Vergöttert - Морган Райс 3 стр.


Eigentlich hatte sie die Nase voll von Schule. Streng genommen würde es nur noch wenige Monate bis zu ihrem Schulabschluss dauern, aber sie hatte das Gefühl, als hätte sie in den letzten Tagen mehr gelernt, als sie je in einem Klassenraum lernen könnte. Im Vergleich dazu spielten ein paar weitere Monate Unterricht und ein offizielles Diplom keine Rolle. Sie lernte sehr gerne, aber sie hätte auch kein Problem damit, nicht mehr zur Schule zu gehen.

Als sie den Flur entlanggingen, hielt Caitlin nach vertrauten Gesichtern Ausschau. Sie begegneten hauptsächlich Zehntklässlern und Elftklässlern, aber sie entdeckte niemanden aus ihrer zwölften Klasse. Überrascht registrierte sie die Reaktion der Mädchen, an denen sie vorbeigingen. Jede Einzelne starrte Caleb buchstäblich an. Keine einzige Schülerin versuchte, ihr Interesse zu verbergen; sie waren nicht in der Lage, den Blick abzuwenden. Es war unglaublich. Sie kam sich vor, als würde sie in Begleitung von Justin Bieber durch die Schule spazieren.

Caitlin drehte sich um und sah, dass alle Mädchen stehen geblieben waren und immer noch starrten. Einige flüsterten untereinander.

Sie warf Caleb einen Blick zu und fragte sich, ob ihm das aufgefallen war. Falls ja, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken.

»Caitlin?«, sagte jemand mit verblüffter Stimme.

Caitlins Blick fiel auf Luisa, eines der Mädchen, mit denen sie vor ihrem Umzug befreundet gewesen war.

»Oh mein Gott!«, fügte Luisa aufgeregt hinzu und breitete die Arme aus. Bevor Caitlin reagieren konnte, umarmte Luisa sie bereits. Caitlin erwiderte die freudige Begrüßung. Wie schön, ein vertrautes Gesicht zu sehen.

»Was ist passiert?«, fragte Luisa leicht hektisch. Das war typisch für sie. Ihr schwacher spanischer Akzent kam durch, da sie erst vor wenigen Jahren von Puerto Rico hergezogen war. »Ich bin ganz durcheinander! Ich dachte, du wärst weggezogen? Ich habe dir gesimst und Nachrichten über Facebook geschickt, aber du hast nicht geantwortet …«

»Es tut mir so leid«, antwortete Caitlin. »Ich habe mein Handy verloren, und ich hatte keine Gelegenheit, an einen Computer zu gehen, und …«

Luisa hörte nicht zu. Gerade hatte sie Caleb bemerkt und starrte ihn wie hypnotisiert an. Ihr klappte förmlich die Kinnlade herunter.

»Wer ist dein Freund?«, fragte sie schließlich leise. Caitlin lächelte. Sie hatte ihre Freundin noch nie so fassungslos erlebt.

»Luisa, das ist Caleb«, stellte Caitlin vor.

»Es ist mir ein Vergnügen«, sagte Caleb, lächelte sie an und streckte die Hand aus.

Luisa konnte den Blick nicht von ihm lösen. Langsam hob sie die Hand. Sie war wie betäubt und offensichtlich nicht in der Lage zu sprechen. Dann warf sie Caitlin einen ungläubigen Blick zu – sie konnte nicht verstehen, wie diese sich so einen Typen geschnappt hatte. Sie betrachtete ihre Freundin mit anderen Augen, fast als wüsste sie nicht, wer sie war.

»Ähm …«, stammelte Luisa mit weit aufgerissenen Augen, »… ähm … wie … wo … habt ihr euch denn kennengelernt?«

Caitlin spielte ganz kurz mit dem Gedanken, Luisa alles zu erzählen. Dann musste sie innerlich lächeln. Es würde nicht funktionieren.

»Wir sind uns … nach einem Konzert begegnet«, sagte sie stattdessen.

Das entsprach zumindest teilweise der Wahrheit.

»Oh mein Gott, was für ein Konzert? In New York? Von den Black Eyed Peas!?«, rief Luisa aufgeregt. »Ich bin ja so neidisch! Die möchte ich unbedingt mal auf der Bühne sehen!«

Caitlin lächelte bei dem Gedanken an Caleb auf einem Rockkonzert. Irgendwie konnte sie sich ihn dort nicht vorstellen.

