„Wer ist der Partner?” fragte sie. An ihrem Blick konnte er erkennen, dass sie daran dachte, was seinem letzten Partner widerfahren war.
„Ich habe ihn noch nicht kennengelernt.”
„Und warum lassen sie nicht einfach die Militärpolizei das regeln?”
Luke schüttelte seinen Kopf. „Das ist nichts, womit sich das Militär befasst. Wie schon gesagt, es ist eine Polizeiangelegenheit. Der Vertragsnehmer ist technisch gesehen ein Ziviler. Sie wollen den Unterschied klar darstellen.”
Luke dachte an all die Dinge, die er ausließ. Die Unruhen in der Region und das ständige Kämpfen, das dort vor sich ging. Die Gräueltaten, die Parr begangen hatte. Das Team von Schurken und erbarmungslosen Killern, das er um sich geschart hatte. Die Verzweiflung, die sie gerade spüren mussten, um lebendig und mit ihrer ganzen Beute dort rauszukommen, ohne dabei vom langen Arm des Gesetzes gefangen zu werden. Die toten Männer, enthauptet und verbrannt, die von einer Brücke hingen.
Becca begann abrupt zu weinen. Luke stellte das Bier ab und ging zu ihr. Er kniete neben ihrem Stuhl und umarmte sie.
„Oh Gott, Luke. Sag mir, dass das nicht wieder alles anfängt. Ich glaube nicht, dass ich es aushalten könnte. Unser Sohn kommt bald auf die Welt.”
„Ich weiß”, entgegnete er ihr. „Ich weiß das. Es wird nicht wie früher. Es ist kein Militäreinsatz. Ich gehe nur drei, vielleicht vier Tage weg. Ich nehme den Typen fest und bringe ihn nach Hause.”
„Was, wenn du stirbst?” wollte sie wissen.
„Ich werde nicht sterben. Ich werde sehr vorsichtig sein. Ich muss vielleicht nicht mal meine Waffe ziehen.”
Er konnte die Dinge, die er ihr da erzählte, fast nicht glauben.
Sie zitterte jetzt vor lauter Weinen.
„Ich will nicht, dass du gehst”, sagte sie.
„Ich weiß, Schatz, ich weiß. Aber ich muss gehen. Es wird sehr schnell sein. Ich werde dich jeden Abend anrufen. Du kannst bei deiner Familie unterkommen. Und dann bin ich gleich wieder da. So als ob ich nie gegangen wäre.”
Sie schüttelte ihren Kopf, die Tränen flossen jetzt noch mehr. „Bitte”, flehte sie. „Bitte sag mir, dass alles in Ordnung kommt.”
Luke hielt sie vorsichtig fest, achtete auf das Baby, das in ihr wuchs. „Alles kommt in Ordnung. Alles wird wunderbar. Ich weiß es.”
KAPITEL ACHT
5. Mai
15:45 Uhr (USA Eastern Daylight Time)
Joint Base Andrews
Prince George’s County, Maryland
„Du bist der Chef”, sagte Don.
Er war ein paar Zentimeter größer als Luke und ein ganzes Stück breiter. Sein graues Haar, seine Größe, sein Alter und seine Erfahrung ließen Luke sich neben Don immer wie ein Kind fühlen.
„Lass sie nicht vergessen, wer das Sagen hat. Ich würde mit dir mitkommen, aber ich stecke in Terminen fest. Du bist mein Repräsentant. Was diese Reise angeht, bist du ich.”
Luke nickte. „In Ordnung, Don.”
Sie gingen einen langen, breiten Gang durch den Terminal entlang. Schwärme von Menschen, die meisten trugen verschiedene Uniformen, liefen umher. Andere standen und aßen bei Taco Bell und Subway. Männer und Frauen umarmten sich. Haufen von Gepäck fuhr auf Wagen vorbei. Es herrschte viel Betrieb. Es gab zwei Kriege zum gleichen Zeitpunkt und überall im Militär wurde Personal entsandt.
„Ein neuer Typ kommt mit dir mit. Er ist dein Partner, aber du bist der Dienstältere. Sein Name ist Ed Newsam. Ich mag ihn. Er ist groß, verdammt selbstsicher und jung. Ich habe ihn aus Delta herausgeholt, obwohl er nur ein Jahr dort war.”
„Ein Jahr? Don…”
„In dem Jahr hat er schon eine Menge geleistet. Glaub mir, du wirst mir danken, dass ich diesen Typen angeheuert habe. Er ist ein toller Kerl. Ein richtiges Tier, genauso wie du es in dem Alter warst.”
Mit seinen zweiunddreißig Jahren begann Luke sich schon alt zu fühlen. In den letzten Wochen war er wieder ins Fitnessstudio gegangen und es fühlte sich anstrengend an, wieder in Form zu kommen. Das war ein böses Erwachen. Er hatte sich während seiner Zeit im Krankenhaus gehenlassen.
„Trudy und Swann reisen mit dir, doch die werden dich nicht beim Einsatz begleiten. Sie bleiben in der grünen Zone, wo es sicherer ist und liefern dir von dort aus Beratung und Informationen. Unter keinen Umständen solltest du sie in Gefahr bringen. Sie sind kein Militärpersonal und waren es auch nie.”
