„Ja.“, sagte Robert. „Eine heikle Angelegenheit, da bin ich mir sicher.”
John blieb vergessen, als die beiden Arm in Arm zur anderen Seite des Atriums schritten. Die teuren, polierten Fußböden blitzten und blinkten, angestrahlt durch die in verzierten Halterungen an der gesamten Decke befestigten Lichter.
„Ja“, sagte die Managerin leise und ihre Augen richteten sich auf ein paar Gäste, die gerade eincheckten. Ihre vielen Taschen und ihr Gepäck ruhten auf einem Rollwagen, der von einem weiteren Bediensteten in purpurroter Uniform geschoben wurde. Roberts eigene Taschen warteten nun am Aufzug auf sie, während der Page geduldig mit verschränkten Armen vor den drei Gepäckstücken stand.
John trug seine eigene kleine Laptop-Tasche – in der er ein Hemd und einen Satz Wechselunterwäsche verstaut hatte – und stapfte seinem kleineren Partner hinterher. Jeder, der in seine Richtung blickte, wurde anderthalb Mal geblendet. Mit zwei langen Schritten gelang es ihm, den kleineren Ermittler und sein perplexes Publikum einzuholen.
Er erreichte mit ihnen den Tresen und hörte Robert einen Satz beenden mit: „… Vielleicht irgendwo, wo es privater ist?”
Maria lehnte sich mit einem Arm auf den Tresen und warf dem Angestellten einen intensiven Blick auf den hinter der Marmortrennwand versteckten Computer zu. Der Angestellte nickte grüßend, eilte dann davon und bewegte sich auf die gegenüberliegende Seite der langen Trennwand.
Maria ihrerseits senkte ihre Stimme und sagte leise: „Mr. Und Mrs. Hanes besuchen uns hier, solange ich denken kann. Einmal im Jahr.”
„Ah“, sagte Robert. „Aber Sie sind noch so jung! Es kann doch nicht zu lange her sein, oder?”
Maria kicherte ein wenig und John fühlte, wie sich sein Magen umdrehte. „Ich arbeite seit fast fünfzehn Jahren hier“, sagte sie. „Ich habe als Kellnerin angefangen und mich hochgearbeitet. Wir bedienen nur das renommierteste Klientel. Wie Sie sicher wissen.”
Robert lächelte, klopfte ihr auf die Schulter und sah ihr mit seinem freundlichen Blick tief in die Augen.
„Ja, in der Tat“, sagte er, „sehr beeindruckend. Ihrer harten Arbeit gebührt höchster Respekt. Fünfzehn Jahre sind eine beeindruckende Verpflichtung. Ich hoffe, ihre Treue wird belohnt?”
Maria zögerte, ihre Nase kräuselte sich. Aber dann räusperte sie sich und glättete die Vorderseite ihrer makellosen Uniform mit der freien Hand. „Ich kann mich nicht beschweren. Aber das Schweizer Paar – sind Sie wegen ihnen hier?”
Robert nickte einmal, seine Augen waren auf Maria gerichtet, als ob niemand sonst im Raum war. Jedes Nicken und Lächeln, jede Geste reagierte auf Marias Worte oder ihre Haltung, spiegelte ihre Aufregung, ihr Interesse, ihre Neugier wider, alles in rascher Synchronizität. Für John war es, als wäre er Zeuge eines Schachspiels der Körpersprache, von dem die stellvertretende Managerin nicht einmal wusste, dass sie ein Teil davon war.
John wusste jedoch aus der kurzen Zeit, die er mit Robert verbracht hatte, dass der ältere Ermittler kein Manipulator war. Er wusste, wie er reagieren und sich verhalten musste, aber er meinte auch die Dinge, die er sagte; er hatte ein nervtötendes Händchen dafür, sich um jeden zu kümmern, mit dem er interagierte.
„Sie haben ihr Vermögen im Ölgeschäft gemacht“, sagte Maria leise. „Obwohl“, runzelte sie die Stirn, „ich weiß nicht, ob ich ihnen das erzählen sollte.”
„Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind ehrlich. Ich sehe, dass Sie ein ehrlicher Mensch sind, oui“, sagte Robert und nickte. „Das sieht man an den Augen, ja. Und ihr Zimmer, wo haben sie übernachtet?”
Maria räusperte sich. „Sie hatten ihr eigenes Chalet dauerhaft gemietet. Fünfzehn Jahre jetzt; wahrscheinlich mehr. Der Such- und Rettungsdienst hat nach ihnen gesucht, aber ohne Erfolg.“
„Und wann sind Mr. und Mrs. Hanes in diesem schönen Etablissement angekommen, das Sie so wunderbar führen?”
