Rückruf Null - Джек Марс 3 стр.


Auch wenn das Ende variierte, so waren die Auswirkungen im wirklichen Leben doch dieselben. Er wachte aus dem Alptraum mit Kopfschmerzen und der düsteren, verzweifelnden Erinnerung auf, dass sie wirklich weg waren.

Null streckte sich und stand vom Sofa auf. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein, doch es war nicht überraschend. Er schlief nachts gar nicht gut, und das nicht nur wegen des Alptraumes über seine Töchter. Vor eineinhalb Jahren hatte er sein Gedächtnis wiedererlangt, all seine Erinnerungen als Agent Null, und damit begannen die qualvollen Alpträume. Erinnerungen drängten sich in sein Unterbewusstsein während er schlief, oder es zumindest versuchte. Widerliche Folterszenen. Bomben, die auf Gebäude geworfen wurden. Der Einschlag von Hohlspitzengeschossen in einen menschlichen Schädel.

Noch schlimmer war, dass er nicht wusste, ob sie echt waren oder nicht. Dr. Guyer, der brillante schweizer Neurologe, der ihm geholfen hatte, sein Gedächtnis wiederzuerlangen, warnte ihn, dass einige Dinge vielleicht nicht real wären, sondern ein Produkt seines limbischen Systems, das Fantasien, Verdachte und Alpträume als Realität darstellte.

Seine eigene Realität fühlte sich kaum wie eine an.

Null schleppte sich für ein Glas Wasser barfüßig und angeschlagen in die Küche, als es an der Tür klingelte. Er erschreckte ein wenig bei dem plötzlichen Riss in der Stille, jeder Muskel spannte sich instinktiv an. Er war immer noch ziemlich schreckhaft, selbst nach so langer Zeit. Er blickte auf die digitale Uhr am Herd. Es war fast halb fünf. Das konnte nur eine Person sein.

Er ging zur Tür und erzwang für seinen alten Freund ein Lächeln. “Gerade rechtzeitig.”

Alan Reidigger grinste, als er ein Sechserpack mit Daumen und Zeigefinger hochhielt. “Für deine wöchentliche Therapiesession.”

Null schnaubte sarkastisch und trat zur Seite. “Komm, wir gehen in den Garten.”

Er führte ihn durch das kleine Haus und durch eine Glasschiebetür auf den Hinterhof. Das Wetter Mitte Oktober war zwar noch nicht kalt, aber frisch genug, um ihn daran zu erinnern, dass er barfuß war. Sie nahmen auf zwei Gartenstühlen Platz, während Alan zwei Dosen herauszog und Null eine davon gab.

Er schaute sich die Etikette an. “Was ist das?”

“Keine Ahnung. Der Typ im Laden schaute sich meinen Bart und mein Flanellhemd an und sagte, dass es mir schmecken würde.” Alan lachte, öffnete die Dose und nahm einen großen Schluck. Er zuckte zusammen. “Das ist… anders. Oder vielleicht werde ich einfach alt.” Er wandte sich ernst an Null. “Also. Wie geht’s dir?”

Wie geht’s dir. Das schien plötzlich wie eine sehr seltsame Frage. Wenn jemand anders als Alan sie gestellt hätte, dann sähe er sie als Förmlichkeit an und beantwortete sie mit einem einfachen und schnellen “Gut und dir?” Doch er wusste, dass Alan es wirklich wissen wollte.

Dennoch wusste er nicht, wie er sie beantworten sollte. So viel hatte sich in achtzehn Monaten verändert. Nicht nur in Nulls persönlichem Leben, sondern auch auf einer Makroebene. Die Vereinigten Staaten hatten einen Krieg mit dem Iran und seinen Nachbarn vermieden, doch die Spannungen waren weiterhin hoch. Die amerikanische Regierung hatte sich anscheinend von der Infiltration durch Verschwörer und russischem Einfluss erholt, doch nur durch eine gründliche Säuberung. Präsident Eli Pierson war nach dem Mordversuch weitere sieben Monate auf seinem Posten geblieben, wurde aber schließlich bei den nächsten Wahlen von dem demokratischen Kandidaten geschlagen. Es war ein einfacher Sieg, nachdem sich gezeigt hatte, dass Piersons Kabinett ein wahrhaftiges Schlangennest war.

Doch Null war das ziemlich egal. Er war darin nicht mehr verwickelt. Er hatte nicht einmal eine Meinung über den neuen Präsidenten. Er wusste kaum, was in der Welt vor sich ging, er vermied die Nachrichten, soweit er konnte. Er war jetzt nur noch ein Bürger. Was immer hinter den Kulissen vor sich ging, tat es, ohne seinen Einfluss.

