Das Gewicht der Ehre - Морган Райс 4 стр.


Merks Herz stach bei dem Gedanken.

„Wie kann ich dienen?“ fragte Merk und glaubte seine Berufung, nach der er sich immer gesehnt hatte, zu spüren.

Der Krieger stand dort für eine lange Zeit, dann drehte er sich schließlich um und begann die nächste Etage hinaufzusteigen. Als Merk ihn gehen sah, dämmerte ihm, dass es viele Geheimnisse gab, die er vielleicht nie erfahren würde.

Merk wollte ihm folgen, doch plötzlich, schlug ihm eine große, kräftige Hand gegen die Brust und stoppte ihn. Er sah einen anderen Krieger aus einer anderen geheimen Tür auftauchen, der erste Krieger lief weiter nach oben und verschwand in den oberen Stockwerken. Der neue Krieger überragte Merk und trug das gleiche goldene Kettenhemd.

„Du wirst auf diesem Stockwerk dienen“, sagte er schroff,  „mit dem Rest von denen. Ich bin dein Kommandant. Vicor.“

Sein neuer Kommandant, ein dünner Mann mit einem Gesicht so hart wie Stein, sah aus, als ob man sich nicht mit ihm anlegen sollte. Vicor drehte sich um und zeigte auf eine offene Tür in der Wand und Merk trat vorsichtig ein, sich fragend was dieser Ort war als er kreuz und quer durch enge Steinhallen ging. Sie liefen wortlos an großen offenen Gewölbebögen vorbei und die Halle öffnete sich zu einem ausgedehnten Raum mit spitz zulaufenden Decke mit Steinböden und Steinwänden, der von Tageslicht erleuchtet wurde, welches durch die schmalen zugespitzten Fenster hereinfiel.

Merk erschrak als er Dutzende Gesichter sah, die ihn alle anstarrten, Gesichter von Kriegern, einige dünn, einige muskulös, alle mit harten, unerschrockenen Augen, alle mit einem Ausdruck von Pflichtgefühl und von Erfüllung in ihrem Gesicht.

Sie alle waren im Raum verteilt, jeder war vor einem Fenster stationiert und auch sie trugen alle das goldene Kettenhemd und drehten sich herum, um den Fremden der ihren Raum betrat zu beobachten.

Merk fühlte sich selbstbewusst und starrte zurück zu diesen Männern in dieser seltsamen Stille.

Neben ihm räusperte sich Vicor.

„Die Brüder vertrauen dir nicht”, sagte er zu Merk. „Sie werden dir vielleicht niemals vertrauen. Und du wirst ihnen vielleicht auch nie trauen. Respekt wird hier nicht verschenkt und es gibt keine zweite Chance.“

„Was ist es, das ich tun soll?“ fragte Merk, verwirrt.

„Dasselbe wie diese Männer”, antwortete Vicor schroff. „Du wirst beobachten.“

Merk blickte sich in dem gebogenen Steinraum um und ganz am Ende, um die fünfzehn Meter entfernt, sah er ein offenes Fenster an dem kein Wächter saß. Vicor lief langsam in diese Richtung und Merk folgte ihm, an den Kriegern vorbeigehend, die alle zuschauten und sich dann wieder zu ihren Fenstern umdrehten. Es war ein merkwürdiges Gefühl zwischen diesen Männern, aber dennoch kein Teil von ihnen zu sein. Noch nicht. Merk hatte immer alleine gekämpft und er wusste nicht wie es war Teil einer Gruppe zu sein.

Als er an ihnen vorbeilief und sie in Augenschein genommen hatte, fühlte er, dass auch sie, sowie er, gebrochene Männer waren, die nirgends woanders hinkonnten und keinen anderen Lebenszweck hatten. Männer, die sich diesen Steinturm zu ihrem Zuhause gemacht hatten. Männer wie er.

Als er sich seinem Platz näherte, bemerkte Merk, dass der letzte Mann an dem er vorbei gegangen war, anders aussah als die anderen. Er schien noch ein Junge zu sein, möglicherweise achtzehn Jahre alt und mit der glattesten und schönsten Haut die Merk jemals gesehen hatte. Und mit langem, feinem blondem Haar, dass ihm bis zur Hüfte reichte. Er war dünner als die anderen, mit wenigen Muskeln und er sah aus, als ob er noch nie gekämpft hatte. Dennoch besaß er einen stolzen Blick und Merk war überrascht als er feststellte, dass dieser mit den gleichen, stechend gelben Augen, wie der Wächter, zurückstarrte. Der Junge sah zu gebrechlich aus um hier zu sein, zu sanft – aber dennoch im gleichen Moment machte etwas in seinem Anblick Merk nervös.