Maria runzelte nachdenklich die Stirn, nickte dann aber wieder. „Ich erinnere mich an alle unsere Gäste. Sie sind Teil der Familie. Mr. und Mrs. Hanes kamen vor dem ersten Schneefall an. Sie werden seit vier Tagen vermisst.”
John sprach zum ersten Mal und seine Anwesenheit, gefolgt von einem Stöhnen, schien eine Art Zauber zu brechen. Sowohl Robert als auch Maria blickten ihn an, ihre Augen wurden etwas schmaler. „Vor dem Schneefall“, sagte John. „Das bedeutet, die Leichen könnten zugedeckt sein.”
Roberts Augen weiteten sich vor Beunruhigung fast unmerklich. Maria keuchte und starrte John weißgesichtig an. „Leichen?“, sagte sie. „Sie glauben, sie sind…“ Sie schluckte.
„Tot?“, beendete John den Satz. „Wahrscheinlich. Sie werden schon eine Weile vermisst.“
„Er sah Robert an, der eine Hand verzweifelt über sein Gesicht geführt hatte und seinen Nasenrücken massierte, als ob er plötzlich Kopfschmerzen hätte.
„Es kann gut sein, dass es ihnen gut geht“, sagte Robert und klopfte Maria noch einmal auf den Arm, bevor er die Hand senkte und sich zu John drehte.
John grunzte. „Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich sind sie tot. Wir sollten bald auf die Suche gehen.”
„Ich kann Ihnen den Weg sagen, auf dem sie gewöhnlich gewandert sind“, sagte Maria und hielt ein Schluchzen deutlich zurück. „Wie ich schon sagte, waren sie für uns hier wie eine zweite Familie.”
John zuckte mit den Achseln. „Wahrscheinlich wurden sie an einen ruhigen Ort gelockt. Wer auch immer zu ihnen kam, hätte sie nicht auf vertrautem Boden haben wollen, als sie zuschlugen.“
„Was?“, fragte er Robert, der nun den größeren Mann anstarrte.
In einem schnippischen, leidgeprüften Ton sagte Robert: „Wir wissen nicht, dass sie tot sind. Wir kennen auch nicht den Kontext ihres unglücklichen Verschwindens. All dies sind Vermutungen.”
John sah den kleineren Mann an. „Vermutungen? Ich weiß nicht, was dieses Wort bedeutet.”
Robert seufzte und lächelte Maria ein letztes Mal an, bevor er sich von ihr verabschiedete und dann zum Aufzug ging. Als sie sich Roberts Gepäck und dem wartenden Pagen näherten, murmelte Robert unter seinem Atem: „Haben Sie keine Jacke? Etwas außer diesen verschwitzten Sweatshirts?”
John starrte ihn an. „Nicht jeder von uns hat für ein paar Tage im Schnee drei Koffer gepackt.”
„Ach wirklich? An einem Ort wie diesem, mein Freund, solltest du vielleicht etwas aufpassen. In diesen Hallen zählt das Aussehen mehr als der Charakter.”
John hielt inne, drehte sich zu Robert um und schaute ihm direkt in die Augen.
„Ich bin mir der Erscheinung, die ich abbilde, bewusst“, sagte er leise. „Nicht alle Bienen werden mit Honig gefangen, nicht wahr?“ Dann drehte er sich noch einmal um und ging auf den Aufzug zu.
Sie packten aus, richteten sich in ihren Zimmern ein und machten sich dann auf die Suche nach Mr. Und Mrs. Hanes. Das Such- und Rettungsteam behandelte sie wie einen Vermisstenfall – als wären sie wandern gegangen und in eine Schlucht gefallen. Aber John wusste es besser. Ein Mörder lief frei herum und um das Schweizer Ehepaar zu finden, musste er wie ein Mörder denken.
KAPITEL ACHT
Adele hörte ein Klopfen an ihrer Tür. Sie hielt einen Finger hoch, um zu signalisieren, dass sie in etwas wichtiges vertieft war und merkte dann, dass die Person auf der anderen Seite der Schwelle sie nicht sehen konnte. „Einen Moment bitte“, rief sie.
Adele wandte sich wieder ihrem Computer zu und ihre Augen schielten zu Agent Marshall, die auf der gegenüberliegenden Seite des runden Holztisches saß. Adele atmete tief ein und sammelte ihre Gedanken. „Sie wollen mir also sagen, dass die Benevetis in Frackingprojekte investiert hatten?“, fragte sie.
Agent Marshall nickte einmal, ihr kurz geschnittenes Haar fing das Licht durch das Fenster dahinter in einem seltsamen Muster ein, was wie ein Fleck um ihre Stirn herum wirkte.
