Kreidekreis - Klabund 2 стр.


HAITANG: Armer Bruder! Gib ihm fünfzehn Taels, Mutter. Der heilige Geist meines Vaters wird mich nicht verlassen.

(Tschang ling streicht zwanzig Taels katzenhaft ein und verschwindet.)

TONG: Ein etwas sonderbarer Herr, Ihr Herr Bruder! Er war so unhöflich, sich mir nicht einmal vorzustellen. Aber erlauben Sie mir, Ihnen den goldenen Käfig zu zeigen, in dem Sie singen und Ihr schönes Gefieder spreizen sollen. Bitte, hier.

(Er zieht den Vorhang zu dem vierten leeren Käfig. Umarmung von Mutter und Tochter. Tong geleitet die Mutter hinaus. Haitang im Käfig singt.)

HAITANG:

(Pao, ein junger Prinz, betritt den Raum. Tong vor ihm her in vielen rückwärtigen Bücklingen verschwindet in der Kulisse.)

PAO:

Ich bin der kaiserliche Prinz Pao. Einer von den vielen kaiserlichen Prinzen. Es gibt deren so viele wie Regentropfen an einem Apriltage. Die Kaiserwahl ist eine Art Staatslotterie. Das Los entscheidet unter den Prinzen, wer als Sohn des Himmels den Drachenthron besteigen soll. Ich bin dem Ruf einer Nachtigall gefolgt. Sie sang so lockend, wie eine Nachtigall in Freiheit nicht singt. Nur gefangene und geblendete Nachtigallen singen so bezaubernd. Wo ist der Vogel, daß ich ihn fange und sein kleines Vogelherz ängstlich in meinen Händen pochen fühle?

(Entdeckt Haitang.)

Ich hörte eine Nachtigall, folgte ihrem Ruf und finde statt eines Vogels eine Blume. Ihr Duft verwirrt mich, sie trägt das weiße Gewand der Trauer und hält den Kelch geschlossen. Darf ich versuchen, Sie ein wenig zu erheitern und die Blüte zu öffnen?

HAITANG: Sind Sie die Sonne? Nur der Sonne neigen die Blumen sich zu.

PAO: O weit gefehlt, daß ich eine Sonne, wäre. Ich bin nicht einmal ein Stern, aber vielleicht das Kind eines Sternes und, als die Sternenmutter mich säugte, aus der Milchstraße gefallen .

HAITANG: Vielleicht sind Sie nur eine Sternschnuppe. Sie glänzen auf, ziehen Ihre schmale goldene Bahn, ein, zwei, drei Sekunden, und erlöschen im Dunkeln wie ein Lampion, der beim Frühlingsfest ins Wasser fällt.

PAO: Ein Erlöschen mit Ihnen im Dunkel, im Tode, würde ich einem einsamen Leben in Glanz und Helligkeit vorziehen.

HAITANG: Diese bilderreichen Komplimente pflegen die jungen Herren in den Anstandsstunden von ihrem Hofmeister und Literaten zu lernen. Sie kommen von den Lippen und berühren nur leise das Ohr.

PAO: Nun, machen Sie dieses wahr. Lassen Sie meine Lippen Ihr Ohr berühren. Ich will Ihnen etwas zuhauchen, was man mit Worten nicht sagen kann.

HAITANG: Aus einem Hauch wird leicht ein Wind, und aus einem Wind ein Sturm. Denken Sie einmal nach, ob Sie nicht aussprechen können, was Sie dachten.

PAO: Ich dachte nichts. Ich fühlte alles.

HAITANG: Ein Gefühl ist ein Nachtschmetterling. Wie wollen Sie ihn bei Tage fangen?

PAO: Schwingen Sie den Käscher, schöne Freundin!

HAITANG: Ich bin kein Gelehrter, kein Zoologe und fange keine Schmetterlinge, sie aufzuspießen. Ich lasse sie in Licht und Luft leben und schweben, wie es ihnen paßt.

PAO: Sie führen die Sprache einer Dame von erlesener Erziehung.

HAITANG: Ich habe sehr wenig gelesen.

PAO: In Büchern, aber mein Inneres liegt aufgeschlagen vor Ihnen, wie vor dem Philosophen das Taoteking. Wie lange weilen Sie schon in diesem Hause? War der feiste Bruder, der mir die Tür öffnete, Ihr Erzieher?

HAITANG: Mein Vater erzog mich. Er trug einen einfachen, braunen Kittel, aber jedermann verneigte sich vor ihm.

PAO: Darf ich ihm meine Aufwartung machen?

HAITANG: Er ist tot.

PAO: Gestatten Sie, daß ich sein Andenken ehre, indem ich die Erde dreimal mit der Stirn berühre.

HAITANG: Wer sind Sie, daß Sie einem Mann niederen Standes Achtung bezeigen?

