Erec rannte durch die Reihen von Kriegern – schneller, beweglicher und stärker als jeder andere auf dem Feld – und führte seine Männer, die auf dem Weg zum Fort einen Empire-Krieger nach dem anderen töteten. Das Getümmel wurde immer dichter, und die Männer des Empire waren starke Gegner im Kampf Mann gegen Mann. Es brach Erec das Herz zu sehen, dass viele seiner Männer beim Angriff starben.
Doch Erec drang entschlossen weiter vor und wich blitzschnell immer wieder Hieben aus. Er stürmte über das Ufer wie ein Dämon, der aus der Hölle ausgebrochen war.
Bald war niemand mehr übrig. Alles war still am Ufer, das vom Blut rot gefärbt wurde. Die meisten der Toten waren Empire-Krieger, doch unter ihnen waren auch zu viele seiner eigenen Männer.
Voller Zorn stürmte Erec auf das Fort zu, in dem es immer noch von Kriegern wimmelte. Seinen Männern voran rannte er die steinernen Stufen am Rand entlang, und rammte dabei dem ersten Krieger, der ihn angriff, seinen Dolch ins Herz – gerade noch rechtzeitig bevor dieser seinen Kriegshammer auf seinen Kopf heruntersausen lassen konnte. Erec zog seinen Dolch heraus und der tote Krieger fiel neben ihm die Treppen hinunter. Ein weiterer Mann tauchte auf und hieb nach Erec, bevor dieser reagieren konnte. Doch Strom sprang dazwischen, und mit lautem Klirren und Funkenregen wehrte er den Hieb ab, bevor er seinen Bruder treffen konnte. Dann versetzte er dem Krieger einen Tritt, der ihn über die Kante und in den Tod stürzen ließ.
Erec stürmte vier Stufen auf einmal nehmend weiter, bis er den oberen Rand der Wehranlagen erreichte. Dutzende von Kriegern, die sich noch auf den Zinnen befanden waren jetzt, wo sie all ihre Brüder tot sahen – gelähmt vor Angst. Beim Anblick von Erecs Männern, die die Wehrgänge stürmten, ergriffen sie die Flucht. Sie rannten die Stufen auf der gegenüberliegenden Seite der Festung hinunter in die Straßen des Dorfes – und mussten dort eine Überraschung erleben; die Dorfbewohner hatten durch den Angriff Mut geschöpft. Ihre verängstigten Mienen machten einem Ausdruck blinder Wut Platz und sie erhoben sich gegen ihre Peiniger. Sie rissen den Zuchtmeistern die Peitschen aus den Händen und verfolgten die übriggebliebenen Krieger.
Die Empire-Krieger hatten nicht damit gerechnet und einer nach dem anderen fiel unter den Peitschenhieben der Sklaven. Auch wenn sie schon am Boden lagen schlugen die Sklaven weiter auf sie ein bis sie sich nicht mehr rührten. Der Gerechtigkeit war genüge getan.
Schwer atmend stand Erec mit seinen Männern auf den Mauern des Forts und nahm schweigend Bestand auf. Der Kampf war vorbei. Unten brauchten die schockierten Dorfbewohner eine Weile, um zu begreifen, was geschehen war.
Einer nach dem anderen begann zu jubeln bis sich der Jubel über das ganze Dorf ausbreitete. Freudestrahlend begrüßten sie ihre neu gewonnene Freiheit. Erec wusste, dass es das wert gewesen war. Genau das war wahrer Heldenmut.
KAPITEL SIEBEN
Godfrey saß am Boden der unterirdischen Kammer von Silis Palast. Akorth, Fulton, Ario und Merek saßen neben ihm, Dray zu seinen Füßen, während Silis und ihre Männer ihnen gegenüber saßen. Alle waren niedergeschlagen und saßen mit gesenkten Köpfen da, denn sie wussten, dass dies eine Totenwache war. Die Kammer bebte von der Verwüstung über ihnen, der Invasion Volusias, und der Krach der Zerstörung hallte in ihren Ohren. Sie alle saßen wartend im Halbdunkel, während die Ritter der Sieben über ihren Köpfen die Stadt in Grund und Boden stampften.
Godfrey nahm einen langen Schluck aus seinem Weinschlauch, dem wohl letzten Weinschlauch, der in der ganzen Stadt übrig war, um den Schmerz zu betäuben, und die Gedanken an den sicheren Tod, der ihnen allen bevorstand.
