Er entschied sich den Hintereingang zu nehmen. Er flog über den Sportplatz, wo unter dem Flutlicht das Football Training stattfand, und landete in den Schatten. Er nutze seine geschärfte Sehkraft um die zwei Polizeiwagen zu betrachten, die gleich um die Ecke standen und dachten sie wären außer Sichtweite. Vielleicht, dachte Kyle mit einem Lächeln, waren sie außer Sichtweite für Menschen. Aber nicht für einen Vampir.
Auf dem Platz herrschte Unordnung. Zerbrochenes Glas übersäte den Asphalt. Er fragte sich, wie sie es geschafft hatten überhaupt jemanden davon zu überzeugen in der Schule zu bleiben. Das war wieder diese vorsätzliche Dummheit, entschied er.
Er ging zu den geschlossenen Türen der Sporthalle, die er für seinen besten Weg in die Schule hielt. Hier, bemerkte er, gab es auch zusätzliche Sicherung. Kyle konnte einen großen, kräftigen Typen neben den Türen sehen, größer als er selber. Er war die Art von Sicherheitsmann der besser vor einen rauen Nachtklub gepasst hätte als vor eine High-School. Kyle grinste in sich hinein, er freute sich auf die Herausforderung.
Er schlenderte selbstbewusst zu dem Sicherheitsmann hinüber und bemerkte, wie dieser seine Hand an die Hüfte bewegte. Kyle nahm an, dass er entweder nach einer Waffe griff oder einem Walkie-Talkie um Verstärkung zu rufen. Beides ließ Kyle kalt. Waffen konnten ihn nicht töten und selbst eine Hundertschaft von Polizisten würde nicht mehr tun, als ihn zu verlangsamen.
“Du hast ganz schön Nerven hier wieder aufzutauchen,” sagte der Mann als Kyle auf ihn zukam. “Du wirst gesucht. Jeder Polizist und jeder Sicherheitsmann in der Stadt hat dein Foto. Die ganze Stadt hält nach dir Ausschau.”
Kyle grinste und breitete seine Arme aus.
“Und trotzdem bin ich hier,” erwiderte er.
Der Sicherheitsmann versuchte seine Sorge nicht auf seinem Gesicht zu zeigen, aber Kyle durchschaute ihn.
“Was willst du?” fragte er Mann mit zitternder Stimme.
Kyle nickte in Richtung der Sporthallentüren. Er konnte Musik von innen hören und stellte sich vor, dass alle Cheerleader gerade beim Training waren. Er wollte jede einzelne von ihnen verwandeln.
Kyle ging geradewegs auf den Sicherheitsmann zu, griff ihn am Hals und hob ihn in die Luft. Obwohl er größer und schwerer als Kyle war, stellte er keine Herausforderung für Kyles Kräfte dar. Der Mann fühlte sich kaum schwerer an als ein Kind.
“Ich will eine Armee erschaffen,” flüsterte Kyle dem Mann ins Ohr.
Dem Mann entfuhr ein ersticktes Jaulen und er trat um sich. Kyle senkte den Kopf und biss ihm in den Hals. Der Mann versuchte zu schreien, aber der Griff um seinen Hals war zu fest. Er konnte keinen Laut von sich geben, als sein Blut ausgesaugt wurde.
Kyle ließ den Mann fallen, wissend, dass er einen zweiten Vampir erschaffen hatte. Wenn er aufwachte, neu geboren, würde er zu seiner Armee gehören.
Soldat Nummer zwei.
Kyle warf die Türen zur Sporthalle auf und laute Popmusik schlug ihm zusammen mit dem Schweiß und den Rufen der trainierenden Cheerleader entgegen.
“Hey!” rief ein Mädchen von der Tribüne. “Du kannst hier nicht reinkommen.”
Sie trug das gleiche Cheerleader Outfit wie der Rest der Mädchen. Sie stürmte auf Kyle zu, stoppte kurz vor ihm und starrte ihn dann stirnrunzelnd an.
“Verschwinde hier!” verlangte sie.
Kyle ignorierte ihren dummen Befehl.
“Kennst du Scarlet Paine?” fragte er.
Sie verzog das Gesicht. “Diesen Freak? Ich weiß von ihr.”
Hinter dem Mädchen hatten sich auch die anderen Cheerleader umgedreht, um zu sehen was los war.
“Wo ist sie?” fragte Kyle.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern.
“Woher soll ich das wissen?” sagte sie.
Kyle sprang nach vorne, ergriff sie und hob sie über seinen Kopf. Die anderen Mädchen fingen an zu schreien.
“Falls einer von euch weiß, wo Scarlet Paine ist,” rief Kyle ihnen zu, “dann solltet ihr das besser jetzt sagen.”