»Ähm … nicht direkt«, antwortete sie. »Luisa, hör zu, tut mir leid, dass ich dich unterbrechen muss, aber ich habe nicht viel Zeit. Ich bin auf der Suche nach Sam. Hast du ihn vielleicht gesehen?«

»Klar. Alle haben ihn gesehen. Er ist letzte Woche zurückgekommen. Er sah merkwürdig aus. Ich habe ihn gefragt, wo du bist und was mit ihm los ist, aber er wollte mir nichts erzählen. Wahrscheinlich pennt er draußen in dieser leeren Scheune, die er so liebt.«

»Nein, da ist er nicht«, erwiderte Caitlin. »Wir kommen gerade von dort.«

»Wirklich? Tut mir leid, dann weiß ich es nicht. Er ist ja erst in der zehnten Klasse, deshalb haben wir nicht viel miteinander zu tun. Hast du es schon über Facebook versucht? Er ist doch ständig online.«

»Ich habe mein Handy nicht …«, begann Caitlin.

»Nimm meins«, fiel Luisa ihr ins Wort. Bevor Caitlin ihren Satz beenden konnte, hatte Luisa ihr schon ihr Handy in die Hand gedrückt. »Facebook ist schon offen. Logg dich ein und schick ihm eine Nachricht.«

Natürlich, dachte Caitlin. Warum ist mir das nicht selbst eingefallen?

Caitlin loggte sich ein, tippte Sams Namen in das Suchfeld, rief sein Profil auf und klickte auf Nachricht. Sie zögerte kurz und überlegte, was sie schreiben sollte. Dann tippte sie ein: Sam, ich bin’s. Ich bin in der Scheune. Komm dorthin. So bald wie möglich.

Sie drückte auf Senden und gab Luisa das Handy zurück.

Hinter ihnen entstand ein kleiner Tumult, und Caitlin drehte sich um.

Eine Gruppe der beliebtesten, älteren Mädchen kam direkt auf sie zu. Sie flüsterten und starrten Caleb an.

Zum ersten Mal stieg ein neues Gefühl in Caitlin auf. Eifersucht. Sie las in den Augen dieser Mädchen, die ihr zuvor nie Beachtung geschenkt hatten, dass sie ihr Caleb nur zu gerne wegschnappen würden. Diese Mädchen konnten jeden Jungen haben, den sie nur wollten. Es spielte keine Rolle, ob er eine Freundin hatte oder nicht. Man konnte bloß hoffen, dass sie kein Auge auf den eigenen Freund warfen.

Und jetzt hatten sie Caleb ins Visier genommen.

Caitlin hoffte und betete, dass Caleb immun gegen ihre Macht war. Und dass er Caitlin nach wie vor mochte. Aber wenn sie es sich recht überlegte, konnte sie es sich nicht vorstellen. Sie war so durchschnittlich. Warum sollte er bei ihr bleiben, wenn Mädchen wie diese ihn unbedingt für sich haben wollten?

Caitlin betete, dass sie einfach vorbeigehen würden. Nur dieses eine Mal.

Aber natürlich taten sie das nicht. Ihr Herz hämmerte, als die Gruppe direkt bei ihnen stehen blieb.

»Hi, Caitlin«, sagte eine mit vorgetäuschter Freundlichkeit.

Tiffany. Groß, glattes blondes Haar, blaue Augen und spindeldürr. Sie war von Kopf bis Fuß mit Designerklamotten ausstaffiert. »Wer ist denn dein Freund?«

Caitlin wusste nicht, was sie antworten sollte. Tiffany und ihre Freundinnen hatten sie bisher immer links liegen lassen und ihr nicht einmal einen Blick gegönnt. Jetzt war Caitlin ganz überrascht, dass sie überhaupt ihren Namen kannten. Und offensichtlich wollten sie ein Gespräch beginnen. Caitlin wusste natürlich, dass das nichts mit ihr zu tun hatte. Sie wollten Caleb. So sehr, dass sie sich sogar dazu herabließen, mit ihr zu sprechen.

Das verhieß nichts Gutes.

Caleb musste ihr Unbehagen gespürt haben, denn er trat einen Schritt näher und legte ihr den Arm um die Schulter.

Noch nie in ihrem Leben war Caitlin für etwas dankbarer gewesen als für diese Geste.

Mit neu entdecktem Selbstvertrauen schaffte Caitlin es, ihnen zu antworten. »Das ist Caleb.«

»Was macht ihr denn hier?«, fragte ein anderes Mädchen. Bunny. Sie war eine Kopie von Tiffany, nur mit braunem Haar. »Ich dachte, du wärst umgezogen oder so.«

»Nun, ich bin zurückgekommen«, erwiderte Caitlin.

»Und du, bist du neu hier?«, fragte Tiffany an Caleb gerichtet. »Bist du in der Zwölften?«

»Ich bin neu hier, ja«, antwortete er unverbindlich.

Tiffanys Augen leuchteten auf, weil sie seine Antwort so interpretierte, dass er ihre Schule besuchen würde. »Super«, sagte sie. »Heute Abend gebe ich eine Party, bei mir zu Hause. Es werden nur ein paar enge Freunde da sein, aber wir hätten dich sehr gerne dabei. Und … ähm … du kannst auch kommen«, fügte sie hinzu und sah Caitlin an.