“Es geht.”

Er stockte.

“Echt. Mir geht’s gut.”

Alan nahm noch einen Schluck, zweifelte offensichtlich, doch erwähnte es nicht. “Und Maria?”

Ein dünnes Lächeln breitete sich auf Nulls Lippen aus. “Ihr geht es gut.” Und das war wahr. Sie füllte ihre neue Position wunderbar aus. Nachdem die Verschwörung ans Tageslicht gekommen war, wurde die CIA komplett neu strukturiert. David Barren, ein hochstehendes Mitglied des nationalen Sicherheitsrates und Marias Vater, wurde zum zwischenzeitlichen Direktor der Agentur ernannt und überblickte die Überprüfung jeder dort arbeitenden Person, bis ein neuer Direktor ernannt wurde, ein ehemaliger Direktor der nationalen Nachrichtendienste, der sich Edward Shaw nannte.

Maria Johansson wurde zur Deputy Direktorin der Division für Sondereinsätze ernannt —ein Posten, der zuvor dem jetzt verstorbenen Shawn Cartwright gehörte, Nulls altem Chef. Sie wiederum hatte Todd Strickland zum Sonderermittler ernannt, ein Posten, der zuvor durch einen bestimmten Agenten Kent Steele besetzt war.

Und sie tat ihre Arbeit gut. Unter ihrer Führung gäbe es keine Korruption, keine abtrünnigen Agenten wie Jason Carver und keine düsteren Verschwörer wie Ashleigh Riker. Es war trotzdem offensichtlich, dass sie immer noch die Einsätze vermisste. Es geschah nicht oft, doch manchmal begleitete sie ihr Team auf einen Einsatz.

Null hingegen war nicht zurückgekehrt. Nicht zur CIA, nicht mal zur Universität. Er war zu nichts zurückgekehrt.

“Wie läuft’s in der Werkstatt?” fragte er Alan, um das Thema zu etwas anderem als ihn selbst und seiner griesgrämigen Introspektion zu wechseln.

“Ich halte mich beschäftigt”, erwiderte Reidigger locker. Ihm gehörte die Third Street Garage, die, trotz Alans Hintergrund als Spion und versteckter Einsatzagent, tatsächlich eine Werkstatt war. “Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Was macht der Keller?”

Null rollte mit den Augen. “Der ist noch nicht fertig.” Nachdem seine Mädchen ihn verlassen hatten, konnte er einfach nicht weiter alleine in dem Haus in Alexandria leben. Er stellte es zum Verkauf bereit und nahm das erste Angebot entgegen. Er und Maria hatten ihre Beziehung bis dahin schon öffentlich gemacht und auch sie wollte etwas Veränderung, also kauften sie ein kleines Haus in einem Vorort von Langley, nicht weit des Hauptquartiers der CIA. Der Makler nannte es einen “Bungalow im Handwerksstil”. Es war ein einfaches Haus, was ihnen beiden guttat. Eines der vielen Dinge, die er mit Maria gemeinsam hatte, war ihr Verlangen nach Einfachheit. Sie hätten sich etwas Größeres, Moderneres leisten können, doch das kleine, einstöckige Haus kam ihnen gerade recht. Es war gemütlich, angenehm, hatte ein großes Panoramafenster vorne, ein großes Schlafzimmer im Dachgeschoss und einen unfertigen Keller, mit glatten Betonwänden und – boden.

Etwa vier Monate zuvor, als der Sommer begann, hatte Null die Idee, den Keller fertigzustellen und ihn in nutzbaren Lebensraum zu verwandeln. Seitdem hatte er den Keller mit Holzgerüst und ein wenig flauschig rosa Isoliermaterial ausgelegt.

In letzter Zeit erschöpfte ihn der bloße Gedanke, dort wieder hinunterzugehen.

“Sag mir einfach Bescheid, falls du Hilfe brauchst”, bot Alan sich an.

“Ja.” Alan bot ihm jede Woche seine Hilfe an. “Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.”

“Vielleicht wäre es das, wenn sie Bauunternehmer angeheuert hätten, die wussten was sie taten.” Alan zwinkerte.

Null schnaubte verächtlich, doch lächelte. Die Dose in seiner Hand fühlte sich leicht an, zu leicht. Er schüttelte sie und war überrascht, dass sie leer war. Er erinnerte sich nicht einmal daran, einen Schluck genommen zu haben oder überhaupt den Geschmack bemerkt zu haben. Er stellte sie auf die Veranda neben sich und griff nach einer weiteren.

