Kate sah die Waffen und sie sah, was sie brauchte: Gestelle aus Stahl. Dolche, Schwerter, Armbrüste, Jagdfallen. Mit nur ein paar von diesen Dingen konnte sie lernen Fallen zu stellen und auf dem Land zu leben.
“Mach das nicht”, sagte Sophia ihrem Blick folgend und legte eine Hand auf ihren Arm.
Kate zog sich vorsichtig von ihr los. “Komm mit”, sagte Kate bestimmt.
Sie sah, wie ihre Schwester den Kopf schüttelte. “Du weißt, dass ich das nicht kann. Das ist nichts für mich. Das bin ich nicht. Das ist nicht, was ich will, Kate.”
Und zu versuchen sich einer Reihe von vornehmen Leuten anzupassen, war nicht, was Kate wollte.
Sie konnte die Bestimmtheit ihrer Schwester fühlen, sie konnte ihre eigene fühlen und sie hatte plötzlich eine Ahnung, wo das hinführte. Das Wissen trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie warf ihre Arme um ihre Schwester, gerade als ihre Schwester sie ebenfalls umarmte.
“Ich will dich nicht alleine lassen”, sagte Kate.
“Ich will dich auch nicht alleine lassen”, erwiderte Sophia, “aber vielleicht müssen wir es jede auf eigene Weise versuchen, zumindest für eine kleine Weile. Du bist genauso stur wie ich und wir haben beide unseren Traum. Ich bin davon überzeugt, dass ich es schaffen kann und dann kann ich dir helfen.”
Kate lächelte.
“Und ich bin überzeugt, dass ich es schaffen kann und dann kann ich dir helfen.”
Kate konnte jetzt auch die Tränen in den Augen ihrer Schwester sehen, aber mehr noch konnte sie die Traurigkeit fühlen, die sie durch die Verbindung die sie teilten, spürte.
“Du hast recht”, sagte Sophia. “Du würdest nicht zum Hof passen und ich würde nicht in irgendeine Wildnis passen oder zu lernen, wie man kämpft. Vielleicht müssen wir das getrennt machen. Vielleicht sind unsere besten Überlebenschancen, wenn wir getrennt sind. Immerhin wenn eine von uns erwischt wird, kann der andere kommen und sie retten.”
Kate wollte Sophia sagen, dass sie falsch lag, aber in Wahrheit machte alles was sie sagte Sinn.
“Ich werde dich hinterher finden”, sagte Kate. “Ich will lernen, wie man kämpft und wie man auf dem Land lebt und ich werde dich finden. Dann wirst du das sehen und du kannst zu mir kommen.”
“Und ich werde dich finden, wenn ich am Hof erfolgreich war”, entgegnete Sophia mit einem Lächeln. “Du kannst zu mir in den Palast kommen und einen Prinzen heiraten und diese Stadt beherrschen.”
Sie lächelte beide, Tränen rollten über ihre Wangen.
Aber du wirst nie alleine sein, fügte Sophia hinzu, die Wörter klangen in Kates Kopf. Ich werde immer so nah wie ein Gedanke sein.
Kate hielt die Traurigkeit nicht länger aus und sie wusste, sie musste handeln, ehe sie ihre Meinung änderte.
Sie umarmte ihre Schwester ein letztes Mal, ließ sie los und rannte in die Richtung der Waffen.
Es war Zeit alles auf eine Karte zu setzen.
KAPITEL FÜNF
Sophia konnte die Entschlossenheit in sich brennen spüren, während sie quer durch Ashton lief, zum ummauerten Bezirk, wo der Palast lag. Sie eilte die Straßen herunter, wich Pferden aus und hüpfte gelegentlich hinten auf einen Wagen, wenn es aussah, als wenn er in die richtige Richtung fuhr.
Sogar dann brauchte es noch Zeit die Weite des Platzes zu überqueren, an den Wächtern vorbei, durch das Händlerviertel, Knotty Hill und die anderen Bezirke durch, einer nach dem anderen, Sie waren so fremd und voll mit Leben für sie, nach ihrer Zeit im Haus der Herrenlosen, dass Sophia sich wünschte, sie hätte mehr Zeit, diese zu entdecken. Sie fand sich selbst vor einem großen, kreisförmigen Theater stehend und wünschte sich, dass sie genug Zeit hätte, hineinzugehen.
Die gab es aber nicht, denn wenn sie den Maskenball heute Abend verpasste, war sie sich nicht sicher, wie sie den Platz am Hof finden sollte, den sie wollte. Ein Maskenball, das wusste sogar sie, fand nicht oft statt und das wäre ihre größte Chance sich hineinzuschleichen.
