Die Perfekte Nachbarin - Блейк Пирс 4 стр.


KAPITEL VIER

Kyle Voss wachte am nächsten Morgen auf und sprang behände aus dem Bett.

Sofort ließ er sich zu Boden fallen und machte 100 Liegestützen. Dann plankte er drei Minuten lang, gefolgt von 50 Liegestützsprüngen. Fünfzehn Minuten nach dem Aufstehen war er völlig verschwitzt, aber glücklich. Er ging ins Bad und zog sich aus.

Im Spiegel bewunderte er seinen Körper. Zwei Jahre im Gefängnis hatten zwar seine berufliche Karriere zum Stillstand gebracht, aber für seinen Körper waren sie ein Geschenk gewesen. Er war härter und fitter als er es seit seiner Zeit als Footballspieler in der High-School je gewesen war. Mit seinen knapp 1,90 Metern und soliden 98 Kilogramm war er der Meinung, dass man ihn durchaus für einen Spieler der National Football League halten könnte. Seine blonden Haare waren immer noch raspelkurz, eine Erinnerung an seinen Igelhaarschnitt vom Gefängnis. Seine blauen Augen waren klar.

Er stieg unter die Dusche, die er eiskalt aufgedreht hatte. Sorgsam wusch er jeden Zentimeter seiner Haut, darauf achtend, sich nicht zu beeilen und nicht zu zittern. Als er fertig war, trocknete er sich ab und zog seinen Lieblingsanzug an. Heute war ein wichtiger Tag, und er wollte gut aussehen.

Seit er aus dem Gefängnis entlassen worden war, hatte er sich bedeckt gehalten und die Grundlage für seine bevorstehenden Pläne gelegt, ohne allzu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber all das würde sich heute ändern. Heute würde er sich neu erfinden – und das vor den Augen der Öffentlichkeit. Das war ein bedeutender Schritt in seinem gesamten Plan, und alles musste reibungslos laufen. In seinem Magen spürte er ein leichtes Ziehen, und kurz darauf wurde ihm klar, dass das wohl die Nervosität sein musste.

Sein Tag war streng getaktet. Obwohl der Richter sein Verfahren eingestellt hatte, musste sich Kyle dennoch zweimal die Woche mit einem Bewährungshelfer treffen. Das machte ihm nichts aus. Bei diesen Treffen zu brillieren würde sich hundertfach bezahlt machen, wenn man irgendwann seinen Charakter anzweifeln würde.

Nach diesem Termin hatte er ein Meeting mit seiner kürzlich ins Leben gerufenen Stiftung WCP. Diese verteilte Gelder an Wohltätigkeitsorganisationen, die Häftlingen rechtlichen Beistand ermöglichten, wenn sie gegen falsche Anschuldigungen vorgehen wollten. Mit WCP konnte Kyle außerdem seine Buchhaltung etwas frisieren, was ihm schließlich dabei helfen würde, ein paar Freunden, die er hinter Gittern kennengelernt hatte, unter die Arme zu greifen.

Danach hatte er ein Interview mit einem lokalen Nachrichtensender, um über die Stiftung zu sprechen. Er hatte sich mit einer Medienexpertin getroffen, die ihm beigebracht hatte, wie er das Gespräch ausschließlich auf die Stiftung lenken konnte, ohne sich in unangenehme Fragen über die Gründe seiner Verurteilung verwickeln zu lassen – dieser ganze Kram mit Jessie. Das Interview war seine erste Testfahrt in diesen schwieriges Gewässern.

Anschließend würde er sich einem ganz anderen Thema widmen müssen. Er hatte einen Termin bei einer Vermögensverwaltung mit Sitz in Ranch Cucamonga, nicht weit von seinem Reihenhaus in Claremont entfernt. Er war in den kleinen College-Ort, etwa 50 Kilometer vom Zentrum von Los Angeles entfernt, gezogen, damit ihm niemand vorwerfen konnte, dass er sich seiner Ex-Frau unerlaubt näherte. Und wenn das Bewerbungsgespräch gut verlaufen sollte (seine Freunde in Monterrey hatten ihm versichert, dass es das würde), dann hätte er einen Legitimationsnachweis, der für das, was er für die nächsten Wochen und Monate geplant hatte, unabdingbar war.

Er brauchte die Glaubhaftigkeit und das Ansehen, das eine Position in einer hoch angesehenen Firma mit sich brachte. Außerdem brauchte er, auch wenn er es nicht gerne zugab, das Geld. Vor dieser ganzen Sache mit dem Mord hatte er einen schönen Batzen Geld verdient. Aber die Scheidung von Jessie und seine Anwälte hatten ein tiefes Loch in seine Konten gerissen. Zwar hatte er noch Zugang zu Finanzmitteln, die er während seiner Ehe geschickt verborgen gehalten hatte. Aber diese reichten nicht aus, um seine Stiftung am Laufen zu halten, seinen gewünschten Lebensstil zu finanzieren und die völlige Zerstörung der Welt seiner Ex-Frau in die Tat umzusetzen. Er brauchte dafür schlicht und ergreifend mehr Geld.