Luke nickte. „Verstanden.”
Don hielt inne. Er wandte sich an Luke. Seine harten Augen wurden ein wenig weicher. Es war als ob er Lukes Vater war - der Vater, den er nie hatte. Don war einfach nur ein riesiger, grauhaariger, breitgebauter Papa mit einem Gesicht, das aus Granit gemeißelt schien.
„Du schaffst das, mein Sohn. Du hattest schon zuvor Kommandopositionen. Du warst schon zuvor in Kriegsgebieten. Du warst schon auf schwierigen, unmöglichen Missionen. Das hier ist anders. Es wird einfacher, OK? Big Daddy Cronin kümmert sich um diesen Einsatz vom Boden aus. Er schützt dir den Rücken und liefert die Leute, die du in der Luft brauchst und ist direkt einen Schritt hinter dir.”
Luke freute sich, das zu hören. Bill Cronin war ein CIA Spezialagent. Er hatte eine Menge Erfahrung im Nahen Osten. Luke hatte schon zwei Mal zuvor unter ihm gedient - einmal wurde er von der Delta Force an die CIA verliehen und das andere Mal waren sie auf einem gemeinsamen Spezialeinsatz.
Don fuhr fort. „Ich gehe ganz davon aus, dass ihr Jungs da einfallt und Parr seine Waffe fallenlässt und die Hände hochhebt. Der wird erleichtert sein, dass ihr nicht Al Qaeda seid. Wir brauchen einen schnellen Gewinn, um den Kongressmitgliedern zu beweisen, dass wir es ernst meinen. Deshalb habe ich dir eine einfache Mission zugeteilt. Doch sage das nicht den anderen. Die glauben, dass das hier das ernsthafteste überhaupt ist.”
Luke lächelte und schüttelte seinen Kopf. „In Ordnung, Papa.”
„Ich würde dir ja das Haar zerzausen, aber dafür bist du zu alt” erwiderte Don.
Vor ihnen war eine kleine Wartezone für ihr Gate. Drei Reihen mit jeweils fünf Plätzen standen vor einem Schreibtisch, hinter dem sich die Tür zur Rollbahn befand. Der Schreibtisch war leer und niemand saß auf den Plätzen. Dies war ein leerer Bereich des Terminals.
Durch die großen Fenster konnte Luke ein kleines, blaues Jet des Außenministeriums geparkt sehen. Eine abnehmbare Treppe führte zu der offenen Kabinentür des Flugzeuges.
Eine Gruppe von drei Leuten stand am Gate. Zwei von ihnen waren Trudy Wellington und Mark Swann. Trudy war winzig, während Swann groß und schlank war, doch durch die dritte Person in den Schatten geworfen wurde. Es war ein schwarzer Typ in Jeans und einer Lederjacke. Der schwarze Typ stand allein da, ein wenig abseits von Trudy und Swann. Vor ihm stand ein grüner Rucksack auf dem Boden.
„Ist das der Typ?” wollte Luke wissen. „Newsam?”
Don nickte. „Das ist er.”
Luke betrachtete ihn, während sie sich annäherten. Er sah zwei Meter groß aus, hatte breite Schultern und eine enorme Brust. Unter seiner Lederjacke trug er ein weißes T-Shirt, dass sich an seinen riesigen Körper schmiegte. Es sah aus als hätte es ihm jemand aufgemalt. Seine Arme waren durch die Jacke bedeckt, doch seine Fäuste waren enorm. An seinen großen Füßen trug er gelbe Arbeitsstiefel. Er sah wie die Zeichentrickversion eines Superhelden aus.
Außer seinem Gesicht - das war so arrogant und jung wie das eines normalen High School Jungen. Es stand keine einzige Falte darin.
„Hat dieser Typ Erfahrung im Gefecht?” fragte Luke.
Don nickte erneut. „Oh ja.”
„In Ordnung. Du bist der Chef.”
„Das bin ich.”
Sie erreichten die Gruppe. Alle drei wandten sich um. Trudys und Swanns Blick war auf Don, ihren Boss, gerichtet. Der Neuling, Newsam, starrte Luke an.
„Danke, dass ihr hier seid. Trudy und Mark, ihr habt Luke Stone, euren Kommandanten auf dieser Reise, schon kennengelernt. Luke war einer der besten Sondereinsatzmitglieder, mit denen ich in der Armee der USA gedient habe. Luke, das ist Ed Newsam, mit dem ich zwar nicht gedient habe, aber über den ich spektakuläre Dinge gehört habe.”
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Luke blickte dem größeren Mann in die Augen. Newsam tat nichts offensichtliches - er versuchte beispielsweise nicht, Lukes Hand in seiner eigenen zu zerdrücken. Doch seine Augen sagten alles: Du kommandierst mich nicht.
Luke sah das anders. Doch dies war weder der Moment noch der Ort, um sich darüber Sorgen zu machen. Sollten sie jedoch zusammenarbeiten, insbesondere in einem Kriegsgebiet, dann käme der Moment sicherlich.
