Für Brenda war die Ranch ihr Leben, ihr Einkommen, und sie brauchte gute Arbeiter, um sie weiter bewirtschaften zu können. Sie trieb Rinderherden, seit sie reiten konnte. Sie hatte sich blaue Flecken beim Viehfüttern eingefangen, sich den Zeh beim Wechseln von Hufeisen gebrochen und das Handgelenk bei einem Viehtrieb, den sie selbst angeführt hatte. Egal welches Körperteil, sie verstauchte, zerrte und brach es im Laufe ihres Lebens als Boss dieser Ranch. Und in der ganzen Zeit hatte sie keinen Arbeitstag freigenommen.
Seit Brendas Eltern sich vor drei Jahren in den Ruhestand zurückgezogen hatten, bewältigte sie alles allein. Die Ranch hatte sie in dieser Zeit so profitabel gemacht, dass sie die Herde hatte vergrößern können, was den Arbeitsaufwand in die Höhe getrieben und ihr die Notwendigkeit beschert hatte, Arbeiter einzustellen.
Mit diesen Witzfiguren konnte sie die Arbeit allerdings auch gleich ganz allein machen. Manuel weigerte sich, die zugewiesenen Aufgaben auf Brendas Weise zu erledigen, sondern bestand auf althergebrachten Methoden. Und die anderen Männer hörten auf ihn, auch wenn sie diejenige war, die deren Gehaltsschecks ausstellte.
»Du solltest lieber zurück ins Haus gehen«, sagte Manuel. »Um deine Verletzung zu behandeln. Hier draußen ist eine gefährliche Welt.«
Den Rest des Satzes verkniff er sich. ›Für eine Frau‹, hatte er sagen wollen. Offenbar hatte er heute wenigstens eine Lektion gelernt.
Die ganze Misere heute hatte mit ihrem Vorschlag begonnen, den neu gekauften Bullen mit Zucker und Getreide zu locken, um ihn mit ihrem Brandzeichen zu versehen. Für Manuel war das neumodischer Firlefanz, und er war davor zurückgeschreckt. Dann hatte der Bulle ausgetreten.
Brenda war zu müde für einen Streit. Blut lief ihr in die Augen und machte es zu schwer, ihre Leute zu beaufsichtigen. Aber der Bulle hatte sein Brandzeichen, was Brenda nun als Eigentümerin auswies. Das war der wichtigste Punkt auf der heutigen To-do-Liste gewesen. Also konnte sie Schluss machen.
Sie rauschte lärmend durch die Hintertür des Haupthauses, direkt in die Küche. Abendessen brutzelte in der Pfanne. Ein perfekt gebratenes Steak. Mit geröstetem Kartoffelbrei frisch aus dem Ofen. Und dazu gebutterte grüne Bohnen.
Der Kühlschrank stand offen. Ein Körper bückte sich hinein. Die Tür wurde geschlossen und ein Mann mit Schürze richtete sich auf.
»Du bist ein wahres Gottesgeschenk«, entfuhr es Brenda.
»Und du blutest am Kopf. Aber ich sehe keine Dornen.«
Brenda berührte ihre Stirn mit der Hand. Warmes Blut färbte ihre Fingerspitzen rot. Glücklicherweise spürte sie keinen Schmerz.
»Wenn ich jetzt rausgehe, stolpere ich dann über einen toten Rancharbeiter, Bren?«
Seufzend machte sie ihrer Enttäuschung Luft. »Nein, Walter. Du musst heute keine letzte Ölung spenden.«
Ihr Bruder, Pastor Walter Vance, schnappte sich ein paar Papiertücher und drückte sie gegen die Wunde an Brendas Stirn.
»Autsch!«
Walter ignorierte sie. Das war nicht das erste Mal, dass er eine ihrer Verletzungen behandelte. Ein regelmäßiges Vorkommnis im Vance-Haushalt, seit sie Kinder gewesen waren. Dies mochte einer der Gründe gewesen sein, warum er zur Kirche gegangen war. »Erzähl. Was ist passiert?«
»Inkompetenz. Chauvinismus. Faulheit. Sonst nichts.«
»Ich dachte, Bautista wäre einer der Besten?«
»Vielleicht mal vor zwanzig Jahren. Die Zeiten haben sich geändert.«
»Gott sei Dank haben sie das. Durch die Maschinen, die du auf die Ranch gebracht hast, braucht es hier wesentlich weniger Arbeiter als in unserer Kindheit.«
Ihr Vater hatte ihnen beiden die Ranch zu gleichen Teilen vermacht. Doch Walter hatte seinen Anteil an Brenda abgegeben und war der Kirche beigetreten. Sie war ihm dafür dankbar. Insbesondere weil er kein Partner geblieben war. So musste sie ihm nicht sagen, wie teuer die neuen Gerätschaften und der neue Bulle gewesen waren. Sie hatte alles finanziert, und die erste Rate war bald fällig. Jetzt hatte sie nicht mehr genug Bares, um Rechnungen zu begleichen und die laufenden Kosten zu bezahlen.
