Ein Reich der Schatten - Морган Райс 2 стр.


Wie ironisch dachte sie, hier zu sterben, in ihrer Heimatstadt, von einer riesigen Welle zu Tode zerquetscht, die vom pandesischen Kanonenfeuer erzeugt worden war. Sie wäre lieber anders gestorben. Sie konnte mit fast allen Arten von Tod umgehen – nur nicht mit Ertrinken.

Sie konnte diesen schlimmen Schmerz, das Zappeln nicht ertragen, nicht den Mund öffnen zu können und diesen einen Atemzug zu nehmen, nachdem sich jeder Zentimeter ihres Körpers so sehnte.

Sie spürte wie sie schwächer wurde und gab sich langsam dem Schmerz hin – und genau dann, als sie merkte, wie sich ihre Augen langsam schlossen, als sie wusste, dass sie es nicht mehr länger aushielt, merkte sie wie sie auf einmal schnell nach oben raste, die Welle trug sie mit derselben Kraft nach oben mit der sie sie auch nach unten gedrückt hatte. Sie raste in Eigendynamik wie ein Katapult nach oben in Richtung Oberfläche, das Sonnenlicht war bereits zu sehen, der Druck ließ ihr beinahe das Trommelfell zerplatzen.

Zu ihrer Überraschung kam sie einen Moment später an die Oberfläche. Sie keuchte und atmete tief ein, dankbarer als jemals zuvor in ihrem Leben. Sie schnappte nach Luft, atmete erneut tief ein und bereits einen Moment später wurde sie zu ihrem Schock erneut unter die Wasseroberfläche gezogen. Dieses Mal hatte sie jedoch genug Sauerstoff, um ein bisschen länger überleben zu können und glücklicherweise wurde sie auch nicht so weit nach unten gedrückt.

Sie kam bald wieder nach oben, durchbrach die Oberfläche und nahm einen weiteren tiefen Atemzug, bevor sie wieder nach unten gezogen wurde. Jedes Mal war es anders, die Welle wurde schwächer und als sie wieder an die Oberfläche kam, fühlte sie, dass die Welle das Ende der Stadt erreichte und langsam auslief.

Diedre sah wie sie die Stadtgrenzen überquerte und an allen bedeutenden Gebäuden vorbeikam, die nun alle unter Wasser standen. Sie wurde wieder unter Wasser gezogen, diesmal jedoch langsam genug, dass sie unter Wasser die Augen öffnen und so die ganzen großen Gebäude unter sich sehen konnte, die einstmals die Stadt ausgemacht hatten. Sie sah dutzende von Körpern, wie Fische, im Wasser an ihr vorbeischwimmen. Körper, deren tote Ausdrücke sie bereits aus dem Gedächtnis zu löschen versuchte.

Schließlich, sie wusste nicht wieviel Zeit bereits vergangen war, kam Diedre wieder an die Oberfläche und dieses Mal endgültig. Sie war stark genug, gegen die letzte, schwache Welle zu kämpfen, die sie wieder nach unten ziehen wollte und mit einem letzten Tritt konnte sie sich an der Oberfläche halten. Das Wasser vom Hafen war zu weit ins Landesinnere gespült worden, es gab keinen Ort mehr an den es fließen konnte und Diedre spürte wie sie auf eine Weide geschleudert wurde, als sich das Wasser langsam zurück in Richtung Meer zurückzog und sie dort auf dem Gras allein zurückließ.

Diedre lag dort auf dem Bauch mit dem Gesicht im nassen Gras und stöhnte vor Schmerzen. Sie schnappte immer noch nach Luft, ihre Lungen brannten. Sie atmete mehrmals tief ein und genoss jeden Atemzug. Sie schaffte es gerade so sich umzudrehen und über ihre Schulter zu schauen und war geschockt, dass da, wo einstmals eine großartige Stadt gethront hatte, nun nichts weiter als ein Meer war. Sie konnte nur den höchsten Teil des Glockenturms ausmachen, der einige Meter aus dem Wasser ragte, welcher ursprünglich hundert Meter hoch in die Luft geragt hatte.

Sie war so unglaublich erschöpft und endlich ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Als sie dort so lag, ließ sie ihr Gesicht auf den Boden fallen und allen Schmerz der schrecklichen Ereignisse zu. Sie konnte sich nicht bewegen, auch wenn sie es versuchte.

Einige Augenblicke später schlief sie schon und war, auf einem verlassenen Feld am Ende der Welt, kaum noch am Leben.

Und doch, irgendwie war sie am Leben.

*

„Diedre”, sagte eine Stimme und sie wurde sanft angestupst.

