Adele drehte ihren Kopf leicht zur Seite und kreiste ihn ein wenig, um den Nacken zu entspannen. „Vielleicht. Oder vielleicht hat sich der Mörder an sie herangeschlichen. Ein Vermieter? Mit einem Schlüssel?”
Robert zögerte einen Moment lang und wieder herrschte Stille. Schließlich sagte er: „Was halten Sie von der fehlenden Niere?”
„Sie haben die Akten gelesen?”
„Der zweite Bericht ist noch nicht da.“ Robert hielt inne und zog fragend eine Augenbraue in Richtung Foucault hoch.
Die Exekutive nickte. „Sie arbeiten daran, aber es wird noch etwas dauern. Der vollständige Bericht sollte bald vorliegen.”
Robert nickte und wandte sich diesmal an Foucault, der langsam durch den Raum ging, um durch das offene Fenster auf die Straße darunter zu blicken. Ein kleines, rosa gestrichenes Café befand sich auf der Straße gegenüber dem DGSI.
„Ich habe den ersten Bericht gelesen“, sagte er. „Nur die Niere fehlt. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?”
Paige und Foucault schwiegen beide. Doch Adele blickte durch den Raum zu ihrem Mentor und beobachtete, wie die Nachmittagssonne die Seite seines Gesichts beleuchtete und Schatten auf den Teppichboden warf.
„Vielleicht sammelt er Trophäen.“, sagte sie.
„Vielleicht“, sagte Robert. „Das würde Sinn ergeben.”
„Was noch?”
Robert zuckte mit den Schultern und sein Blick richtete sich auf Foucault hinter seinem Schreibtisch.
Das Stirnrunzeln der Exekutive vertiefte sich. „Sie werden dafür bezahlt, genau das herauszufinden“, sagte er. Seine Augen huschten zwischen den drei Agenten hindurch, er streckte die Hand aus und tätschelte die Seite seines Computers. „Wir brauchen mehr Informationen und Sie haben nicht viel Zeit, uns diese zu beschaffen.”
Adele bemerkte wie schnell das wir in seiner Sprache zu Ihnen wurden. Sie hielt inne und sagte dann leise: „Ich habe über die Opfer nachgedacht. Beide sind Ausländerinnen, oder? Als ich noch ein Kind war, hatte ich zu einigen Mitglieder dieser Community Kontakt – nicht allzu viel, da meine Mutter hier aus der Gegend stammte, aber zu einigen amerikanischen Freunde in der Schule, deren Eltern wegen der Arbeit umzogen waren.“ Sie machte eine kurze Pause. „Sie sind eine kleine Gemeinschaft. Oft isoliert und unter sich, aufgrund der Kultur -und Sprachbarrieren. Vielleicht nutzt der Mörder das aus, um ihnen näher zu kommen. Er nutzt ihre Einsamkeit oder den Druck aus, sich ihrem Gastland anzupassen.”
Foucault nahm dies mit einem Nicken und Achselzucken zur Kenntnis. „Überprüfen Sie alle Möglichkeiten“, sagte er. „Nur“, hielt er inne, „machen Sie nichts Persönliches daraus.“ Er wandte sich von Adele ab. „Agent Henry, Sie bleiben doch hier, nehme ich an?“ Foucaults Blick wanderte zu dem kleineren Mann.
Robert rieb sich den Schnurrbart. „Ich werde den Außeneinsatz den jungen Leuten überlassen, denke ich.”
Foucault lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Adele. „Zweiter Tatort?“, fragte er. „Er wird derzeit noch untersucht.”
„Ich wäre bereit sofort anzufangen, wenn sie nicht zu müde ist“, sagte Paige und sprach zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatten. Der Kommentar schien zunächst nicht böswillig, aber irgendetwas daran ließ Adeles Nackenhaare aufstellen.
Nun, da der Fokus wieder auf ihr lag, atmete Adele leise ein.
Amerikaner in Frankreich, Expats – sie fühlte eine tiefe Verbundenheit zu ihnen, eine Art familiäre Verantwortung. Adele wusste, wie es war, keine richtige Heimat zu haben und von Land zu Land zu ziehen, Wurzeln zu schlagen und sich wieder ein Leben aufbauen zu müssen.
Aber im Fall der Mordopfer hatten sie diese Leben nur aufgebaut, um letztendlich in einer Blutlache auf dem Boden ihrer Wohnungen zu enden. Keine physischen Beweise. Keine Anzeichen für einen Kampf. Keine Anzeichen für einen Einbruch.
