Luke dachte sich, dass nichts davon wie eine wirklich große Überraschung kam, doch es schmerzte ihn dennoch, es zu hören. Er wusste, wie es war. Die Armee erkannte nicht einmal formal die Existenz der Delta Force an. Die Mission war geheim - sie war nie geschehen. Er hatte also nicht gerade darauf gehofft, eine Medaille während einer öffentlichen Zeremonie zu bekommen. Man war nicht bei Delta wegen des Ruhms.
Er hatte zwar erwartet, dass man ihn ignorierte, doch er hatte nicht erwartet, zum alten Eisen geworfen zu werden. Er hatte der Armee viel von sich gegeben und sie waren bereit, ihn wegen einer schlechten Mission auf den Müll zu werfen. Es stimmte, die Mission war schlechter als schlecht gelaufen. Sie war ein Desaster, ein Debakel, doch das war nicht seine Schuld.
„Die schmeißen mich so oder so raus”, sagte er. „Ich kann leise gehen oder zetern.”
„So sieht’s aus”, erwiderte Don.
Luke seufzte schwer. Er schaute wie die Altstadt am Fenster vorbeirollte. Sie fuhren aus dem historischen Viertel heraus auf eine moderne Einkaufsstraße. Sie kamen ans Ende eines langen Häuserblocks und Don bog links auf den Parkplatz eines Burger King ab.
Das Zivilleben käme, ob das Luke gefiel oder nicht. Es war eine Welt, die er vierzehn Jahre zuvor verlassen hatte. Er hatte niemals erwartet, sie wiederzusehen. Was ging in dieser Welt vor sich?
Er beobachtete ein übergewichtiges junges Pärchen dabei, wie sie auf die Tür des Restaurants zuwatschelten.
„Was werde ich tun?” sagte Luke. „Nach dem Ende dieses Jahres? Welche Art von Ziviljob kann ich schon kriegen?”
„Ganz leicht”, antwortete Don. „Du wirst für mich arbeiten.”
Luke blickte ihn an.
Don parkte auf einem Platz weit hinten. Dort gab es keine weiteren Autos. „Das Spezialeinsatzteam ist soweit. Während du im Bett lagst und dir den Bauchnabel angeschaut hast, habe ich mit den Bürokraten gekämpft und den Papierkram erledigt. Ich habe die notwendige finanzielle Förderung, zumindest bis zum Ende des Jahres. Ich habe ein kleines Hauptquartier in der Vorstadt von Virginia, nicht weit von der CIA entfernt. Die malen jetzt gerade die Buchstaben auf die Tür. Ich habe das Gehör des FBI Direktors. Und ich habe - wenn auch nur kurz - mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten am Telefon gesprochen.”
Don stellte den Motor ab und schaute Luke an.
„Ich bin bereit, meinen ersten Agenten anzuheuern. Das bist du.”
Er wies mit dem Kopf auf ein großes Zeichen in der Nähe der Einfahrt zum Parkplatz hin. Luke blickte in die Richtung. Direkt unter dem Burger King Logo stand eine Reihe schwarzer Buchstaben auf weißem Hintergrund. Las man sie gemeinsam, so ergaben sie eine bittere Botschaft.
Angestellte gesucht. Weitere Informationen im Restaurant.
„Falls du keine Lust hast, mit mir zu arbeiten, gibt es bestimmt viele andere Möglichkeiten für dich da draußen.”
Luke schüttelte seinen Kopf. Dann lachte er.
„Das ist ein komischer Tag heute”, sagte er.
Don nickte. „Der wird gleich noch komischer. Hier ist eine weitere Überraschung. Dieses Mal ist es ein Geschenk. Ich wollte es dir nicht im Krankenhaus geben, weil Krankenhäuser furchtbare Orte sind. Besonders Veteranenkrankenhäuser.”
Vor dem Auto stand eine schöne junge Frau mit langem braunen Haar. Sie blickte Luke an, Tränen standen ihr in den Augen. Sie trug eine leichte Jacke, unter der sie ein Mama-Shirt trug. Die Frau war hochschwanger.
Mit Lukes Sohn.
Luke brauchte den Bruchteil einer Sekunde, um sie zu erkennen - das war etwas, dass er niemals jemandem gestehen würde, nicht einmal unter Folter. Sein Gehirn hatte die letzten Wochen über nicht richtig funktioniert und sie war fehl am Platz in diesem öden Parkplatz. Er hatte nicht erwartet, sie hier zu sehen. Ihre Anwesenheit war irreal, mysteriös.
Rebecca.
„Oh Gott”, brachte Luke heraus.