„Was haben die beiden hier oben gemacht? Glauben Sie, dass sie an der Eröffnung des neuen Resorts beteiligt waren?”
Agent Marshall schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Diese Information ist geheim. Sogar für uns. Wo Geld im Spiel ist, da ist Macht meist nicht weit.”
Jemand klopfte erneut an die Tür, höflich, aber diesmal etwas lauter.
„Bin gleich soweit“, rief Adele. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der deutschen Agentin zu. „Eine italienische Person des öffentlichen Lebens aus der Ölindustrie wird in den Alpen vermisst. Das ist eine Schlagzeile.”
Agent Marshall lächelte Adele höflich an, die Arme verschränkt. Aber sie biss sich auf die Zunge. Adele studierte die jüngere Frau und versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. War Marshall hier, um bei dem Fall zu helfen, oder war sie da, um Adele daran zu hindern, sich einzumischen?
Bevor die Person draußen ihr drittes Mal an die Tür klopfen konnte, rief Adele: „Kommen Sie bitte herein.”
Die Tür öffnete sich mit einem Klick und die Person trat zögernd ein. Es war ein Mann in Bedienstetenuniform.
„Hallo?“, sagte Adele neugierig.
„Ja“, sagte der Mann in der Tür und zögerte. Er machte einen schlurfenden Schritt in den Raum, schien es sich dann aber anders zu überlegen, wartete unsicher auf der Schwelle und blickte von Adele zu Agent Marshall.
Adele warf der jungen Agentin einen fragenden Blick zu. Marshall stand jedoch auf und begrüßte den Mann. „Danke fürs Kommen, Otto.“ Marshall sah Adele an. „Sie hatten erwähnt, dass Sie mit einigen der Angestellten über die Benevetis sprechen wollten.”
Adele zog die Augenbrauen hoch. Sie verstand jetzt, worum es ging.
„Das ist Otto Klein“, sagte Marshall. „Er arbeitet seit fast fünf Jahren in diesem Resort. Er hat oft mit Mr. Und Mrs. Beneveti zu tun gehabt.”
Adeles Gesichtsausdruck wurde weicher und sie warf dem Mann einen Blick zu. „Sind Sie Page?”
Otto nickte einmal und räusperte sich. „Ja, das bin ich“, sagte er, in klarem Deutsch.
„Und sie kannten das vermisste Paar?”
Otto Klein stand immer noch in der Tür, aber auf eine Geste von Adele hin trat er widerwillig ein und kam an den Rand des Tisches. Die Tür hinter ihm stand immer noch offen und Adele wusste aus Erfahrung, dass Menschen in Flucht- oder Kampfsituationen oft versuchten, den schnellsten Ausgang zu finden. Diejenigen, die die Flucht bevorzugten, schlossen die Tür nicht. Diejenigen, die es vorzogen zu kämpfen, taten es.
Sie musterte den Pagen von ihrem Stuhl aus und er setzte sich nicht, sondern schaute mit nervösem Gesichtsausdruck auf sie herab. Er war recht gutaussehend, wie die meisten Angestellten dieses Resorts. Adele wusste, dass eine Sache, die ihr Fall mit dem von John und Robert gemeinsam hatte, das Niveau der Kundschaft war. Die meisten Leute in diesem Resort waren extrem wohlhabend. Tatsächlich hätte sie bezweifelt, dass sich jemand ohne Millionärsverdienst den Aufenthalt hätte leisten können.
Sie fing einen Hauch von Kölnisch Wasser von Otto ein – ein duftender, blumiger Geruch, der sich mit dem Geruch eines frischen Autos vermischte. Ein plötzlicher Gedanke kam ihr, sie erinnerte sich vage an ihre eigene Kindheit. Erinnerungen tauchten auf, nur bruchstückhaft, aber trotzdem deutlich. Sie sah sich selbst, ihren Vater, ihre Mutter vor der Scheidung. Sie sah die schneebedeckten Hügel und stellte sich vor, wie sie Schlitten fuhren. Sie erinnerte sich daran, wie sie heißen Kakao am Kamin trank, an die Schneeballschlachten und wie sie aus dem Whirlpool im Freien in den beheizten Innenpool sprangen. Sie lächelte leicht. Aber dann verblasste das Lächeln, als auch andere Erinnerungen auftauchten. Erinnerungen an Streit, an Wut.
Sie schniefte, schob die Emotionen und Gedanken aber beiseite.
Sie konzentrierte sich wieder auf Otto. „Was halten Sie von Mr. Und Mrs. Beneveti?”
Otto zögerte. Der Diener kratzte sich am Kinn, wobei er das dünne Seil, das an seiner Mütze befestigt war, zur Seite schob.
„Sie waren ausgezeichnete Gäste und gaben gutes Trinkgeld“, sagte er.