Caitlin spürte Verärgerung in sich aufsteigen.

»Vielen Dank für die Einladung, meine Damen«, sagte Caleb, »aber es tut mir leid, Caitlin und ich haben heute Abend schon etwas Wichtiges vor.«

Caitlins Herz schwoll vor Stolz an.

Gewonnen!

Zufrieden betrachtete sie ihre enttäuschten Gesichter.

Die Mädchen rümpften die Nase und zogen ab.

Caitlin, Caleb und Luisa blieben allein zurück. Caitlin atmete auf.

»Oh mein Gott!«, meinte Luisa. »Diese Mädchen haben dich immer links liegen lassen. Und jetzt haben sie dich eingeladen!«

»Ich weiß«, antwortete Caitlin verwirrt.

»Caitlin!«, stieß Luisa plötzlich hervor und packte sie am Arm. »Mir ist gerade etwas eingefallen. Susan hat letzte Woche von Sam gesprochen. Sie sagte, er wäre bei den Colemans. Tut mir leid, ich habe mich gerade erst wieder daran erinnert. Vielleicht hilft dir das weiter.«

Die Colemans. Natürlich. Da muss er sein.

Hektisch fuhr Luisa fort: »Wir treffen uns übrigens heute Abend alle im Franks. Du musst unbedingt auch kommen! Wir vermissen dich. Und bring Caleb mit. Es wird eine tolle Party. Die halbe Klasse wir da sein. Du musst einfach kommen.«

»Na ja … Ich weiß nicht …«

Es läutete zur nächsten Stunde.

»Ich muss los. Ich bin so froh, dass du wieder da bist! Ich hab dich lieb. Ruf mich an. Ciao!«, rief Luisa, winkte Caleb zu und eilte davon.

Caitlin stellte sich vor, wie es wäre, ihr normales Leben wieder aufzunehmen. Sie würde mit ihren Freunden abhängen, auf Partys gehen, eine normale Schule besuchen und ihren Abschluss machen. Der Gedanke gefiel ihr. Für einen Moment versuchte sie, die Ereignisse der vergangenen Woche zu verdrängen und so zu tun, als wäre nie etwas Schlimmes geschehen.

Aber dann fiel ihr Blick auf Caleb, und die Realität holte sie ein. Ihr ganzes Leben hatte sich verändert. Für immer. Die Veränderungen waren nicht rückgängig zu machen. Diese Tatsache musste sie einfach akzeptieren.

Ganz abgesehen davon, dass sie jemanden umgebracht hatte und von der Polizei gesucht wurde. Und dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie irgendwo gefasst würde. Und dass ein ganzer Clan Vampire sie umbringen wollte. Und dass dieses Schwert, nach dem sie suchten, das Leben vieler Menschen retten könnte.

Ihr Leben war ganz klar nicht mehr so, wie es einmal gewesen war, und es würde auch nie wieder so sein. Es war an der Zeit, sich der Realität stellen.

Caitlin legte Caleb die Hand auf den Arm und führte ihn zum Ausgang. Die Colemans. Sie wusste, wo sie wohnten. Es leuchtete ihr ein, dass Sam sich dort eingenistet hatte. Wenn er nicht in der Schule war, musste er bei den Colemans sein. Sie würden als Nächstes dort nach ihm suchen.

Als sie in die frische Luft hinauskamen, wunderte sie sich, wie gut es sich anfühlte, die Highschool zu verlassen – diesmal endgültig.

* * *

Caitlin und Caleb überquerten das Grundstück der Colemans. Der Schnee auf dem Rasen knirschte unter ihren Füßen. Das Haus machte nicht viel her, es war ein bescheidener Hof an der Landstraße. Aber ein gutes Stück dahinter an der Grundstücksgrenze gab es eine Scheune. Caitlin entdeckte eine Reihe heruntergekommener Pick-ups, die planlos auf der Wiese abgestellt worden waren. Jede Menge Fußspuren im Schnee zeigten ihr, dass viele Leute zur Scheune gegangen waren.

Das war es, was die Kids in Oakville taten – sie hingen in Scheunen ab. Oakville war ebenso ländlich wie spießig, und die Hütten und Scheunen verschaffte ihnen die Möglichkeit, sich außerhalb der Elternhäuser zu treffen. Es war viel besser, als in einem Keller abzuhängen. Die Eltern hörten nichts. Und die Kids hatten einen eigenen Eingang – und einen eigenen Ausgang.

Caitlin atmete tief durch, als sie zur Scheune gingen und das schwere Holztor aufschoben.