Er starrte seine Füße an und fragte sich, wie es dazu hatte kommen können. Vor wenigen Monden noch war er sicher im Ring gewesen, hatte getrunken und gefeiert, und keine anderen Sorgen gehabt, als sich zu entscheiden, welche Schenke oder welches Bordell er am nächsten Abend aufsuchen sollte. Jetzt war er hier, auf der anderen Seite des Meeres, gefangen unter den Ruinen einer Stadt, wie in einem Sarg.
Sein Kopf dröhnte, und er versuchte sich zu konzentrieren. Er spürte, was seine Freunde dachten, konnte es in der Verachtung in ihren Blicken fühlen: sie hätten nie auf ihn hören sollen; sie hätten fliehen sollen, als sie noch die Gelegenheit dazu gehabt hatten. Wenn sie nicht wegen Silis zurückgekehrt wären, hatten sie den Hafen erreichen und auf einem Schiff aus Volusia fliehen können. Godfrey versuchte in der Tatsache Trost zu finden, dass er damit seine Schuld beglichen und das Leben der Frau gerettet hatte. Wenn er sie nicht rechtzeitig erreicht hätte, wäre sie jetzt wahrscheinlich schon tot. Das musste für etwas zählen, selbst, wenn es so gar nicht seiner Natur entsprach.
„Und was jetzt?“, fragte Akorth.
Godfrey wandte sich ihm zu und sah den anklagenden Blick, mit dem er die Frage stellte, die allen auf der Seele brannte.
Godfrey sah sich in der kleinen, spärlich beleuchteten Kammer um. Sie hatten kaum Vorräte und nicht mehr als ein kleines Fass Bier, das in einer Ecke stand. Es war eine Totenwache. Sie konnten immer noch den Krach der Schlacht über sich hören, selbst durch diese dicken Wände, und er fragte sich, wie lange sie hier unten ausharren konnten. Stunden? Tage? Wie lange, bis die Ritter der Sieben Volusia eingenommen hatten? Würden sie sich damit zufrieden geben und wieder abziehen?
„Sie sind nicht hinter uns her“, bemerkte Godfrey. „Hier kämpft Empire gegen Empire. Sie sind auf einem Rachefeldzug gegen Volusia. Mit uns haben sie keinen Probleme.“
Silis schüttelte den Kopf.
„Sie werden Volusia besetzen“, sagte sie ernst. „Die Ritter der Sieben ziehen sich nicht zurück.“
Schweigen.
„Wie lange können wir dann hier unten überleben?“, fragte Merek.
Silis betrachtete die Vorräte.
„Eine Woche vielleicht“, antwortete sie.
Plötzlich war von oben ein lautes Rumpeln zu hören, und Godfrey zuckte zusammen, als der Boden unter seinen Füßen bebte.
Silis stand auf und ging nervös hin und her, wobei sie immer wieder einen Blick an die Decke warf, aus der der Mörtel zu regnen begann. Es klang, als ginge eine Gerölllawine auf sie nieder, und sie beobachtete besorgt die Wände.
„Sie sind in meinen Palast eingedrungen“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen.
Godfrey sah den gequälten Ausdruck in ihrem Gesicht und er erkannte, dass das der Ausdruck eines Menschen war, der alles verlor, was er besessen hatte.
Sie drehte sich um und sah Godfrey dankbar an.
„Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich jetzt da oben“, sagte sie. „Du hast unser aller Leben gerettet.“
„Und wozu?“, fragte er. „Was haben wir schon erreicht? Jetzt sitzen wir hier unten und warten auf den Tod.“
Silis sah niedergeschlagen aus.
„Wenn wir hier bleiben“, fragte Merek, „werden wir dann alle sterben?“
Silis nickte beklommen.
„Ja“, antwortete sie ehrlich. „Nicht heute oder morgen, doch in ein paar Tagen mit Sicherheit. Sie können nicht nach hier unten kommen – doch wir können auch nicht nach oben gehen. Bald werden uns die Vorräte ausgehen.“
„Und was dann?“, fragte Ario. „Willst du etwa, hier unten zu sterben? Also ich für meinen Teil, habe das nicht vor.“
Silis ging mit gerunzelter Stirn hin und her, und Godfrey konnte sehen, dass sie angestrengt nachdachte.
Dann blieb sie schließlich stehen.
„Es gibt eine Chance“, sagte sie. „Es ist riskant, aber vielleicht funktioniert es ja.“
Sie sah sie an und Godfrey hielt voller Hoffnung erwartungsvoll den Atem an.