»Bren, wenn etwas nicht stimmen würde, würdest du mir das sagen, oder?«
Nein, würde sie nicht. »Aber natürlich würde ich das.«
Brenda hatte früh gelernt, dass eine Lüge gegenüber einem Pastor nicht sofort einen Blitz vom Himmel fahren ließ. »Solange du zu mir rüberkommst und für mich kochst, ist alles gut.«
»Vielleicht solltest du heiraten.«
Brendas Besteck fiel klappernd auf den Teller. Das war das einzige Thema, bei dem ihr Bruder sich noch nicht weiterentwickelt hatte. Brenda hatte keinerlei Wunsch, zu heiraten. Männer bremsten sie nur aus. Bestes Beispiel: ihre Rancharbeiter.
»Du hast eine Ranch voller Soldaten als Nachbarn«, sagte Walter. »Ein paar davon sind auf der Suche und würden gerne in den nächsten neunzig Tagen heiraten. So wie es die Vorschrift dort verlangt.«
Genau deswegen blieb Brenda ihren Nachbarn auf der Purple Heart Ranch auch fern. Sie war sicher, dass diese merkwürdige Vorschrift illegal war. Doch bisher hatte sich niemand offiziell beschwert.
»Ist nicht einer der Soldaten mit deiner Verlobten durchgebrannt?«, fragte sie.
Beth Cartwright, eine Pastorentochter, war für kurze Zeit mit Walter verlobt gewesen. Doch dann war der Schwarm aus ihrer Kindheit, der im Dienst verschollen gewesen war, plötzlich zurückgekehrt, hatte sie im Sturm erobert und mit einem Heiratsantrag samt Verlobungsring überrascht.
»Reese ist ein guter Mann.« Trotz der bitteren Trennung schwang Ehrlichkeit in Walters Stimme. »Alle diese Soldaten sind gute Kerle.«
Walter war viel zu gutmütig und vergab schnell. Das gehörte wohl zu seiner Jobbeschreibung. Sie war Rancherin. Sie hatte keine Zeit dafür, für jemanden die Ehefrau zu spielen. Sie war viel zu beschäftigt mit ihren Rindern, mit mehr Reparaturarbeiten, als auf ein DIN-A4-Blatt passten – wohlgemerkt, mit einzeiligem Abstand – und mit nichtsnutzigen Rancharbeitern, die Brenda gerade zu ihren Trucks schlendern sah, obwohl die Sonne nicht einmal untergegangen war und noch bevor sie ihre Aufgaben erledigt hatten.
Nein. Sie war allein viel besser dran. Sie bezweifelte, dass sie jemals einem Mann erlauben würde, ihre Hand zu nehmen.
Kapitel Drei
Keaton betrachtete die Landschaft des amerikanischen Kernlandes, die gemächlich an ihm vorbeizog. Die braunen, majestätischen Berge mit ihren verschiedenfarbigen Gipfeln. Das ausgedehnte Weideland, das sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Es überraschte ihn, wie sehr diese wunderschöne Gegend der Landschaft Afghanistans, Iraks und Syriens glich. Der einzige Unterschied zwischen den Regionen hier und auf der anderen Seite der Welt lag darin, dass hier Hoffnung und Chancen in der frischen Bergluft lagen. In Kriegsgebieten herrschten dagegen naturgemäß Konflikt, Aufruhr und Hoffnungslosigkeit.
Bei jedem Einsatz in diesen Ländern hatte Keaton Männer jung sterben sehen. Er hatte erlebt, wie Frauen und Kinder jeden Tag litten. Er hatte gesehen, wie das Land von Politik und Projektilen verwüstet und zerrissen wurde.
Die Fahrt mit dem roten Jeep durch die Hauptstraße der kleinen Stadt in Montana war der krasse Gegensatz, wie Tag und Nacht. Durch die Fenster des Leihwagens sah Keaton Kinder die Straße entlang hüpfen. Mütter folgten ihren Sprösslingen in Yogahosen und Cowboystiefeln. Eine Gruppe alter Männer saß auf benachbarten Veranden, rauchte Pfeife und spuckte Tabak. Statt des metallischen Nachgeschmacks von Sprengstoffen und Munition lag der erdige Geruch von gebackenem Brot wunderbar schwer in der Luft.
