Jagd Auf Null - Джек Марс 6 стр.


Sie nahm ihn heraus und schloss die Schublade erneut. Fast im selben Moment drehte sich Rais wieder um. Maya erstarrte und hielt den Kuli in ihrer geschlossenen Faust.

Doch er gab keine Acht auf sie. Es schien, als wäre er jetzt gelangweilt vom Anruf und wollte endlich auflegen. Etwas im Fernsehen erweckte seine Aufmerksamkeit für einige Sekunden und Maya versteckte den Kuli im elastischen Bund ihrer Flanellschlafanzughosen.

Der Attentäter grummelte ein halbherziges Auf Wiedersehen und beendete das Gespräch, indem er das Handy auf das Sofakissen warf. Er drehte sich zu ihnen um und musterte jedes Mädchen einzeln. Maya starrte geradeaus, ihr Blick so leer wie nur möglich, und gab vor, die Nachrichten zu sehen. Scheinbar zufriedengestellt nahm er erneut seine Position auf dem Sessel ein.

Maya strich sanft mit ihrer freien Hand über Saras Rücken, während ihre jüngere Schwester mit halb geschlossenen Augen den Fernseher, oder vielleicht auch gar nichts, anstarrte. Sara brauchte Stunden nach dem Vorfall in der Raststättentoilette, um mit dem Weinen aufzuhören, doch jetzt lag sie einfach da und ihr Blick war leer und verglast. Es schien, als sei nichts mehr von ihr übrig.

Maya strich mit ihren Finger über Saras Wirbelsäule, um sie zu trösten. Es gab keine Möglichkeit für die beiden, untereinander zu kommunizieren. Rais hatte es mehr als deutlich gemacht, dass es ihnen nicht erlaubt war, miteinander zu sprechen, es sei denn, sie würden gefragt. Maya konnte ihr keine Nachricht übermitteln, keinen Plan aushecken.

Obwohl… vielleicht brauche ich ja gar keine Worte, dachte sie.

Maya hörte für einen Moment auf, den Rücken ihrer Schwester zu berühren. Als sie erneut begann, verwendete sie ihren Zeigefinger, um heimlich und langsam die Form eines Buchstaben zwischen Saras Schulterblätter zu ziehen – ein großes D.

Für einen kleinen Moment hob Sara neugierig ihren Kopf an, doch sie schaute dabei Maya nicht an und sagte auch kein Wort. Maya hoffte verzweifelt, dass sie verstand.

R, zeichnete sie als nächstes.

Dann Ü.

Rais saß in dem Sessel in Mayas erweitertem Blickfeld. Sie wagte es nicht, zu ihm herüberzublicken, aus Angst, verdächtig zu erscheinen. Stattdessen starrte sie gerade vor sich hin, so wie sie es schon die ganze Zeit tat, und zeichnete die Buchstaben.

C. K.

Sie bewegte ihren Finger langsam, absichtlich. Zwischen jedem Buchstaben legte sie eine Pause von zwei Sekunden ein, zwischen den Worten wartete sie fünf Sekunden ab, bis sie ihre Nachricht vollendet hatte.

Drück meine Hand, falls du mich verstehst.

Maya sah nicht einmal, wie Sara sich bewegte. Doch aufgrund der Handschellen lagen ihre Hände nah beisammen und sie spürte wie kühle, klamme Finger sich für einen Moment eng um ihre legten.

Sie verstand. Sara hatte die Nachricht verstanden.

Maya begann von vorne, bewegte sich so langsam wie möglich. Es gab keine Eile und sie musste sicherstellen, dass Sara jedes Wort verstand.

Gibt es eine Möglichkeit, schrieb sie, dann rennst du weg.

Schau nicht zurück.

Warte nicht auf mich.

Finde Hilfe. Hole Papa.

Sara lag ruhig und bewegungslos während der ganzen Nachricht. Es war Viertel nach drei als Maya endlich fertig war. Anschließend spürte sie den kühlen Druck eines dünnen Fingers auf ihrer Handinnenfläche, die teilweise an Saras Wange geschmiegt war. Der Finger zeichnete ein Muster auf ihrer Hand, den Buchtaben N.

Nicht ohne dich, lautete Saras Nachricht.

Maya schloss ihre Augen und seufzte.

Du musst, schrieb sie zurück. Sonst sind wir beide verloren.

Sie gab Sara nicht die Chance, zurückzuschreiben. Nachdem sie ihre Nachricht beendet hatte, räusperte sie sich und sagte leise, “Ich muss aufs Klo.”

Rais runzelte die Stirn und zeigte auf die geöffnete Badezimmertür am anderen Ende des Raumes. “Nur zu.”