Jetzt war nicht die Zeit zum Ausruhen.
„Ich stehe zur Verfügung, wenn Sie bereit sind“, sagte Adele und wandte sich bereits der Tür zu.
KAPITEL SIEBEN
Adele knirschte frustriert mit den Zähnen und klopfte ungeduldig mit den Fingern gegen das Holz des Türrahmens, der in die Wohnung führte. Sie hatte in den letzten dreißig Minuten zum zehnten Mal ungeduldig auf ihre Uhr geschaut und ihre Augenbrauen senkten sich noch weiter über ihre Augen, wodurch sich ihr Gesicht verdunkelte.
„Mein Gott“, murmelte Adele. Sie runzelte die Stirn, als sie die Straße auf und ab blickte und die vorbeifahrenden Fahrzeuge verfolgte. Sie versuchte immer wieder, Ordnungswidrigkeiten zu entdecken fand aber das einzige was sie sah, war der Leihwagen, den sie an der Parkuhr am Bordstein geparkt hatte. Es war später Nachmittag, die Sonne stand hoch am Himmel und tauchte nur wenig in den Horizont ein.
Adele und Sophie hatten getrennte Fahrzeuge genommen, da Adele direkt vom Tatort zu Roberts Haus unterwegs sein würde.
Sie lehnte sich an das Geländer, das die Betonstufen hinaufführte und wandte sich wieder der Wohnungstür zu. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie allein hineingehen sollte. Doch normalerweise schrieb das Protokoll vor, dass zwei Agenten gleichzeitig vor Ort sein mussten. Adele wollte nicht schon an ihrem ersten Arbeitstag in Frankreich für Aufregung sorgen. Doch Agent Paige machte es ihr schwer. Sie war bereits dreißig Minuten zu spät.
Adele knurrte leise. Sie hatte mit Robert vereinbart, ihr Gepäck zu seinem Haus zu bringen, und war dann direkt zum Tatort gefahren. Die Fahrt hatte zwanzig Minuten gedauert. Paris war eine der wenigen Städte, in denen es so gut wie keine Stoppschilder gab. Man munkelte, es müsste irgendwo doch eines geben; wenn das der Fall war, hatte Agent Paige es gefunden und wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
Es konnte keinen anderen Grund dafür geben, warum Adele seit einer halben Stunde auf Paige wartete.
Sie blickte die Straße entlang, auf die Lücke zwischen den Häuserblocks. Sie schluckte und starrte auf den kleinen Weg über die Straße, in dessen Innerem sich ein Hauch von Grün verbarg. Etwas, das sie an Paris liebte, waren die kleinen Pfade und versteckten Gärten, die wie durch ein Labyrinth quer durch die alten Gebäude erforscht werden konnten. Die Franzosen hatten ein besonderes Wort für diejenigen, die ziellos umhergingen und die Nebenstraßen und Gärten genossen: la flânerie. Adele konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal entspannt genug gewesen war, um einfach umherzuschweifen. Und jetzt war sicher auch nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Mit einem letzten frustrierten Schnaufen drehte sich Adele zu den Türen und ging in Richtung der Sprechanlage, bevor sie auf den unteren Knopf mit der Aufschrift "Vermieter" drückte. Der Vermieter war angewiesen worden, sie hereinzulassen. Mit oder ohne Paige war Adele entschlossen, sich den Tatort des zweiten Opfers anzusehen.
Doch bevor sie klingeln konnte, hörte sie ein leises Reifenquietschen. Adele blickte über die Schulter und entdeckte einen zweiten SUV mit schwarz getönten Scheiben, der hinter ihrem Mietwagen parkte. Agent Paiges silbernes Haar erschien über dem oberen Teil des Türrahmens, als sie seelenruhig den Fahrersitz verließ. Die ältere Agentin hielt auf dem Bordstein inne, schnippte dann mit den Fingern, als ob ihr etwas klar geworden wäre, drehte sich wieder zu ihrem Auto um, öffnete die Tür und begann, im Inneren herumzustöbern.
Adele wartete; es dauerte fast eine Minute, bis Paige fand, wonach sie gesucht hatte. Dann kam sie im Schneckentempo auf die Wohnungstreppe zu. Sie nickte Adele ganz unbeirrt zu und ging an ihr vorbei.
