„Wie sieht es mit dem Sicherheitssystem aus?“, fragte Kate.
„Hm …“, meinte DeMarco, während sie die Berichte durchsah. „Anscheinend gibt es keines. Aber es gibt Kameras, die mit der Klingel verbunden sind.“
„Perfekt. Hat das Police Department Zugriff auf die Bilder?“
„Ja. Hier steht, dass der Ehemann Bannerman den Pin gegeben hat. Scheinbar hat man über eine Handy-App Zugriff auf die Kameras.“
„Wissen wir, wie die App heißt?“
„Hier steht nichts. Ich bin sicher, dass Bannerman die Info hat.“
„Behalte es bitte im Kopf, dass wir ihn danach fragen“, bat Kate. Dicht gefolgt von DeMarco, die noch immer die Berichte durchsah, verließ sie das Schlafzimmer.
Die fanden Nadine Owen im Wohnzimmer, wo sie die Wände auf Flecken und Kratzer überprüfte, bevor die Umzugsleute kamen. „Mrs. Owen, wissen Sie zufällig, wie die App heißt, die die Hix für ihre Kameras verwendet haben?“
„Ja, tatsächlich weiß ich das“, antwortete sie. „Als der Ehemann anrief, um uns zu instruieren, das Haus zu verkaufen, hat er mir den Pin gegeben, damit ich das Konto löschen kann, bevor jemand anders hier einzieht.“
„Haben Sie es schon gelöscht?“
„Nein.“ Nadine Owen schien zu verstehen, worauf Kate hinaus wollte. Ein aufgeregter Ausdruck huschte kurz über ihr Gesicht, als sie ihr Handy hervor zog und die App öffnete. Kate und DeMarco beobachteten, wie sie sich in das Konto der Hix einloggte. Innerhalb von Sekunden erschien die Adresse dieses Hauses auf dem Display. Nadine klickte die Adresse an, woraufhin sich eine Kalenderseite öffnete.
„Die App ist so konzipiert, dass man sechzig Tage zurück gehen kann. Alles darüber hinaus wird in der Cloud gespeichert.“
„Sechzig Tage sind vollkommen ausreichend. Tatsächlich geht es nur um zwei Tage, die ich Sie bitten möchte zu überprüfen.“
„Ich nehme ein, der eine Tag liegt acht Tage zurück. Der Tag, an dem sie ermordet wurde?“
„Ja, bitte.“
„Wie genau funktioniert das?“, fragte DeMarco.
„An der Klingel befindet sich ein Sensor“, erklärte Nadine. „Wenn irgendjemand die Veranda betritt, wird die Kamera aktiviert. Sie filmt so lange, bis die Person entweder ins Haus gegangen ist oder die Veranda wieder verlassen hat.“
„Das heißt, es gibt nur dann ein Video von dem Tag der Ermordung, falls jemand die Veranda betreten hat, richtig?“
„Korrekt. Und … hier haben wir es. Vom letzten Mittwoch gibt es zwei Videos … der Tag, an dem sie ermordet wurde.“
Alle drei Frauen beugten sich über Nadines Handy und betrachteten das Video, das eine ziemlich schlechte Farbqualität hatte. Das erste Video konnten sie sogleich ausschließen. Es zeigte einen UPS-Fahrer, der einen Karton auf der Veranda ablegte und dann schnellen Schrittes wieder zu seinem Fahrzeug zurückkehrte. Der Karton war nicht sonderlich groß und trug an der Seite ein Amazon-Logo. Drei Sekunden, nachdem der Fahrer die Veranda verlassen hatte, stoppte das Video.
Nadine klickte das zweite Video an und spielte es ab. Eine Frau erschien auf der Veranda und klingelte. Mehrere Sekunden später wurde die Haustür geöffnet. Das Video hatte keinen Ton, aber es war klar, dass sich die Frau auf der Veranda mit der Person unterhielt, die die Tür geöffnet hatte – wahrscheinlich Marjorie. Dies wurde bestätigt, indem Marjorie kurz darauf selbst auf die Veranda hinaus trat, sich etwa eine Minute lang mit der Frau unterhielt und dann wieder ins Haus ging. Die Frau rief ihr noch etwas über die Schulter zu, als sie die Treppen hinunter ging, und dann war das Video zu Ende.
„Haben Sie eine Ahnung, wer diese Frau ist?“, fragte DeMarco Nadine.