Gerade wollte er sein Frühstück beenden, da klingelte es an der Tür. Auf seinem Handy ließ er sich das Bild der Sicherheitskamera anzeigen und sah, dass es sich um seinen Bewährungshelfer handelte, was ihn nicht allzu sehr überraschte. Man hatte ihn vorgewarnt, dass solche unangekündigten Besuche nicht ungewöhnlich waren, und dass er sich dafür wappnen musste.

„Hi, Mr. Salazar“, sagte er, als er die Tür öffnete. „Ich dachte, wir treffen uns um neun in Ihrem Büro. Sie konnten es nicht erwarten, hm?“

„Sie sind sich hoffentlich bewusst, dass unangekündigte Besuche gestattet sind, Mr. Voss?“, fragte Salazar kurz angebunden.

„Natürlich“, erwiderte Kyle, als habe er ihn erwartet. „Ich dachte mir schon, dass Sie, nachdem ich so oft bei Ihnen war, endlich auch mal hier vorbeischauen. Ich bin gerade fertig mit dem Frühstück. Kann ich Ihnen was anbieten? Kaffee? Mein Rührei mit Käse ist der Hit.“

„Nein danke. Das hier wird nicht lange dauern. Ich wollte nur mal sehen, was Sie für diese Woche geplant haben, um sicherzugehen, dass Sie sich an die Vorgaben des Gerichts halten.“

„Na klar doch“, entgegnete Kyle munter, drehte sich um und ging zurück ins Haus. „Mein Terminkalender ist in der Küche.“

Salazar folgte ihm bedächtig. Kyle tat weiterhin so, als seien sie alte Freunde, die sich nach langer Zeit wiedersahen, schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein und stellte sie vor ihn auf den Tisch. Salazar nahm einen Schluck, trotz seiner vorherigen Ablehnung.

Kyle erläuterte ihm seinen Terminkalender, über den er nur wenige Augenblicke zuvor nachgedacht hatte, natürlich ohne ein paar gewisse Details. Innerhalb weniger Minuten konnte er sehen, dass Salazar zufriedengestellt war. Allerdings machte er weiter und schwadronierte über jeden Termin, den er diese Woche hatte. Sein Ziel war es, so entgegenkommend wie möglich zu wirken, so dass Salazar ihn nicht mehr so bald wieder zu Hause besuchen würde.

Es funktionierte. Weniger als zehn Minuten später machte sich der Bewährungshelfer wieder auf den Weg, mit einem To-Go-Becher Kaffee und einem Plastikbehälter mit Käse-Rührei in Händen, zu dem er dann doch nicht hatte Nein sagen können.

„Wir sehen uns am Freitag“, erinnerte er Kyle. „Punkt neun in meinem Büro.“

„Ich freu mich drauf.“

Fünf Minuten später verließ auch er das Haus. Er stieg sein Auto und winkte den FBI-Agenten, die an der gegenüberliegenden Straßenseite im Wagen saßen, zu. Dort saß, seit er eingezogen war, ununterbrochen jemand vom FBI. Innerlich ging er nochmal seinen Terminkalender durch. Er wusste, dass er zwischen all den Meetings und Interviews kaum Zeit haben würde, die bildhafte und physische Zerstörung von Jessie Hunt zu organisieren. Aber er war sich sicher, dass er es hinkriegen würde. Schließlich hatte er bereits hinter Gittern die Strippen gezogen, um ihre Karriere beinahe den Bach runtergehen zu lassen.

Dank der überragenden Hilfe des Monzon-Drogenkartells in Monterrey hatte er bereits alle möglichen Schandtaten für Jessie umsetzen lassen. Es hatte klein begonnen, indem die Kartell-Soldaten ihre Autoreifen aufgeschlitzt hatten. Dann war es damit weitergegangen, dass sie Drogen versteckt und anonym beim Sozialamt angerufen hatten, mit Andeutungen dazu, dass sie ihre Schwester misshandeln würde. Das Beste war gewesen, sich in ihre Social Media-Konten zu hacken und rassistische Parolen zu posten. Das hatte immer noch erhebliche Nachwehen, so dass seine Ex-Frau für viele in LA zur Persona non grata geworden war, auch wenn man sie genau genommen entlastet hatte.

