„Wir werden bald zurück sein“, sagte König Godwin. „Zuerst müssen wir jedoch etwas dagegen unternehmen.“ König Godwin warf einen Blick zu Grey hinüber, bevor er fortfuhr. „Wenn die Leute von einem Drachen hören, ganz zu schweigen von einem toten Drachen, werden sie denken, dass es ein böses Omen ist, und ich erlaube in der Woche von Lenores Hochzeit keine schlechten Omen.“
„Nein, natürlich nicht“, sagte Rodry und sah beschämt aus, dass er selbst nicht daran gedacht hatte. „Also, was machen wir?“
Darüber hatte der König schon nachgedacht. Seinen Taschen entnehmend, was immer er an Münzen hatte, ging er zuerst zu den Dorfbewohnern hinüber.
„Ihr habt meinen Dank dafür, dass Ihr mir davon erzählt habet“, sagte er und reichte ihnen die Münzen. „Kehrt jetzt nach Hause zurück und erzählt niemandem, was Ihr gesehen habt. Ihr wart nicht hier, dies ist nicht geschehen. Wenn ich etwas anderes höre …“
Sie nahmen die unausgesprochene Drohung wahr und verneigten sich hastig.
„Ja, mein König“, sagte einer, bevor sie beide davon eilten.
„Und nun“, sagte er und wandte sich an Rodry und die Ritter.“Ursus, Ihr seid der Stärkste; mal sehen, wie viel Kraft Ihr tatsächlich habt. Hole Seile, einer von Euch, damit wir alle das Biest ziehen können.“
Der größte seiner Ritter nickte zustimmend, und alle machten sich an die Arbeit und wühlten in ihren Satteltaschen, bis einer von ihnen dicke Seile hervorzog. Twell, dem Vorausplaner, konnte man vertrauen, dass er stets auf alles vorbereitet war.
Sie banden die Überreste des Drachen zusammen und brauchten dafür länger, als es König Godwin lieb war. Die schiere Masse des Tieres schien den Versuchen zu widerstehen, es zusammenzubinden, sodass Jorin, der wendigste unter ihnen, mit einem Seil über der Schulter über die Kreatur klettern musste, damit sie es fesseln konnten. Selbst mit seiner schweren Rüstung sprang er leichtfüßig wieder hinunter. Irgendwann hatten sie es geschafft, den Drachen zusammenzubinden. Der König ging zu ihnen hinunter und ergriff das Seil.
“Nun?“, sagte er zu den anderen.“Glaubt Ihr, ich werde das alleine in den Slate schleppen?“
Es gab eine Zeit, in der er vielleicht geglaubt hätte, dass er es tun könnte, als er so stark gewesen war wie Ursus oder Rodry. Jetzt kannte er sich jedoch gut genug, um zu wissen, wann er Hilfe brauchte. Die Männer dort verstanden den Hinweis und nahmen das Seil. König Godwin spürte den Moment, in dem sein Sohn begann, seine Kraft mit einzubringen, indem er von der anderen Seite gegen die Leiche des Drachen drückte und dabei vor Anstrengung stöhnte.
Langsam begann er sich zu bewegen und hinterließ Spuren im Dreck, als sie seine Masse verlagerten. Nur Grey beteiligte sich nicht an den Bemühungen. Ehrlich gesagt, es hätte auch kaum einen Unterschied gemacht. Schritt für Schritt zog die Gruppe den Drachen näher an den Fluss.
Schließlich erreichten sie das Ufer und hielten ihn an der Stelle in Position, an der der Boden in Richtung des Flusses abfiel, und die sowohl die Grenze des Königreichs als auch seine Verteidigungslinie darstellte. Sie hatten die Kreatur so perfekt in Position gebracht, als ob jederzeit ein Atemzug hindurchwehen könnte, und sie nach einem kurzen Blick zu König Godwin, wieder bereit wäre, in die Länder des Südens hinauszufliegen.
Er stellte einen Stiefel gegen seine Flanke und trat das Drachenweibchen, keuchend vor Anstrengung, über die Uferböschung.
„Es ist geschafft“, sagte er, als sie mit einem klatschenden Geräusch auf das Wasser schlug.
