So Gut Wie Tot - Блейк Пирс 2 стр.


Vadim nickte mitfühlend.

„Und jetzt ist die Cartolería geschlossen“, erklärte Cassie weiter.

„Das Geschäft nebenan?“

„Ja. Von dort aus hat sie mich angerufen. Ich hoffe, herauszufinden, wem der Laden gehört hat.“

Er runzelte die Stirn.

„Ich weiß, dass die Cartolería zu einer Ladenkette gehört. Es gibt noch andere in Mailand. Es ist ein Internet-Café, das auch Stifte, Kugelschreiber und solche Dinge verkauft.“

„Schreibwaren“, schlug Cassie vor.

„Ja, genau. Vielleicht kannst du einen anderen Laden der Kette anrufen, um den Manager dieser Filiale ausfindig zu machen.“

Der Kellner kehrte zurück und stellte einen Teller vor ihr ab. Cassie machte sich hungrig darüber her.

„Bist du alleine unterwegs?“, fragte Vadim.

„Ja, ich bin alleine hergekommen, um Jacqui zu finden.“

„Warum suchst du nach ihr und sie nicht nach dir?“

„Wir hatten eine schwere Kindheit“, erklärte sie. „Meine Mutter starb, als wir noch klein waren und mein Vater kam ohne sie nicht klar. Er wurde sehr wütend und schien unserer aller Leben zerstören zu wollen.“

Vadim nickte.

„Jacqui war älter als ich und ist eines Tages einfach gegangen. Ich glaube, sie kam nicht mehr damit klar. Mit seiner Wut, seinem Schreien, den Glasscherben auf dem Boden. Er hatte viele verschiedene Freundinnen und oft waren Fremde in unserem Zuhause.“

Eine dunkle Erinnerung drückte sich an die Oberfläche – ihr Versteck unter dem Bett, die schweren Schritte auf der Treppe, das Öffnen ihrer Türe. Jacqui hatte sie gerettet. Sie hatte so laut geschrien, dass die Nachbarn angerannt gekommen waren und der Mann sich aus dem Staub gemacht hatte. Cassie erinnerte sich an die Angst, die sie verspürt hatte, als er an ihrer Schlafzimmertür gerüttelt hatte. Jacqui war ihre Beschützerin gewesen, bis sie weggerannt war.

„Als Jacqui weg war, bin ich ausgezogen. Mein Dad wurde zwangsgeräumt und musste eine neue Unterkunft finden. Ich habe ein neues Handy, er hat ein neues Handy. Sie kann uns unmöglich kontaktieren. Aber ich glaube, dass sie es versucht. Doch sie scheint Angst zu haben und ich weiß nicht, warum. Vielleicht denkt sie, dass ich wütend bin, weil sie mich alleine gelassen hat.“

Vadim schüttelte den Kopf.

„Du bist also ganz allein auf dieser Welt?“

Cassie nickte und fühlte sich unglaublich traurig.

„Kann ich dir einen Wein spendieren?“

Cassie schüttelte den Kopf.

„Vielen Dank, aber ich muss fahren.“

Ihr Wagen war fünfundvierzig Gehminuten von hier entfernt. Und sie hatte keine Ahnung, wo sie hinsollte, da sie keine Unterkunft gebucht hatte. Sie hatte gehofft, früher anzukommen, in dem Geschäft einen Hinweis auf Jacquis Aufenthaltsort zu finden und von dort ihre Suche weiterzuführen. Doch jetzt war es dunkel und sie hatte keine Ahnung, wo sich die bezahlbaren Inns und Hostels der Stadt befanden. Vermutlich würde sie im Parkhaus in ihrem Wagen schlafen müssen.

„Hast du eine Unterkunft für heute Abend?“, fragte Vadim, als könne er Gedanken lesen.

Cassie schüttelte den Kopf.

„Das muss ich noch klären.“

„Ganz in der Nähe befindet sich eine Backpackers Lodge. Eine pensione, wie sie es hier in Italien nennen. Das könnte genau das Richtige für dich sein. Ich komme auf meinem Nachhauseweg daran vorbei und kann dich hinbringen.“

Cassie lächelte zögernd. Sie machte sich Sorgen um den Preis und die Tatsache, dass sich ihr Gepäck noch immer im Wagen befand. Trotzdem klang eine Unterkunft in der Nähe besser als der lange Rückweg zum Parkhaus. Es bestand sogar die Chance, dass Jacqui auch dort untergekommen war; sie sollte sich die Lodge also zumindest ansehen.

Sie trank ihren Kaffee und aß die letzten Krümel ihres Paninis, während Vadim sein Weinglas leerte und einige Nachrichten auf seinem Handy tippte.

