Der Kandidat - Джек Марс 4 стр.


Nicht jeder war seiner Meinung.

„Ich mag den Neuen“, sagte ein dicker Mann an der Bar. Man nannte ihn Skipper. Aber wahrscheinlich hatte er in seinem Leben noch nie einen Fuß auf ein Schiff gesetzt. „Was hat Susan Hopkins je für Chester, Pennsylvania getan? Das will ich mal wissen. Es ist Zeit, dass jemand diese ganzen Chinesen davon abhält, in unser Land zu kommen.“

„Und unsere Jobs zurückbringt, wenn er schon dabei ist“, sagte ein Mann namens Steve-O. Steve-O war so dürr, dass Marc unwillkürlich an einen Pfeifenreiniger denken musste, wenn er ihn sah. Er kam jeden Tag her und trank Bier und Bourbon. Marc hatte noch nie gesehen, wie Steve-O auch nur einen Bissen fester Nahrung zu sich nahm. Es schien, als würde er sich nur von Alkohol ernähren.

Marc trocknete gerade Biergläser ab, die aus dem Geschirrspüler kamen. „Steve-O, du bekommst doch seit zwanzig Jahren Behindertengeld.“

„Ich meinte ja nicht meinen Job“, sagte Steve-O.

Ein paar der Anwesenden lachten.

Auf dem Fernsehbildschirm tauchte jetzt ein leeres Podium auf. Es war umgeben von amerikanischen Flaggen.

„Meine Damen und Herren“, sagte eine leise Stimme, „die Präsidentin der Vereinigten Staaten.“

Susan Hopkins kam von rechts auf die Bühne. Sie trug einen beigefarbenen Hosenanzug und trug ihr Haar in einem kurzen blonden Bob. Wunderschön. Marc erinnerte sich an eine Zeit, in der sie Model gewesen war. Insbesondere an eine gewisse Sports Illustrated Badeanzug-Ausgabe von vor 25 Jahren. Damals war er ein Mann mittleren Alters gewesen, verheiratet und Familienvater. Ihre Bilder waren nahezu herzzerreißend gewesen – sie war himmlisch, unerreichbar, wie von einer anderen Welt. Er konnte nicht in Worte fassen, wie sie auf ihn gewirkt hatte. Und wenn überhaupt, dann sah sie jetzt noch besser aus – bodenständiger, reifer. Marc mochte Frauen, die ein wenig Erfahrung hatten.

„Zieh dich aus, Baby!“, sagte Steve-O, woraufhin erneut einige Anwesende kicherten.

Marc hatte Steve-O heute sechs Shots und sechs Biere in den letzten Stunden serviert. Steve-O war sichtlich angetrunken. Und er fing an, Marc auf die Nerven zu gehen. „Bald gibt’s nichts mehr für dich, Steve-O.“

Steve-O schaute ihn an. „Was?“

„Halt die Schnauze oder geh nach Hause, hab‘ ich gesagt.“

Marc drehte sich zurück zum Fernseher. Hopkins hatte noch nichts gesagt. Es schien, als müsste sie ihre Emotionen unter Kontrolle bringen. Das war es also. Sie würde ihr Amt abtreten. Es hatte so gewirkt, als wäre sie beliebt gewesen, aber letzten Endes hatte sie nur eine Amtszeit regiert – und noch nicht mal eine volle.

„Meine verehrten Mit-Amerikaner“, sagte sie.

Die Bar war still. Auch der Raum, in dem sie ihre Rede hielt, war fast still – Marc konnte lediglich das Surren und Klicken von Kameras hören.

„Ich werde mich kurzfassen. Wir haben eine harte Kampagne hinter uns, in der zwei sehr unterschiedliche Visionen von Amerika miteinander gekämpft haben. Eine dieser Visionen ist voll von Optimismus, Verständnis und Stolz dafür, was wir als Nation geschafft haben. Die andere ist eine Vision voll mit Wut, Verzweiflung, Ressentiment und sogar Paranoia. Sie stellt unsere Nation als ruinierte Landschaft dar, die nur durch einen Mann gerettet werden kann. Und sie verspricht uns Gewalt – Gewalt gegen unseren wichtigsten Handelspartner, sowie Gewalt gegen unsere eigene Gesellschaft, gegen unsere Nachbarn und gegen unsere Freunde.