Sie verschwand jedoch nicht sofort . Stattdessen wogte sie dort hin und her, die schiere Wildheit des stahlgrauen Wassers genug, um es flussabwärts wegzutragen – der Körper des Drachen prallte gegen Felsen und drehte sich in der Strömung. Es war eine Strömung, gegen die kein Mann anschwimmen konnte und in der selbst ein gewaltiger Drache verschwindend geringe Bedeutung hatte. Er wurde in Richtung des wartenden Meeres heruntergezogen, und das dunkle Wasser raste, um sich mit dem größeren der beiden Körper zu verbinden.
„Hoffen wir nur, dass sie noch kein Gehege angelegt hat“, murmelte Grey.
König Godwin stand am Ufer, zu müde, um den Mann zu fragen, und seine Augen folgten der Leiche der Kreatur, bis sie außer Sichtweite war. Er wollte sicher sein, dass sie nicht in sein Königreich zurückkehrte, sagte er sich, dass sie nicht zurückkam, um erneut Ärger zu verursachen. Er sagte sich, dass ihm in diesem Moment der Atem stockte, weil er kein junger Mann mehr war. Das war jedoch nicht die Wahrheit. Die Wahrheit war, dass er besorgt war. Er hatte sein Königreich lange Zeit regiert und dergleichen hatte er noch nie zuvor erlebt. Dass es jetzt geschah, bedeutete, dass noch etwas Bedeutenderes im Anzug war.
Und König Godwin wusste, dass es, was auch immer es war, das ganze Königreich betreffen würde.
KAPITEL ZWEI
Devin träumte und in seinem Traum befand er sich an einem Ort weit außerhalb der Schmiede, in der er arbeitete, und sogar außerhalb der Stadt Royalsport, in der er und seine Familie lebten. Er träumte oft und in seinen Träumen konnte er überall hingehen, alles sein. In seinen Träumen konnte er der Ritter sein, der er immer sein wollte.
Dieser Traum war allerdings seltsam. Zum einen wusste er, dass er sich in einem Traum befand, was er normalerweise nicht tat. Es bedeutete, dass er darin herumwandern konnte, und er schien sich zu verändern, während er ihn betrachtete, sodass er selbst die Landschaften um sich herum schuf.
Es war, als würde er über das Königreich schweben. Unten konnte er sehen, wie sich das Land unter ihm ausbreitete, der Norden und der Süden, geteilt durch den Slate, und Leveros, die Mönchsinsel, im Osten. Im hohen Norden, am Rande des Königreichs, fünf oder sechs Tagesritte entfernt, konnte er die Vulkane sehen, die seit Jahren ruhten. Weit im Westen konnte er gerade noch den Dritten Kontinent erkennen, von dem die Leute nur flüsternd sprachen, aus Ehrfurcht vor den Dingen, die dort lebten.
Es war nur ein Traum, aber er wusste, dass er dennoch eine bemerkenswert genaue Sicht auf das Königreich hatte.
Jetzt befand er sich nicht mehr über der Welt. Jetzt befand er sich in einem dunklen Raum, und etwas war mit ihm darin: es war eine Gestalt, die diesen Raum ausfüllte, sie roch muffig, trocken und reptilisch. Flackerndes Licht spiegelte sich in den Schuppen, und im Halbdunkel glaubte er, das Rascheln der Bewegungen und das Atmen zu hören, wie ein Blasebalg. In seinem Traum spürte Devin, wie seine Angst zunahm, seine Hand sich reflexartig um den Griff eines Schwertes schloss und eine Klinge aus blauschwarzem Metall hob.
Große goldene Augen öffneten sich im Dunkeln, erneut flackerte Licht auf. Darin konnte er einen großen Körper mit dunklen Schuppen erkennen, etwas so Großes hatte er noch nie zuvor gesehen. Die Flügel waren zusammengerollt und der Mund weit geöffnet, er offenbarte ein Licht im Inneren. Devin blieb nur ein Moment, um zu erkennen, dass es das Flackern von Flammen war, das aus dem Mund der Kreatur kam, und dann gab es nur noch Flammen, die ihn umgaben und die ganze Welt erfüllten …
Die Flammen wichen zurück, und jetzt saß er in einem Raum, dessen Wände ihn kreisförmig umgaben, so, als befände er sich ganz oben in einem Turm. Der Platz war vom Boden bis zur Decke mit Krimskrams gefüllt, der aus Dutzenden von Orten und Zeiten zusammengetragen worden sein musste. Siebdrucke bedeckten die Wände und in Regalen standen Messinggegenstände, von denen Devin nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wozu sie gut sein könnten.