Sie machte sich Sorgen über Kate, als sie lief. Es fühlte sich merkwürdig an, nach so langer Zeit, einfach in verschiedene Richtungen zu gehen. Aber die Wahrheit war, dass sie verschiedene Dinge vom Leben wollten. Sophia würde sie finden, wenn dies hier zu Ende war. Wenn sie sich ein Leben unter den Reichen von Ashton eingerichtet hatte, würde sie Kate finden und alles in Ordnung bringen.
Die Tore zum ummauerten Bezirk, der den Palast hielt, lagen vor ihr. Wie Sophia erwartet hatte, waren sie für den Abend geöffnet und hinter ihnen konnte sie förmliche Gärten in gepflegten Reihen von Hecken und Rosen sehen. Es gab sogar große Stücke Gras, die kürzer geschnitten waren, als es Felder je sein könnten und das an sich, schien ein Zeichen von Luxus, wenn jeder andere in der Stadt, ein Stück Land neben seinem Haus hatte, dass er zum Anbau von Nahrungsmitteln benutzte.
Alle paar Schritte in den Gärten waren Laternen auf Stangen aufgestellt. Sie waren noch nicht angezündet, aber in der Nacht, würden sie den ganzen Ort in ein helles Licht verwandeln und die Leute würden so leicht auf dem Rasen tanzen, wie in einem der großen Räume im Palast.
Sophia konnte sehen, wie die Menschen hineingingen, einer nach dem anderen. Ein goldlivrierter Diener stand am Tor, zusammen mit zwei Wachmännern im hellsten blau, ihre Flinten in perfekter Parade Darstellung geschultert, während Reiche und ihre Diener vorbeischlenderten.
Sophia eilte zum Tor. Sie hoffte, dass sie sich selbst in der Menge die hineinging, verlieren konnte, aber als sie dort ankam, war sie die Einzige. Das bedeutete, dass der Diener ihr die volle Aufmerksamkeit gab. Er war ein älterer Mann mit einer gepuderten Perücke, die sich bis in den Nacken kräuselte. Er sah Sophia mit etwas an, dass Verachtung nahe kam.
“Und was willst du?”, fragte er, in einem Ton, der so erhoben war, dass es auch der eines Schauspielers hätte sein können, der einen Adligen spielte, anstatt den Diener von den echten Adligen.
“Ich bin wegen des Balls hier”, sagte Sophia. Sie wusste, sie könnte nie als vornehm durchgehen, aber es gab immer noch Dinge, die sie tun konnte. “Ich bin die Dienerin von –“
“Mach dich nicht lächerlich”, gab der Diener zurück. “Ich weiß genau, wer hier rein darf und wer nicht und niemand von denen würde sich von einer Dienerin wie dich begleiten lassen. Wir lassen keine Hafenhuren herein. So eine Party ist das nicht.”
“Ich weiß nicht, was Sie meinen”, versuchte Sophia, aber der finstere Blick, den sie erhielt, sagte ihr, dass sie nicht einmal nahe dran war, dass ihr Versuch funktionierte.
“Dann lasse es mich erklären”, sagte der Diener am Tor. Er schien das zu genießen. “Dein Kleid sieht aus, als wenn es von einer Fischersfrau wäre. Du stinkst, als wenn du gerade aus einer Grube kommst. Und deine Stimme, sie hört sich an, als wenn du nicht einmal das Wort Redekunst buchstabieren und erst recht nicht anwenden könntest. Jetzt geh, bevor ich dich wegjagen und für heute Abend abschließen muss.”
Sophia wollte nicht diskutieren, aber die Grausamkeit seiner Wörter schienen ihre alle gestohlen zu haben. Noch mehr, sie hatten ihren Traum gestohlen, so einfach, als wenn der Mann danach gegriffen und ihn aus der Luft genommen hätte. Sie drehte sich um und rannte weg und der schlimmste Teil war das Gelächter, das ihr den ganzen Weg die Straße herunter folgte.
Sophia blieb an einer weiteren Tür stehen, völlig erniedrigt. Sie hatte nicht erwartet, dass das einfach wäre, aber sie hatte erwartet, dass irgendjemand in der Stadt freundlich wäre. Sie dachte, dass sie in der Lage wäre, als Bedienstete durchzugehen, wenn sie schon nicht für eine vornehme Frau durchging.
Vielleicht war das ihr Fehler. Wenn sie versuchte sich selbst neu zu erfinden, sollte sie es dann nicht ganz machen? Vielleicht war es noch nicht zu spät. Sie konnte nicht als die Art von Dienerin durchgehen, die ihre Herrin zu einem Ball begleitete, aber als was könnte sie durchgehen? Sie könnte die Art sein, die sie schon fast gewesen war, als sie das Waisenhaus verlassen hatte. Die Art von Dienerin denen man die niedrigsten Jobs gab.