„Ja”, sagte Don. „Vielleicht willst du sie besser begrüßen, bevor sie jemand besseren findet. Hier dauert das bestimmt nicht lang.”
„Warum… warum hast du sie hier hergebracht?”
Don zuckte mit den Schultern. Er blickte sich auf dem Burger King Parkplatz um.
„Romantischer als sie zurück auf dem Stützpunkt zu treffen.”
Dann stieg Luke aus dem Auto. Er schien auf sie zuzuschweben. Sie umarmten sich und er hielt sie lange fest. Endlos. Er wollte sie niemals loslassen.
Zum ersten Mal spürte Luke Tränen sein Gesicht herunterströmen. Er atmete tief. Es fühlte sich so gut an sie festzuhalten. Er sprach nicht. Ihm fiel kein einziges Wort ein.
Sie blickte zu ihm auf und wischte ihm die Tränen vom Gesicht.
„Ist das nicht toll?” fragte sie. „Don sagte, dass du für ihn arbeiten wirst.”
Luke nickte. Er sprach immer noch nicht. Es schien, als wäre das entschieden. Don und Becca hatten die Entscheidung für ihn getroffen.
„Ich liebe dich so sehr, Luke”, sagte sie ihm. „Ich bin so froh, dass dieses Militärleben vorbei ist.”
KAPITEL SECHS
3. Mai
7:15 Uhr (USA Eastern Daylight Zeit)
Hauptquartier des Spezialeinsatzteams
McLean, Virginia—Vorort von Washington, DC
„Ich glaube, ich habe da was für dich”, sagte Don Morris.
Sie saßen in Dons neuem Büro. Der Ort wurde gerade eingerichtet. Auf dem Schreibtisch standen Fotos von seiner Frau und den Kindern, gerahmte Schleifen und Kundmachungen verzierten die Wände. Der Schreibtisch selbst war eine große Eichenfläche. Auf ihr saß eine Telefonkonsole, ein Computermonitor, ein Handy, ein Satellitentelefon und ansonsten nicht viel. Don war kein großer Fan von Papierkram.
„Ein kleiner Einsatz. Du scheinst ein wenig unruhig, seit du hier bist. Das könnte die Unruhe heilen.”
Luke starrte ihn an. Es war fast als ob Don seine Gedanken gelesen hätte. Don hatte ihm einen Gefallen getan, indem er ihm einen Job gab. Luke wusste das. Es war wie ein Rettungsring, den man ihm zugeworfen hatte. Doch Luke drängte es schon weg. Seither waren es nur Wochen voller Herumsitzen und Gespräche. Luke war es langweilig. Das war in Ordnung. Es war nur deshalb gefährlich, weil er vielleicht verrückt würde, wenn es zu lange anhielt. Geheimdienst am Schreibtisch war nicht das Richtige für ihn. Das wurde ihm nur allzu klar.
„Ich bin ganz Ohr”, erwiderte Luke.
Don zeigte zu der offenen Tür. „Lass uns in den Gang heraustreten.”
Luke folgte Don den engen Gang zum hell erleuchteten Konferenzsaal auf der anderen Seite. Bis vor sechs Monaten war dieser kleine Bürokomplex noch ein Satellitenbüro des Wohnungs- und städtischen Entwicklungswesen. Don arbeitete daran, das Gebäude ein wenig ins einundzwanzigste Jahrhundert zu zerren.
Zu diesem Zweck hing ein großer, junger Typ mit einem Pferdeschwanz, der eine seltsame am Kopf anliegende Fliegerbrille trug, einen Flachbildschirm an einer Wand auf. Ein weiterer Bildschirm hing schon an der gegenüberliegenden Wand, Kabel zu einem Bedienfeld auf dem langen Konferenztisch. Der Typ trug ein rot, weiß und blaues T-Shirt, Jeans und rote, hohe Converse All-Star Turnschuhe.
Luke schaute ihn kaum an. Er nahm an, dass er ein Techniker einer Vertragsnehmeragentur der Regierung oder vielleicht ein Computerfreak irgendwo im FBI war.
„Luke, kennst du schon Mark Swann?” sagte Don und verdrängte gelassen diese Gedanken. „Er ist unser neuer Systemdesigner und -bediener und für unsere Geheimdienstnetzwerke, Internet, Satellitenverbindungen verantwortlich… Mark wird viele Aufgaben übernehmen, zumindest für eine Weile. Mark Swann, dies ist Agent Luke Stone. Luke ist unser erster Einsatzagent, doch wir werden bald ein paar weitere hinzufügen.”
Der Typ drehte sich um. Er war dünn. Er hatte dürre Beine. Auf seinem T-Shirt mit der amerikanischen Flagge stand „Wir sind Number 31!”
