So Gut Wie Verloren - Блейк Пирс 4 стр.


„Gib ihr die Hand“, erinnerte Ryan seinen Sohn, doch Dylan drehte seine Handflächen nach oben und Cassie sah, dass sie schwarz vor Öl waren.

„Oh, oh. Komm hier rüber.“

Ryan eilte zum Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und gab eine großzügige Menge Spülmittel in die Hände seines Sohnes.

Während Ryan abgelenkt war, nahm Cassie sich ein weiteres Sandwich.

„Was war mit deinem Fahrrad los?“, fragte Ryan.

„Die Kette ist abgesprungen, als ich den Gang gewechselt habe“, erklärte Dylan.

„Hast du es repariert?“ Ryan beobachtete kritisch den Prozess des Händewaschens.

„Ja“, antwortete Dylan.

Cassie erwartete eine ausführlichere Erklärung, doch Dylan schwieg. Ryan gab ihm ein Handtuch, er trocknete seine Hände, gab Cassie kurz und formell die Hand und wandte sich dann den Snacks zu.

Während er aß, sprach Dylan nicht viel, aber Cassie beobachtete beeindruckt, wie viel er in der kurzen Zeit runterschlingen konnte. Der Teller war fast leer, als Ryan ihn zurück in den Kühlschrank stellte.

„Du wirst beim Abendessen keinen Hunger mehr haben, wenn du so weiter isst und ich habe vor, Spaghetti Bolognese zu machen“, sagte er.

„Spaghetti geht immer“, versprach Dylan.

Ryan schloss die Kühlschranktür.

„Ok, Kinder. Ihr solltet euch jetzt umziehen, sonst bekommt ihr eine Erkältung.“

Als sie verschwunden waren, drehte er sich wieder Cassie zu und sie bemerkte, dass er nervös klang.

„Was denkst du? Entsprechen die beiden deinen Erwartungen? Es sind tolle Kinder, aber auch sie haben ihre Momente.“

Cassie hatte die beiden sofort ins Herz geschlossen. Vor allem Madison schien ein unproblematisches Kind zu sein und sie konnte sich nicht vorstellen, mit dem gesprächigen Mädchen Unterhaltungsschwierigkeiten zu haben. Dylan kam ihr komplexer, stiller und introvertierter vor. Aber das konnte auch daran liegen, dass er sich zum Teenager zu entwickeln schien. Es war nicht überraschend, dass er einem dreiundzwanzigjährigen Au-Pair nicht viel zu sagen hatte.

Ryan hatte recht. Seine Kinder schienen verträglich zu sein. Außerdem war er als unterstützender Vater sicherlich bereit, ihr bei Schwierigkeiten zur Seite zu stehen.

Damit war ihre Entscheidung getroffen. Sie würde den Job annehmen.

„Du hast wundervolle Kinder. Ich würde mich freuen, die nächsten drei Wochen für dich arbeiten zu dürfen.“

Ryans Augen leuchteten auf.

„Oh, das ist fabelhaft. Weißt du, Cassie, als ich dich zum ersten Mal gesehen, nein, mit dir gesprochen habe, hoffte ich bereits, dass du einwilligen würdest. Deine Energie fasziniert mich und ich würde sehr gerne erfahren, was du mitgemacht hast, was dich geformt hat. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber du wirkst so klug und reif. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass meine Kinder bei dir in ausgezeichneten Händen sein werden.“

Cassie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Ryans Lob beschämte sie.

Ryan sprach weiter. „Die Kinder werden begeistert sein, ich habe bereits gemerkt, dass sie dich mögen. Ich gebe dir nun am besten eine Tour des Hauses und dann kannst du dich einrichten. Hast du deine Sachen dabei?“

„Ja, das habe ich.“

Der Regen hatte eine kurze Pause eingelegt, also ging Ryan mit ihr zum Wagen, lud lässig ihre schweren Taschen aus und trug sie in den Flur.

„Wir haben nur eine Garage, die dem Land Rover gehört, aber das Parken an der Straße ist absolut sicher. Das Haus ist einfach aufgebaut. Wir haben das Wohnzimmer zur Rechten, die Küche geradeaus und links befindet sich das Esszimmer, das wir nur selten verwenden. Deshalb ist daraus jetzt ein Raum zum Puzzeln, Lesen und Spielen geworden. Wie man sehen kann.“

Er schielte seufzend hinein.