„Nein, tut mir leid. Sie sagten, es gäbe noch ein Datum, das ich überprüfen soll?“
„Ja. Vor genau zwei Wochen. Gibt es für den Tag etwas?“
Nadine navigierte sich durch die App und hielt inne, als der Kalender den Tag vor genau zwei Wochen zeigte. Auch hier gab es zwei Einträge. Ohne, dass Kate sie darum bitten musste, spielte sie das erste Video ab.
Kate erkannte den Mann sofort, der die Veranda betrat und klingelte: es war Mike Wallace. Er trug die gleiche Hexco-Uniform wie vor einer Stunde, als sie sich mit ihm getroffen hatten. Die Tür wurde einige Sekunden später geöffnet, er sprach für etwa zehn Sekunden und wurde dann herein gebeten.
Nadine blickte die Agents an, um zu sehen, wie sie reagierten. Als sie keinerlei Reaktion ausmachen konnte, klickte sie das nächste Video an. Sie blickte auf die Uhrzeit und sagte: „Dies ist nur vierzehn Minuten später.“
Sie drückte Play und sie sahen, wie sich genau das gleiche wie im vorigen Video abspielte, nur in umgekehrter Reihenfolge. Mike Wallace verließ das Haus und wurde dabei von der Kamera erfasst. Er wandte sich um und sprach mit jemandem an der Haustür – höchstwahrscheinlich wieder Marjorie Hix. Die Unterhaltung dauerte etwa zwanzig Sekunden, und dann stieg Mike die Stufen hinab. Bevor jedoch sein Verlassen die Aufzeichnung stoppte, fing der Sensor noch eine weitere Bewegung auf. Mit einer Gießkanne in der Hand trat Marjorie Hix auf die Veranda hinaus und bewässerte den lilafarbenen Flieder, der in einem Hängetopf am Geländer wuchs.
Es bewies nicht wirklich etwas, jedoch war die Tatsache, dass es kein Video von Mike Wallace am Tag ihrer Ermordung gab, ein ziemlich starkes Alibi.
„Kann ich Ihnen sonst noch behilflich sein?“, fragte Nadine.
Kate und DeMarco tauschten einen Blick aus und schüttelten dann gleichzeitig den Kopf. Sie konnte nicht sicher sein, doch Kate vermutete, dass DeMarco das Gleiche dachte wie sie selbst.
Das Video schloss Mike Wallace sozusagen aus. Der Ehemann jedoch …
„An der Seite des Hauses befindet sich eine Garage“, sagte Kate. „Sieht aus, als befinde sie sich ein wenig unterhalb des Hauses, ist das richtig?“
„Ja. Wollen Sie sie sehen?“
„Nicht nötig, danke. Aber wissen Sie, ob Mr. Hix dort immer geparkt hat?“
„Da bin ich mir ziemlich sicher, ja.“
„Und ich nehme an, dass man von der Garage aus direkt ins Haus gelangt?“
„Natürlich.“ Sie wies auf eine Tür ganz hinten im Haus, die sich in einem Raum neben der Küche befand. „Dort drüben.“
Das heißt, er muss an dem Sensor gar nicht erst vorbei, überlegte Kate.
Das Video hatte zwar Mike Wallace als Verdächtigen ausgeschlossen, den Ehemann von Marjorie Hix jedoch keineswegs.
Kate sah sich ein letztes Mal im Haus um – betrachtete das Mobiliar, den Krimskrams, die teuren Dinge. Es fiel ihr schwer sich vorzustellen, wie jemand all das einfach zurücklassen konnte.
„Sie wissen nicht zufällig, wo Mr. Hix jetzt wohnt, oder?“
Und auch hier konnte Nadine Owens weiterhelfen.
Kapitel sechs
Wie es aussah, war der Ehemann von Marjorie Hix – der dreiundfünfzigjährige Joseph Hix – sehr viel erfolgreicher als sein Bruder. Während Joseph Hix es zu einem Haus in einer wohlhabenden Wohngegend gebracht und – den Polizeiberichten zufolge – einen Job hatte, der ihm zumindest im Vorjahr fast vierhunderttausend Dollar eingebracht hatte, lebte sein Bruder Kyle in einem heruntergekommenen Apartmentkomplex. Immerhin war die Gegend, in der dieser Block stand, nicht allzu schlecht, lag jedoch nur einige Straßen vom unschönen Teil der Stadt entfernt.
Der Wohnkomplex war so konzipiert, dass es den Anschein erweckte, als separierten die offenen Flure kleine Reihenhäuser voneinander, doch Kate hatte genügend dieser Wohnanlagen gesehen, um zu wissen, dass dem nicht so war. Sie stiegen zwei Treppen hinauf, um zu Kyle Hix‘ Apartment zu gelangen. Kate klopfte an, erwartete jedoch nicht, dass jemand zuhause war.