„Zu Zeiten meines Vaters gab es einen unterirdischen Gang, der unter dem Palast hindurch führte“, sagte sie. „Er führt unter den Mauern hindurch. Wenn er noch existiert, können wir ihn finden, und im Schutz der Dunkelheit fliehen. Wir können versuchen, durch die Stadt zum Hafen zu kommen. Wenn noch eines meiner Schiffe übrig ist, können wir damit fliehen.“
Eine lange, verunsicherte Stille legte sich über den Raum.
„Riskant“, sagte Merek schließlich mit ernster Stimme. „Die Stadt wird von Empire-Kriegern nur so wimmeln. Wie sollen wir da durchkommen, ohne getötet zu werden?“
Silis zuckte mit den Schultern.
„Stimmt“, antwortete sie. „Wenn sie uns erwischen, bringen sie uns um. Doch wenn wir warten, bis es dunkel genug ist, und jeden töten, der sich uns in den Weg stellt, können es vielleicht bis zum Hafen schaffen.“
„Und was, wenn wir den Geheimang finden und es bis zum Hafen schaffen, und deine Schiffe sind fort?“, fragte Ario.
Sie wandte sich ihm zu.
„Kein Plan ist vollkommen unfehlbar“, sagte sie. „Es ist durchaus wahrscheinlich, dass wir da draußen sterben – genau wie hier.“
„Der Tod ist unausweichlich“, mischte Godfrey sich ein, in dem eine neue Zielstrebigkeit erwachte, als er aufstand und die anderen ansah. „Die Frage ist nur, wie wir sterben wollen; wollen wir uns hier unten verkriechen wie Ratten und darauf warten, dass der Tod uns holen kommen? Oder wollen wir rausgehen und versuchen, uns unsere Freiheit zurückzuholen?“
Langsam, einer nach dem anderen, standen alle anderen auf. Sie sahen ihn an und nickten ernst.
In diesem Augenblick wusste er, dass sie einen Plan hatten. Heute Nacht würden sie fliehen.
KAPITEL ACHT
Loti und Loc gingen Seite an Seite unter der brennend heißen Wüstensonne. Sie waren aneinander gefesselt und wurden von einem peitschenschwingenden Zuchtmeister des Empire vorangetrieben. Als sie durch das Ödland wanderte, fragte sich Loti wieder einmal, warum ihr Bruder sich für diese gefährliche und anstrengende Arbeit freiwillig gemeldet hatte. War er verrückt geworden?
„Was hast du dir nur dabei gedacht?“, flüsterte sie ihm zu. Sie wurden von hinten angestoßen und als Loc das Gleichgewicht verlor und stolperte, fing Loti ihn an seinem gesunden Arm auf.
„Warum hast du dich freiwillig gemeldet?“, fügte sie hinzu.
„Sieh dich um“, sagte er, während er sich wieder aufrappelte. „Was siehst du?“
Loti sah sich um und sah nichts außer der Einöde der Wüste vor ihnen. Sie war voller Sklaven, der Boden steinhart gebacken; dahinter lag eine Steigung zu einer Anhöhe, auf der ein Dutzend weitere Sklaven arbeiteten. Überall waren Zuchtmeister und das Knallen ihrer Peitschen hallte durch die Luft.
„Ich sehe nichts“, antwortete sie ungeduldig. „Nur immer das gleiche: Sklaven, die von ihren Zuchtmeistern zu Tode geschunden werden.“
Plötzlich spürte Loti einen brennenden Schmerz quer über ihrem Rücken und sie schrie auf, als die Peitsche ihre Haut aufriss.
Sie drehte sich um und blickte in das böse Gesicht des Zuchtmeisters hinter ihr.
„Halt den Mund!“, befahl er.
Loti war durch die Schmerzen zum Weinen zumute, doch sie biss sich auf die Zunge und lief weiter mit rasselnden Ketten neben Loc her. Sie schwor all diese Empire-Schergen zu töten, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.
Sie wanderten schweigend weiter und Loc kam dichter zu ihr heran.
„Es ist nicht, was du siehst“, flüsterte er. „Es ist, was du nicht siehst. Schau genau hin, da oben auf der Anhöhe.“
Sie studierte die Landschaft, doch sie sah nichts.
„Da oben ist nur ein Zuchtmeister. Ein einziger – für zwei Dutzend Sklaven. Sieh dich um und schau, wie viele hier unten sind.“
Loti warf unauffällig einen Blick über ihre Schulter und zählte Dutzende von Zuchtmeistern im Tal unter sich. Sie wandte ihren Blick wieder der Anhöhe zu und begriff schließlich, was ihr Bruder vorhatte. Dort oben war nicht nur ein einziger Zuchtmeister, er hatte auch noch ein Zerta bei sich. Ein Fluchtmittel.