Das könnte funktionieren.
Der Bereich um den Palast war ein Ort von vornehmen Stadthäusern, aber auch von all den Dingen, die ihrer Besitzer von der Stadt erwarteten: Damenschneiderin, Juweliere, Badehäuser und vieles mehr. Alles Dinge, die Sophia sich nicht leisten konnte, aber alles Dinge, die sie vielleicht trotzdem erhalten könnte.
Sie begann mit der Damenschneiderin. Das war der schwerste Teil und vielleicht, wenn sie erst einmal das Kleid hatte, würde der Rest einfach werden. Sie betrat den Laden, in dem viel Betrieb war, keuchend, als wenn sie bald zusammenbrechen würde und hoffte auf das Beste.
“Was machst du hier?”, fragte eine staalhaarige Frau, und schaute mit einem Mund voll Nadeln hoch.
“Verzeihung …”, begann Sophie. “Meine Herrin … sie wird mich schlagen, wenn ihr Kleid noch später kommt … sie sagte … ich soll den ganzen Weg laufen.”
Sie konnte nicht als eine Bedienstete durchgehen, die ihre Herrin begleitete, aber sie konnte die Dienerin der Adligen sein, die für Botengänge in der letzten Minute losgeschickt wurde.
“Und der Name deiner Herrin?”, fragte die Damenschneiderin.
Ist das wirklich die Art von Dienerin, die Milady D’Angelica schicken würde? Vielleicht weil sie dieselbe Größe haben und sie wissen will, ob es passt?
Das Aufflackern von Sophias Talent kam unaufgefordert. Sie hatte mehr Sinn als Verstand.
“Milady D’Angelica”, sagte sie. “Verzeihen Sie, aber sie sagte, ich soll mich beeilen. Der Ball –“
“Der wird nicht vor ein oder zwei Stunden losgehen und ich bezweifle, dass deine Herrin nicht eher da sein will, ehe sie keinen großen Auftritt haben kann”, antwortete die Damenschneiderin. Ihr Ton war jetzt ein wenig schärfer, obwohl Sophia annahm, dass das nur an der Person lag, für die sie vorgab zu dienen.
Die andere Frau gab nach. “Warte hier.”
Sophia wartete, auch wenn es das Schwerste überhaupt in dem Moment war. Es gab ihr zumindest die Gelegenheit zuzuhören. Der Diener im Palast hatte recht gehabt: Menschen sprachen unterschiedlich, weit entfernt von dem ärmsten Teil der Stadt. Ihre Vokale waren mehr gerundet, die Spitze der Wörter mehr geschliffen. Eine der Frauen, die dort arbeitete, schien aus einem der Handelsstaaten zu kommen, ihr Akzent ließ ihr R rollen, als sie mit den anderen sprach.
Es dauerte nicht lange, bis die ursprüngliche Schneiderin mit einem Kostüm zurückkam und es Sophia zur Kontrolle anhielt. Es war das schönste Kleid, was Sophia je gesehen hatte. Es schimmerte Silber und blau und es schien zu glänzen, während es sich bewegte. Das Mieder war mit Silberfaden bearbeitet und sogar die Unterröcke schimmerten in Wellen, was wie eine Verschwendung aussah. Wer würde die sehen?
“Milady D’Angelica und du haben dieselbe Größe, ja?”, fragte die Schneiderin.
“Ja, Ma’am”, erwiderte Sophia. “Deswegen hat sie mich geschickt.”
“Dann hätte sie dich gleich zuerst schicken sollen, anstatt eine Liste an Maßen.”
“Ich werde es ihr ausrichten”, sagte Sophia.
Das ließ die Damenschneiderin blass vor Schreck zurückweichen, als wenn der schiere Gedanke daran schon ausreichte, um ihr einen Herzstillstand zu bescheren.
“Das ist nicht nötig. Es ist sehr nah dran, aber ich muss ein paar Sachen anpassen. Bist du sicher, dass du ihre Größe hast?”
Sophia nickte. “Bis auf den Zentimeter Ma’am. Sie gibt mir nur dass zu essen, was sie isst, sodass wir gleich bleiben.”
Das war ein ausgelassenes und dummes Detail, aber die Schneiderin schien es zu schlucken. Vielleicht war es die Art von Extravaganz, von der sie glaubte, dass eine Adlige sich dazu herablassen würde. Wie dem auch sei, sie machte die Anpassungen so schnell, dass Sophia es kaum glauben konnte, endlich übergab sie ihr ein Paket, das in gemustertem Papier eingepackt war.