Keaton konnte verstehen, warum die Soldaten der Purple Heart Ranch hierherkamen und nach dem Abschluss ihrer Reha blieben. Diese Gegend vermittelte Vertrautheit mit den Orten, an denen sie gedient hatten. Doch im Gegensatz dazu repräsentierten die Leute hier die Zukunft, für die sie in der Ferne gekämpft hatten, und sie boten ihnen eine Gemeinschaft an, zu der sie gehören durften.
In den vergangen sechs Jahren war Keaton nach jeder Mission an seinen Heimatort zurückgekehrt. Doch die Hektik der überfüllten Stadt hatte ihn unruhig gemacht. Die hohen, grauen Gebäude und der kalte Beton verunsicherten und beunruhigten ihn ebenso wie die leeren, mürrischen Blicke, mit denen ihn die Leute auf der Straße bedachten, und wie sie Fremden auf den Bürgersteigen auswichen. Soldaten dagegen sahen sich direkt in die Augen. Sie sprachen klar, und sie sprachen deutlich.
Also, nein. Keaton vertrug sich mit dem Zivilleben nicht besonders. Gleiches galt für die anderen Männer, wenn sie nach Hause fuhren. Keiner von ihnen wollte mehr in aktive Kampfhandlungen verwickelt werden. Aber sie wollten immer noch Action. Hier, wo es aussah wie in einem Kriegsgebiet, das in Frieden gehüllt war, sah Keaton die Chance, ein neues Leben aufzubauen. Nicht nur für sich, sondern auch für seine Männer.
Dreißig Minuten später erreichte er die Tore zur Ranch. Das Zeichen der purpurnen Glockenblume an den Eisengittern zeigte ihm, dass er am richtigen Ort war. Die lilienartige Blume war das Symbol der verwundeten Krieger. Im Gras an der Seite des befestigten Weges wuchsen ein paar der purpurnen Gewächse. Sie kamen in dieser Gegend häufig vor und schienen hier wild zu wachsen. Kein Wunder, dass sich die verwundeten Veteranen auf der Ranch willkommen fühlten.
Keaton fuhr durch das Tor und folgte dem Schotterweg weiter. Die Ranch beherbergte Soldaten in verschiedenen Stadien der Genesung. Männer mit Beinprothesen ritten hart auf Pferden an ihm vorüber. Ein paar Wegbiegungen weiter entdeckte Keaton einen Gemüsegarten, in dem Männer ohne Finger oder Arme den Boden umgruben. Aus einer Scheune traten Soldaten mit Brandverletzungen im Gesicht, an den Armen und Beinen. Die Männer versorgten eine ganze Menagerie von Farmtieren. Schafe und Ziegen rieben sich an ihren vernarbten Gliedmaßen, als würden sie die Verletzungen gar nicht bemerken.
Keaton und seine Crew hatten das Glück gehabt, mit gesunden Gliedmaßen und intaktem Verstand zurückgekehrt zu sein. Hätte einer von ihnen Verletzungen erlitten, wäre dieser Ort für die Genesung der Beste gewesen. Außerdem hoffte Keaton, dass jeder neue Soldat, der seine Fähigkeiten erweitern wollte, ans andere Ende der Ranch kommen würde, wo das Trainingscamp geplant war.
Keaton parkte den Jeep vor dem großen Haus am Ende der Sackgasse. An keinem der Häuser waren Nummern angebracht. Die Anweisungen, die man ihm gegeben hatte, lauteten lapidar, er solle bis ans Ende der Straße fahren.
Keaton sprang aus dem Jeep und sah den Mann, den er hier treffen wollte. Dylan Banks kam aus einem der Häuser heraus. Er trug ein Jeanshemd und Khakishorts. Das eine Bein war sonnengebräunt, das andere aus Stahl.
»Keaton, du hast’s geschafft.«
»Schön, dich wiederzusehen, Banks.«
Die beiden Männer schüttelten die Hände. Eine von Kämpfen gezeichnete Hand fand die andere. Raue Finger griffen zu und zogen. Die alten Freunde umarmten sich mit viel Rückenklopfen. Keaton hatte mit Sergeant Dylan Banks in mehr als einer Mission gedient. Der Mann war scharfsinnig und konnte in den schwierigsten Situationen improvisieren.
