer. „Ihre Augen betrügen Sie … Null.“
Null. Ein Bild erschien in seinem Kopf: Ein Mann mit Fliegersonnenbrille und einer dunklen Motorradjacke. Er steht an einer Straßenecke in irgendeiner europäischen Stadt. Bewegt sich mit den Massen. Niemand bemerkt etwas. Niemand weiß, dass er hier ist.
Reid versuchte wieder, die Bilder aus seinem Kopf zu verjagen. Was passierte mit ihm? Die Bilder tanzten in seinem Kopf wie Stop-motion Sequenzen, aber er weigerte sich, sie als Erinnerungen anzuerkennen. Sie waren falsch. Implantiert, irgendwie. Er war ein Universitätsprofessor mit zwei Töchtern im Teenageralter und einem bescheidenen Haus in der Bronx …
„Erzählen Sie uns, was Sie über unsere Pläne wissen“, forderte der Vernehmer kategorisch.
Wir reden nicht. Niemals.
Die Worte hallten durch die Höhle seiner Gedanken, wieder und wieder. Wir reden nicht. Niemals.
„Das dauert zu lange!“, rief der großgewachsene iranische Mann. „Zwinge ihn.“
Der Vernehmer seufzte. Er griff nach dem Metallwagen – aber nicht, um den Lügendetektor einzuschalten. Stattdessen stoppten seine Finger über dem Plastiktablett. „Ich bin für gewöhnlich ein geduldiger Mann“, sagte er zu Reid. „Aber ich muss zugeben, die Frustration meines Kollegen ist irgendwie ansteckend.“ Er nahm das blutige Skalpell, das gleiche Werkzeug, das er benutzt hatte, um das kleine silberne Korn aus seinem Kopf zu schneiden und presste die Spitze des Messers leicht gegen Reids Jeans, ungefähr zehn Zentimeter über dem Knie. „Alles, was wir wissen wollen, ist, was Sie wissen. Namen. Daten. Mit wem Sie über das, was Sie wissen, gesprochen haben. Die Identität der anderen Agenten, mit denen Sie arbeiten.“