Dort saß ein Mann mit gekreuzten Beinen an einer der wenigen freien Stellen in einem Kreidekreis, umgeben von Kerzen. Er war kahl und er blickte sehr ernst drein – seine Augen waren auf Devin fixiert. Er trug üppige Roben, die mit Siegeln bestickt waren, und Schmuck, der mystische Muster verkörperte.
„Kennt Ihr mich?“, fragte Devin, als er näher kam.
Eine lange Stille folgte, sie war so lang, dass Devin sich fragte, ob er die Frage überhaupt gestellt hatte.
„Die Sterne sagten, wenn ich hier träume, würdest Du kommen“, sagte die Stimme schließlich. „Derjenige, der sein soll.“
Devin wurde klar, wer dieser Mann war.
„Ihr seid Meister Grey, der Magier des Königs.“
Er schluckte bei dem Gedanken daran. Sie sagten, dass dieser Mann die Macht habe, Dinge zu sehen, die kein vernünftiger Mann würde sehen wollen; dass er dem König den Moment des Todes seiner ersten Frau vorhergesagt hatte und alle gelacht hatten – bis der Ohnmachtsanfall sie überkam und ihr Kopf auf dem Stein einer der Brücken zersplittert war. Sie sagten, er könne in die Seele eines Mannes schauen und alles herausholen, was er dort gesehen habe.
Derjenige, der sein soll.
Was könnte das heißen?
„Ihr seid Meister Grey.“
„Und Du bist der Junge, der an dem unmöglichsten aller Tage geboren wurde. Ich habe gesucht und gesucht, und Du solltest nicht existieren. Aber Du tust es.“
Devins Herz raste bei dem Gedanken, dass der Magier des Königs wusste, wer er war. Warum sollte sich ein Mann wie dieser für ihn interessieren?
Und er wusste in diesem Moment, dass dies mehr als nur ein Traum war.
Dies war eine Begegnung.
„Was wollt Ihr von mir?“, fragte Devin.
„Wollen?“ Die Frage schien den Magier fast zu überraschen, wenn dies überhaupt möglich war.“Ich wollte Dich nur höchstpersönlich sehen. Dich an dem Tag sehen, an dem sich Dein Leben für immer verändern wird.“
Devin brannte mit Fragen, aber in diesem Moment griff Meister Grey nach einer der Kerzen um ihn herum und löschte sie mit zwei langen Fingern, während er etwas kaum hörbares murmelte.
Devin wollte vortreten, wollte begreifen, was vor sich ging, aber stattdessen spürte er eine Kraft, die er nicht verstehen konnte und die ihn rückwärts aus dem Turm zurück in die Dunkelheit zog.
***
„Devin!“, rief seine Mutter. „Wach auf, oder Du wirst das Frühstück verpassen.“
Devin fluchte und seine Augenlider flogen nach oben. Das Morgengrauen warf bereits die ersten Lichtstrahlen durch das Fenster des kleinen Hauses seiner Familie. Es bedeutete, dass er, wenn er sich nicht beeilte, nicht früh genug zum Haus der Waffen gelangte, er keine Zeit mehr für irgendetwas anderes haben würde, sondern sich direkt in die Arbeit stürzen musste.
Er lag schwer atmend im Bett und versuchte, die Schwere, die Echtheit der Träume abzuschütteln.
Aber wie er es auch versuchte, er schaffte es nicht. Es hing wie ein schwerer Umhang über ihm.
“DEVIN!“
Devin schüttelte den Kopf.
Er sprang aus dem Bett und beeilte sich, sich anzuziehen. Seine Kleider waren einfache, schlichte Stücke, stellenweise geflickt. Einige waren alte Kleidungsstücke seines Vaters, die ihm nicht gut passten, da Devin mit sechzehn Jahren immer noch schlanker war als er, nicht breiter als der Durchschnitt für einen Jungen in seinem Alter, auch wenn er etwas größer war. Er strich sich sein dunkles Haar aus den Augen, mit den Händen, die bereits ihren Teil an kleinen Brandflecken und Schnittwunden aus dem Haus der Waffen erhalten hatten, er wusste, dass es schlimmer werden würde, wenn er älter wäre. Der alte Gund konnte einige seiner Finger kaum bewegen, die anstrengende Arbeit hatte ihm so viel abverlangt.