„Unterschätze Kyle nicht”, sagte Vicor herüberschauend, als Kyle sich wieder zu seinem Fenster rumdrehte. „Er ist der Stärkste von uns und der einzige wirkliche Wächter hier. Sie haben ihn geschickt um uns zu beschützen.“

Merk fand das schwer vorstellbar.

Merk erreichte seinen Posten und setzte sich neben das hohe Fenster und schaute hinaus. Es gab eine Steinleiste auf die er sich setzen konnte und er lehnte sich nach vorne und schaute durch das Fenster. Ihm bot sich ein ausgedehnter Blick über die Landschaft dar.

Er sah die karge Halbinsel von Ur, die Baumgipfel des entfernten Waldes und dahinter den Ozean und den Himmel. Es fühlte sich an, als ob er ganz  Escalon von hier sehen konnte.

„Ist das alles?“ fragte Merk überrascht. „Ich sitze nur hier und passe auf?“

Vicor grinste.

„Deine Aufgaben haben noch nicht mal angefangen.

Merk runzelte enttäuscht die Stirn.

„Ich bin nicht den ganzen Weg gekommen, um in einem Turm zu sitzen”, sagte Merk und einige der anderen betrachteten ihn.

„Wie kann ich von hier oben aus verteidigen? Kann ich nicht am Boden patrouillieren?“

Vicor lächelte zynisch.

„Du siehst hier oben viel mehr als du von unten könntest“, antwortete er.

„Und was mache ich wenn ich etwas sehe?“ fragte Merk.

„Dann läutest du die Glocke”, sagte er.

Er nickte und Merk sah eine Glocke, die neben dem Fenster hing.

„Über die Jahrhunderte hinweg hat es viele Angriffe auf unseren Turm gegeben”, fuhr Vicor fort. „Alle scheiterten – dank uns. Wir sind die Wächter, die letzte Verteidigungslinie. Ganz Escalon braucht uns – und es gibt viele Möglichkeiten einen Turm zu verteidigen.“

Merk beobachtete wie Vicor davonging und als er sich an seinem Posten einfand,  begann er sich still zu fragen: Worauf hatte er sich da eingelassen?

KAPITEL SECHS

Duncan führte seine Männer durch die monderleuchtete Nacht über die verschneiten Ebenen von Escalon. Stunde um Stunde verging während sie nach Andros, das irgendwo dort am Horizont lag, ritten. Der Nachtritt brachte Erinnerungen zurück, von vergangenen Kämpfen, von seiner Zeit in Andros als er noch dem alten König diente; er verlor sich in seinen Gedanken, Erinnerungen der Gegenwart vermischten sich mit Fantasien der Zukunft, bis er nicht mehr wusste was real war. Und wie üblich schweiften seine Gedanken zu seiner Tochter.

Kyra. Wo bist du? fragte er sich.

Duncan betete, dass sie sicher war, dass sie in ihrem Training Fortschritte erzielte und dass sie bald endgültig wiedervereint wären. Würde sie Theos wieder herbeirufen können? fragte er sich. Falls nicht, wusste er nicht wie sie den Krieg gewinnen konnten, den sie angefangen hatte.

Das unaufhörliche Klappern der Pferde und der Rüstungen erfüllte die Nacht. Duncan spürte die Kälte kaum, sein Herz wurde von Wärme erfüllt, von ihrem Sieg, von ihrem Aufschwung, von der wachsenden Armee, die hinter ihm stand und von Erwartung. Endlich, nach all diesen Jahren, spürte er, dass die Flut endlich wieder mit ihm anstieg.

Er wusste dass Andros schwer von einer feststationierten, professionellen Armee bewacht sein würde, dass diese ihnen in beträchtlichem Ausmaß zahlenmäßig überlegen sein würden, dass die Hauptstadt verschanzt wurde und das sie nicht über genügend Männer verfügten um eine Belagerung zu inszenieren. Er wusste, dass der Kampf seines Lebens auf ihn wartete, ein Kampf, der das Schicksal von ganz Escalon bestimmen würde. Dies war das Gewicht der Ehre.

Duncan wusste aber auch, dass er und seine Männer Vorteile auf ihrer Seite hatten, sie hatten den Wunsch, die Pflicht, die Leidenschaft und am wichtigsten von allem, hatten sie Geschwindigkeit und die Macht der Überraschung auf ihrer Seite. Die Pandesier würden niemals einen Angriff auf die Hauptstadt erwarten, schon gar nicht von bezwungenen Männern und zweifellos nicht bei Nacht.