„Die Rechnung geht auf Miladys Konto?“ fragte die Damenschneiderin. Es lag ein wenig Hoffnung da drin, als wenn Sophia ihr Geld übergeben würde, aber Sophia konnte nur nicken. „Natürlich, natürlich. Ich vertraue darauf, dass Milady D’Agelica zufrieden sein wird.“
“Ich bin sicher, dass sie das sein wird”, sagte Sophia. Sie rannte praktisch zur Tür.
Tatsächlich war sie sich sicher, dass die Adlige wütend sein würde, aber Sophia plante nicht, auf den Teil der Geschichte zu warten.
Sie musste noch in andere Läden gehen, um andere Pakete für ihre “Herrin”, “abzuholen.”
Bei einem Schuster holte sie Stiefel aus dem feinsten farblosesten Leder, mit geätzten Linien, die eine Szene aus dem Leben der namenslosen Göttin zeigen. In einer Parfümerie erwarb sie eine kleine Flasche, die roch, als wenn der Hersteller irgendwie die Essenz von allem Schönen in eine wunderbare Kombination zusammengefasst hatte.
“Das ist meine beste Arbeit”, sagte er. “Ich hoffe, Lady Beaufort hat Freude daran.”
Bei jedem Halt suchte sich Sophia eine neue Adelsfrau aus, der sie diente. Das war einfach praktisch: sie konnte nicht garantieren, dass Milady D’Angelica in jedem Laden der Stadt gewesen war. Bei einigen Läden nahm sie die Namen von den Gedanken des Eigentümers. Bei anderen, wenn ihr Talent nicht kam, musste sie das Gespräch aufrechterhalten, bis sie eine Vermutung hatte oder wie in einem Fall, bis sie einen Blick auf das Protokollbuch über der Ladentheke erhaschen konnte.
Je mehr sie stahl, umso einfacher schien es zu werden. Jedes vorherige Stück ihres gestohlenen Outfits, diente als eine Art Qualifikation für das Nächste, denn natürlich hätten die anderen Ladenbesitzer niemals Sachen an die falsche Person gegeben. Als sie an dem Laden ankam, wo sie Masken verkauften, presste der Ladenbesitzer ihr quasi seine Waren in die Hand, ehe sie durch die Tür war. Es war eine Halbmaske einer geschnitzten Ebenholzes Szene nach Szene der maskierten Göttin, die sich um die Gastfreundschaft bemüht und sich mit Federn an den Rändern und den Schmuckstücken um die Augen herum, hervorhob. Wahrscheinlich waren sie dazu gedacht, es so aussehen zu lassen, dass die Augen des Trägers im reflektierten Licht schienen.
Sophia fühlte ein wenig Schuldgefühl aufblitzen, als sie es nahm und es zu ihrer nicht unbeträchtlichen Menge an Päckchen an ihren Armen hinzufügte. Sie stahl von so vielen Menschen, sie nahm Dinge, an denen die Hersteller gearbeitet und wofür andere gezahlt hatten. Oder wofür sie zahlen würden oder noch nicht gezahlt hatten. Sophia hatte noch nicht ganz herausgefunden, wie die Adligen Dinge kauften, ohne richtig dafür zu bezahlen.
Es war nur ein kurzes Schuldgefühl, denn diese Damen hatten so viel im Vergleich zu den Waisen im Haus der Herrenlosen. Alleine die Juwelen auf dieser Maske hätten ihre Leben verändert.
Jetzt erst mal musste Sophia sich umziehen, sie konnte nicht so dreckig von ihrer Nacht am Fluss auf eine Party gehen. Sie lief um das Badehaus herum, wartete, bis sie einen Eingang fand, an dem Kutschen an der Tür standen und der getrennte Baderäume für die Damen anzeigte. Sie hatte keine Münzen zur Bezahlung, aber sie ging trotzdem zur Tür und ignorierte den Blick, den der große, muskuläre Eigentümer ihr zuwarf.
“Meine Mistress ist drinnen”, sagte sie. “Sie hat mir befohlen, alles hier herzubringen, sobald sie mit dem Baden fertig ist oder es gibt Ärger.”
Er schaute sie von oben bis unten an. Wieder schienen die Pakete in Sophias Hände wie eine Eintrittskarte zu wirken. “Dann gehst du lieber rein, oder? Die Umkleiden sind links.”
Sophia ging hinein, legte ihre gestohlenen Preise in einen Raum, der voll von heißem Dampf von den Bädern war. Frauen kamen und gingen, sie trugen umwickelte Handtücher, die dazu dienten, sie zu trocknen. Keine von ihnen sah Sophia zweimal an.