Adele unterdrückte ihr Temperament. Sie würde bei diesem Fall mit Paige arbeiten müssen und es würde ihr nichts bringen, wenn sie die Konfrontation suchte. Aber es schien fast so, als ob ihr zugeteilter Partner sie absichtlich auf dem falschen Fuß erwischt hätte.
„Ich dachte, wir hätten vereinbart, direkt hierher zu kommen“, sagte Adele und versuchte, ihren Tonfall neutral zu halten.
Paige sah Adele aus dem Augenwinkel an. Sie sagte: „Ja? Normalerweise habe ich es nicht so eilig, meine Zeit zu verschwenden. Die Leute von der Spurensicherung haben schon alles durchsucht. Ich bin nicht sicher, warum wir hier sind.”
Adele drehte sich ganz um und blickte von den Wohnungstüren und den Klingelknöpfen weg und zu ihrer Partnerin hin. „Wir sind hier“, sagte sie Zähne knirschend, „weil ich den Tatort selbst untersuchen möchte. Ist das für Sie in Ordnung?”
Paige säuberte ihre Fingernägel und schnippte alles, was sie fand, auf den Bürgersteig.
„Sie werden bestimmt nichts Neues finden.”
„Vielleicht nicht, aber man kann nie wissen.”
Adele konnte Agent Paiges Parfüm riechen, aber es als Parfüm zu bezeichnen, wäre weit hergeholt gewesen. Ihre Partnerin roch nach Seife; nicht nach parfümierter Seife, sondern eher nach einer schlichten Reinigungsseife, die in erster Linie auf Hygiene abzielte. Agent Paige trug weder Ohrringe noch Schmuck. Sie hatte ein starkes Profil mit einer römischen Nase und spitze Wangenknochen. Adele erinnerte sich an ihr erstes Jahr bei der DGSI, in dem sie in einer Arbeitsgruppe mit Agent Paige arbeitete – sie war damals von der älteren Frau eingeschüchtert gewesen und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, konnte das wirbelnde, unwohle Gefühl in ihrem Bauch nicht leugnen – es hatte sich nichts geändert.
Adele hatte Sophies Familie nie besucht, aber sie wusste aus Gesprächen mit anderen Agenten, dass Paige fünf eigene Kinder hatte, die alle adoptiert waren. Und doch hatte Adele nach ihrer Erfahrung noch nie erlebt, dass die Frau auch nur einen Tag auf der Arbeit gefehlt hatte. Als beim DGSI gewesen war, hatte es einige Nachforschungen erfordert, aber so wie es sich anhörte, blieb Agent Paiges Mann zu Hause und kümmerte sich um die Kinder, während seine Frau manchmal bis spät in die Nacht für die Regierung arbeitete.
Paige erwiderte Adeles verärgerten Blick. Als Antwort darauf streckte Adele die Hand aus und betätigte energisch den Klingelknopf. Es dauerte einen Moment, dann summte die Tür. Sophie drückte die Haustür auf, ging schnell hinein und ließ sie hinter sich zuschlagen.
Adele musste schnell reagieren, um ihren Fuß in die Lücke zu klemmen und sie aufzufangen, bevor sie ganz geschlossen war.
Adele starrte frustriert auf den Hinterkopf der älteren Agentin. Wieder war kein einziges Haar fehl am Platz. Paiges Kleidung war ordentlich gebügelt, ihre Anzugsjacke war anthrazitgrau und passte zu ihrer Hose.
Adele hatte die Gesellschaft ihrer alten Vorgesetzten nie besonders genossen. Das letzte Mal, als sie mit der Frau interagiert hatte, hatte Paige bei einem früheren Fall in Frankreich für Ärger gesorgt.
„Entschuldigen Sie“, sagte Adele und sprach dabei nur leise, „müssen wir reden?”
Paige tat jedoch so, als hätte sie es nicht gehört, und ging weiter in Richtung Treppe.
Adele machte ein paar eilige Schritte, um die ältere Frau einzuholen. Sie streckte die Hand aus und legte sanft eine Hand auf den Unterarm der anderen Agentin. Als wäre sie verbrüht worden, zuckte Paige zusammen und knurrte bei der Berührung. „Fassen Sie mich nicht an!“, schnappte sie.
Adeles starrte auf das Halfter der Frau unter ihrem geöffneten Blazer. Sie entfernte ihre Hand in einer beschwichtigenden Geste. „Entschuldigung.”
„Was wollen Sie noch?“, sagte Paige mit finsterem Blick. „Wir machen es doch auf Ihre Art, oder? Wir sind hier und verschwenden unsere Zeit, statt mit Zeugen zu reden.”