Don äußerte ein paar ermutigende Worte, um die Gruppe loszuschicken. Doch Luke hörte nicht mehr zu. Er beobachtete die harten, jungen Augen dabei, wie sie ihn beobachteten.
KAPITEL NEUN
23:15 Uhr Zentraleuropäische Sommerzeit (17:15 USA Eastern Daylight Zeit)
Institut Le Rosey
Rolle, Schweiz
Es war die berühmteste Schule der Welt.
Nunja, zumindest war es die teuerste.
Aber eigentlich war es nur sehr langweilig und sie wollte nicht hier sein. Ihre Mutter und ihr Vater hatten sie für ein Jahr hierher geschickt, bevor sie ins College ging. Und es war das tristeste, einsamste Jahr ihres Lebens. Vielleicht würde jetzt, da es fast vorbei war, alles besser werden. Man hatte ihr einen Platz in Yale im Herbst angeboten.
Selbstverständlich. Ihr Vater war einer der bekanntesten Ehemaligen von Yale, warum hätte man sie nicht akzeptiert? Sie war Elizabeth Barrett, die jüngste Tochter von David P. Barrett, dem derzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Sie war gerade dabei, ein Telefonat mit ihrem Vater zu beenden.
„Nun, Herzchen, welche positiven Dinge nimmst du aus diesem Jahr mit?”
So war ihr Vater, immer sprach er über „positives”. War das überhaupt ein echtes Wort? Ständig verwandte er solche Worte und Phrasen - sie waren immer positiv, es gab etwas mitzunehmen, es ging immer voran, die Leiter hinauf, um etwas Großartiges zu erschaffen. Sie hatte begonnen zu verdächtigen, dass er überhaupt nicht so optimistisch war wie seine Gerede. Das war alles gefälscht, ein Betrug. Er sagte das alles nur, weil er wusste, dass es in seinem Leben immer jemanden gab, der mitlauschte.
Sie hasste das. Sie hasste, dass ein Agent vom Geheimdienst vierundzwanzig Stunden täglich in ihrer Nähe war. Sie mochte einige der Agenten an sich, aber sie hasste, dass dies notwendig war, dass ihr Leben überall gekürzt und gekünstelt war deswegen. Sie hörten natürlich auch bei diesem Telefonat mit, und sie waren niemals weit entfernt - während sie schlief, blieb ein Mann draußen die ganze Nacht auf dem Gang.
„Ich weiß nicht, Papa”, sagte sie. „Ich weiß es einfach nicht. Ich freue mich, hier rauszukommen.”
„Na, du bist doch in den schweizer Alpen Ski gefahren, oder? Du hast Leute aus der ganzen Welt getroffen.”
„Unsere Reisen nach Colorado haben mir besser gefallen, als ich ein Kind war”, erwiderte sie. „Und die Leute, die ich getroffen haben? Ja, toll. Kinder aus Russland, deren Väter Gangster sind, die alle Industrien ausgeraubt haben, als die Sowjetunion zusammenfiel. Kinder aus Saudi Arabien und Dubai, deren Väter Prinzen oder sowas sind. Sind alle in Saudi Arabien Prinzen? Das ist das, was ich gelernt habe, Papa. Jeder in Saudi Arabien gehört der königlichen Familie an.”
Ihr Vater der Präsident lachte. Das brachte sie zum Lächeln. Sie hatte ihn seit sehr langer Zeit nicht mehr Lachen gehört. Das erinnerte sie daran, wie es früher war, als ihr Vater im Ölgeschäft der Familie arbeitete und Mitinhaber eines professionellen Footballteams war. Er war damals ein lustiger Vater gewesen.
Zu Familiengrillfesten trug er eine Schürze auf der Lustigster Vater der Welt stand. Das schien vor einer langen Zeit gewesen zu sein.
„Nun, Kleine”, sagte er, „Ich bin mir ziemlich sicher, dass nicht jeder in Saudi Arabien zur königlichen Familie gehört.”
„Ich weiß”, antwortete sie. „Einige Leute sind Diener und Sklaven.”
„Elizabeth!” rief er, doch er war nicht böse. Er amüsierte sich mit ihr. Sie war schon immer diejenige, welche die ungeheuerlichsten Sachen sagte, seit sie jung war.
„Die Wahrheit tut weh, Papa.”
„Elizabeth? Das ist sehr lustig. Aber ich muss los. Tu das für mich, ja? Du hast nur noch eine Woche dort. Versuche, das Beste draus zu machen. Nutze die Gelegenheiten, die sich dir bieten und tu was, dass dir Spaß macht, OK?”
„Keine Ahnung, was das sein könnte”, erwiderte sie, doch dieses Mal war es eine Lüge. „Aber ich tu mein Bestes.”
„Gut. Du bist wunderschön, Liebes. Deine Mama und ich haben dich lieb. Opa und Oma lassen dich grüßen. Und ruf deine Schwester an, ja?”
„In Ordnung”, sagte Elizabeth. „Ich habe dich auch lieb, Papa.”