Endlich, als die ersten Spuren der Morgendämmerung zu sehen waren, am Himmel lag noch ein bläulicher Dunst, sah Duncan noch weit entfernt die vertrauten Umrisse der Hauptstadt. Es war ein Anblick, von dem er nicht geglaubt hatte ihn zu Lebzeiten nochmals zu erblicken – und doch war es einer der sein Herz schneller schlagen ließ. Erinnerungen kamen zurück, von all den Jahren, die er dort gelebt und dem Land und dem König treu gedient hatte. Er erinnerte sich an Escalon als es am Höhepunkt seines Ruhmes stand, eine stolze, freie Nation, die unbesiegbar erschienen war.

Dennoch brachte der Anblick auch bittere Erinnerung zurück: der Verrat des schwachen Königs an seinem Volk, die Übergabe der Hauptstadt und des Landes. Er erinnerte sich, wie er und die ganzen Kriegsherren gezwungen wurden in Schande zu gehen, wie sie alle ins Exil, in ihre eigenen Festungen, die überall über Escalon verstreut lagen, verbannt wurden. Der Anblick der majestätischen Formen der Stadt ließ ihn gleichzeitig Sehnsucht, Nostalgie, Angst und Hoffnung spüren. Das waren die Umrisse, die sein Leben geformt hatten, der Umriss der prachtvollsten Stadt in Escalon, jahrhundertelang von Königen regiert, die sich so weit vor ihm ausbreitete, dass schwer zu sehen war wo sie endete.

Duncan atmete tief ein als er die vertrauten Brüstungen, Kuppeln und Spitzen sah, die alle tief verwurzelt in seiner Seele lagen. Irgendwie war es, als ob er nach Hause kommen würde – nur das Duncan nicht mehr der besiegte, loyale Kommandant von einst war. Jetzt war er stärker und gewillt niemandem zu gehorchen und er hatte eine Armee im Schlepptau.

In der anbrechenden Morgendämmerung wurde die Stadt noch durch Fackeln erleuchtet, die Restposten der Nachtwache begannen gerade die lange Nacht im Morgennebel abzuschütteln und als Duncan näher kam, sah er etwas, dass sein Herz aufwühlte: Die blauen und gelben Fahnen Pandesias flatterten stolz über den Zinnen von Andros. Es machte ihn krank – und es überrollte ihn zugleich eine neue Welle der Entschlossenheit.

Duncan überprüfte sofort die Stadttore und sein Herz machte einen Sprung, als er sah, dass sie nur von wenigen Männern bewacht wurden. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Wenn die Pandesier wüssten, dass sie kämen, dann ständen dort tausende von Soldaten  – und Duncan und seine Männer hätten keine Chance. Aber das zeigte ihm, dass sie nicht Bescheid wussten. Die tausend dort stationierten pandesischen Soldaten mussten wohl noch schlafen. Duncan und seine Männer waren glücklicherweise schnell genug vorwärts gekommen um gerade so eine Chance zu haben.

Dieser Überraschungsmoment wusste Duncan, war ihr einziger Vorteil, das Einzige was ihnen eine Chance verschaffte, die riesige Hauptstadt einzunehmen, die aus verschiedenen Ebenen von Festungsmauern bestand und konstruiert war um einer Armee zu widerstehen. Das – und Duncans Kenntnisse der Befestigungen und der Schwachstellen. Kämpfe, die er kannte, waren auch schon mit weniger gewonnen worden. Duncan besah sich den Stadteingang und wusste wo er zuerst angreifen musste, wenn sie Siegeschancen haben wollten.

„Derjenige, der diese Tore kontrolliert, kontrolliert auch die Hauptstadt!“, schrie er Kavos und seinen anderen Kommandanten zu. „Sie dürfen sie nicht schließen, wir dürfen nicht zulassen, dass sie sie schließen, egal was es kostet. Wenn sie es schaffen, dann sind wir endgültig abgeriegelt. Ich werde eine kleine Einheit mit mir nehmen und mit größter Geschwindigkeit die Tore in Angriff nehmen. Ihr”, sagte er, Richtung Kavos, Bramthos und Seavig gestikulierend „führt die restlichen Männer zu den Befestigungen und schützt die Flanken, wenn die Soldaten auftauchen.“

Kavos schüttelte mit dem Kopf.