Adeles Augen verengten sich. Gäste. Trinkgeld. Beides Kommentare über die finanzielle Situation des Paares. Fast zu einfach. Aber auch aussagekräftig.
„Mochten Sie die Benevetis?”
„Wie gesagt“, sagte Otto zögernd. „Sie waren großzügig. Sie gaben sehr gutes Trinkgeld.”
„Ja, aber haben mochten Sie sie? Wenn sie kein gutes Trinkgeld gegeben hätten, wären Sie mit Mr. Beneveti ein Bier trinken gegangen?”
Otto machte eine Pause. „Ich glaube nicht, dass Mr. Beneveti getrunken hat. Nicht, dass ich wüsste. Sie waren nie in den Bars.”
„Das Resort hat seine eigenen Bars? Plural?”
„Ja“, sagte Otto zögernd. „Vier an der Zahl. Und ein paar der teureren Zimmer haben ihre eigenen.”
Adele versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Vielleicht musste sie noch einmal überdenken, wie exklusiv diese Einrichtung war. „In Ordnung. Fangen wir mit Mr. Beneveti an. Was hielten Sie von ihm? Abgesehen von seinem Trinkgeld.”
Otto hielt defensiv die Hände hoch und hob die Fersen, als ob er sich rückwärts auf die Tür zubewegte, sich dann aber wieder kontrollierte und ruhig stehen blieb. „Ich kannte den Mann nicht gut“, sagte er.
„Sie mochten ihn nicht, oder?”
Agent Marshalls Augen richteten sich auf Adele, man konnte ihr leichtes Stirnrunzeln schon sehen. Aber Adeles Blick blieb auf Otto gerichtet.
Der Diener kratzte sich erneut am Kinn und spielte dann wieder am Riemen seiner Mütze herum.
„Es gab ein paar Begegnungen mit Mr. Beneveti“, sagte Herr Klein vorsichtig, „die nicht besonders angenehm waren.”
Adele nickte. „Sie sind ein sehr höflicher Mann, Otto. Ich respektiere, dass Sie Ihre Arbeit auch jetzt noch so gewissenhaft machen. Aber dies ist eine Untersuchung. Eine Mordermittlung.”
Zu diesem Zeitpunkt änderte sich Ottos Verhalten zum ersten Mal. Zögerlich fiel seine Maske und wurde durch Schrecken und Angst ersetzt. Er starrte sie an. „Mord? Ich dachte, es handelt sich um einen Bärenangriff.”
Adele kniff ihre Augen zusammen. „Das stand in den Lokalnachrichten, oder?”
Otto nickte. „Auch die Resortbesitzer. Die Manager. Alle sagen es.”
Adele schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin noch nicht überzeugt. Wir haben den Bericht des Gerichtsmediziners noch nicht erhalten.”
Otto nickte. „Oh Gott! Das ist schrecklich. Niemand verdient das, nicht einmal…“
„Nicht einmal?“, sagte Adele und ergriff ihre Chance.
Mr. Klein errötete leicht, seine Wangen nahmen eine ähnliche Färbung an wie seine Uniform. Aber schließlich hüstelte er und sagte: „Mr. Beneveti konnte manchmal unhöflich und arrogant sein. Einmal bewarf er einen Freund von mir mit einem Drink. Er sagte, er würde dieses Gesöff nicht freiwillig trinken. Er übergoss den jungen Hilfskellner mit Wodka Tonic. Der Junge hatte nur die Bestellung falsch verstanden. Er hatte sie ins falsche Zimmer gebracht. Er bekam eine Abmahnung. Mrs. Beneveti ging zum Manager und versuchte, ihn feuern zu lassen.”
„Wurde er entlassen?”
Otto schüttelte den Kopf. „Nein, aber sie haben ihm andere Schichten zugeteilt. Sie haben seine Stunden gekürzt, damit er nicht mehr auf sie treffen konnte. Es kostete ihn die Miete für ein paar Monate. Der Rest von uns half ihm, so gut wir konnten. Mr. Beneveti war jähzornig. Er war reich, sehr reich. Und das war ihm bewusst.”
Otto verstummte und stellte fest, dass er mehr gesprochen hatte, als ihm vielleicht lieb war. Er zuckte verschämt mit den Achseln, seine Wangen röteten sich wieder. „Aber wie ich schon sagte, sie waren großzügig.”
Adele neigte den Kopf und stützte ihren Kopf auf ihrem Arm ab, während sie den Diener eingängig betrachtete. „Sonst noch etwas? Irgendwelche anderen Vorkommnisse? Sonst noch jemand, der einen Groll gegen das italienische Ehepaar gehegt haben könnte?”