Der Typ und Luke blickten sich in die Augen. Luke musterte ihn schnell. Er war jung, vielleicht Anfang zwanzig - er sah sogar noch jünger aus. Er war selbstbewusst, fast schon arrogant. Er war intelligent. Er war in der Schule vielleicht schon ein Computerfreak gewesen. Er und Luke würden in verschiedenen Abteilungen sein. Dieser Typ befasste sich mit Ausstattung - nahm sie auseinander, setzte sie wieder zusammen und brachte sie zum Brummen. Er hatte wahrscheinlich noch nie an einem Moment Gewalt in seinem Leben teilgenommen und vermutlich keine erlebt.
Sie gaben sich die Hand.
„Wir sind also Nummer einunddreißig?” fragte Luke. „Wobei sind wir Nummer einunddreißig?”
Der Typ zuckte mit den Schultern und lächelte.
„Keine Ahnung, Mann. Vielleicht kannst du es erraten.”
Luke lachte fast.
„Ich kann es nicht erraten”, erwiderte er. „Vielleicht kannst du mir ein wenig auf die Sprünge helfen.”
„Gesundheitsversorgung”, antwortete der Typ. „Laut der Weltgesundheitsorganisation sind wir Nummer einunddreißig bei der Gesundheitsversorgung. Wir sind jedoch Nummer eins bei Gesundheitsversorgungskosten, falls du etwas suchst, auf das du stolz sein kannst.”
Luke hielt immer noch die Hand des Typen.
„Ich wäre stolz darauf, dir ein paar Knochen zu brechen und dann zu sehen, wie gut amerikanische Ärzte dich wich wieder zusammenflicken. Aber du würdest dich wahrscheinlich lieber in Mexiko behandeln lassen.”
Swann nahm beide seiner Hände zurück. „Kuba. Oder vielleicht auch Kanada.”
„Sehr nett, Mark”, sagte Don. „Ich bin mir sicher, dass Agent Stone sich darüber freut herauszufinden, dass er all diese Jahre seinen Hals für ein Land mit einer solch mittelmäßigen Gesundheitsversorgung riskiert hat.”
Don wies mit seinem Kopf auf die audiovisuellen Geräte hin. „Wie läuft’s?”
Mark nickte. „Der erste Bildschirm ist soweit. Hochauflösend, Hochgeschwindigkeitsverbindung. Sie können die Tastatur und den kleinen Bildschirm dort auf dem Tisch verwenden, und haben mit Ihrem Passwort Zugang auf jegliche unserer eigenen Archive. Sie können wählen, was Sie teilen möchten und es erscheint dann auf dem großen Bildschirm. Ich kann diese Genehmigung auch für alle anderen im Gebäude einrichten - ich wollte Sie Ihnen nur zuerst vorstellen, um herauszufinden, was Sie davon halten.”
Don nickte. „Sehr schön. Wie sieht es mit Besuchern aus? Und können wir Informationen auch mit anderen Standorten teilen?”
Der junge Mark Swann hielt seine Hände hoch, als ob er sagen wollte: Schieß nicht! „Das kommt noch. Doch bevor wir Geheiminformationen außerhalb des Gebäudes senden, brauchen wir eine luftdichte Datenverschlüsselung. Sie können alles e-mailen, was Sie wollen. Doch wenn es darum geht, Videos oder Daten, die anderswo erscheinen, hochzuladen oder Übertragungen hier herzubringen? Das geschieht auf einer Fall-zu-Fall-Basis mit jedem Partner. CIA, NSA, das Weiße Haus, falls notwendig, selbst das Hauptquartier des FBI. Die haben alle ihre eigenen Prozeduren und wir werden ihrem Protokoll folgen.”
Don nickte. „OK, Mark. Es gefällt mir jetzt schon. Können Sie Agent Stone und mir etwa zwanzig oder dreißig Minuten Zeit geben? Und Trudy Wellington hereinschicken?”
Swann nickte. „Klar.”
Als er ging, blickte Don Luke an.
„Komischer Junge”, sagte Luke.
„Schlaues Köpfchen”, erwiderte Don. „Es ist mein Ziel, hier nur die Besten anzustellen. Und wenn es darum geht, dann ist das nicht immer der Typ, dem der Anzug am besten steht. Was Technologie betrifft ist das für gewöhnlich nicht der Fall. Wir sind hier drinnen Cowboys, Luke. Wir sind die Kinder, die außerhalb der Linien malen. Das ist es, was sie von uns wollen. Der FBI Direktor hat es selbst gesagt.”
„Ich stehe auf deiner Seite”, sagte Luke.