„Welche Zeugen?“, sagte Adele und hielt sich zurück.
„Der Amerikaner. Derjenige, der die Leiche gefunden hat.”
Adele schüttelte den Kopf. „Er hat das Opfer gefunden, aber er hat nichts gesehen.”
Paige fuhr mit der Zunge über ihre Lippen. Unsere Zeit wäre besser genutzt, wenn wir Zeugen befragten, als sich einen bereits leergeräumten Tatort anzusehen. Sie haben den Bericht gelesen, nicht wahr? Keine physischen Beweise. Hier gibt es nichts für uns.”
Adele schüttelte wütend den Kopf. Sie streckte die Hand aus, als wolle sie sich beruhigen und griff nach dem hölzernen Geländer, das die Wohnungstreppe hinaufführte.
Sie konnte das Klirren der Schlüssel und das Geräusch von Schritten hören, die sich näherten, als der Vermieter durch den Flur ging. Sie blickte an ihrer Partnerin vorbei, und sah durch das Holzgeländer, einen alten, kahlköpfigen Mann mit einem kleinen Bäuchlein und einem fleckigen Pullover, der sich auf sie zu bewegte.
Adele senkte ihre Stimme und versuchte, ruhig zu bleiben, als sie sagte: „Sie können die Officer kontaktieren, die die Amerikanerin angerufen hat. Sie sind in Bereitschaft. Sagen Sie ihnen, sie sollen sie herbringen, wenn Sie wollen. Wir werden sie nachher befragen; jedenfalls besser auf dem Revier.”
„Gut“, sagte Paige. „Vielleicht mache ich das.“ Sie griff nach ihrem Telefon und fummelte einen Moment daran herum.
Adele wartete, während der Vermieter sich näherte, in der Hoffnung, dass dies der vorläufig letzte hitzige Austausch zwischen den beiden war. Es wäre nicht gut, in der Öffentlichkeit so unprofessionell auszusehen.
Der Vermieter warf einen Blick zwischen den beiden Frauen hin und her, scheinbar hatte er von der Auseinandersetzung nichts mitbekommen. Er nahm ein albernes, öliges Lächeln an und sagte: „Ich kann Ihnen das Zimmer zeigen.“ Er hielt einen Moment inne, sein Lächeln erstreckte sich immer noch über sein gesamtes Gesicht. „Nur aus Neugierde…“, er machte eine Pause, als ob er eine einstudierte Anzahl von Sekunden warten würde. Dann sagte er: „Wann werde ich die Wohnung wieder vermieten können? Ich muss meine Rechnungen bezahlen…“
„Ich bin Agent Sharp“, unterbrach Adele. Sie studierte den Mann. „Das ist Agent Paige.“ Sie griff in ihre Tasche und zeigte ihre Dienstmarke sowie den Interpol-Ausweis, den Robert ihr gegeben hatte.
Der Vermieter winkte ab, ohne einen Blick auf einen der beiden Ausweise zu werfen. Paige starrte immer noch auf ihr Telefon und ignorierte den Mann.
„Ich kann es Ihnen zeigen“, wiederholte er.
Adele zeigte mit einer Handgeste die Treppe hinauf und erlaubte dem Vermieter, die Führung zu übernehmen. Sie folgte ihm langsam, während er schwer atmend, eine Treppenstufe nach der anderen hinaufging. Als sie den Treppenabsatz im dritten Stock erreichten, steckte er die Schlüssel in das Schloss und drehte ihn um. Adele untersuchte die Schlüssel, dann sprach sie wieder mit dem Vermieter. „Sie haben die Wohnung vor ein paar Tagen nicht betreten, oder?”
Der Vermieter musterte sie und sah sie nach einem Moment mit einem entsetzten Gesicht an. Sofort begann er wild den Kopf zu schütteln, wodurch seine Wangen wackelten. „Nein“, beteuerte er. „Ganz sicher nicht. Ich betrete niemals die Wohnungen. Die Schlüssel sind nur für Notfälle.”
Adele hob ihre Hände. „Hat jemand anders einen Ersatzschlüssel?”
Der Vermieter schüttelte wieder den Kopf. „Nur der Mieter. Und ich selbst. Und ich benutze sie nicht“, wiederholte er.
Adele nickte, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte und beobachtete, wie der Mann die Wohnungstür aufschloss und beiseitetrat. Mit einer einfachen Handbewegung signalisierte er den beiden Agenten, dass sie eintreten konnten.