„Wer ist der Puzzle-Enthusiast?“

„Madison. Sie liebt es, mit ihren Händen zu arbeiten und bastelt unheimlich gerne.“

„Und sie ist auch noch sportlich?“, fragte Cassie. „Ein Multi-Talent also.“

„Maddies Schwachstelle sind die Hausaufgaben, fürchte ich. In schulischen Angelegenheiten braucht sie Hilfe, vor allem in Mathe. Es wäre toll, wenn du ihr dabei helfen könntest und wenn es auch nur moralische Unterstützung ist.“

„Was ist mit Dylan?“

„Er ist ein leidenschaftlicher Radfahrer, interessiert sich aber für keinen anderen Sport. Mechanik ist sein Steckenpferd und in der Schule hat er nur Einsen. Dafür ist er allerdings nicht gerade gesellig. Wenn er sich unter Druck gesetzt fühlt, kann er auch ziemlich launisch werden. Ein schwieriger Balanceakt also.“

Cassie nickte dankbar, so viel über ihre neuen Schützlinge erfahren zu haben.

„Hier ist dein Zimmer, dort können wir deine Taschen abstellen.“

Aus dem kleinen Zimmer hatte man eine wundervolle Aussicht über das Meer. Es war in Türkis und Weiß dekoriert worden und sah ordentlich und einladend aus. Ryan stellte ihre große Tasche an den Fuß des Bettes und die kleinere auf einen gestreiften Sessel.

„Das Gästebad ist gleich hier den Flur runter. Madisons Zimmer befindet sich dann zur Rechten und Dylans zur Linken. Ganz am Ende ist mein Reich. Und dann gibt es noch etwas, das ich dir zeigen möchte.“

Er führte sie den Flur entlang ins Familienzimmer. Hinter den Glastüren sah Cassie einen überdachten Balkon mit schmiedeeisernen Möbeln.

„Wow“, flüsterte sie. Der Ausblick hier war atemberaubend. Der Ozean lag tief unter ihnen und sie konnte die Wellen hören, die gegen die Felsen schlugen.

„Das ist mein Ort der Ruhe. Hier sitze ich jeden Abend nach dem Essen, um abzuschalten, für gewöhnlich mit einem Glas Wein. Du bist herzlich eingeladen, dich jederzeit zu mir zu gesellen – der Wein ist optional, windgeschützte Kleidung verpflichtend. Der Balkon hat zwar ein solides Dach, aber keine Verglasung. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, aber festgestellt, es nicht übers Herz zu bringen. Hier draußen fühlt man sich dem Meer einfach so nahe. Das Geräusch des Ozeans und an stürmischen Abenden auch mal eine Brise Seewasser. Sieh es dir selbst an.“

Er öffnete die Schiebetür.

Cassie ging auf den Balkon und bis zur Brüstung, an der sie sich festhielt.

In dem Moment wurde ihr schwindelig und plötzlich befand sich unter ihr nicht länger der Strand von Devon.

Sie beugte sich über die Steinbrüstung und betrachtete entsetzt den entstellten Körper unter sich. Panik und Verwirrung überkamen sie.

Sie konnte den kalten Stein unter ihren Fingern spüren, erinnerte sich an den Hauch von Parfum, der noch immer im opulenten Schlafzimmer verweilte. Sie erinnerte sich an die Übelkeit, die in ihr getobt hatte, daran, wie ihre Beine so weich geworden waren, dass sie geglaubt hatte, zusammenzubrechen. Dann daran, wie ihre Erinnerungen ihr nicht erlaubt hatten, die Ereignisse der vergangenen Nacht erneut abzuspielen. An ihre Albträume, die schon immer schlimm gewesen waren, sich nun intensiviert hatten und nach dem schockierenden Anblick lebhafter waren als je zuvor. Sie erinnerte sich daran, nicht in der Lage gewesen zu sein, Traum und Erinnerung auseinanderzuhalten.

Cassie hatte geglaubt, ihr angsterfülltes Ich zurückgelassen zu haben, aber nun kam die Dunkelheit zurück, um sie zu verschlucken. Und sie verstand, dass die Erinnerungen genau wie die Angst ein Teil ihrer Selbst geworden waren.

„Nein“, wollte sie schreien, aber ihre eigene Stimme schien aus der Ferne zu kommen. Einem weitentfernten Ort. Sie brachte lediglich ein kaum hörbares Flüstern zustande.

Kapitel vier

„Hey, ganz ruhig. Schön gleichmäßig atmen. Ein, aus, ein, aus.“

Cassie öffnete die Augen und betrachtete die massiven Holzbretter der Veranda.

Sie saß auf dem weichen Kissen des schmiedeeisernen Stuhls, ihr Kopf auf den Knien. Feste Hände hielten sie an den Schultern, um sie zu stützen.

Es war Ryan, ihr neuer Arbeitgeber. Seine Hände, seine Stimme.

