Bronson schwang sein Schwert herum, und selbst mit nur einer Hand war er so geschickt und hatte so viel Kraft, dass er dem Krieger sein Schwert durchs Herz rammte und ihn auf der Stelle tötete.
Luanda konnte es kaum glauben. Bronson hatte zum wiederholten Male ihr Leben gerettet. Sie fühlte sich tief in seiner Schuld, und eine überwältigende Welle der Zuneigung für ihn überrollte sie. Vielleicht war er tatsächlich stärker, als sie gedacht hatte.
Schreie erhoben sich auf beiden Seiten des Festsaals als sich McClouds und MacGils aufeinander stürzten um einander zu töten. Alle Masken der vorgespiegelten Höflichkeit fielen, die sie während der Hochzeitsfeierlichkeiten am Tag und des Banketts mühsam aufrechterhalten hatten. Es herrschte offener Krieg: Ein Krieger gegen den anderen, aufgeheizt durch Alkohol, angefacht durch Wut, von der Schande, dass die McClouds versucht hatten die Ehre der Braut zu verletzen.
Die Männer sprangen über den massiven Holztisch, im Bestreben, sich gegenseitig zu töten. Sie stachen wütend aufeinander ein, schlugen einander ins Gesicht, rangen miteinander, warfen Speisen und Wein vom Tisch. Der Saal war so beengt und voller Menschen, dass sie beinahe Schulter an Schulter kämpften. Sie stöhnten und schrien während der Saal in ein heilloses, blutiges Chaos verfiel.
Luanda versuchte, die Fassung wiederzugewinnen. Die Kämpfe waren so plötzlich und intensiv ausgebrochen, die Männer so voller Blutdurst, so konzentriert darauf, einander zu töten, dass sie die einzige war, die sich umsah und beobachtete, was um sie herum geschah. Sie betrachtete alles wie aus einer entrückten Perspektive aus. Sie war die einzige, die bemerkte, wie die einige McClouds langsam eine Türe nach der anderen verbarrikadierten sich dabei hinaus schlichen.
Luandas Nackenhaare stellten sich auf, als sie plötzlich erkannte, was geschah. Die McClouds schlossen alle im Saal ein – und flohen aus ganz bestimmtem Grund. Sie sah zu, wie sie die Fackeln von den Wänden nahmen, und riss in Panik ihre Augen auf. Mit Schrecken erkannte sie, dass die McClouds den Saal, und mit ihm alle, die darin gefangen waren, abbrennen wollten – selbst ihre eigenen Clansmitglieder.
Luanda hätte es wissen müssen. Die McClouds waren skrupellos, und bereit, alles zu tun, um zu siegen.
Luanda sah sich um, und bemerkte, dass eine Türe noch nicht verschlossen war.
Sie bahnte sich mit den Ellenbogen den Weg und rannte zur einzigen verbliebenen Türe. Sie sah, dass ein McCloud ebenfalls auf die Türe auf der anderen Seite des Raumes zu stürmte, und sie rannte schneller bis ihre Lungen fast barsten, fest entschlossen, ihm zuvorzukommen.
Der McCloud hatte Luanda nicht kommen sehen, als er an der Tür ankam, und griff den dicken, hölzernen Riegel, um sie zu verbarrikadieren. Doch Luanda stürzte sich von der Seite auf ihn, riss ihren Dolch hoch und rammte ihn ihm in den Rücken.
Der McCloud schrie auf, bäumte sich auf, und fiel zu Boden.
Luanda nahm den Riegel, riss ihn von der Tür, warf sie weit auf und rannte nach draußen.
Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit draußen gewöhnt hatten, sah sich Luanda um und sah, wie sich McClouds mit Fackeln draußen vor dem Saal aufgestellt hatten und ihn in Brand setzten wollten. Luanda wurde von wilder Panik übermannt. Das durfte sie nicht zulassen.
Sie fuhr herum, rannte zurück in den Saal, griff Bronson und zog ihn zur Seite.
„Die McClouds!“, schrie sie eindringlich. „Sie wollen den Saal niederbrennen! Hilf mir alle rauszuholen! Mach schnell!“
Bronson verstand und riss seine Augen vor Angst weit auf, und ohne zu zögern rannte er zu den Anführern der MacGils hinüber, riss sie aus dem Kampfgeschehen, schrie ihnen zu, was draußen vor sich ging und gestikulierte in Richtung der Tür. Mit Schrecken in den Augen erkannten auch sie, was vor sich ging und brüllten ihren Männern Befehle zu.