Sie war beeindruckt und nickte
„Das dort oben auf der Anhöhe ist die gefährlichste Arbeit“, flüsterte er. „Der heißeste und am meisten verabscheute Ort – für Sklaven genauso wie für Zuchtmeister. Doch das, liebe Schwester, ist unsere Chance.“
Loti wurde plötzlich in den Rücken getreten und als sie stolperte, zog sie Loc mit sich. Sie rappelten sich auf und gingen weiter die Anhöhe hinauf. Sie keuchte unter der Hitze und Anstrengung des Aufstiegs. Doch als sie diesmal aufblickte, schwoll ihr Herz mit Optimismus und schlug schneller: endlich hatten sie einen Plan.
Loti hatte nie gedacht, dass ihr Bruder so viel Mut aufbringen konnte und so sehr bereit war, ein Risiko einzugehen und sich dem Empire entgegen zu stellen. Doch wenn sie ihn ansah, sah sie die Verzweiflung in seinen Augen und sie konnte sehen, dass er endlich so dachte wie sie. Sie sah ihn in neuem Licht, und bewunderte ihn sehr. Dieser Plan hätte auch von ihr stammen können.
„Und was ist mit unseren Fesseln?“, flüsterte sie, nachdem sie sich umgesehen hatte und sicher war, dass der Zuchtmeister außer Hörweite war.
Loc nickte mit dem Kopf in Richtung des Zertas.
„Der Sattel“, antwortete er. „Schau genau hin.“
Loti warf einen Blick in Richtung des Sattels und sah, dass ein langes Schwert in einer Scheide steckte, die daran befestigt war: damit konnten sie ihre Ketten zerschlagen.
Sie konnten es wirklich schaffen.
Zum ersten Mal, seitdem ihre Mutter sie ausgeliefert hatte, spürte Loti, wie ihr Optimismus zurückkehrte. Sie betrachtete die Sklaven oben auf der Anhöhe: sie waren alle gebrochene Männer und Frauen, die gedankenverloren ihrer Arbeit nachgingen. Keiner von ihnen schien auch nur einen Funken Widerstand in den Augen übrig zu haben, was Loti bewusst machte, dass ihnen niemand bei der Flucht helfen würde. Das störte sie jedoch nicht – sie brauchte ihre Hilfe nicht. Sie brauchten nur eine Gelegenheit, und hoffte, dass all die anderen Sklaven für genug Abwechslung sorgen würden.
Loti bekam wieder einen Tritt in den Rücken und landete mit dem Gesicht voran im Dreck auf dem Gipfel der Anhöhe. Grobe Hände packten sie und zerrten sie auf die Beine, danach versetzte der Zuchtmeister ihr einen Stoß und ging wieder zurück ins Tal.
„An die Arbeit!“, schrie der Zuchtmeister, der für die Sklaven auf der Anhöhe zuständig war.
Seine schwieligen Hände packten sie am Nacken und schoben sie vor sich her; ihre Ketten rasselten als er sie vor sich her trieb und sie in das Arbeitsfeld mit den anderen Sklaven stolperte.
Jemand reichte ihr eine lange Hacke mit einem eisernen Ende, und sie wurde mit einem letzten Stoß ihrer Arbeit überlassen.
Loti drehte sich um und als sie sah, wie Loc ihr bedeutungsvoll zunickte, spürte, wie ein Feuer in ihren Adern brannte; jetzt oder nie.
Sie stieß einen Schrei aus, hob die Hacke, schwang sie herum und schlug mit aller Kraft zu. Geschockt sah sie, wie das eiserne Ende im Hinterkopf des Zuchtmeisters stecken blieb.
Loti hatte die Hacke so schnell herumgeschwungen, dass er sie nicht einmal hatte kommen sehen. Natürlich ging niemand davon aus, dass ein Sklave hier versuchen würde einen Zuchtmeister anzugreifen, geschweige denn davonzulaufen.
Der Einschlag der Hacke vibrierte durch Lotis Hände und Arme, und sie beobachtete erst geschockt, dann zufrieden, wie der Wächter zusammenbrach. Da ihr Rücken von dem Peitschenhieb des anderen immer noch brannte, spürte sie das süße Gefühl der Rache.
Als der Zuchtmeister sich wieder aufrappeln wollte, trat Loc vor, hob seine eigene Hacke und schlug zu.
Schließlich rührte sich der Mann nicht mehr.