“Vorsicht”, warnte ihn Reidigger grinsend. Er zeigte auf Nulls Taille und den Wanst, der sich dort entwickelte.

“Ja, ja.” Dann hatte er also ein paar Pfund in seinem Halbruhestand zugenommen. Zehn, vielleicht auch fünfzehn. Er war sich nicht sicher und würde ganz bestimmte nicht auf eine Waage steigen, um es herauszufinden. “Guck mal wer da spricht.”

Reidigger lachte. Er sah lange nicht mehr wie der Agent mit dem runden Gesicht, dem jungenhaften Aussehen und dem sturen, dicken Rumpf aus, den Null vier Jahre zuvor kannte. Um sein Aussehen nach seinem gefälschten Tod zu verstecken und sein Alias als der Mechaniker namens Mitch einzunehmen, hatte Alan mindestens zwanzig Kilo zugenommen, sich einen buschigen, graugefleckten Bart wachsen lassen und trug ständig eine Fernfahrermütze tief ins Gesicht gezogen, deren Rand permanent mit Schweiß und dunklen, öligen Fingerabdrücken befleckt war.

Die Mütze war so allgegenwärtig geworden, dass Null sich wunderte, ob er sie auch im Bett trüge.

“Was, das hier?” Reidigger kicherte wieder und haute sich auf den Bauch. “Das sind alles Muskeln. Weißt du, ich geh zwei Mal pro Woche zum Fitnessstudio. Dort gibt es einen Boxring. Die jungen Kerle machen sich gern über die älteren lustig. Direkt bevor ich ihnen den Arsch versohle.” Er nahm einen Schluck und fügte hinzu: “Du solltest mal mitkommen. Normalerweise gehe ich —”

“Dienstags und Donnerstags”, beendete Null seinen Satz für ihn. Auch dieses Angebot machte Alan jede Woche.

Er wusste seine Anstrengen zu schätzen. Er wusste es zu schätzen, dass Alan so oft vorbeikam, um mit seinem alten Freund im Garten zu sitzen und zu plaudern. Er wusste die Besuche und die Versuche, ihn aus dem Haus zu bekommen, die jedes Mal halbherziger wurden, zu schätzen.

Die Wahrheit war, dass er ohne die CIA, die Vorlesungen oder seine Töchter sich nicht wie er selbst fühlte und das hatte zu einer Art Krankheit in seinem Gehirn geführt, ein generelles Unwohlsein, dass er anscheinend einfach nicht abschütteln konnte.

Die Glasschiebetür öffnete sich plötzlich und beide Männer drehten sich um und beobachteten, wie Maria in den Oktobernachmittag heraustrat. Sie war vornehm mit einem weißen Blazer mit schwarzen Hosen und einem dünnen Goldkettchen gekleidet. Ihr blondes Haar fiel ihr um die Schultern und dunkle Wimperntusche akzentuierte ihre grauen Augen.

Es war seltsam, doch für einen kurzen Augenblick überkam Null Eifersucht, als er sie sah. Wo er steckenblieb, war sie aufgeblüht. Doch er verdrängte auch das, stopfte es tief in das finstere Moor seiner unterdrückten Gefühle und sagte sich, dass er sich freute, sie zu sehen.

“Hallo Jungs”, sagte sie lächelnd. Sie schien guter Laune. Ihre Gemütsstimmung bei Ankunft zu Hause nach der Arbeit war ebenso wechselhaft wie ihre seltsamen Arbeitsstunden. “Alan, schön dich zu sehen.” Sie neigte sich, um ihn zu umarmen.

“Erstaunt” war nicht unbedingt das Wort, das Null einfiel, als Maria entdeckte, dass Alan nicht nur weiterhin am Leben war, sondern sich in einer Werkstatt weniger als dreißig Minuten von Langley entfernt versteckte. Doch sie nahm die Nachricht auf – ein harter Schlag auf die Schulter und ein strenge Rüge, die aus “das hättest du uns sagen sollen!” war anscheinend alle Katharsis, die sie brauchte.

“Hallo Kent.” Sie küsste ihn, bevor sie ein Bier aus Alans Sechserpack nahm und sich zu ihnen setzte. “War es ein guter Tag?”

“Ja.” Er nickte. “Ein guter Tag.” Er ging nicht weiter darauf ein, denn er hätte ihr nur erzählen können, dass er den Tag damit verbracht hatte, alte Filme zu sehen, zu schlafen und ein wenig darüber nachzudenken, in den wartenden, unfertigen Keller zurückzukehren. “Und du?”