Sehr zu Luandas Zufriedenheit beobachtete sie, wie sich die MacGils plötzlich vom Kampfgeschehen lösten und auf die rettende Tür zu rannten.
Während sie die Flucht organisierten, verloren Luanda und Bronson keine Zeit. Mit Schrecken sah sie, dass ein weiterer McCloud darauf zustürmte, den Riegel aufhob, und versuchte abermals, die Tür zu verriegeln. Sie war sich sicher, dass sie ihn diesmal nicht rechtzeitig erreichen konnte.
Diesmal reagierte Bronson; er riss sein Schwert hoch über seinen Kopf, holte aus und warf es. Es flog in hohem Bogen durch die Luft bis es schließlich im Rücken des McCloud steckenblieb. Der Krieger schrie auf und ging zu Boden, während Bronson zur Tür stürzte und sie gerade noch rechtzeitig weit aufriss.
Dutzende von MacGils stürmten durch die geöffnete Tür, dicht gefolgt von Luanda on Bronson, die gewartet hatten, bis auch der letzte MacGil den Saal verlassen hatte. Die McClouds im Saal sahen sich irritiert um, weshalb ihre Feinde so plötzlich den Rückzug angetreten hatten.
Als schließlich alle MacGils den Saal verlassen hatten, schlug Luanda die Tür zu, hob gemeinsam mit einigen anderen den Riegel auf und verbarrikadierte die Tür von außen, sodass kein McCloud ihnen folgen konnte.
Die McClouds draußen begannen zu bemerken, was vor sich ging, ließen ihre Fackeln fallen, zogen stattdessen ihre Schwerter und wollten sich auf die McClouds stürzen.
Doch Bronson und die anderen ließen ihnen keine Zeit. Sie griffen die McClouds, die um das Gebäude herum standen an, und töten die meisten von ihnen, während sie noch versuchten, ihre Waffen zu ziehen. Die meisten der McClouds waren noch immer im Inneren des Saals und die wenigen Dutzend draußen konnten sich nicht der Welle der wütenden MacGils erwehren, die sie schnell und brutal töteten.
Luanda stand mit Bronson an ihrer Seite neben den MacGils. Alle atmeten schwer, doch waren überglücklich, am Leben zu sein.
Während sie dastanden, begannen die McClouds drinnen, die Türen zu rammen, im Versuch ihrerseits nach draußen zu entkommen. Die MacGils wandten sich um, unsicher was zu tun war, und sahen Bronson an.
„Du musst diese Rebellion ein für alle Mal beenden“, stellte Luanda nachdrücklich fest. „Du musst ihnen mit der gleichen Brutalität begegnen, die sie dir angedeihen lassen wollten.“
Bronson sah sie zögernd an, und sie konnte die Unsicherheit in seinen Augen sehen.
„Ihr Plan ist nicht aufgegangen“, sagte er. „Sie sind im Saal gefangen. Wir werden sie unter Arrest stellen.“
Luanda schüttelte entschlossen den Kopf.
„Nein!“ schrie sie. „Diese Männer hier sehen zu dir auf. Sie brauchen einen Anführer. Das ist der grausame Teil der Welt. Wir sind nicht in King’s Court. Hier regiert die Brutalität. Nur mit Gewalt gewinnst du Respekt. Diese Männer da drin dürfen nicht am Leben bleiben. Wir müssen ein Exempel statuieren!“
Bronson sträubte sich entsetzt.
„Was sagst du da?“, fragte er. „Dass wir sie bei lebendigem Leib verbrennen sollen? Dass wir sie mit derselben Gewalt behandeln sollen, die sie sonst gegen uns gerichtet hätten?“
Luanda knirschte mit den Zähnen.
„Wenn du es nicht tust, merk dir meine Worte: Diese Männer werden eines Tages dich töten.“
Die MacGils sammelten sich um sie herum und hörten die Diskussion mit an. Luanda kochte vor Frustration. Sie liebte Bronson – schließlich war er es gewesen, der ihr Leben gerettet hatte. Und doch hasste sie, wie schwach, wie naiv er doch sein konnte.
Luanda hatte genug von Männern, die beim Regieren falsche Entscheidungen fällten. Sie sehnte sich danach, selbst zu regieren. Sie wusste, dass sie besser als jeder einzelne von ihnen war. Sie wusste, dass manchmal eine Frau die Welt der Männer beherrschen musste.