„Diese Tore mit einer so kleinen Einheit anzugreifen, ist leichtsinnig”, schrie er. „Du wirst umzingelt werden und ich werde bei den Befestigungen kämpfen und kann dir nicht den Rücken decken. Das ist Selbstmord.“

Duncan lächelte.

„Und darum habe ich diese Aufgabe für mich ausgesucht.“

Duncan gab seinem Pferd die Sporen und ritt vor den anderen in Richtung der Stadttore hinaus. Anvin, Arthfael und ein Dutzend seiner nahestehenden Kommandanten, Männer, die Andros so gut kannten wie er, Männer mit denen er sein ganzes Leben gekämpft hatte, wusste er, würden ihm hinterherreiten. Sie drehten sich um und rasten mit voller Geschwindigkeit in Richtung der Stadttore, während hinter ihnen, wie Duncan aus dem Augenwinkel sehen konnte, Kavos, Bramthos und Seavig ihre Armeen wendeten und sich auf den Weg zu den pandesischen Befestigungen machten.

Duncans Herz klopfte, er wusste, er musste die Tore erreichen, bevor es zu spät war, er senkte seinen Kopf und trieb sein Pferd weiter an. Sie galoppierten hinunter bis zur Mitte der Straße, über die Königsbrücke, die Hufe klapperten auf dem Holz und Duncan fühlte den Nervenkitzel des näherrückenden Kampfes. Als die Dämmerung hereinbrach, sah Duncan das erschrockene Gesicht des ersten Pandesiers, der sie erblickte. Es war ein junger Soldat, der verschlafen Wache auf der Brücke gestanden hatte und blinzelnd hochschaute sein Gesicht vor Angst verziehend.

Duncan schloss die Lücke, erreichte ihn, ergriff sein Schwert und in einer schnellen Bewegung erschlug er ihn, bevor dieser sein Schild erheben konnte.

Der Kampf hatte begonnen.

Anvin, Arthfael und die anderen schleuderten Speere und fällten ein halbes Dutzend pandesischer Soldaten nieder, die sich ihnen in den Weg stellten. Sie alle galoppierten weiter, keiner blieb stehen, da sie alle wussten, dass dies ihr Leben bedeutete. Sie rasten über die Brücke, alle in Richtung der weit geöffneten Tore von Andros.

Immer noch gute hundert Meter entfernt, blickte Duncan an den legendären Toren von Andros hinauf, sie waren dreißig Meter hoch, aus Gold geschmiedet und drei Meter dick. Und er wusste, wenn sie geschlossen wurden, dann wäre die Stadt verriegelt und uneinnehmbar. Es bräuchte professionelles Besetzungsmaterial, das er nicht besaß, und viele Monate und viele Männer die das Tor bearbeiteten, die er auch nicht besaß.

Diese Tore hatten nie versagt, trotz Jahrhunderte voll von Angriffen. Wenn er sie nicht rechtzeitig erreichte, wäre alles verloren.

Duncan überblickte das bloße Dutzend pandesischer Soldaten, die es bewachten, das Licht schützte sie, es war Sonnenaufgang und die Männer waren noch verschlafen und erwarteten keinen Angriff, aber er trieb sein Pferd noch weiter an, er wusste seine Zeit war begrenzt. Er musste sie erreichen, bevor sie ihn entdeckten; er brauchte nur noch eine Minute um sein Überleben zu sichern.

Doch plötzlich, ertönte ein großes Horn und Duncans Herz setzte einen Moment aus, als er oben auf der Brüstung einen pandesischen Wachtmann sah, der ihn anstarrte, und wieder und wieder einen Warnruf in sein Horn stieß. Der Ton hallte innerhalb der Stadtmauern wieder und Duncans Herz sank noch tiefer, denn er wusste dass jeglicher Vorteil den sie gehabt hatten, verloren war. Er hatte den Feind unterschätzt.

Die pandesischen Soldaten am Tor brachen in Bewegung aus. Sie stürzten vorwärts und setzten ihre Schulter am Tor an, sechs Männer auf jeder Seite und drückten mit aller Macht um es zu schließen.

Zur selben Zeit, drehten vier Soldaten massive Kurbeln auf beiden Seiten, während vier Weitere die Ketten hochzogen, jeweils zwei Soldaten auf einer Seite. Mit einem lauten Quietschen schlossen sich langsam die Tore. Duncan sah dies voller Verzweiflung und hatte das Gefühl als ob sein Herz in einen Sarg einschlossen wäre.

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