„Komm mit mir. Hier entlang.“

Draußen regnete es noch immer, doch Vadim öffnete einen großen Schirm. Cassie lief dicht neben ihm und war dankbar für den Schutz vor dem Regen. Er machte große und eilige Schritte und sie musste sich bemühen, Schritt zu halten. Sie war froh, dass er nicht trödelte, aber gleichzeitig fragte sich, ob das Gästehaus für ihn einen Umweg darstellte.

Sie erhaschte kurze Blicke auf die Gebäude, die sie passierten und versuchte, herauszufinden, wo sie waren. Namen von Restaurants, Läden und Geschäften blinkten und leuchteten im Regen und die unbekannte Sprache überforderte Cassie.

Sie überquerten eine Straße und sie bemerkte, dass der Verkehr ruhiger geworden war. Obwohl sie schon länger nicht mehr auf die Uhr gesehen hatte, glaubte sie, dass es bereits weit nach neunzehn Uhr war. Sie fühlte sich erschöpft und fragte sich, wie weit entfernt die Backpackers Lodge war und was sie tun würde, wenn kein Bett mehr frei war.

Zu ihrer Rechten befand sich ein Supermarkt, dessen war sie sich sicher. Links war eine Art Unterhaltungsestablishment angesiedelt. Das Schild blinkte in Neonfarben. Es war kein Rotlichtbezirk, wenn es so etwas in Mailand überhaupt gab, aber es war auch nicht zu weit davon entfernt.

Plötzlich wurde klar, dass sie zu schnell und zu weit gegangen waren und zwar ohne ein Wort zu sprechen.

Sie hatten fast eineinhalb Kilometer zurückgelegt und kein vernünftiger Mensch würde das als ‚in der Nähe‘ bezeichnen.

Dann holte ihre Erinnerung auf.

Nach den ersten Kreuzungen hatte sie einen Blick nach links geworfen. Abgelenkt und mit Regentropfen in den Augen hatte sie das Schild nicht wahrgenommen – ein bescheidenes Schild mit schwarzen Buchstaben statt den blinkenden Tafeln, die sie jetzt umringten.

Pensione.“

Das war das Wort, das auch Vadim benutzt hatte. Das italienische Äquivalent für eine Backpackers Lodge.

„Warum wirst du langsamer?“, fragte er und sein Ton wurde schärfer.

Weiter vorne sah Cassie die wartenden Scheinwerfer. Ein weißer Van parkte auf der anderen Straßenseite und Vadim schien direkt darauf zuzusteuern.

Er streckte seine Hand aus und innerhalb eines Sekundenbruchteils realisierte Cassie erschrocken, dass er ihr Zögern bemerkt hatte und nun nach ihrem Arm greifen wollte.

KAPITEL DREI

Zu spät wurde Cassie klar, dass sie zu naiv, zu gesprächig und zu gutgläubig gewesen war. In ihrem Bedürfnis nach Gesellschaft hatte sie mit einem Fremden geteilt, dass sie ganz alleine auf dieser Welt war und niemand ihren Aufenthaltsort kannte.

Horrorszenarien spielten sich nun in ihrem Kopf ab – Kidnapping, Menschenhandel und Missbrauch. Sie musste entkommen.

Als Vadims Hand ihrem Handgelenk näherkam, sprang sie abrupt zurück und er erwischte stattdessen nur ihren Jackenärmel.

Der ausgetragene, dünne Stoff riss und er hielt lediglich ein Stück Polyester in den Händen. Dann war sie frei.

Cassie drehte sich um und rannte in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Mit gesenktem Kopf floh sie durch den Regen und über die Straße, während die Ampel bereits auf Rot schaltete. Hinter ihr fluchte Vadim und sie wusste, dass der große Schirm ihn nun mehr behinderte als ihm nützte. Sie bog links in eine Seitengasse ein, während hinter ihr ein Bus vorbeifuhr und sie hoffte, dass Vadim ihren Richtungswechsel nicht gesehen hatte. Aber ein Rufen hinter ihr belehrte sie eines Besseren – er war ihr noch immer auf den Fersen.

Sie bog rechts auf eine geschäftigere Straße ab und während sie sich an langsamer gehenden Fußgängern vorbeischlängelte, zog sie sich sowohl Jacke als auch Mütze aus, um mit deren grellen Farben nicht aufzufallen. Sie knüllte die Jacke unter ihrem Arm zusammen und als sie die nächste Kreuzung erreichte und dort links abbog, warf sie einen schnellen Blick nach hinten.