Luanda, die ihr ganzes Leben lang an den Rand gedrängt worden war, hatte das Gefühl, dass sie nicht mehr einfach nur zusehen konnte. Schließlich waren diese Männer hier nur dank ihr überhaupt am Leben. Sie war die Tochter eines Königs – und noch dazu die Erstgeborene.
Bronson stand zögernd da und starrte sie an, und Luanda konnte sehen, dass er nicht die Initiative ergreifen würde.
Sie konnte es nicht länger ertragen. Luanda schrie frustriert auf, stürmte los, riss einem der Männer die Fackel aus der Hand, und während alle anderen Männer ihr in fassungsloser Stille zusahen, stürmte sie an ihnen vorbei und warf die Fackel.
Die Fackel erhellte die Nacht während sie durch die Luft flog und auf dem strohgedeckten Dach des Festsaals landete.
Zufrieden sah Luanda zu, wie sich die Flammen auszubreiten begannen.
Die MacGils um sie herum jubelten auf und folgten ihrem Beispiel. Jeder von ihnen nahm eine Fackel und warf sie, und bald loderten die Flammen aus dem Dach und erhellten die Nacht. Bald stand der ganze Saal in Brand und die Hitze versengte ihre Gesichter.
Die Schreie der McClouds, die im Inneren gefangen waren, hallten durch die Nacht, und während Bronson zurückwich stand Luanda mit in die Hüften gestemmten Händen da: kalt, hart, erbarmungslos, und genoss jeden einzelnen Schrei.
Sie wandte sich Bronson zu, der mit im Schock weit geöffnetem Mund dastand.
„Das“, sagte sie trotzig, „nennt man regieren!“
KAPITEL DREI
Reece lief Seite an Seite neben Stara her, immer wieder berührten sich wie zufällig ihre Hände, doch sie gingen nicht Hand in Hand. Sie liefen durch die endlosen, bunten Blumenwiesen hoch oben in den Bergen, von wo aus man einen wunderschönen Ausblick über die Oberen Inseln hatte. Sie wanderten stumm. Reece wurde von widersprüchlichen Gefühlen überwältigt und wusste nicht, was er sagen sollte.
Reece dachte an jenen schicksalhaften Augenblick zurück, als sich ihre Blicke am Bergsee gekreuzt hatten. Er hatte seine Entourage fortgeschickt – er brauchte Zeit allein mit ihr. Sie hatten die beiden nur widerwillig allein gelassen – besonders Matus, der ihre Geschichte nur zu gut kannte, doch Reece hatte darauf bestanden. Stara war wie ein Magnet, der Reece anzog, und er wollte niemand anderen um sich haben. Er brauchte Zeit, um mit ihr zu sprechen, zu verstehen, warum sie ihn mit demselben liebevollen Blick ansah, den auch er für sie hatte; zu verstehen, ob all das real war, und was mit ihnen geschah.
Reeces Herz pochte, während sie weiterliefen, und er war nicht sicher, was er als nächstes tun oder sagen sollte. Sein Verstand schrie ihn an, sich umzudrehen und davonzulaufen, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Stara zu bringen, das nächste Schiff zurück zum Festland zu nehmen, und nie wieder an sie zu denken. Er sollte nach Hause zurückkehren, wo seine künftige Gemahlin treu auf ihn wartete. Schließlich liebte Selese ihn, und er liebte sie. Und ihre Hochzeit war nur noch wenige Tage entfernt.
Reece wusste, dass dies die kluge Entscheidung gewesen wäre. Die richtige Entscheidung.
Doch sein Verstand wurde überwältigt von einer Welle von Gefühlen, von einer Leidenschaft, die er nicht beeinflussen konnte, die sich der Kontrolle seines rationalen Verstandes widersetzte. Die Leidenschaft zwang ihn, an Staras Seite zu bleiben, mit ihr durch diese Felder zu wandern. Es war der unkontrollierbare Teil seiner selbst, den er nie verstanden hatte, der ihn sein ganzes Leben lang angetrieben hatte, überstürzte Entscheidungen zu treffen und seinem Herzen zu folgen. Er hatte ihn nicht immer die besten Entscheidungen treffen lassen. Doch Reeces leidenschaftliche Seite war stark, und er konnte sie nicht immer kontrollieren.