PAO: Ich bin ein junger Mann, sonst nichts. Vielleicht nur dazu nütze, gut zu essen, lange zu schlafen, meinen Schneider zu besuchen und Schach zu spielen.

HAITANG: Wollen Sie eine Partie Schach spielen? Hier steht ein Schachbrett schon aufgebaut.

(Sie setzen sich nieder und machen einige Züge.)

HAITANG. Weiß zieht an, Schwarz zieht nach.

PAO: Schach der Dame.

HAITANG: Ich bin keine Dame. Schach dem König.

PAO: Ich bin kein König. Zug, Gegenzug. These, Antithese. Sie gehen scharf vor, wie ein Feldherr vieler Grade. Ich gebe das Spiel auf, aber nur, um ein besseres Spiel zu beginnen.

HAITANG: Und welches Spiel?

PAO: Das Spiel der Liebe.

HAITANG: Das Spiel der Liebe? Ich wußte nicht, daß die Liebe ein Spiel sei. Als mein Vater sagte: Ich liebe dich, da war seine Stirn gefurcht, sein Auge glänzte, da spielte er nicht mit mir.

PAO: Die Liebe des Vaters, die Liebe des Mannes: es ist ein Unterschied wie zwischen Blumenliebe und Tierliebe. Blumen lieben einander vielleicht wie Vater und Tochter. Löwen lieben einander wie Mann und Frau.

HAITANG: Ich bin noch keine Frau, bin nur ein Mädchen. Soll ein Löwe eine Blume lieben? Seien Sie nur eine Vase, in die man eine Blume stellt für einige Stunden. Soll ich Ihnen das Blumenschiff unseres großen lyrischen Meisters Su Tung Po rezitieren?

(Einen Augenblick Schweigen.)

Können Sie mir dies Gedicht kommentieren?

PAO: Ich wandle am Strand des Meeres. Die Wogen schäumen: Vergänglichkeit . . . Vergänglichkeit . . . Ich denke des blauen Meeres von Ku Ku-Noor, des toten Meeres, wo die Gebeine der Unbestatteten am Strande verwesen. Welches Kind, welcher Enkel soll mir die Ahnengebräuche erweisen, soll mich bestatten, da mir die Mutter meiner künftigen Kinder ihr jungfräuliches Herz verweigert? Wie die Wellen sich am Riff brechen, so bricht mein strömendes Herz am starren Herzen der Geliebten. Wie fern weilt sie mir! Auf den Wogen des Meeres, unerreichbar weit wie der Kormoran, gleitet, in der Silhouette einem Kormoran nicht unähnlich, dort nicht ein Schiff der Freude, des Gesanges und des Tanzes auf Bastschuhen, der leichten Lust und der schweren Liebe, ein Blumenschiff? Der Gesang klingt zu mir einsam Wandelnden hinüber; herüber weht ein Duft von Blumen und Parfümen. Ein Mädchen winkt mit dem Fächer, mit dem sie den Takt der Ruderschläge begleitet, nach dem Lande. Langsam gleitet das Blumenschiff. Mir ist es, als trüge meine Freundin dahin . . . dahin . . . Wohl wäre es möglich, das Schiff zu halten mit einem Ruf, daß es auf mich den Kurs nähme, aber was gewönne ich? Ich vermöchte wohl mit Gold das Blumenmädchen zur Hingabe, doch niemals zur Liebe der geliebten und liebenden Seele zu zwingen.

HAITANG: Liebe muß herzlich und sinnvoll mit der reinsten Leidenschaft, dem herrlichsten Herzen errungen, sie kann nicht erzwungen werden.

PAO: Nichts anderes vermag ich, als dem Blumenschiff eine Blume zuzuwerfen

(er wirft Haitang eine Blume zu, die sie aufnimmt)

als Symbol meines Herzens. Vielleicht, daß die Winde des Schicksals es an den Ort seiner Bestimmung führen.

HAITANG: Sie sind so nachdenklich! Soll ich Sie erheitern? Soll ich tanzen? Ich kann den Tanz der vier Jahreszeiten, den Tanz des Südwindes, den komischen Tanz des Herdgottes. Soll ich spielen? Die ewige Frühlingsmusik? Soll ich singen? Das Lied vom weißen Haupt?

Soll ich etwas malen oder zeichnen? Hier ist ein Stück Kreide, mit dem Herr Tong am Türpfosten wohl säumige Schuldner aufzuschreiben pflegt. Ich werde hier auf die schwarze Tapete mit der weißen Kreide einen Kreis zeichnen. (Tut es.)

PAO: Der Kreis ist das Symbol des Himmelsgewölbes, der Kreis ist das Symbol des Ringes, der Gatten aneinander schmiedet, Herzring an Herzring reiht.