Die Cheerleader duckten sich. Das Mädchen, das Kyle über seinem Kopf hielt, wand sich hin und her. Nur eines der Mädchen war mutig genug etwas zu sagen.
“Ich weiß nicht, wo sie ist,” sagte sie zitternd. “Aber ihre Freunde, Becca und Jasmine, sind im Schulchor. Sie üben gerade am Ende des Flurs.”
Kyle kniff die Augen zusammen. “Sagst du die Wahrheit?”
Sie presste die Lippen aufeinander und nickte.
Schließlich ließ er das kämpfende Mädchen herunter. Sie rannte zu dem Rest der Mädchen und sie zogen sie ihn ihren Kreis und versteckten sie hinter sich, während einige weinten.
Kyle ging zur Wand und riss eine der Kletterleitern herunter. Er brach ein langes Stück Holz ab und nutzte es um die Sporthallentüren zu sichern, indem er es durch die Türgriffe schob.
“Niemand rührt sich,” befahl er den verängstigten Mädchen.
Er wollte sie immer noch verwandeln, aber er musste erst dem Hinweis folgen.
Er konnte ersticktes Weinen hinter sich hören, als er die Sporthalle verließ und in den Schulkorridor trat. Trotz der Ereignisse früher am Tag und der Schüsse war die Schule immer noch vollgepackt mit Kindern. Kyle lachte, als ihm klar wurde, dass sie wahrscheinlich gedacht hatten es würde ausreichen die Schule mit Streifenwagen zu umgeben um ihn fernzuhalten. Sie versuchten alles so normal wie möglich zu halten um die Kinder und die Eltern in der Nachbarschaft nicht zu erschrecken.
Wie dumm kann man eigentlich sein? dachte Kyle und grinste.
Kyle ging zu einer Gruppe von Jugendlichen, die neben ihren Spinden stand. Sie sahen wie die Sorte von Kindern aus, mit denen er rumgehangen hatte, als er noch zur Schule ging, die Art, die den Abschluss nicht schafft und dazu bestimmt ist für den Rest ihres Lebens in einer Bar zu arbeiten.
“Mann,” sagte einer der Jungen und stieß seinen Freund mit dem Ellbogen an. “Guck dir den Penner an.”
Kyle ging geradewegs auf die Gruppe zu und schlug seine Faust so kraftvoll gegen den Spind neben ihnen, dass er eine tiefe Einbuchtung hinterließ. Die Gruppe sprang erschrocken zurück.
“Was hast du für ein Problem, Mann?” sagte der Junge.
“Chorprobe,” grunzte Kyle. “Wo ist die?”
Eines der Mädchen in der Gruppe, ein Goth mit langen, schwarzen Haaren, trat vor. “Als ob wir dir das sagen würden.”
Bevor jemand aus der Gruppe etwas sagen konnte, schnappte Kyle sich das Mädchen und zog sie zu sich. Er senkte seine Zähne in ihren Hals und saugte. Innerhalb von Sekunden erschlaffte sie in seinen Armen. Der Rest der Gruppe fing an zu schreien.
Kyle ließ das Mädchen auf den Boden fallen und wischte sich mit der Rückseite seiner Hand das Blut von den Lippen.
“Chorprobe,” wiederholte er. “Wo ist die?”
Der Junge der zuerst gesprochen hatte, zeigte mit einem zitternden Finger an das Ende des Flurs. Neben ihm weinten und umarmten sich zwei seiner Freundinnen, ihr Blick auf den Körper des toten Mädchens fixiert.
Kyle wandte sich zum gehen, aber war keine zwei Schritte gegangen, als er sich umdrehte und die zwei weinenden Mädchen packte. Er biss eine, dann die andere und saugte abwechselnd ihr Blut aus, bis ihre schmerzerfüllten Schreie versiegten. Er ließ sie zu seinen Füßen fallen, stieg über sie und ließ den Rest der Gruppe versteinert hinter sich stehen.
Kyle folgte dem Klang von Singen bis er schließlich den Raum erreichte, in dem die Chorprobe stattfand. Er warf die Türen auf.
Die Gruppe wusste sofort, dass sie in Gefahr waren, als er hereinkam. Das Singen brach abrupt ab.
“Jasmine. Becca,” verlangte er.
Die zwei zitternden Mädchen traten nach Vorne. Er packte sie beide am Hals und hob sie vom Boden.
“Scarlet Paine. Sagt mir, wo sie ist.”
Die Mädchen traten und wandten sich in seinem Griff. Keine konnte sprechen, da Kyle ihre Hälse zu fest zuschnürte.
“Ich weiß es,” sagte jemand.
Alle drehten sich überrascht um. Kyle ließ Becca und Jasmine fallen und sah das Mädchen an.
“Wer bist du?” fragte Kyle.