Das Kartell sorgte dafür, dass es vor der Polizeistation, in der sie arbeitete, nach wie vor Proteste gab. Bald sollte ihr Auto mit Graffiti beschmiert werden. Und dann würden die richtig guten Sachen losgehen.

Zuerst war da die Auslöschung derjenigen, die ihr am nächsten standen. Und dann, wenn sie emotional am verletzlichsten war, würde er sie holen kommen und das tun, wovon er seit Jahren geträumt hatte. Zunächst hatte er vorgehabt, sie aufzuschlitzen und zuzusehen, wie sich ihr Gesicht vor Entsetzen zu einer Fratze verzerrte, während er ihr die Organe herausschnitt und sie vor ihren Augen verbrannte. Aber mittlerweile war ihm etwas viel Schrecklicheres in den Sinn gekommen. Er würde es dieser Schlampe heimzahlen, dass es sich gewaschen hatte.

KAPITEL FÜNF

Jessie kaute nervös an ihrem Muffin herum.

Während sie im Nickel Diner in der South Main Street auf Garland Moses wartete, hatte sie das seltsame Gefühl, dass sie jemand hinterging. Normalerweise arbeiteten sie und Ryan zusammen. Aber Ryan hatte letzte Nacht mit Garland in einem Fall in Manhattan Beach ermittelt. War ihre Zusammenarbeit in irgendeiner Weise ein persönlicher Angriff? Oder dieses gemeinsame Frühstück? Sie wusste, dass es im Grunde genommen ein lächerlicher Gedanke war. Dennoch ließ das Gefühl nicht nach.

Garland kam schließlich um 8.30 Uhr herein geschlurft, eine geschlagene halbe Stunde später als vereinbart. Seine weißen Haare sahen noch wilder und unordentlicher aus als sonst. Seine Brille schien ihm jeden Moment von der Nasenspitze rutschen zu wollen. Er sah noch nicht einmal auf, als er sich seinen Weg zu dem Tisch bahnte, den er, wie Jessie wusste, bevorzugte.

Sie nahm mit der Kellnerin Blickkontakt auf und bedeutete ihr, Garland einen Kaffee zu bringen, da er ziemlich fertig aussah. Wenn sie so lange aufgeblieben wäre, wäre auch sie müde, und sie war 30, keine 71.

„Lange Nacht?“, fragte sie, als er sich setzte.

Er lächelte reumütig.

„Ich bin zu spät ins Bett gegangen“, gestand er. „Bestimmt kann Ihnen das Ihr Freund bestätigen. Ich könnte jetzt wirklich einen Kaff…“

Er hielt inne, als eine Tasse vor ihn gestellt und aufgefüllt wurde.

„Sie haben meine Gedanken gelesen“, sagte er zur Kellnerin, die auf Jessie deutete.

„Nein, sie hat es.“

„Das nenne ich mal Profiling“, sagte er und nahm vorsichtig einen Schluck.

„Das ist kein Profiling, Garland. Zu wissen, dass Sie einen Kaffee möchten, wenn Sie hier reinkommen, ist, als wüsste man, dass die Sonne im Osten aufgeht.“

„Trotzdem vielen Dank“, erwiderte er.

„Wie ist es letzte Nacht gelaufen?“, fragte sie.

„Hat Ihnen Hernandez nichts erzählt?“

„Er ist gegangen, als ich gerade aufstehen wollte. Hat mich nicht wecken wollen. Sagt mir immer, ich solle mich ausruhen und so.“

„Vielleicht sollten Sie auf ihn hören“, bemerkte Garland fürsorglich. „Schließlich müssen Sie mit mehrfachen Verbrennungen, einem Schädel-Hirn-Trauma und einem angeknacksten Ego zurechtkommen.“

„Versuchen Sie etwa witzig zu sein, Garland?“, fragte sie. „Wenn ja, dann sollten Sie lieber bei Ihrem eigentlichen Job bleiben, den Sie nun offenbar auch nachts ausführen müssen.“

„Versuchen Sie nicht, das Thema zu wechseln“, konterte Garland. „Ich weiß, dass Sie eher zur Arbeit zurückkehren wollen, als es die Ärzte raten, und das sollten Sie nicht tun. Warten Sie, bis Ihr Körper soweit ist.“

„Woher wollen Sie wissen, dass ich früher zurückkehren will?“, fragte sie herausfordernd.