Sie war überrascht, als sich die Tür fast sogleich öffnete. Nicht nur das … die Tür wurde mit einer solchen Wucht aufgerissen, dass Kate unwillkürlich einen Schritt zurück trat und fast die Waffe gezogen hätte.
Der Mann, der in der Tür stand, sah nicht gerade glücklich aus – erschöpft und ärgerlich, dass er gestört worden war. Die Sonne ließ ihn blinzeln.
„Wer sind Sie?“, fragte er.
„Sind Sie Joseph Hix?“, fragte Kate.
Der Mann stieß einen grunzenden Laut aus, so, als sei er sich selbst nicht über die Antwort im Klaren. Er schien nicht vorzuhaben zu antworten. Als Kate wartete, konnte sie eine Alkoholfahne ausmachen – irgendetwas Starkes. Whiskey, dachte sie.
DeMarco hatte als Erste ihren FBI-Ausweis gezückt. Dann holte auch Kate ihren hervor. Sie war sich bewusst, dass ihr spezielles Arrangement mit Duran und dem FBI gute Lernmöglichkeiten für DeMarco darstellten und überließ ihr deshalb die Führung.
„Agents DeMarco und Wise“, sagte DeMarco. „Wir sind hier vor Ort in Frankfield, weil wir im Mordfall an Ihrer Frau ermitteln.“
Der Mann nickte und trat einen Schritt von der Tür zurück. Er schwankte leicht und Kate fragte sich, ob er den Whiskey, den sie roch, gerade erst getrunken hatte. Es war nicht einmal 14 Uhr.
„Also … ja … ich bin Joseph. Den Trip hätten Sie sich sparen können. Ich kann Ihnen sagen, wer sie umgebracht hat. Kommen Sie rein … ich werde Ihnen mal was erzählen.“ Er grinste, fand irgendetwas lustig, was für die Agents nicht nachzuvollziehen war, und ging voran in die Wohnung.
„Moment mal“, begann DeMarco, „so etwas können Sie doch nicht einfach behaupten. Oder wissen Sie mit absoluter Sicherheit, wer sie ermordet hat?“
„Beweise habe ich keine, aber eine verdammt genaue Vermutung.“
„Vielleicht überlassen Sie es uns, das zu beurteilen“, meinte Kate. „Was genau haben Sie denn?“
„Ich zeig’s Ihnen.“
Sie folgten ihm nach drinnen und Kate fühlte sich leicht unwohl. Sie war nicht sicher, ob Hix einfach nur trauerte und betrunken war, oder ob er auch durchgedreht war – oder beides. Ihr war klar, dass Männer anders trauerten als Frauen. Und der müde, mir-ist-alles-scheißegal-Ausdruck, den sie bei Hix gesehen hatte, als er ihnen öffnete, führte selten zu etwas Gutem.
Das Apartment war nett eingerichtet, war allerdings eher klein. Hix ging direkt in die Küche. Er versuchte nicht einmal, sich zusammen zu reißen. Er griff sich die Whiskey-Flasche, die auf der Arbeitsfläche stand und goss sich ein großzügiges Glas ein. Dann zuckte er mit den Schultern und trank den Whiskey in einem Zug aus.
„Davon kommt sie nicht zurück“, meinte er mit einer Grimasse, „aber es lindert den Schmerz.“
„Dies ist die Wohnung Ihres Bruders, richtig?“, fragte Kate.
„Ja. Ein echtes Loch. Aber Kyle … er ist alles, was mir noch geblieben ist.“
„Mr. Hix, sind Sie in der Lage, einige unserer Fragen zu beantworten?“
„Ja. Aber wie ich schon sagte, ich kann Ihnen erzählen, wer sie umgebracht hat. Das habe ich auch den Bullen schon gesagt, aber Sie sehen ja, wie weit mich das gebracht hat.“
Kate wollte nicht darauf eingehen; sie wollte ihn nicht ermutigen, das Gespräch in eine Richtung zu steuern, die ihnen nicht weiterhalf. DeMarco schien es genauso zu sehen, denn sie tat ihr Möglichstes, mit der nächsten Frage den Bogen zurück zu finden.
„Sie arbeiten als Angebotsspezialist, richtig?“, begann sie. „Irgendetwas mit Telekommunikation?“
„Ja. Sie haben mir zwei Monate frei gegeben … als tun sie mir damit einen Gefallen. Ich arbeite sechzig Stunden die Woche und bin insgesamt pro Jahr mindestens zwei Monate für sie in Frankreich.“
„War das eine Belastung für Ihre Ehe?“, fragte Kate.