Niemand schien ihr zu folgen, aber er konnte sie noch immer einholen – oder, noch schlimmer, sie an ihrem Ziel erwarten.

Vor ihr sah sie ein Leuchtfeuer der Hoffnung und Sicherheit: das ‚Pensione‘-Schild, an dem sie zuvor vorbeigegangen waren. Vadim war nirgends zu sehen.

Cassie sprintete darauf zu und betete, rechtzeitig aus der Gefahrenzone hinaus und ins Innere zu gelangen.

*

Die Musik des Gästehauses war auch von der Straße aus hörbar. Das wackelige, weiß gestrichene Tor stand nur angelehnt.

Cassie drückte es auf und stampfte die schmale Holztreppe hinauf. Stimmen, Gelächter und Zigarettenrauch hießen sie willkommen.

Sie warf einen Blick nach hinten, doch der Treppenaufgang war leer.

Vielleicht hatte er die Jagd nach ihr aufgegeben. Jetzt, nachdem ihr die Flucht gelungen war, fragte sie sich, ob sie die Bedrohung aufgebauscht hatte. Der geparkte Van war möglicherweise nur ein Zufall gewesen. Vielleicht hatte Vadim sie lediglich mit zu sich nach Hause nehmen wollen.

Doch wie dem auch sei – er hatte sein Versprechen nicht gehalten und sogar versucht, sie zu packen, als sie gezögert hatte. Wieder überkam sie die Angst, als sie sich daran erinnerte, wie knapp sie ihm entkommen war.

Es war so idiotisch gewesen, hinauszuposaunen, dass sie alleine war, niemand wusste, wo sie sich aufhielt und sie sich auf einer hoffnungslosen Suche nach einer möglicherweise für immer verschwundenen Person befand. Schwer atmend schalt sich Cassie für ihre entsetzliche Dummheit. Es war so erleichternd gewesen, Jacquis Geschichte mit einem Fremden zu teilen, der sie nicht verurteilte. Dabei hatte sie nicht realisiert, auch andere Informationen preisgegeben zu haben.

Das Sicherheitstor am Ende der Treppenstufen war geschlossen. Es führte in ein kleines Foyer, das nicht besetzt war, doch unter einem Knopf an der Wand hing ein Schild.

Die Worte waren auf mehrere Sprachen übersetzt worden und Englisch stand ganz oben.

„Bitte klingeln.“

Cassie klingelte und hoffte, gehört zu werden, wo die Musik doch laut durch das Haus schallte.

Hoffentlich hört mich jemand, betete sie.

Dann öffnete sich die Tür auf der anderen Seite des Foyers und eine rotblonde Frau in Cassies Alter betrat den Raum. Sie wirkte überrascht, Cassie dort stehen zu sehen.

Buono sera“, begrüßte sie sie.

„Sprichst du Englisch?“, fragte Cassie und hoffte, dass die Frau zweisprachig war und verstand, dass sie schnell hereingelassen werden musste.

Zu Cassies Erleichterung antwortete sie auf Englisch. Sie schien einen deutschen Akzent zu haben.

„Wie kann ich dir helfen?“

„Ich brauche dringend eine Unterkunft. Habt ihr freie Zimmer?“

Die rotblonde Frau dachte kurz nach.

„Keine Zimmer“, sagte sie und schüttelte den Kopf. Cassie war am Boden zerstört. Sie blickte über die Schulter nach hinten und fürchtete, Schritte auf der Treppe gehört zu haben. Aber es musste das Dröhnen der Musik im Gästehaus gewesen sein.

„Kann ich wenigstens reinkommen?“, fragte sie.

„Natürlich. Ist alles in Ordnung?“

Die Frau betätigte den Tür-Buzzer. Cassie fühlte die Vibration des kalten Metalls in ihren Händen, als das Schloss aufsprang. Energisch drückte sie die Tür hinter sich zu.

Endlich war sie sicher.

„Ich habe draußen eine schlechte Erfahrung gemacht. Ein Mann wollte mich herbegleiten, hat aber dann eine andere Richtung eingeschlagen. Als ich gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt, hat er mich am Arm gepackt, doch ich habe es geschafft, mich zu befreien.“

Die Frau runzelte die Stirn und sah erschrocken aus.

„Ich bin froh, dass du dich befreien konntest. Dieser Teil Mailands kann nachts gefährlich sein. Bitte, komm mit ins Büro. Ich glaube, deine Frage missverstanden zu haben. Wir haben keine freien Zimmer; alle Einzelzimmer sind belegt. Aber wir haben ein Bett in einem der Gemeinschaftsräume, wenn das für dich in Ordnung ist.“

„Vielen Dank, das ist es.“

Erleichtert, nicht erneut die dunklen Straßen Mailands betreten zu müssen, folgte Cassie der Frau durch das kleine Foyer in ein winziges Büro. An der Tür hing ein Schild: ‚Hostel Manager‘.