„Ganz einfach“, erwiderte er mit einem verschmitzten Lächeln. „Jedes Mal, wenn Sie sich drehen oder nach vorne beugen, zucken Sie unfreiwillig zusammen, was mich darauf schließen lässt, dass Sie die Dosis Ihrer Schmerzmittel gesenkt haben. Außerdem lehnen Sie sich nach vorne wie ein Schulmädchen, das sich davor fürchtet, von der Nonne einen Klaps auf die Hand zu bekommen, wenn es an seinem Tisch lümmelt.“

„Was hat das denn damit zu tun?“

„Sie haben Angst, dass Ihr Rücken die Lehne des Stuhls berührt, denn er ist noch immer empfindlich. Also sitzen Sie so steif da wie die folgsamste Klosterschülerin, die mir je untergekommen ist.“

Sie schüttelte den Kopf, sowohl aus Verärgerung als auch vor Bewunderung.

„Schon mal nachgedacht, Profiler zu werden?“

„Mit Schmeicheleien werden Sie weit kommen“, sagte er und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. „Aber ich meine es ernst. Sie sollten sich schonen. Außerdem, wenn Sie sich etwas aus der Öffentlichkeit raus halten, dann geraten diese rassistischen Posts bald in Vergessenheit.“

„Die Posts, die ich nicht geschrieben habe?“, erinnerte Jessie ihn.

„Darum geht es mittlerweile gar nicht mehr“, erwiderte er resigniert. „Egal, wie viele Beweise Sie erbringen, dass man Ihre Konten gehackt hat, manche Leute werden Sie immer noch für eine schreckliche Person halten wollen.“

„Sie finden also, ich sollte mich bedeckt halten, bis die Leute vergessen, dass sie der Meinung sind, ich sei ein Rassist?“, fragte Jessie misstrauisch.

Garland seufzte, wollte den Köder aber nicht schlucken.

„Vielleicht sollten Sie tun, was Ihre Freundin Kat tut“, schlug er vor.

Jessies Freundin, die Privatdetektivin Katherine „Kat“ Gentry, ließ gerade eine komplette neurologische Untersuchung an der Mayo Klinik in Phoenix über sich ergehen. Sie war während der Rettung der entführten Frau aus dem brennenden Haus dabei gewesen. Kat und Jessie hatten beide Gehirnerschütterungen erlitten, als eine Bombe am Tatort explodiert war.

Für Kat, die als Army Ranger in Afghanistan gedient hatte und stolz darauf war, ihre Narben, sowohl die äußeren als auch die inneren, zu ignorieren, war dies mindestens ihre sechste Untersuchung. Sie hatte schließlich eingewilligt, sich durchchecken zu lassen, als die Kopfschmerzen und das Klingeln in den Ohren nach zwei Wochen immer noch nicht abgeklungen waren. Sie würde noch fünf Tage in Arizona sein, bevor sie an diesem Wochenende zurückkehrte.

„Kat ist eine Militärveteranin, die sich mit PTBS, IED-Verletzungen und möglicherweise CTE herumschlägt“, sagte Jessie zu ihm. „Ich bin bloß eine Frau mit ein paar Verbrennungen.“

Garland setzte ein gütiges Lächeln auf.

„Das war eine ziemliche Buchstabensuppe, Jessie. Und auch wenn es stimmt, dass Ihre Freundin mit sehr ernsten Problemen zu kämpfen hat, das tun Sie auch. Sie hatten bereits mehrere Gehirnerschütterungen. Und Sie haben mehr Narben, sowohl physische als auch emotionale, als die meisten Soldaten. Wie viele von ihnen wurden von ihrem leiblichen Vater gefoltert, nachdem sie mit eigenen Augen erlebt haben, wie er ihre Mutter ermordet hat?“

„Wahrscheinlich einige“, erwiderte Jessie patzig.

„Und wie viele von ihnen mussten es mit demselben Vater in einem Kampf auf Leben und Tod aufnehmen? Und später seinen Protegé – ebenfalls ein Serienkiller – töten? Und sich mit ihrem soziopathischen Mörder von einem Ex-Mann anlegen? Und …“

„Ich hab’s kapiert, Garland“, unterbrach Jessie ihn.

Eine Weile saß er schweigend da.

„Ich will einfach nur sagen, dass Sie auf sich achtgeben müssen. Wenn schon nicht zu Ihrem eigenen Wohl, dann zumindest für Ihre jüngere Schwester und den schneidigen Detective, den Sie lieben. Diesen Beziehungen wird es nicht guttun, wenn Sie sich selbst nicht schonen. Geben Sie auf sich acht, und dann können Sie auch auf sie achtgeben.“

Sie nickte und biss ein Stückchen von dem Muffin ab, der sie aber nicht mehr sonderlich interessierte.

„Mir ist aufgefallen, dass auch Sie das Thema gewechselt haben“, bemerkte sie.

„Was?“

„Der Fall? Haben Sie ihn gelöst?“

„Kann jeden Moment soweit sein“, erwiderte er trocken.

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