“Aber…” Maya hob ihren Arm mit der Handschelle an.

“Na und?” fragte der Attentäter. “Nimm sie mit. Du hast eine Hand frei.”

Maya biss sich auf die Lippe. Sie wusste, was er da tat. Das einzige Fenster im Badezimmer war klein, fast kaum groß genug für Maya. Es war ganz unmöglich zu entkommen, während sie an ihre Schwester gefesselt war.

Langsam schlüpfte sie vom Bett und stieß ihre Schwester an, damit sie mitkäme. Sara bewegte sich mechanisch, als ob sie vergessen hätte, wie sie ihre Gliedmaßen eigenständig verwenden müsste.

“Ich gebe dir eine Minute. Schließ nicht die Tür ab”, warnte Rais. “Solltest du es dennoch versuchen, dann trete ich sie ein.”

Maya ging voran und schloss die Tür zu dem winzigen Bad, das mit den beiden darin schon überfüllt war. Sie schaltete das Licht an – sie war sich ziemlich sicher, dass sie eine Kakerlake dabei sah, wie sie sich unter dem Waschbecken in Sicherheit brachte – und anschließend den Entlüfter, der laut über ihnen brummte.

“Ich werde nicht”, flüstere Sara fast sofort. “Ich gehe nicht ohne—”

Maya hielt sich schnell einen Finger an die Lippen, als Zeichen, dass sie still sein sollte. Es könnte gut sein, dass Rais an der anderen Seite der Tür stand und lauschte. Der ging keine Risiken ein.

Sie zog schnell den Kuli aus dem Bündchen ihrer Schlafanzughosen. Sie brauchte etwas, um darauf zu schreiben, doch es gab nur Toilettenpapier. Maya riss ein paar Stückchen ab und legte sie auf das kleine Waschbecken, doch jedes Mal, wenn sie mit dem Kuli darauf drückte, riss es ein. Sie versuchte es noch einmal, doch das Papier riss erneut.

Das ist sinnlos, dachte sie bitterlich. Der Duschvorhang würde ihr auch nichts bringen, er war nur ein Plastiktuch, das über der Badewanne hing. Das kleine Fenster hatte keine Vorhänge.

Doch es gab etwas, das sie verwenden konnte.

“Halt still”, flüsterte sie in das Ohr ihrer Schwester. Saras Pyjamahosen waren weiß mit einem aufgedruckten Ananasmuster – und sie hatten Taschen. Maya drehte eine der Taschen nach außen und riss sie, so vorsichtig wie möglich, ab, bis sie ein Dreieck mit rauen Kanten aus Stoff hatte, das zwar den Obstaufdruck auf der einen Seite hatte, aber auf der anderen ganz weiß war.

Sie glättete es flink auf dem Waschbecken und schrieb vorsichtig, während ihre Schwester dabei zuschaute. Der Kuli verhakte sich mehrere Male in dem Stoff, doch Maya biss sich auf die Lippe, um nicht vor Frust zu fluchen, während sie ihre Nachricht schrieb.

Industriehafen Jersey.

Dubrovnik.

Sie wollte noch mehr schreiben, doch ihr war schon fast die Zeit ausgegangen. Maya versteckte den Kuli unter dem Waschbecken und rollte die Stoffnachricht fest ein. Dann suchte sie verzweifelt nach einem Ort, an dem sie das Stück Stoff verstecken konnte. Sie konnte die Nachricht nicht einfach zusammen mit den Kuli unter das Waschbecken stecken, das wäre zu auffällig und Rais war gründlich. Die Dusche stand ganz außer Frage. Würde der Stoff nass, dann verliefe die Tinte.

Ein plötzliches Klopfen an der dünnen Badezimmertür erschrak beide.

“Die Minute ist um”, warnte Rais klar von der anderen Seite aus.

“Ich bin gleich fertig”, antwortete sie hastig. Sie hielt ihren Atem an, als sie den Deckel des Spülkasten anhob und hoffte, dass der brummende Entlüfter jegliche Kratzgeräusche überdeckte. Sie steckte die aufgerollte Nachricht durch die Kette des Spülmechanismus, hoch genug, sodass sie nicht das Wasser berührte.

“Ich sagte, dass du eine Minute hast. Ich öffne jetzt die Tür.”

“Geben Sie mir nur ein paar Sekunden, bitte!” bettelte Maya, während sie schnell den Deckel zurückschob. Dann riss sie sich noch ein paar Haare aus und ließ sie auf den geschlossenen Spülkasten fallen. Mit ein wenig Glück – mit viel Glück – würde jemand, der nach ihnen suchte, den Hinweis bemerken.

Sie konnte nur hoffen.