Dort bezahlte Cassie für die Unterkunft. Wieder wurde ihr klar, wie hoch die Preise waren. Mailand war ein teures Pflaster und es schien keine Möglichkeit zu geben, günstig zu leben.

„Hast du Gepäck?“, fragte sie.

Cassie schüttelte den Kopf. „Das ist im Auto, mehrere Kilometer von hier entfernt.“

„Dann möchtest du bestimmt das Notfallset kaufen.“

Zahnbürste, Zahnpaste, Seife und Baumwollshirt waren wahre Lebensretter und Cassie gab der Frau dafür noch mehr Euros aus ihrem Portemonnaie.

„Das Zimmer befindet sich am Ende des Korridors und dein Bett ist das neben der Tür. Außerdem gehört dir ein Schließfach.“

„Danke.“

„Die Bar ist dort drüben. Wir bieten unseren Gästen das billigste Bier Mailands.“ Sie lächelte, als sie den Schließfachschlüssel auf den Tresen legte.

„Mein Name ist Gretchen“, fügte sie hinzu.

„Ich bin Cassie.“

Sie erinnerte sich an den Grund ihres Besuchs. „Was ist mit einem Telefon? Oder Internet?“

Sie hielt den Atem an, während Gretchen nachdachte.

„Gäste dürfen das Hostel-Telefon nur in Notfällen benutzen“, sagte sie. „Aber es gibt mehrere Einrichtungen in der Nähe, wo man telefonieren oder einen Computer verwenden kann. Die Adressen stehen an der Pinnwand neben dem Bücherregal, dort befindet sich auch eine Karte.“

„Danke.“

Cassie sah sich um. Sie hatte die Pinnwand beim Betreten des Hostels gesehen, sie hing über einem Regal. Das große Brett war mit den Zetteln übersät.

„Wir hängen auch Jobs an dem Board aus“, erklärte Gretchen. „Wir suchen täglich die Stellenanzeigen raus. Manche kontaktieren uns sogar direkt, wenn sie Hilfe beim Kellnern, Regale einräumen oder Putzen brauchen. Jobs wie diese werden normalerweise tagesweise und in bar bezahlt.“

Sie lächelte Cassie mitfühlend an, als verstünde sie das Dilemma, in einem fremden Land ohne Geld dazustehen.

„Die meisten unserer Gäste finden Arbeit, wenn sie danach suchen. Lass mich wissen, wenn ich dir dabei helfen kann“, sagte sie.

„Nochmals danke“, sagte Cassie.

Sie ging direkt zur Pinnwand.

Fünf Einrichtungen, die Telefone und Internet zur Nutzung anboten, waren darauf ausgeschrieben. Cassie hielt kurz den Atem an, als sie den Namen Cartolería sah, aber der Eintrag war kürzlich durchgestrichen und mit der Notiz ‚geschlossen‘ versehen worden.

Das war ein gutes Zeichen, also entschied sich Cassie, Gretchen nach der Gästeliste zu fragen. Sie ging zur Lounge, wo die Managerin sich gerade ein Bier geöffnet hatte und inmitten von lachenden Menschen auf einem Sofa saß.

„Hier ist noch eine Kundin.“

Ein großer, schlanker Mann mit britischem Akzent, der noch jünger aussah als Cassie, sprang auf und öffnete den Kühlschrank.

„Ich bin Tim. Was kann ich dir bringen?“, fragte er.

Als er ihr Zögern sah, fügte er hinzu: „Heineken sind im Angebot.“

„Danke“, sagte Cassie.

Sie bezahlte und er überreichte ihr eine eiskalte Flasche. Zwei dunkelhaarige Mädchen, vermutlich Zwillinge, rutschten auf das andere Sofa, um ihr Platz zu machen.

„Ich bin eigentlich nur hier, weil ich gehofft hatte, meine Schwester zu finden“, sagte sie und wurde nervös.

„Vielleicht kennt ihr sie oder sie ist hier untergekommen. Sie hat blondes Haar – oder zumindest war es blond, als ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Ihr Name ist Jacqui Vale.“

„Seid ihr schon lange getrennt?“, fragte eines der dunkelhaarigen Mädchen interessiert.

Als Cassie nickte, meinte sie: „Das ist sehr traurig. Ich hoffe, du findest sie.“

Cassie nahm einen Schluck Bier. Es war kalt und malzig.

Die Managerin scrollte durch ihr Handy.

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