Devin zog sich an und eilte in die Küche des Familienhäuschens. Er saß da und aß mit seiner Mutter und seinem Vater Eintopf am Küchentisch. Er moppte die Reste mit einem Stück hartem Brot auf und wusste, dass, auch wenn es einfaches Essen war, er es für den harten Arbeitstag im Haus der Waffen brauchen würde. Seine Mutter war so zart wie ein kleiner Vogel und neben ihm sah sie so zerbrechlich aus, dass es schien, als würde sie unter der Last der Arbeit, die sie jeden Tag leistete, zerbrechen, aber sie tat es nie.
Sein Vater war auch kleiner als er, doch er war breit und muskulös und hart wie Teakholz. Jede seiner Hände war wie ein Hammer, und auf seinen Unterarmen liefen Tätowierungen, die von anderen Orten erzählten, vom südlichen Königreich bis zu den Ländern auf der anderen Seite des Meeres. Es gab sogar eine kleine Karte, die beide Länder zeigte, aber auch die Insel Leveros und den Kontinent Sarras, der so weit weg über das Meer lag.
„Warum starrst Du auf meine Arme, Junge?“, fragte sein Vater mit rauer Stimme. Er war kein Mann, dem es jemals leicht gefallen war, Zuneigung zu zeigen. Selbst als Devin seine Arbeitsstelle im Haus bekommen hatte, selbst als er die Fähigkeit bewiesen hatte, Waffen zu schmieden, die denen der besten Meister in nichts nachstanden, hatte sein Vater kaum genickt.
Devin wollte ihm unbedingt von seinem Traum erzählen. Aber er wusste es besser. Sein Vater würde ihn demütigen, Eifersucht würde in ihm ausbrechen.
„Ich habe nur ein Tattoo entdeckt, das ich noch nicht gesehen habe“, sagte Devin. Normalerweise trug sein Vater längere Ärmel, und Devin war selten lange genug da, um genauer hinzusehen. „Warum hat dieses Sarras und Leveros darauf? Seid Ihr dorthin gegangen, als Sie ein …“
„Das geht Dich nichts an!“, schnappte sein Vater, das Maß seiner Verärgerung widersprach merkwürdigerweise der Einfachheit der Frage. Hastig zog er seine Ärmel herunter und band die Stege an den Handgelenken zusammen, sodass Devin nichts mehr sehen konnte. „Es gibt Dinge, nach denen Du nicht fragst!“
„Es tut mir leid“, sagte Devin. Es gab Tage, an denen Devin kaum wusste, was er seinem Vater sagen sollte; Tage, an denen er sich kaum wie sein Sohn fühlte. „Ich sollte mich auf den Weg zur Arbeit machen.“
„So früh? Du wirst doch wieder mit dem Schwert üben, oder?“, wollte sein Vater wissen. „Du versuchst immer noch, ein Ritter zu werden.“
Er wirkte wirklich wütend und Devin wusste einfach nicht warum.
„Wäre das so eine schreckliche Sache?“, fragte Devin vorsichtig.
„Kenne Deinen Platz, Junge“, spuckte sein Vater. „Du bist kein Ritter. Nur ein Bürgerlicher – wie der Rest von uns.“
Devin unterdrückte eine wütende Antwort. Er hatte mindestens noch eine Stunde, bevor er zur Arbeit gehen musste, aber er wusste, wenn er blieb, wäre ein Streit fast unumgänglich, so wie bei all den Streitigkeiten zuvor.
Er stand auf, machte sich nicht einmal die Mühe, sein Essen zu beenden, und ging hinaus.
Gedämpftes Sonnenlicht empfing ihn. Um ihn herum schlief der größte Teil der Stadt noch und sie lag ruhig in dieser frühesten Morgenstunde, selbst diejenigen, die nachts gearbeitet hatten, waren nach Hause zurückgekehrt. Es bedeutete, dass Devin die meisten Straßen für sich alleine hatte, als er sich auf den Weg zum Haus der Waffen machte und angestrengt, so schnell er konnte, über die Pflastersteine rannte. Je früher er dort ankam, desto mehr Zeit hätte er – in jedem Fall jedoch hatte er auch mitgehört, dass die Schwertmeister dort ihren Schülern sagten, dass diese Art von Übung unerlässlich sei, wenn sie Ausdauer im Kampf haben wollten. Devin war sich nicht sicher, ob einer von ihnen sie hatte, aber er hatte sie. Er würde jede Fähigkeit brauchen, die er nur erlangen könnte, wenn er Ritter werden wollte.
Devin ging weiter durch die Stadt, rannte schneller und härter und versuchte immer noch, die Überreste des Traumes abzuschütteln. War es wirklich eine Begegnung gewesen?