HAITANG: Was außerhalb dieses Kreises ist, ist das Nichts. Was innerhalb dieses Kreises ist, ist das All. Wie verbinden sich Nichts und All? Im Kreise, der sich drehend fortbewegt,

(zeichnet Speichen in den Kreis)

im Rad, das rollt. Ich bin an das Rad geschmiedet, das Rad des Schicksalswagens, den die Sonnenrosse durch die Äonen mit sich reißen. Ein junger Gott steht mit feuriger Peitsche im Wagen und treibt die Rosse. Er achtet meines Jammers und meiner Tränen nicht.

PAO: Ich knie vor dir, Kwanyin, Göttin der Reinheit.

HAITANG: Stehen Sie auf, was tun Sie? (Wischt die Speichen aus dem Kreise.)

Sehen Sie den Kreis, er ist schon wieder leer. jetzt umrundet er das Symbol des Spiegels, in dem ich mich eitel drehe und wende.

(Dreht sich vor dem Kreis wie vor einem Spiegel.)

PAO: Lösen Sie ihn, Schwester vom grünen Gürtel.

HAITANG: In dieser Hand, die noch keinen Mann geliebkost hat, steht mein Schicksal geschrieben. Wie verläuft die Linie meines Lebens? Ich sehe es im Spiegel, verkehrt.

PAO: Ich werde diesen Spiegel zerschlagen. (Ballt die Faust.)

HAITANG: Dann schlagen Sie auch das Bild im Spiegel und schlagen mich. Wollen Sie mich schlagen? Ich bin schon einmal heute geschlagen worden.

PAO: Wer schlug Sie? Ich werde ihn stäupen lassen.

HAITANG: Ich habe seinen Namen vergessen; es war kein böser, es war nur ein schwacher Mensch. Aber sehen Sie, ich will dem Spiegel einen anderen Charakter geben, ich schreibe ein paar Zauberzeichen in den Kreidekreis,

(macht mit der Kreide ein paar Striche)

und schon blickt aus dem Spiegel Ihr Gesicht. Finden Sie sich ähnlich?

(Lachend.)

Habe ich Sie gut getroffen?

PAO: Sie haben mich getroffen, Sie haben mich gut getroffen, Sie haben mich ins Herz getroffen.

HAITANG (zu dem Bild):

PAO: Ich lasse mir jeden Spiegel gefallen, den Sie mir vorhalten. Wie aber, wenn ein anderer mein Bild innerhalb des Kreidekreises auswischt oder auslöscht und sich an seine Stelle setzt?

(Ein dicker Kopf hat die Papierwand innerhalb des Kreidekreises durchstoßen. Es ist der Kopf des Mandarinen Ma. Haitang und Pao weichen seitwärts zurück.)

MA: Mein Name ist Ma. Ganz einfach Ma. Wenn ich den Namen Ma nenne, so sollte das eigentlich genügen, daß jedermann sich ehrfurchtsvoll vor mir verneige. Denn ich besitze Geld, Geld, viel Geld, sehr viel Geld, so daß ich mir alles kaufen kann, was ich will, und wonach ich Gelüst und Sehnsucht trage. Wie der Habicht nach Raub ausgeht, so verlasse ich meinen Palast und ziehe auf Abenteuer aus. Sehe ich ein schönes Pferd, besteig ich's. Sehe ich ein schönes Weib, entführ ich's. Wenn es mir paßt, gehe ich durch die Wand, wie im vorliegenden Falle. Was kann die zerrissene Tapete kosten? Ich bezahle alles, und was ich bezahle, zahle ich bar. Ich habe mir den Doktortitel gekauft und bin Ehrendoktor der Universität Peking, obwohl ich das Schriftzeichen für Liebe nicht von dem Schriftzeichen für Geld unterscheiden kann. Ich habe einen Sitz im Gericht gekauft und spreche Recht, obwohl ich nicht einmal recht sprechen kann und mir in meinen eigenen Geschäften der Unterschied zwischen Diebstahl und reellem Kommerz ziemlich schwer fällt. Ich bin Steuerpächter und treibe die mir zustehenden Steuern rücksichtslos ein. Ich bin streng, aber gerecht. Zum Lohn für meine Nachsicht, daß ich ihm die geschuldete Steuer schon einmal stundete, erhängte sich vorgestern ein gewisser Gärtner Tschang vor meinem Hause, zu dem ausgesprochenen Zweck, mir Ungelegenheiten zu bereiten, was dem Lumpen auch gelang. Der Pöbel hat mir die Fenster eingeworfen und mich Blutsauger und Volksverderber geschimpft. Um mich von den Aufregungen der letzten Tage zu erholen und mich zu zerstreuen, betrat ich dies mir wohlbekannte Haus des Herrn Tong. Denn ich liebe, um mich gebildet auszudrücken, die Blumen und Weiden. Ich habe mir von meinem Privatzauberer das Horoskop stellen lassen für heute. Der heutige Tag ist meinen Liebesunternehmungen zweifellos günstig.

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