Diedre öffnete langsam ihre Augen, verwundert, dass die Sonne bereits unterging. Ihr war eiskalt, ihre Sachen waren immer noch nass, sie versuchte sich zu orientieren und fragte sich, wie lange sie hier wohl bereits gelegen hatte und ob sie tot oder am Leben war. Da war die Hand wieder und schüttelte sie an der Schulter.

Diedre sah nach oben und zu ihrer großen Erleichterung sah sie Marco. Er war am Leben, sie war überglücklich ihn zu sehen. Er sah verdroschen aus, abgezehrt, zu bleich und so als ob er um hundert Jahre gealtert war. Und doch war er am Leben. Irgendwie hatte er es geschafft zu überleben.

Marco kniete neben ihr und lächelte mit traurigen Augen auf sie herab. Seine Augen schienen nicht mit der gleichen Lebensstärke wie zuvor zu strahlen.

„Marco”, antwortete sie schwach, überrascht von ihrer eigenen krächzenden Stimme.

Sie sah einen Kratzer auf der Seite seines Gesichts und streckte ihre Hand besorgt danach aus.

„Du siehst genauso schlimm aus, wie ich mich fühle”, sagte sie.

Er half ihr auf die Beine und sie kam auf die Füße, ihr Körper schmerzte von den ganzen Schnitten und Verletzungen, die sie an den Armen und Beinen hatte. Sie suchte jeden Knochen ab und es schien so als ob nichts gebrochen war.

Diedre nahm einen tiefen Atemzug und stählte sich, als sie sich umdrehte und hinter sich blickte. Und so wie sie es erwartet hatte, sah sie sich einem Albtraum gegenüber: Ihre geliebte Stadt war verschwunden. Es gab nichts mehr außer dem Meer. Das Einzige, was noch zu sehen war, war der Glockenturm. Am Horizont dahinter sah sie eine Flotte aus schwarzen pandesischen Schiffen, die immer weiter und weiter ins Landesinnere segelten.

„Wir können hier nicht bleiben”, sagte Marco mit drängender Stimme. „Sie kommen.”

„Wohin sollen wir gehen?” fragte sie hoffnungslos.

Marco starrte ausdruckslos zurück und wusste es offensichtlich auch nicht.

Diedre sah nach draußen auf den Sonnenuntergang und versuchte zu denken. Das Blut pochte in ihren Ohren. Jeden, den sie kannte und liebte war tot. Sie hatte das Gefühl, dass es nichts gab, wofür es sich zu leben lohnte. Wohin kannst du noch gehen, wenn deine Stadt zerstört wurde? Wenn das Gewicht der Welt auf dir liegt?

Diedre schloss ihre Augen, schüttelte voller Trauer ihren Kopf und wünschte sich alles weg. Ihr Vater, das wusste sie, lag dort tot. Seine Soldaten waren alle tot. Die Menschen, die sie ihr ganzes Leben gekannt und geliebt hatte, waren dank dieser pandesischen Monster tot. Es gab nun niemanden mehr, der sie aufhalten konnte. Welchen Grund gab es noch weiter zu machen?

Diedre brach weinend zusammen. Sie dachte an ihren Vater und fiel auf die Knie, sie fühlte sich zerstört. Sie weinte und weinte und wollte selbst sterben und wünschte sich, sie wäre gestorben und verfluchte den Himmel, dass sie weiterleben musste. Warum hätte sie nicht einfach mit der Welle ertrinken können? Warum hatte sie nicht einfach wie die anderen umgebracht werden können? Warum war sie zum Leben verflucht worden?

Sie fühlte eine beruhigende Hand auf der Schulter.

„Es ist schon in Ordnung, Diedre”, sagte Marco sanft.

Diedre zuckte beschämt zusammen.

„Es tut mir leid”, sagte sie schließlich weinend. „Es ist nur…mein Vater…Ich habe nun nichts mehr.”

„Du hast alles verloren”, sagte Marco mit schwerer Stimme. „Und ich auch. Auch ich will nicht weitermachen. Aber wir müssen. Wir können nicht hier liegen und sterben. Es würde sie nicht ehren. Es würde alles entehren wofür sie gelebt und gekämpft haben.”

In der langen Stille die folgte setzte sich Diedre langsam aufrecht hin und realisierte, dass er Recht hatte. Und als sie nach oben in Marcos braune Augen blickte und sah, wie er sie voller Mitleid ansah, realisierte sie, dass sie doch jemanden hatte. Sie hatte Marco. Sie hatte auch den Geist ihres Vaters, der auf sie hinabsah, sie beschützte und sich wünschte, dass sie stark war.