„Ich bin mir sicher, Sie wissen, für welche Vision ich einstehe. Ich kann keine Weltanschauung akzeptieren, die auf Rassismus, Vorurteilen und Misstrauen basiert. Und doch wäre meine Aufgabe unter normalen Umständen, trotz aller Bedenken, dem augenscheinlichen Gewinner dieser Wahl zu gratulieren und ihn willkommen zu heißen, damit die Macht friedlich in seine Hände übergehen kann, so wie es unsere Demokratie will.“

Sie machte eine Pause. „Doch dies sind keine normalen Umstände.“

Marc richtete sich auf. Er spürte, wie ein Kribbeln seinen Rücken hinunterlief. Er schaute sich um und blickte die Männer an, die an seiner Bar saßen. Jeder einzelne von ihnen klebte geradezu am Bildschirm. Jeder von ihnen war plötzlich aufmerksam geworden, wie Tiere, die spürten, dass sich ein Gewitter nähert. Was wollte sie damit sagen?

„Meine Kampagne hat Beweise dafür gefunden, dass es in mindestens fünf Staaten Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe gab, einschließlich Wahlunterdrückung, aber ebenfalls offene Manipulation und eventuelles Hacken von Wahlmaschinen. Wir haben Grund zur Annahme, dass die Wahl gestohlen wurde, nicht nur von unserer Kampagne, sondern vom amerikanischen Volk. Wir haben das FBI sowie das Justizministerium bereits kontaktiert und erwarten eine vollständige, unabhängige Untersuchung. Bis diese Untersuchung abgeschlossen ist – egal wie lange es dauert – kann und werde ich die Ergebnisse dieser Wahl nicht anerkennen und werde meinen Pflichten als Präsidentin der Vereinigten Staaten und meinem Amtseid nachgehen, unsere Konstitution zu wahren und sie zu schützen. Vielen Dank.“

Präsidentin Hopkins ging zurück nach rechts und verließ die Bühne. Die Stimmen der Reporter überschlugen sich, schrien Fragen in den Raum und versuchten, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Blitzlichter blinkten wie wild. Der Kamerawinkel wechselte und fokussierte sich auf die Präsidentin, während sie durch eine Seitentür hinter einem Meer von riesigen Geheimdienstagenten verschwand. Sie hatte keine einzige Frage beantwortet.

„Was soll das bedeuten?“, fragte Steve-O. „Kann sie das einfach so machen?“

Niemand antwortete ihm.

Marc trocknete weiter seine Biergläser ab. Auf diese Frage wusste er selbst keine Antwort.

KAPITEL SECHS

17:48 Uhr Eastern Standard Time

34. Stock

Das Willard Intercontinental Hotel, Washington, D.C.


„Sind wir kein Rechtsstaat?“, schrie der Mann in den Telefonhörer.

Seine Füße lagen auf dem großen polierten Eichenschreibtisch und er blickte durch die deckenhohen Fenster seines Büros auf die Lichter des Kapitols. Draußen war es bereits dunkel – zu dieser Jahreszeit ging die Sonne früh unter.

„Das möchte ich mal gerne wissen. Denn wenn wir doch ein Rechtsstaat sind, hat diese Frau, diese Besetzerin im Weißen Haus, schleunigst ihre Koffer zu packen. Sie hat verloren und Jefferson Monroe hat gewonnen. Jefferson Monroe ist der gewählte Präsidentschaftskandidat der Vereinigten Staaten. Und wenn sie bis zum Tag der Amtsübergabe nicht draußen ist, werden wir sie einfach rausschmeißen, wie ein Gerichtsvollzieher einen Mietnomaden rausschmeißt.“

Der Mann schwieg ein paar Sekunden und hörte dem Reporter am anderen Ende der Leitung zu.

„Natürlich können Sie mich zitieren. Drucken Sie jedes Wort von dem, was ich gesagt habe.“

Er beendete das Gespräch und legte den Hörer zurück auf den Schreibtisch. Er warf einen Blick auf seine Uhr und seufzte. Seit fast einer Stunde hatte er mit verschiedenen Reportern gesprochen, seit Susan Hopkins von der Bühne und aus dem Raum verschwunden war, in dem sie ihre lächerliche Pressekonferenz abgehalten hatte.

Sein Name war Gerry O’Brien. Mit seinen 50 Jahren war er sehr groß und so dünn wie ein Stock. Sein Haar lichtete sich und sein Gesicht war scharfkantig. Er wog immer noch genau so viel wie an dem Tag, an dem er die Universität abgeschlossen hatte. Er lief Marathons, war ein Triathlet und hatte in den letzten Jahren an Mud und Survival Runs teilgenommen. Alles, was hart war, was einen so richtig forderte, Extremsport, bei dem Teilnehmer bewusstlos am Wegesrand zurückblieben, sich die Eingeweide auskotzten, oder den Hügel herunterfielen und sich ihre Knie aufschlugen – das war genau das Richtige für ihn.