Während er neben Stara her ging, fragte er sich, ob sie genauso fühlte wie er. Die Rückseite ihrer Hand streifte immer wieder seine, und er glaubte, ein leises Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Doch er konnte sie schlecht lesen – das war schon immer so gewesen. Das erste Mal, als er ihr begegnet war – sie waren noch kleine Kinder gewesen – war er wie vom Donner gerührt dagestanden und hatte tagelang an nichts anderes mehr denken können.
Da war etwas in ihren fast durchscheinenden Augen, etwas in ihrer Haltung, so stolz und edel, wie ein Wolf, der ihn ansah, das hypnotisierend auf ihn wirkte.
Als Kinder hatten sie gewusst, dass eine Beziehung unter Verwandten verboten war. Doch das hatte ihnen nie wirklich etwas ausgemacht. Zwischen Ihnen gab es etwas, etwas, das so stark war, zu stark, das sie gegenseitig anzog, egal, was die Welt darüber dachte. Sie hatten als Kinder zusammen gespielt, waren sofort beste Freunde geworden und hatten ihre Gegenwart der ihrer anderen Cousins und Cousinen bevorzugt. Wann immer er die Oberen Inseln besuchte, verbrachte er jeden Augenblick mit ihre; sie hatte seine Gefühle erwidert und hatte schon Tage vor seiner Ankunft am Ufer auf sein Schiff gewartet.
Zuerst waren sie nur gute Freunde gewesen. Doch als sie älter wurden, hatte sich in einer schicksalhaften Nacht alles geändert. Obwohl es verboten war, war ihre Freundschaft zu etwas Stärkerem geworden, und keiner von ihnen war in der Lage gewesen, zu widerstehen.
Reece hatte die Oberen Inseln zwar wieder verlassen, war jedoch stets in seinen Träumen bei ihr, abgelenkt bis zur Schwermut und monatelang von Schlaflosigkeit geplagt. Jede Nacht, wenn er sich zum Schlafen hinlegte, sah er ihr Gesicht und wünschte sich, dass weder der Ozean noch die Familie zwischen ihnen stehen würden.
Reece wusste, dass sie das gleiche spürte; er hatte zahllose Briefe von ihr erhalten, in der sie ihre Liebe zu ihm in Worte gefasst, zu ihm über das Meer gebracht von einem Heer von Falken. Er hatte zurückgeschrieben, doch seine Worte waren nicht so geschliffen gewesen wie ihre.
Der Tag, an dem es zum Bruch zwischen ihren Familien gekommen war, war einer der schlimmsten Tage in Reeces Leben gewesen. Es war der Tag, an dem Tirus ältester Sohn gestorben war, vergiftet mit dem Gift, das Tirus für Reeces Vater vorgesehen hatte. Doch trotzdem hatte Tirus König MacGil die Schuld gegeben. Das bedeutete den endgültigen Bruch und brach Reeces – und Staras – Herz. Sein Vater war genauso mächtig wie Staras, und beide hatten ihnen verboten, mit den anderen MacGils zu kommunizieren. Sie waren nie wieder auf die Oberen Inseln gereist, und Reece hatte nächtelang gelitten, wachgelegen, geträumt und gehofft, dass er Stara wiedersehen könnte. Von ihren Briefen wusste er, dass sie genauso fühlte.
Doch eines Tages kamen keine Briefe mehr. Reece hatte den Verdacht, dass sie irgendwie abgefangen worden waren, doch er wusste es nie sicher. Er hatte den Verdacht, dass seine Briefe sie auch nicht mehr erreichten. Nach einer Weile musste Reece die schmerzvolle Entscheidung treffen, die Gedanken an sie aus seinem Herzen zu verdrängen.
Die Erinnerung an Staras Gesicht flackerte zu den seltsamsten Zeiten auf, und er hatte nie aufgehört sich zu fragen, was aus ihm geworden war. Dachte sie auch immer noch an ihn? Hatte sie einen anderen geheiratet?
Sie heute wiederzusehen, hatte alles zurückgebracht. Reece erkannte, wie sehr die Wunde in seinem Herzen noch immer brannte, gerade so, als hätte er sie gerade eben erst verlassen. Sie war älter, weiblicher, eine noch schönere Version ihrer selbst, wenn das überhaupt möglich war. Sie war eine Frau. Und ihr Blick war noch hypnotisierender, als er es zuvor gewesen war. In ihrem Blick sah Reece ihre Liebe und er fühlte sich besser zu wissen, dass auch sie noch dieselben Gefühle für ihn empfand wie er für sie.