Sie zwang sich selbst, es abzuschütteln. Sie musste stark sein. Ihr Vater hätte gewollt, dass sie stark war. Selbstmitleid, das realisierte sie, würde niemandem helfen. Und genauso wenig würde dies ihr Tod.

Sie starrte zurück zu Marco und sie konnte mehr als nur Mitleid sehen – sie konnte auch die Liebe in seinen Augen erkennen.

Nicht ganz Herr ihrer Sinne lehnte sich Diedre mit klopfendem Herzen nach vorne und traf Marcos Lippen in einem unerwarteten Kuss. Für einen Moment spürte sie, wie sie in eine andere Welt transportiert wurde und all ihre Sorgen verschwanden.

Sie trat langsam zurück und schaute ihn geschockt an. Marco sah sie genauso verwundert an. Er nahm ihre Hand.

Und als er dies tat, voller Hoffnung, war sie wieder in der Lage klar zu denken – und ein Gedanke blitze in ihr auf. Es gab noch jemanden, eine Person und einen Ort an den sie gehen konnten.

Kyra.

Diedre fühlte wie ein Hoffnungsschimmer in ihr aufkeimte.

„Ich weiß, wohin wir gehen müssen“, sagte sie aufgeregt.

Marco sah sie fragend an.

„Kyra“, sagte sie. „Wir können sie finden. Sie wird uns helfen. Wo auch immer sie ist, sie kämpft. Wir können uns ihr anschließen.“

„Aber woher weißt du, dass sie am Leben ist?“ fragte er.

Diedre schüttelte mit dem Kopf.

„Das weiß ich nicht“, antwortete sie. „Aber Kyra überlebt immer. Sie ist der stärkste Mensch, den ich je getroffen habe.“

„Wo ist sie?“ fragte er.

Diedre dachte nach und erinnerte sich an das letzte Mal als sie Kyra gesehen hatte, als sie nach Norden in Richtung des Turmes unterwegs gewesen war.

„Der Turm von Ur“, sagte sie.

Marco sah sie überrascht an; dann erschien ein optimistischer Schimmer in seinen Augen.

„Die Wächter sind dort“, sagte er. „Und andere Krieger. Männer, die mit uns kämpfen können.“ Er nickte begeistert. „Eine gute Wahl“, fügte er hinzu. „Wir könnten in diesem Turm in Sicherheit sein. Und wenn deine Freundin dort ist, dann umso besser. Es ist ein Tagesmarsch von hier. Lass uns gehen. Wir müssen uns beeilen.“

Er nahm ihre Hand und ohne ein weiteres Wort gingen die beiden los. Diedre war mit einem neuem Gefühl von Optimismus erfüllt als sie in den Wald liefen und von dort irgendwo hin, immer in Richtung des Turmes von Ur.

KAPITEL DREI

Kyra wappnete sich als sie in das Feld aus Feuer schritt. Die Flammen schossen in den Himmel, versiegten aber genauso schnell wieder. Die Flammen wanden sich in vielen verschiedenen Farben und streichelten sie, als sie mit ausgestreckten Armen hindurchlief. Sie fühlte ihre Intensität, fühlte wie sie sie umschlangen, wie in einer dünnen Umarmung.

Sie wusste, dass sie in den Tod lief und dennoch konnte sie nirgendswo anders hin.

Und doch, unglaublicherweise fühlte sie keinen Schmerz. Sie verspürte ein Gefühl von Frieden, so als ob ihr Leben zu Ende ging.

Sie sah nach draußen durch die Flammen, sie sah ihre Mutter, die irgendwo dort am weiten Ende auf sie wartete, auf der anderen Seite des Feldes. Sie fühlte Frieden und sie wusste endlich, dass sie in der Umarmung ihrer Mutter sein würde.

Ich bin hier, Kyra, rief sie. Komm zu mir.

Kyra starrte in die Flammen und konnte nur das Gesicht ihrer Mutter ausmachen, es war fast durchscheinend und halb hinter einer Flammenwand versteckt. Sie lief tiefer in die knisternden Flammen und war nicht in der Lage anzuhalten, bis sie von allen Seiten umringt wurde.

Ein Brüllen drang durch die Luft, es war sogar lauter als das Geräusch der Flammen. Sie sah nach oben und war verwundert, dass sie einen Himmel voller Drachen sah. Sie kreisten und kreischten und als sie erneut nach oben blickte, sah sie wie ein riesiger Drache brüllte und nun zu ihr hinunterflog.

Kyra spürte wie der Tod kam.