Was war passiert? Sie war in Panik geraten und hatte sich lächerlich gemacht. Eilig setzte sie sich auf.

„Vorsichtig, mach langsam.“

Cassie rang nach Luft. Ihr Kopf drehte sich und sie hatte das Gefühl, ihren Körper von oben zu sehen.

„Du hattest einen ernsthaften Schwindel-Anfall, würde ich sagen. Für einen Moment glaubte ich, du könntest über die Brüstung fallen“, sagte Ryan. „Ich habe es geschafft, dich festzuhalten, bevor du ohnmächtig wurdest. Wie fühlst du dich?“

Wie sie sich fühlte?

Eiskalt, schwindelig und beschämt. Sie hatte so dringend einen guten Eindruck machen wollen, um Ryans Lob gerecht zu werden. Stattdessen hatte sie es versaut. Sie musste ihm unbedingt erklären, warum.

Aber wie? Wenn er wüsste, was sie mitgemacht hatte und dass ihr ehemaliger Arbeitgeber in diesem Moment wegen Mordes vor Gericht stand, würde er möglicherweise seine Meinung ändern. Vermutlich würde er dann denken, dass sie zu labil war, um sich um seine Kinder zu kümmern, die gerade jetzt nichts mehr brauchten als Stabilität. Selbst eine einfache Panikattacke war bestimmt bereits Grund zur Sorge.

Es war also besser, seine Vermutungen zu bestätigen: Sie hatte Höhenangst und einen Schwindelanfall erlitten.

„Mir geht’s schon wieder viel besser“, antwortete sie. „Es tut mir so leid. Ich hätte daran denken sollen, dass ich extreme Höhenangst habe, wenn ich eine Weile nichts mit Höhen zu tun hatte. Aber das wird sich bessern und in ein paar Tagen wird der Balkon kein Problem mehr für mich darstellen.“

„Das ist gut zu wissen, aber sei bis dahin bitte vorsichtig. Kannst du aufstehen? Halte dich an meinem Arm fest.“

Cassie stand auf und lehnte sich an Ryan, bis sie sich sicher war, dass ihre Beine sie tragen konnten. Dann führte er sie langsam zurück ins Familienzimmer.

„Ich bin okay, danke.“

„Sicher?“ Er hielt ihren Arm noch immer fest, dann ließ er sie los.

„Pack in aller Ruhe aus und mach es dir gemütlich. Um halb sieben gibt es Abendessen.“

* * *

Cassie nahm sich Zeit zum Auspacken und stellte sicher, dass ihre Sachen ordentlich in der anheimelnden, weißen Kommode verstaut waren. Ihre Medikamente versteckte sie ganz hinten in der Schreibtischschublade. Sie glaubte zwar nicht, dass diese Familie in ihrer Abwesenheit durch ihre Sachen gehen würde, aber sie wollte unter keinen Umständen peinliche Frage über ihre Pillen für Unruhezustände beantworten müssen. Vor allem nicht nach der Panikattacke auf dem Balkon.

Wenigstens hatte sie sich schnell von dem Vorfall erholt, ein Zeichen, dass sie ihre Situation unter Kontrolle hatte. Sie machte sich eine gedankliche Notiz, ihre Nachtdosis bereits vor dem Abendessen einzunehmen – nur für den Fall.

Das köstliche Aroma von gedünstetem Knoblauch und angebratenem Fleisch wehte schon weit vor halb sieben durchs Haus. Cassie wartete bis viertel nach sechs, zog sich dann eines ihrer hübschesten Oberteile an, das mit Perlen besetzt war, und trug Lipgloss und ein wenig Mascara auf. Sie wollte sich Ryan von ihrer besten Seite zeigen. Es war ihr wichtig, nach der Panikattacke einen guten Eindruck zu machen. Aber als sie an die Situation auf der Veranda dachte, erinnerte sie sich hauptsächlich an Ryans muskulären Arme, mit denen er sie festgehalten hatte.

Wieder wurde ihr ein bisschen schwindelig, als sie an seine starken und gleichzeitig zärtlichen Berührungen dachte.

Cassie verließ ihr Zimmer und stieß fast mit Madison zusammen, die eilig in Richtung Küche ging.

„Es riecht so gut“, erklärte Madison Cassie.

„Ist es dein Lieblingsessen?“

„Naja, ich liebe Spaghetti Bolognese, wenn Dad kocht, aber nicht in Restaurants. Die machen das einfach nicht auf dieselbe Weise. Also würde ich sagen, es ist mein liebstes Zuhause-Essen. Außerdem liebe ich Brathähnchen und Toad in the hole. Wenn wir essen gehen, bestelle ich meistens Fish and Chips, das bekommt man hier überall. Oh und ich liebe Pizza. Dafür hasse ich Dylans Lieblingsessen – Hamburger. Restaurant-Burger sind einfach nur eklig.“

„Was ist Toad in the hole?“, fragte Cassie neugierig und nahm an, dass es sich um ein traditionell britisches Gericht handeln musste.