“Jojo,” erwiderte das Mädchen. Sie drehte eine Locke zwischen den Fingern und lächelte. Sie trug ein Ralph Lauren Top. Offensichtlich eine von Vivians Freundinnen.
“Also?” sagte Kyle.
“Ich ...” begann das Mädchen, hielt dann aber inne. “Wir waren zusammen auf dieser Party.”
“Und?” verlangte Kyle.
“Ich habe sie gesehen. Mit diesem Typen. Wirklich ein heißer Kerl.”
Becca und Jasmine sahen sich an. Jojo hustete und sprach weiter.
“Sie haben darüber geredet, wie sie nicht für immer zusammen sein könnten, weil er, irgendwie, stirbt oder so.”
Kyles Geduld nahm ab. Er flog durch den Raum und hob das Mädchen in die Luft.
“Komm zum Ende!” rief er.
Das Mädchen kratzte an seiner Hand um ihren Hals. “Kirche.”
Kyle betrachtete sie einen Moment und ließ sie dann los. “Kirche?”
Das Mädchen nickte, ihre Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Sie rieb sich den Hals.
“Kirche. Oder Schloss. Oder Kathedrale. Irgendwie sowas. Sie ... sind zusammen weggeflogen.”
Hätte das Mädchen kurz zuvor so etwas gesagt, wäre sie von ihren Mitschülern verspottet worden. Aber nur Augenblicke nachdem sie gesehen hatten, wie Kyle durch den Raum flog, schien die Idee, dass Scarlet Paine mit einem gut aussehenden Jungen zusammen ins Mondlicht geflogen war, nicht mehr so abwegig.
Vom Boden aus blitze Becca das Mädchen wütend an.
“Warum hast du ihm das erzählt, Jojo?” rief sie. “Er will ihr offensichtlich was antun!”
“Vivian Loyalität,” erwiderte Jasmine kurz angebunden.
Kyle spitzte die Ohren. Er dachte an Vivians süßes Blut. Er drehte sich wieder zu Jojo.
“Du bist eine von Vivians Freundinnen?” fragte er.
Das Mädchen nickte.
Kyle packte sie an der Hand.
“Du kommst mit mir.”
Der Chor sah entsetzt zu, wie Jojo aus dem Raum in den Korridor gezogen wurde. Kyle zog sie hinter sich her. Der ganze Flur war eine Szene des Chaos'. Die Kinder hatten angefangen sich gegenseitig auszusaugen. Diejenigen, die noch nicht verwandelt waren, liefen schreien herum und versuchten aus der Schule zu kommen. Kyle nickte dem Goth Mädchen und ihren Freunden zu als er vorbeikam und sah, wie sie das Blut aus ihren Mitschülern saugten. Neben ihm fühlte er wie Jojo zitterte.
Er kam zur Sporthalle, öffnete die Türen und sah, dass die Cheerleader mit einer menschlichen Pyramide versuchten durch eines der oberen Fenster zu entkommen. Die Pyramide fiel zusammen sobald sie bemerkten, dass er zurückgekommen war.
“Clever,” sagte Kyle mit einem Lachen. “Ihr werdet eine hervorragende Ergänzung für meine Familie sein.”
“Jojo!” schrie jemand, als Vivians Freundin in die Sporthalle geworfen wurde.
Kyle sah sich um und leckte langsam über seine Lippen.
“Lasst den Spaß beginnen,” sagte er zu sich selbst.
KAPITEL FÜNF
Polizistin Sadie Marlow blickte durch das kleine Glasfenster in den Raum. In dem ansonsten leeren Zimmer sah sie ein Bett an der Wand stehen. Auf dem Bett saß das Mädchen wegen dem sie gekommen war.
Der Psychologe, der an ihrer Seite stand, zog eine Plastikkarte aus der Tasche. Aber kurz bevor er sie über das Türschloss strich, um die Tür zu öffnen und den Polizisten Einlass zu gewähren, hielt er inne und wandte sich ihnen zu.
“Wissen Sie, wir waren noch nicht in der Lage auch nur ein verständliches Wort aus ihr herauszubekommen,” sagte der Psychologe. “Alles was sie sagt ist 'Scarlet. Scarlet. Ich muss Scarlet finden.'“
Nun war Officer Brent Waywood an der Reihe zu sprechen.
“Deswegen sind wir hier,” sagte er und zeigte auf sein offenes Notizbuch. “Scarlet Paine. Der Name taucht immer wieder in unseren Ermittlungen auf.”
Der Psychologe kräuselte die Lippen.
“Ich weiß, warum Sie hier sind,” erwiderte er. “Ich sehe es nur nicht gerne, wenn die Polizei meine Patienten verhört.”
Brent schlug abrupt sein Notizbuch zu, was ein klatschendes Geräusch verursachte. Er starrte den Psychologen genervt an.