„Das solltest du. Du bist einer der besten Einsatzagenten, die ich in meiner langen Karriere gesehen habe und was das außerhalb der Linien malen angeht… naja…”
Plötzlich erschien eine junge Frau in der Tür. Sie war womöglich noch jünger als der Typ, der gerade gegangen war. Don heuerte anscheinend nur Kinder an. Dieses Kind war allerdings schön. Sie hatte langes, lockiges, braunes Haar. Sie trug eine Bluse und Hosen, die ihre Kurven betonten. Sie trug eine große rote Brille, die sie leicht eulenhaft aussehen ließ.
„Don?”
„Trudy, kommen Sie rein. Ich möchte Ihnen Luke Stone vorstellen. Er ist der Mann, von dem ich Ihnen erzählt habe. Luke, das ist Truy Wellington. Sie ist unsere neue Geheimdienst-Offizierin. Auch Sie ist eine Senkrechtstarterin, hat MIT als Teenager abgeschlossen und ein paar Jahre in CIA Abhörstationen verbracht. Jetzt ist sie bei uns, bereit, einen Quantensprung zum nächsten Niveau von Geheimdienst zu machen.”
Luke gab der jungen Frau die Hand. Sie war ein wenig schüchtern, erwiderte nicht ganz seinen Blick. Verdammt, sie war ja noch ein Kind.
Luke blickte zwischen Don und Trudy hin und her. Irgendetwas an der Körpersprache…
Nein, das war unmöglich. Don war seit dreißig Jahren verheiratet. Er hatte eine Tochter und einen Sohn, die älter als diese Trudy waren.
„Trudy wird uns über die Mission informieren, die uns bevorsteht.”
Trudy setzte sich gleich an den Konferenztisch. Luke und Don folgten ihrem Beispiel. Sie nahm sofort die Tastatur, zog den kleinen Monitor nach vorne und tippte ihre Information hinein. Der Desktop ihres Computers erschien auf dem großen Flachbildschirm an der Wand.
„Sie wissen schon, wie man das bedient?” fragte Don.
„Naja… Wir hatten solche Geräte natürlich am MIT. Bei der CIA habe ich nicht so viel gesehen, doch ich stelle mir vor, dass auch sie solche Ausstattung haben. Swann gab mir vorhin Zugang. Ich glaube, er wollte ein bisschen angeben.”
„Na, es ist aber schon ziemlich cool”, sagte Don.
Luke nickte. Er lachte fast wieder. Er stellte sich den Don mit dem stählernen Blick vor, den er die letzten Jahre über kennengelernt hatte - wie er in Kampfzonen sprang, Männer im Schlachtfeld kommandierte, erbarmungslos böse Typen umbrachte. Er schien fast absurd stolz auf diese kleine Agentur, ihre Büroausstattung und die jungen Zivilisten, welche sie mit solcher Gelassenheit bedienten. Na, schön für ihn.
Auf dem Bildschirm erschien ein Ausweis der United States Marine Corps. Auf ihm erschien ein Soldat mit einem Bürstenschnitt, einem breiten Kiefer und einem bedrohlichen Blick. Er schien sarkastisch, verärgert und bereit, jemanden auf der Stelle umzubringen. Er sah wie die Art Typ aus, der seinen Gefechtseinsatz in Übersee durchführte, dann nach Hause kam und seine Zeit damit verbrachte, in Kneipenstreitereien zu geraten. Ein rauer Kunde.
Luke hatte viele solcher Typen gesehen. Er hatte sogar einige von ihnen bewusstlos geschlagen.
„Ich gehe davon aus, dass keiner von euch beiden schon Wissen über das Objekt oder das Ziel hat”, begann Trudy. „Das könnte diese Unterhaltung ein wenig länger als notwendig machen, oder vielleicht auch nicht. Doch für gewöhnlich garantiert es, dass wir danach alle gleichviel wissen. Klingt das in Ordnung?”
„Gut”, erwiderte Don.
„Klingt in Ordnung”, stimmte Luke zu.
Sie nickte. „Dann lasst uns anfangen. Der Mann auf dem Bildschirm ist der ehemalige Marine Corps Feldwebel Edwin Lee Parr. Siebenunddreißig Jahre alt, aufgewachsen in Kentucky, südlich von Lexington. Kriegsveterane, der sowohl 1989 bei der Invasion von Panama als auch im Golfkrieg im Gefecht war. Er wurde ebenfalls bei der Friedenssicherung am Ende des Kosovokrieges eingesetzt. Purple Heart und einen Bronzestern für verdienstvollen Dienst während der Invasion von Panama. Ehrenhafte Entlassung im Dezember 1999, nach zwölf Jahren Dienst.