„Hast du das noch nie gegessen? Das sind Würstchen in einer Art Kuchenteig aus Eiern, Mehl und Milch. Und dazu braucht man Soße und zwar richtig viel. Und Erbsen und Karotten.“

Ihre Unterhaltung hatte sie bis in die Küche gebracht. Der Holztisch war für vier gedeckt worden, Dylan saß bereits an seinem Platz und schenkte sich ein Glas Orangensaft ein.

„Burger sind überhaupt nicht eklig. Sie sind die Speise der Götter“, erwiderte er.

„Meine Lehrerin in der Schule sagt, dass Burger hauptsächlich aus Getreide und fein gemahlenen Tierstückchen bestehen, die sonst niemand essen würde.“

„Deine Lehrerin liegt falsch.“

„Unmöglich. Du bist so dumm, das zu sagen.“

Cassie wollte sich gerade einmischen, weil sie das Gefühl hatte, dass Madisons Beleidigung ein bisschen zu persönlich geworden war, aber Dylan konterte zuerst.

„Hey, Maddie.“ Dylan zeigte warnend mit dem Finger auf sie. „Du bist entweder für mich oder gegen mich.“

Cassie verstand nicht, was er damit meinte, aber Madison verdrehte die Augen und streckte ihm die Zunge heraus, bevor sie sich setzte.

„Kann ich dir helfen, Ryan?“

Cassie ging zum Herd, wo Ryan die gekochten Nudeln abschüttete.

Er sah sie an und lächelte.

„Alles unter Kontrolle. Hoffe ich. Essen gibt es in dreißig Sekunden. Kommt Kinder. Holt euch eure Teller und füllt euch auf.

„Ich mag dein Oberteil, Cassie“, sagte Madison.

„Danke. Das habe ich in New York City gekauft.“

„New York City. Wow. Da würde ich nur zu gerne mal hingehen“, sagte Madison mit großen Augen.

„Die Wirtschaftsstudenten der Oberstufe sind im Juni hingeflogen“, sagte Dylan. „Studiere Wirtschaft und dann kannst du vielleicht auch hin.“

„Hat das mit Mathe zu tun?“, fragte Madison.

Dylan nickte.

„Ich hasse Mathe. Es ist langweilig und kompliziert.“

„Naja, dann kannst du nicht nach New York.“

Dylan wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Teller zu und schaufelte sich Spaghetti darauf. Währenddessen spülte Ryan das Kochgeschirr ab.

Als Cassie sah, dass Madison zu rebellieren drohte, wechselte sie schnell das Thema.

„Dein Dad hat mir erzählt, wie gerne du Sport treibst. Was machst du denn am liebsten?“

„Rennen und Turnen. Tennis mag ich auch gerne, das haben wir diesen Sommer angefangen.“

„Und du fährst Rad?“, fragte Cassie Dylan.

Er nickte und bedeckte seine Nudeln mit geriebenem Käse.

„Dylan will Profi werden und eines Tages die Tour de France gewinnen“, sagte Madison.

Ryan gesellte sich zu ihnen an den Tisch.

„Ich denke, du wirst eine seltsame mathematische Formel entdecken und ein volles Stipendium für Cambridge bekommen“, sagte er und betrachtete seinen Sohn stolz.

Dylan schüttelte den Kopf.

„Dad, es wird die Tour de France werden“, meinte er beharrlich.

„Erst auf die Uni“, konterte Ryan mit strenger Stimme und Dylan blickte ihn finster an. Madison unterbrach und fragte nach mehr Saft, den Cassie ihr einschenkte, während der kurze Moment der Uneinigkeit verging.

Cassie aß ihre Nudeln, während die Unterhaltung weiterging. Es war köstlich. Sie war sich sicher, noch nie einen Mann wie Ryan getroffen zu haben. Er war so tüchtig und fürsorglich und sie fragte sich, ob die Kinder wussten, wie viel Glück sie hatten, einen Vater zu haben, der für seine Familie kochte.

Nach dem Abendessen bot sie sich an, das Abspülen zu übernehmen und belud den großen, hochmodernen Geschirrspüler. Ryan erklärte, dass die Kinder nach dem Essen eine Stunde fernsehen durften, wenn ihre Hausaufgaben fertig waren. Zur Schlafenszeit würde er dann das WLAN abschalten.

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