Als Sohn irischer Einwanderer war er auf den Straßen von Woodside, Queens groß geworden. Sein Vater war Gefängniswärter, seine Mutter Haushaltshilfe. Harte Menschen, die ihn dazu erzogen hatten ebenso hart zu sein. Wenn man in Woodside überleben wollte, musste man kämpfen. Das hatte ihm noch nie etwas ausgemacht. Er legte sich mit jedem an. Er war so kämpferisch, so erbarmungslos, dass die Kinder in seiner Nachbarschaft angefangen hatten, ihn den Hai zu nennen.

Er war der erste aus seiner Familie, der studiert hatte und anschließend – unerforschtes Gebiet – war er an die juristische Fakultät gegangen. Er hatte seine erste Million verdient, bevor er dreißig geworden war, indem er sich auf Körperverletzungen spezialisiert hatte. Er hatte ein Foto von sich machen lassen, auf dem er wütend aussah (und kaum jemand konnte so wütend aussehen wie er) und für ein paar kleine Werbeanzeigen bezahlt, die in der U-Bahn aufgehängt wurden.

Unfallverletzung? Sie brauchen jemanden, der für Ihre Rechte eintritt. Einen echten Anwalt. Einen echten New Yorker. Sie brauchen Gerry O’Brien. Sie brauchen den Hai.

Fast sofort wurde er als Gerry der Hai bekannt. Jeder, der in den fünf Bezirken New Yorks schon mal U-Bahn gefahren war, kannte seinen Namen. Manchmal setzte er sich selbst in die U-Bahn, nur um seine eigene Werbung ansehen zu können – und er hasste die U-Bahn.

Je mehr er verdiente, desto mehr Werbungen konnte er sich leisten. Und je mehr Werbungen er in Auftrag gab, desto mehr verdiente er. Schon bald schaltete er Anzeigen im Late-Night Fernsehen, später sogar im Tagesprogramm. Es war ein einziger Jackpot. Erst arbeiteten drei Anwälte für ihn, dann fünf, dann zehn. Dann 20. Als er vor zehn Jahren seine Kanzlei verkauft hatte, hatte er 33 Anwälte und mehr als 100 Hilfskräfte gehabt.

Ein paar Jahre lang hatte er sich zur Ruhe gesetzt. War umhergewandert. Hatte die Welt erkundet. Hatte zu viele Drogen eingenommen. Hatte zu viel getrunken. Sich in die Rechtsaußenpolitik zu verirren hatte vermutlich sein Leben gerettet. All seine schlechten Angewohnheiten hatte er gegen Selbstdisziplin und eine Zukunftsvision für Amerika eingetauscht, die er mit seinen Gleichgesinnten teilte – eine Rückkehr zu einer früheren, einfacheren Zeit.

Zu einer Zeit, in der die Überlegenheit der Weißen Rasse noch nicht in Frage gestellt wurde. Zu einer Zeit, in der die Ehe zwischen Mann und Frau noch heilig gewesen war. Zu einer Zeit, in der ein junger Mann aus der Schule kam und in eine Fabrik gehen konnte, um dort den Rest seines Lebens zu arbeiten und genug Geld zu verdienen, um sich und seine Familie unterstützen zu können.

Natürlich war es nicht immer so einfach. Es gab Dinge, die dazugehörten, für die man nicht zimperlich sein durfte. Dinge, die die breite Öffentlichkeit niemals einsehen würde. Er hatte große Pläne. Sie würden dieses Land bereinigen, ein für alle Mal. Aber das war nichts, was man groß herausposaunen sollte. Jedenfalls noch nicht.

Gerry der Hai stand von seinem Schreibtisch auf und ging an seinen Büros vorbei. Ein paar Sekretärinnen waren noch hier, doch die meisten Angestellten arbeiteten von anderen Orten aus. Gerry war nicht nur hier, weil er der leitende Stratege hier war, sondern auch, weil er seinen Chef nur ungern aus den Augen ließ.

Sie waren heute Nachmittag aus Louisville hergeflogen. Seinem Boss gehörte diese… was war die richtige Bezeichnung? Wohnung? Wenn man etwas mit zehn Schlafzimmern, zwölf Badezimmern, einem halben Dutzend Büros, einem Konferenzraum und einer kleinen Kantine noch Wohnung nennen konnte. Sie nahm das gesamte Stockwerk eines der bekanntesten und teuersten Hotels auf der ganzen Welt ein. In diesem Hotel wurde amerikanische Geschichte geschrieben. Hier hatte John F. Kennedy zahlreiche Schäferstündchen verbracht.