Sofort stieg ihr der Geruch in die Nase. Marihuana. Der Qualm hing überall in der Luft. Außerdem stank es nach abgestandenem Bier. Viel zu viel davon.

Was sie jedoch am deutlichsten wahrnahm, mehr als alles andere, war der Geruch eines Tieres. Ihre Sinne waren noch nie so geschärft gewesen. Der Schreck über die Anwesenheit eines Tieres durchfuhr sie heftig. In ihrer Nase stach es, als hätte sie gerade Ammoniak geschnüffelt.

Sie blickte nach rechts. Dort in der Ecke lag ein großer Rottweiler. Langsam setzte er sich auf, starrte sie an und fletschte die Zähne. Er stieß ein leises, kehliges Knurren aus. Es war Butch. Caitlin erinnerte sich an ihn. Er war der fiese Rottweiler der Familie Coleman. Als bräuchten die Colemans auch noch ein bösartiges Tier, um ihren schlechten Ruf zu untermauern!

Die Colemans waren immer schon Unruhestifter gewesen. Es gab drei Brüder im Alter von siebzehn, fünfzehn und dreizehn, und Sam hatte sich irgendwann mit dem mittleren Bruder Gabe angefreundet. Einer war schlimmer als der andere. Ihr Dad hatte die Familie schon vor langer Zeit verlassen – niemand wusste, wo er steckte – und ihre Mom war nie da. Die Jungen wuchsen im Grunde alleine auf. Trotz ihres jugendlichen Alters waren sie ständig betrunken oder bekifft und glänzten in der Schule meistens durch Abwesenheit.

Caitlin war verärgert, weil Sam mit ihnen abhing. Das konnte nur zu Problemen führen.

Im Hintergrund spielte Musik. Pink Floyd, Wish You Were Here.

Das passt, dachte Caitlin.

In der Scheune wirkte es dunkel, umso mehr, weil der heutige Tag so strahlend war. Ihre Augen brauchten einige Sekunden, um sich anzupassen.

Da war er. Sam. Er saß mitten auf diesem verschlissenen Sofa, umgeben von rund einem Dutzend Jungs. Links von ihm saß Gabe, rechts Brock.

Sam beugte sich gerade über eine Wasserpfeife. Er inhalierte, setzte die Pfeife ab und lehnte sich zurück. Es dauerte lange, bis er schließlich ausatmete, zu lange.

Gabe stieß ihn an, und Sam sah auf. Völlig zugedröhnt starrte er Caitlin an. Seine Augen waren blutunterlaufen.

Ein scharfer Schmerz durchfuhr Caitlin. Sie war mehr als enttäuscht. Sie fühlte sich schuldig, wenn sie daran dachte, wie sie sich in New York gestritten hatten. Ihre Worte waren sehr harsch gewesen. »Dann geh doch!«, hatte sie geschrien. Warum hatte sie so hart sein müssen? Nur zu gerne hätte sie ihre Worte zurückgenommen.

Jetzt war es zu spät. Wenn sie andere Worte gewählt hätte, wäre nun vielleicht alles anders.

Eine Welle des Zorns schlug über ihr zusammen. Sie war wütend auf die Colemans und auf die Kids in dieser Scheune, die auf Stühlen, Heuballen und verschlissenen Sofas herumlungerten, tranken, rauchten und nichts aus ihrem Leben machten. Es stand ihnen frei, nichts aus ihrem Leben zu machen. Aber sie hatten nicht das Recht, Sam mit hineinzuziehen. Er war besser als sie. Ihm hatte einfach der Halt gefehlt. In seinem Leben gab es keine Vaterfigur, und ihre Mutter war nie liebevoll mit ihren Kindern umgegangen. Er war ein großartiger Junge, und sie wusste, dass er unter den Besten in seiner Klasse wäre, wenn er nur ein halbwegs stabiles Zuhause gehabt hätte. Aber irgendwann war es zu spät gewesen. Inzwischen war er völlig abgestumpft.

Sie ging einige Schritte auf ihn zu. »Sam?«

Er starrte sie nur wortlos an.

Es war schwierig zu erkennen, was in diesem Blick lag. Waren es die Drogen? Tat er so, als wäre ihm alles gleichgültig? Oder war ihm tatsächlich alles gleichgültig?

Dieser teilnahmslose Blick schmerzte sie mehr als alles andere. Sie hatte gehofft, er würde sich freuen und sie in den Arm nehmen. Aber mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Sie schien ihm egal zu sein. Als wäre sie eine Fremde. Wollte er einfach nur vor seinen Freunden cool erscheinen? Oder hatte sie es diesmal endgültig vermasselt?

Einige Sekunden vergingen, bis er schließlich wegsah und die Wasserpfeife an einen Freund weiterreichte. Seine Schwester ignorierte er.

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