Der Knauf der Badezimmertür drehte sich. Maya spülte die Toilette und ging in die Hocke, um so zu tun, als zöge sie sich die Schlafanzughosen hoch.

Rais steckte seinen Kopf durch die offene Tür und blickte auf den Boden. Langsam ließ er seinen Blick an den zwei Mädchen hinaufwandern und inspizierte sie beide abwechselnd.

Maya hielt den Atem an. Sara griff nach der gefesselten Hand ihrer Schwester und ihre Finger verhakten sich ineinander.

“Bist du soweit?” fragte er langsam.

Sie nickte.

Er schaute angewidert nach rechts und links. “Wasch dir die Hände. Dieses Zimmer ist widerlich.”

Das tat Maya mit einer rauen, orangefarbenen Handseife, während Saras Handgelenk schlaff neben ihrem eigenen hing. Sie trocknete ihre Hände an dem braunen Handtuch und der Attentäter nickte.

“Zurück aufs Bett. Marsch.”

Sie führte Sara zurück in das Zimmer und auf das Bett. Rais wartete einen Moment und sah sich in dem kleinen Bad um. Dann schaltete er den sowohl Entlüfter als auch das Licht aus und kehrte zu seinem Sessel zurück.

Maya legte ihren Arm um Sara und hielt sie fest.

Papa wird die Nachricht finden, dachte sie verzweifelt. Er wird sie finden. Ich weiß es.

Kapitel sechs

Reid fuhr Richtung Süden auf der Bundesstraße und versuchte verzweifelt, nicht zu rasen, aber dennoch zügig voranzukommen, während er sich auf die Raststätte zubewegte, an der Thompsons Wagen zurückgelassen wurde. Trotz seiner Ungeduld, einen Hinweis, eine Spur zu finden, begann Optimismus sich in ihm auszubreiten, jetzt, wo er endlich auf der Straße war. Seine Trauer war immer noch da, sie lag ihm so schwer im Magen, als hätte er eine Kegelkugel verschluckt, doch nun war sie in einer Hülle von Entschlossenheit und Hartnäckigkeit verkapselt.

Er spürte jetzt schon, wie das bekannte Gefühl seiner Kent Steele Rolle die Zügel übernahm, während er den Highway in dem schwarzen Trans Am hinunterjagte, den Kofferraum voller Waffen und Geräte, die ihm zur Verfügung standen. Es gab eine Zeit und einen Ort, um Reid Lawson zu sein, doch dies war nicht der richtige Moment. Kent war ebenfalls ihr Vater, ob die Mädchen das wussten oder nicht. Kent war Kates Gatte. Und Kent war ein Mann, der handelte. Der wartete nicht darauf, dass die Polizei einen Hinweis fand, oder dass ein anderer Agent seinen Job übernahm.

Er würde sie finden. Er musste nur herausfinden, wohin sie fuhren.

Die Bundesstraße durch Virginia war vorwiegend gerade, zwei Spuren, auf beiden Seiten mit dichten Bäumen bepflanzt und absolut monoton. Reids Frust wuchs mit jeder Minute, die verstrich, in der er nicht schnell genug an sein Ziel kam.

Warum Richtung Süden? Dachte er. Wohin würde Rais sie bringen?

Was täte ich, wenn ich er wäre? Wohin würde ich fahren?

“Das ist es”, sagte er laut zu sich selbst, als eine Erkenntnis ihn wie ein Schlag auf den Kopf traf. Rais wollte gefunden werden – aber nicht von der Polizei, dem FBI oder einem anderen CIA Agenten. Er wollte einzig und allein von Kent Steele gefunden werden.

Ich darf nicht darüber nachdenken, was er täte. Ich muss darüber nachdenken, was ich täte. Was würde ich tun?

Die Agentur würde annehmen, dass Rais die Mädchen weiter in den Süden brächte, weil der Wagen südlich von Alexandria gefunden wurde. “Was bedeutet, dass ich…”

Seine Gedanken wurden von dem lautstarken Klingeln des Prepaid-Handys in der mittleren Konsole unterbrochen.

“Fahr Richtung Norden”, sage Watson sofort.

“Was hast du rausgefunden?”

“Dass es nichts an der Raststätte zu finden gibt. Dreh zuerst um. Dann reden wir weiter.”

Das musste man Reid nicht zwei Mal sagen. Er legte das Handy zurück in die Konsole, schaltete auf den dritten Gang zurück und schwang das Lenkrad nach links. Sonntags, um die Uhrzeit, waren nicht viele Autos auf dem Highway. Der Trans Am überkreuzte die leere Spur und rutschte seitwärts auf den grasigen Mittelstreifen. Die Reifen quietschten nicht gegen den Asphalt oder verloren ihren Halt, als der Boden unter ihnen weich wurde – Mitch musste wohl Hochleistungsradialreifen eingebaut haben. Der Trans Am schlingerte über den Mittelstreifen, das Vorderteil drehte sich nur ein wenig, als er eine Staubwolke hinter sich aufwühlte.