Hier würden sie die Nacht verbringen. Am nächsten Tag hatten sie früh morgens wichtige Geschäfte in D.C. zu erledigen.

Gerry rauschte durch die Gänge, klatschte seine Schlüsselkarte gegen einen Sensor und betrat die Wohnräume. Der vordere Bereich war üppig ausgestattet und wirkte wie ein Gemälde in einem Haus aus der viktorianischen Zeit.

Ein Mann mit weißem Haar stand vor einem riesigen Fenster, dessen Vorhänge offenstanden. Er starrte in die Nacht hinaus. Der Mann trug einen dreiteiligen Anzug, obwohl er zu Hause war und keine Absichten hatte, heute noch auszugehen. Die Hemden mit offenstehendem Kragen waren natürlich nur Show. Er mochte wie jeder andere auch, sich herauszuputzen.

Er hatte einen Martini in der Hand. Das Martiniglas sah im Vergleich winzig aus. Trotz des protzigen Anzugs und seines offensichtlichen Reichtums hatte er die rauen Hände von jemandem, der damit aufgewachsen war, sich mit harter Arbeit Geld zu verdienen. Die Hände schrien geradezu: Was stimmt an diesem Bild nicht?

Es war eine unangenehme Nacht in der Hauptstadt und der Wind heulte draußen. Der alte Mann blickte über die Stadtlandschaft und ihre Lichter. Gerry wusste, dass der Dorfjunge in ihm selbst nach all den Jahrzehnten immer noch von den glänzenden Lichtern der Stadt bezaubert wurde.

„Wie läuft der Krieg?“, fragte Jefferson Monroe, gewählter Präsidentschaftskandidat der Vereinigten Staaten mit einer sanften Satzmelodie, die auf seine Herkunft aus dem Süden schließen ließ.

„Wunderschön“, sagte Gerry ernst. „Sie sitzt in der Ecke fest und weiß nicht, was sie machen soll. Ihre Erklärung heute hat das offenbart. Sie will ihr Amt nicht abtreten? Das kommt uns nur zugute. Sie schottet sich ab – die Öffentlichkeit wird auf unserer Seite sein. Wenn wir alles richtig machen, können wir sie sogar früher als geplant da rausholen. Ich denke, wir sollten den Druck erhöhen – sie dazu bringen, das Amt bereits früher abzutreten, lange bevor sie die Wahlbetrugsuntersuchungen abschließen können. Dann können wir sie einfach selbst einstellen.“

Der alte Mann drehte sich um. „Gibt es einen Präzedenzfall für einen Präsidenten, der sein Amt schon einmal verfrüht abgetreten hätte?“

Gerry der Hai schüttelte seinen Kopf. „Nein.“

„Wie sollen wir das dann schaffen?“

Jetzt lächelte Gerry. „Ich hätte da ein paar Ideen.“

KAPITEL SIEBEN

18:47 Uhr Eastern Standard Time

Das Oval Office

Das Weiße Haus, Washington, D.C.


Sie war allein, als Luke ins Büro gebeten wurde.

Einen Moment lang dachte er, sie würde schlafen. Sie saß in einem Sessel in der Mitte des Raums. Sie sah aus wie ein kaputter Crashtest-Dummy oder ein Schulkind, das seinen Unmut ausdrückt, indem es sich so lässig wie möglich hinsetzt.

Das neue Resolute Desk stand hinter hier. Die schweren Vorhänge waren zugezogen. Auf dem Boden, rund um die Umrisse des ovalen Teppichs befand sich eine Inschrift:

Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst – Franklin Delano Roosevelt

Die Worte liefen rund um den Teppich und hörten genau da auf, wo sie auch begonnen.

Sie trug eine blaue Hose und eine weiße Bluse. Ihr Blazer hing auf einem der Stühle, die am Schreibtisch standen. Ihre Schuhe lagen wie unachtsam weggeworfen auf dem Teppich.

Trotz ihrer Haltung waren ihre Augen wachsam. Sie beobachtete ihn.

„Hi, Susan“, sagte er.

„Hast du meine Pressekonferenz gesehen?“, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Ich schaue schon seit einem Jahr kein Fernsehen mehr. Seitdem fühle ich mich viel besser. Du solltest es auch mal ausprobieren.“

„Ich habe dem amerikanischen Volk gesagt, dass ich mein Amt nicht abgeben werde.“

Luke lachte fast. „Ich wette, das ist gut gelaufen. Was ist passiert? Hast du so sehr gefallen an deinem Job gefunden, dass du nicht mehr aufhören willst? Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Ganze so nicht funktioniert.“

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