Er nickte und zog die Flasche zu sich herüber. Sehnsüchtig blickte er den Whiskey an; er wollte sich unbedingt nachschenken und Kate sah ihm an, dass er darüber nachdachte.
„Natürlich. Die meiste Zeit war sie unglücklich. Wenn ich da war, tat sie immer, als sei sie glücklich, und wenn ich weg war, hat sie mir keine Szene gemacht. Vielleicht klinge ich wie ein Bastard, aber ihr gefiel das Geld. Sie machte immer Witze darüber, aber es war viel Wahres daran. Und ihre Witze nahmen zu, nachdem unser Sohn weg war.“
„Weg?“
„Ja … nachdem er begann, aufs College zu gehen, wurde alles etwas angespannter.“
„Wie lange ist das her?“
„Neun oder zehn Jahre. Verstehen Sie mich nicht falsch … wir haben uns sehr geliebt. Es ist mir schleierhaft, wie sie mich so sehr lieben konnte, wie sie es tat, aber …“
Er beschloss, sich noch einmal nachzuschenken. Er wirkte wie ein Roboter und seine Bewegungen ließen auf viel zu viel Übung schließen.
„Wir haben oft darüber gesprochen, zu reisen, wenn er aus dem Haus ist. Rom, Sydney, Madrid … das waren unsere Hauptziele. Aber ich glaube, sie wusste, dass es nie geschehen würde … dass ich mich nicht darauf einlasse.“
Während er sprach, fiel Kate wieder der Anruf von Melissa ein. Sie fragte sich, ob die Probleme, die Melissa und Terry hatten, ähnlicher Natur waren, und wurde sogleich wieder von Schuldgefühlen heimgesucht. Keiner von ihnen verdiente zwar annähernd genug Geld, um sich gegenseitig große Reisen versprechen zu können, aber ein abwesender Partner war nun einmal ein abwesender Partner, egal, wie man es betrachtete. Sie konnte sich trotzdem nicht erklären, warum sie genau in diesem Moment das Bedürfnis verspürte, mit Melissa zu sprechen.
DeMarco jedoch, die immer besser darin wurde, potentielle Verdächtige zu befragen, machte schnell und effektiv weiter.
„Waren Sie bei der Arbeit, als Marjorie ermordet wurde?“
„Ja. Ich saß gerade im Flugzeug von Seattle nach Chicago. Dort war ich drei Tage lang, geschäftlich. Ich bin in O’Hare gelandet und hatte eine Flut von verpassten Anrufen und SMS von der Polizei erhalten, noch bevor ich die Maschine verlassen hatte.“
„Sie behaupten zu wissen, wer sie umgebracht hat“, fuhr DeMarco fort. „Meinten Sie es auch zu dem Zeitpunkt zu wissen, als Sie noch am Flughafen waren?“
„Mehr oder weniger ja. Doch jetzt, fast eine Woche nach der Tat und wo es noch immer keinen Verdächtigen gibt, bin ich mir zunehmend sicherer.“
„Und wen verdächtigen Sie?“
„Einen Kerl namens Andrew Bauer.“
„Und warum glauben Sie, dass er es getan hat?“
„Weil er immer auf Marjorie scharf gewesen ist … seit sie damals das College abgeschlossen haben und feststellten, dass sie keine zehn Minuten voneinander entfernt wohnten. Der Kerl ist ein Schleimer. Ich weiß, dass das verurteilend und überheblich klingt, aber der Typ ist Single und lebt in einer Wohngegend, in der hauptsächlich Familien mit Kindern leben. Und er ist tagelang zuhause, lungert in der Nachbarschaft herum und versucht sich mit all den einsamen Hausfrauen anzufreunden, deren Ehemänner lange arbeiten.“
„Und woher wissen Sie das alles?“
„Das weiß eigentlich jeder. Andrew ist Pilot. Er arbeitet ein paar Tage, dann ist er ein paar Tage zuhause. Ich bin nicht der einzige Mann in der Nachbarschaft, der mit ihm ein ernsthaftes Wort zu reden hatte.“
„Was für eine Art von Wort?“, fragte Kate.
„Vor etwa einem Jahr kam ich nach Hause und fand ihn in unserem Garten stehen, wo Marjorie gerade Unkraut zupfte. Er hatte dieses fiese Grinsen im Gesicht. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Er ist einfach schleimig.“
„Wo ist die Verbindung zu der Tatsache, dass Sie ihn des Mordes an Ihrer Frau verdächtigen?“, fragte DeMarco.