“Wir haben tote Polizisten,” sagte er in abgehaktem Ton. “Gute Männer und Frauen, die heute Nacht nicht zu ihren Familien zurückkehren werden, wegen irgend so einem Psychopathen, der jeden tötet, der ihm in den Weg kommt. Was will er? Scarlet Paine. Das ist alles was wir haben. Also können Sie vielleicht verstehen, warum es für uns so wichtig ist ihre Patientin zu befragen.”
Officer Marlow trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, frustriert von der Tatsache, dass ihr Partner in jeder Situation Streit zu suchen schien. Sie konnte nicht umhin zu denken, dass es sehr viel einfacher sein würde das Interview alleine zu führen. Anders als Brent hatte sie eine ruhige Art mit den Zeugen umzugehen, vor allem mit psychisch verletzlichen, wie dem Mädchen, wegen dem sie hier waren. Darum hatte der Polizeichef sie in die Psychologische Anstalt geschickt. Sie wünschte sich nur sie hätte einen anderen Polizisten als Begleiter gewählt. Dann wurde ihr klar, warum der Polizeichef gerade nicht wirklich viele Polizisten zur Verfügung hatte und ihr Magen verknotete sich. Neben denjenigen, die die High-School bewachten, war der Rest des Reviers entweder tot oder verletzt.
Sie machte einen Schritt nach vorne.
“Wir verstehen, dass die Zeugin in einem zerbrechlichen Zustand ist,” sagte sie diplomatisch. “Wir werden unseren Ton freundlich halten. Keine pressenden Fragen. Keine lauten Stimmen. Vertrauen Sie mir, ich habe jahrelange Erfahrung in der Befragung mit Kindern wie ihr.”
Sie alle schauten zurück durch das Fenster auf das Mädchen. Sie wippte vor und zurück, ihre Knie an die Brust gezogen.
Der Psychologe schien sich damit zufriedenzugeben und ließ die Polizisten eintreten. Er wischte mit seiner Karte über das Türschloss. Ein grünes Lämpchen leuchtete auf, während gleichzeitig ein Biep ertönte.
Er führte die zwei Polizisten in den Raum zu dem zusammengekauerten Mädchen. Erst da bemerkte Marlow die Manschetten an den Knöcheln und Handgelenken. Haltegurte. Das Krankenhaus nutze die Gurte nicht, wenn der Patient nicht eine Gefahr für sich selbst oder andere war. Was auch immer das Mädchen durchgemacht hatte, es war schrecklich gewesen. Warum sonst sollte ein sechzehn Jahre altes Schulkind ohne die geringsten Vorstrafen plötzlich als gefährlich gelten?
Der Psychologe sprach als Erster.
“Es sind Polizisten hier, die dich sehen wollen,” sagte er ruhig zu dem Mädchen. “Es geht um Scarlet.”
Der Kopf des Mädchens schoss nach oben. Ihre Augen waren wild und suchten die Gesichter, der drei Menschen vor ihr, ab. Sadie Marlow konnte die Qualen in ihrem Gesicht sehen und die Verzweiflung.
“Scarlet,” rief das Mädchen und zog an den Fesseln. “Ich muss Scarlet finden.”
Der Psychologe warf den beiden Polizisten noch einen letzten Blick zu, bevor er den Raum verließ.
*
Maria sah zu den Polizisten auf. Irgendwo, weit hinten in ihrem Kopf, arbeitet ihr klarer Verstand noch und war immer noch wach und klar. Aber der Teil, den Lore zerstört hatte, war jetzt die kontrollierende Macht und es fühlte sich an wie eine dunkle Sturmwolke, die ihren Verstand benebelte. Sie musste hier rauskommen und sie musste Scarlet finden. Scarlet wäre bei Sage und Sage, dessen war sie sich sicher, würde ihr helfen können. Er wäre in der Lage rückgängig zu machen, was sein Cousin angerichtet hatte.
Aber egal wie sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte niemandem erklären, dass sie nicht verrückt war, dass sie nicht hierher gehörte, festgekettet wie ein Verbrecher. Selbst als ihre Freunde kamen um sie zu sehen, selbst als ihre Mutter ihre Hand hielt und weinte, konnte Maria die Worte nicht aussprechen. Was auch immer Lore in ihren Geist gepflanzt hatte war undurchdringlich. Und es wurde stärker. Mit jedem Moment der verging fühlte sie, wie ihre Kräfte nachließen. Ihre Fähigkeit Lores Gedankenkontrolle zu bekämpfen wurde weniger und ihr klarer Verstand wurde schwächer und schwächer. Maria war sich sicher, dass er schließlich ganz verschwinden würde, sie als eine leere Hülle zurückbleiben würde, wenn sie keine Hilfe bekam.