Reid steuerte das Auto geradeaus, während er den kargen, dünnen Streifen zwischen dem Highway überquerte. Als das Gefährt wieder Asphalt unter die Reifen bekam, kuppelte er, schaltete hoch und trat aufs Gas. Der Trans Am raste auf der entgegengesetzten Spur vorwärts wie ein Lichtblitz.

Reid kämpfte mit dem plötzlichen Rausch, der in seiner Brust aufkam. Sein Gehirn reagierte stark auf alles, was Adrenalin erzeugte. Es sehnte sich nach der Aufregung, der flüchtigen Möglichkeit, die Kontrolle zu verlieren und dem aufschreckenden Genuss, sie wieder zurückzuerlangen.

“Ich bin auf dem Weg nach Norden”, bestätigte Reid, als er das Handy wieder hochnahm. “Was hast du rausgefunden?”

“Einer meiner Techniker überwacht die Ätherwellen der Polizei. Mach dir keine Sorgen, ich vertraue ihm. Ein blauer Limousinenwagen wurde heute morgen auf einem Zweitwagengelände als verlassen gemeldet. In ihm fand man eine Handtasche, mit Papieren und Karten, die zu der Frau passen, die an der Raststätte umgebracht wurde.”

Reid runzelte die Stirn. Rais hatte das Auto gestohlen und sich ihm dann schnell entledigt. “Wo?”

“Darum geht’s ja. Etwa zwei Stunden nördlich von deinem jetzigen Standort, in Maryland.”

Er schnaufte sich vor Frust. “Zwei Stunden? Ich kann doch nicht so viel Zeit verplempern. Der hat schon einen Riesenvorsprung.”

“Ich arbeite dran”, sagte Watson rätselhaft. “Noch was. Der Händler sagte, dass ein Auto von seinem Gelände fehlt —ein weißer Kombi, acht Jahre alt. Wir können ihn mit nichts verfolgen, wir müssen abwarten, bis man ihn sichtet. Satellitenbilder wären da wie eine Nadel im Heuhaufen…”

“Nein”, meinte Reid. “Mach dir nicht die Mühe. Der Kombi ist wahrscheinlich nur eine weitere Sackgasse. Der spielt mit uns. Ändert die Richtung, versucht, uns davon abzuhalten, herauszufinden, wo er wirklich mit ihnen hin will.”

“Woher weißt du das?”

“Weil ich das tun würde.” Er dachte einen Moment nach. Rais war ihnen schon einen Schritt voraus. Sie müssten Vorsprung bei seinem Spiel gewinnen, oder zumindest mit ihm gleichziehen. “Lass deinen Techniker alle in den letzten zwölf Stunden zwischen hier und New York gestohlenen Fahrzeuge überprüfen.”

“Da wirfst du ein ganz schön weites Netz aus”, bemerkte Watson.

Er hatte recht. Reid wusste, dass in den USA etwa alle fünfundvierzig Sekunden ein Auto gestohlen wurde, was sich zu hunderttausenden jedes Jahr summierte. “OK, du kannst die zehn häufigsten gestohlenen Modelle davon ausnehmen”, erwiderte er. So lästig es ihm auch war, es zuzugeben, aber Rais war clever. Er wusste vermutlich, welche Autos er besser vermeiden und welche er anvisieren sollte. “Nimm alle teuren und prunkigen Wagen von der Liste, alle, die zu grelle Farben oder kennzeichnende Merkmalen haben, alle, die von der Polizei leicht zu finden sind. Und natürlich alle, die neu genug sind, um mit GPS ausgestattet sein zu können. Konzentrier dich auf Orte, an denen vermutlich nicht viele Leute sind —leere Gelände, geschlossene Geschäfte, Industrieparks, sowas.”

“Verstanden”, antwortete Watson. “Ich rufe dich zurück, wenn ich die Info habe.”

“Danke.” Er legte das Telephon zurück in die mittlere Konsole. Er konnte keine zwei Stunden damit vergeuden, den Highway abzufahren. Er brauchte schneller etwas, oder einen besseren Hinweis darauf, wo seine Mädchen sich aufhalten könnten. Er fragte sich, ob Rais wieder die Richtung gewechselt hatte, vielleicht nördlich gefahren war, nur um anschließend in Richtung Westen, Land einwärts zu fahren, oder vielleicht sogar wieder die Route südlich aufgenommen hatte.

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