Als der Drachen mit ausgestreckten Klauen näher kam, brach auf einmal der Boden unter ihr zusammen und Kyra merkte wie sie fiel und in Richtung Erde raste. Eine Erde, die voller Flammen war, ein Ort, an dem sie niemals entkommen konnte.

Kyra öffnete überrascht die Augen und atmete schwer. Sie sah sich um und fragte sich, wo sie war und fühlte den Schmerz in jedem Teil ihres Körpers. Sie spürte den Schmerz im Gesicht, ihre Wangen waren geschwollen und pochten und als sie langsam ihren Kopf anhob, da sie nicht richtig atmen konnte, stellte sie fest, dass sie mit dem Gesicht im Schlamm lag. Sie stemmte die Handflächen in die weiche Erde, erhob sich langsam, wischte sich den Schlamm vom Gesicht und fragte sich, was gerade passiert war.

Ein Brüllen durchschnitt die Luft. Kyra sah nach oben und fühlte wie eine Welle der Angst sie überkam, als sie etwas sehr Reales am Himmel erblickte. Die Luft war von Drachen erfüllt. Drachen aller Größen und Farben, sie kreisten, kreischten und spien voller Wut Feuer durch die Luft. Als sie sie beobachtete, sah sie wie ein Drache hinunterflog und einen Feuerwall Richtung Boden spie. Kyra sah sich wieder und wieder suchend um und ihr Herz setzte für einen Schlag aus, als sie realisierte, wo sie war: Andros.

Nun kam alles zurück. Sie war auf Theon geflogen und nach Andros zurückgekehrt, um ihren Vater zu retten, als sie in der Luft von einer Horde Drachen angegriffen wurden. Sie waren aus dem Nichts am Horizont erschienen, hatten Theon gebissen und sie auf den Boden geworfen. Kyra realisierte, dass sie wohl ohnmächtig gewesen sein musste.

Nun war sie von einer Hitzewelle, von Schreien und von Chaos in der Hauptstadt geweckt worden. Sie sah sich um und realisierte, dass die Hauptstadt unter Flammen stand. Überall rannten Menschen um ihr Leben, sie schrien, als die Flammen wie Wellen, wie ein Sturm herabkamen. Es sah aus, als ob das Ende der Welt gekommen war.

Kyra hörte ein schweres Atmen und als sie Theon sah, wie er nah neben ihr auf der Seite verletzt auf dem Boden lag, sank ihr Herz hinab. Blut lief aus seinen Schuppen. Seine Augen waren geschlossen, seine Zunge hing auf der einen Seite aus dem Maul und er sah aus, als ob er fast tot war. Der einzige Grund, warum sie und Theon noch am Leben waren, war, dass sie beide von einem Schutthügel getarnt wurden. Sie waren wohl in ein Gebäude gefallen, das über ihnen zusammengebrochen war. Aber wenigstens hatte es sie versteckt und aus der Sichtweite der Drachen über ihnen gebracht.

Kyra wusste, dass sie und Theon hier so schnell wie möglich rauskommen mussten. Es blieb ihnen nicht viel Zeit, bevor sie entdeckt werden würden.

„Theon!” drängte sie.

Sie drehte sich um und hievte den Schutt, der über ihr lag zur Seite. Endlich schaffte sie es, die großen Stücke von ihrem Rücken zu schieben und sich selbst zu befreien. Sie rannte rüber zu Theon und schaufelte hektisch den Schutt über ihm zur Seite. Sie war in der Lage die meisten der Felsen zur Seite zu rollen und doch als sie wieder und wieder schaufelte, um den schweren Felsen von ihm zu bekommen, der ihn hinunterdrückte, schaffte sie es nicht. Sie versuchte es wieder und wieder, aber so sehr sie es auch versuchte, sie kam nicht weiter.

Kyra rannte hinüber und ergriff Theons Gesicht, verzweifelt ihn zu wecken. Sie strich über seine Schuppen und zu ihrer Erleichterung öffnete Theon langsam seine Augen. Aber dann schloss er sie bereits wieder und sie fing noch heftiger an ihn zu schütteln.

„Wach auf!” schrie Kyra. „Ich brauche dich!“

Theons Augen öffneten sich wieder leicht, dann drehte er den Kopf und sah sie an. Als er sie erkannte wurden der Schmerz und die Wut in seinen Augen weicher. Er versuchte sich zu drehen und hochzukommen, aber er war offensichtlich zu schwach; der Felsen drückte ihn nach unten.

Kyra stemmte wütend den Felsen zur Seite, aber dann brach sie weinend zusammen, als sie realisierte, dass sie ihn nicht würde bewegen können. Er würde hier sterben. Und sie auch.

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