Sie zuckte mit den Schultern. “Besser als die meisten.” Sie sprach für gewöhnlich nicht viel über ihre Arbeit mit ihm – das lag nicht nur an der Sicherheitsfreigabe, die Null gerade nicht hatte, sondern auch an der unausgesprochenen Angst (dies nahm Null zumindest an), dass es ihn aufregen könnte, eine alte Erinnerung hervorrufen oder ihn dazu inspirieren könnte, wieder mitzumischen. Es schien, dass es ihr gefiel, wo er war. Doch sein Verdacht darüber war eine ganz andere Angelegenheit.

“Kent”, sagte sie, “vergiss nicht, dass wir Pläne fürs Abendessen haben.”

Er lächelte. “Ach so, natürlich.” Er hatte den Gast nicht vergessen, den sie an diesem Abend empfangen würden. Doch er versuchte aktiv, nicht daran zu denken.

Kent.

Sie war die Einzige, die ihn noch so nannte.

Agent Kent Steele war sein Alias bei der CIA gewesen, doch jetzt war das nichts weiter als eine Erinnerung. Null war sein Sendezeichen, Alan Reidigger begann damit als ein Witz – und nannte ihn weiterhin Null. Und seitdem er sein Gedächtnis wieder erhalten hatte, war das der Name, mit dem er sich selbst identifizierte. Doch er war weder Kent noch Null, nicht mehr. Er war nicht mehr Professor Lawson. Verdammt, er fühlte sich kaum noch wie er selbst, sein wahrhaftiges Selbst, Reid Lawson, Vater von zwei Kinder, Geschichtsprofessor und verdeckter CIA Agent und mit was auch immer er sich sonst noch identifizierte. Obwohl achtzehn Monate vergangen waren, erinnerte er sich immer noch verbittert daran, wie die dunklen Verschwörer seinen Namen durch den Schlamm gezogen hatten, sein Bild an die Medien freigaben, ihn einen Terroristen nannten und versuchten, ihm den Mordversuch anzuhängen. Natürlich wurde er von diesen Anschuldigungen freigesprochen und er hatte keine Ahnung, ob sich jemand anders überhaupt noch daran erinnerte. Doch er tat es. Und jetzt fühlte sich der Name fremd für ihn an. Er vermied es, sich als Reid Lawson bekanntzugeben und das ging soweit, dass das Haus, die Rechnungen und sogar die Autos alle in Marias Namen waren. Keine Post mit seinem Namen kam an. Niemand rief jemals an und fragte nach Reid.

Oder Kent.

Oder Null.

Oder Vater.

Also wer zum Teufel bin ich dann?

Er wusste es nicht. Doch er wusste, dass er es selbst herausfinden musste, denn das Leben, das er jetzt führte, war es nicht wert, gelebt zu werden.

Kapitel zwei

Null war froh, dass er nicht über sie sprechen musste. Doch Alan wusste, dass er besser nicht nach den Mädchen fragte.

Reidigger blieb für eine dreiviertel Stunde, bevor er vom Gartenstuhl aufstand, sich streckte und auf seine gewöhnlich Art erklärte, dass er sich besser auf den “alten, staubigen Weg” machte. Null umarmte ihn kurz und winkte ihm nach, als der Kleintransporter von der Auffahrt fuhr. Er dankte ihm still, dass er nicht nach seinen Töchter gefragt hatte. Die Wahrheit war, dass Null Alans Frage nicht hätte beantworten können.

Maria stand mit einer Schürze über ihrer Arbeitskleidung in der Küche und hackte eine Zwiebel. “Guter Besuch?”

“Ja.”

Stille. Nur das rhythmische Schlagen des Messers gegen das Schnittbrett.

“Bist du bereit für heute Abend?” fragte sie nach einem langen Moment.

Er nickte. “Ja. Absolut.” Er war es nicht. “Was machst du?”

“Bigos.” Sie ließ den Inhalt des Schnittbretts in einen großen Topf auf dem Herd fallen, in dem sich schon köchelnde Krakauer, Kohl und anderes Gemüse befanden. “Das ist ein polnisches Gericht.”

Null runzelte die Stirn. “Bigos. Seit wann machst du Bigos?”

“Das habe ich von meiner Großmutter gelernt.” Sie grinste. “Es gibt immer noch viel, das du nicht über mich weißt, Mr. Steele.”

“Anscheinend.” Er zögerte, wunderte sich, wie er am besten das Thema ansprechen sollte, das ihm durch den Kopf ging und entschied sich dann, dass er es besser direkt täte. “Äh… hey. Also heute Abend, meinst du, dass du versuchen könntest, mich nicht Kent zu nennen?”

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