»Eine großartige Einrichtung habt ihr hier«, sagte Keaton. »Ich habe nichts als Gutes über diese Ranch gehört.«
»Wir nehmen sie alle auf. Die Müden, die Armen, die geknechteten Massen.«
»Steht das nicht auf der Freiheitsstatue?« Keaton lachte.
»Tja, jetzt nehmen wir auch so erbärmlichen Unrat wie Army Ranger.«
Banks holte mit dem Arm aus und ballte die Faust. Keaton ließ den Schlag kommen und hielt gutmütig still.
»Ist Banksy-wanksy immer noch sauer, weil er den Fitnesstest nicht bestanden hat?«, neckte er.
»Ach, halt die Klappe«, erwiderte Banks ohne Feuer dahinter. »Es haben nur ein paar Punkte gefehlt. Ich bin beim Überlebenstraining im Wasser beinahe abgesoffen.«
»Du kommst von einer Insel«, erinnerte Keaton ihn.
»Ich bin aus New York City.«
Keaton zuckte mit den Achseln. Army Ranger zu werden war nun mal kein Witz oder eine Spielerei. Jeden Monat kamen mehr als vierhundert willige Seelen nach Fort Benning, Georgia, in der Hoffnung, es draufzuhaben und die Herausforderungen zu meistern. Einundfünfzig Prozent mussten wieder nach Hause gehen und ihre Hoffnungen im Schlamm begraben. Der einzige Grund, warum Keaton das Training überstanden hatte, war der, dass er sich wie ein Wahnsinniger auf die körperlichen Prüfungen vorbereitet hatte.
Genau das war der Plan für das Trainingscamp. Andere wie damals sich selbst so zu trainieren, dass sie die Prüfungen würden meistern können. Boots on the Ground Elite Training war sein Traum. Ein Traum, von dem Keaton nichts gewusst hatte, bevor er den Albtraum der United States Army Ranger Schule durchlaufen hatte. Ihm war klar, dass er keinen Soldaten vollständig für diese Erfahrung würde vorbereiten können. Jeder, der sein Training absolvierte, würde allerdings eine höhere Chance haben durchzukommen.
»In einem Jahr wird dein Camp laufen«, sagte Banks.
»In einem Jahr? Ich plane, die Türen binnen neunzig Tagen zu öffnen.«
Banks rieb sich die Stoppeln am Kinn und betrachtete Keaton. Der ungläubige Ausdruck in seinen Augen sagte alles.
Keaton hob abwehrend die Hände. »Ich weiß. Das ist ambitioniert. Aber ich habe einen soliden Plan aufgestellt. Das klappt, solange der Plan sorgfältig ausgeführt wird.«
»Aber natürlich hast du einen Plan.« Banks lachte und klopfte Keaton erneut auf den Rücken. »Ich bin mir sicher, dass du das schaffst. Erstaunliche Dinge können in neunzig Tagen geschehen, insbesondere auf dieser Ranch.«
Jetzt kratzte sich Keaton am Kinn. Er wusste, worauf Banks hinauswollte. Viele Männer, die hierherkamen, um ihre Wunden zu heilen, heirateten innerhalb dieser Zeitspanne. Legenden zufolge lag das aber nicht an dieser Vorschrift. Viele glaubten eher, dass das Land selbst dafür verantwortlich war.
Keaton war kein abergläubischer Mensch. Es war auch egal, denn er hatte nicht vor, auf diesem Land zu leben. Er würde dort nur arbeiten. Vorschrift hin, Legenden her. Es konnte somit keine Auswirkungen auf ihn oder das Projekt haben.
»Lass uns das Grundstück anschauen, das du geleast hast«, schlug Banks vor.
Sie sprangen in einen Golfkarren und brausten los. Keaton hatte die Landschaft schon von weitem als schön empfunden. Aus der Nähe betrachtet war sie allerdings noch atemberaubender. Die Farben wechselten vom Grün der Weiden über das Braun des fruchtbaren Bodens zu einer Regenbogenorgie von Blüten. Dazwischen verteilt grasten braune, weiße und schwarze Pferde. Schafe mit flauschigem Pelz … und eine Ansammlung der unterschiedlichsten Köter, die Keaton je untergekommen war.
Fünf Hund bellten, als sie vorbeifuhren. Ein paar trugen Prothesen. Einer sogar einen Rollstuhl an den Hinterbeinen.
»Das sind meine«, erklärte Banks. »Naja, eigentlich gehören sie meiner Frau. Aber sie brachte sie mit in die Ehe. Also …«
Keaton machte sich gar nicht erst die Mühe, die Merkwürdigkeit dieses Ortes zu hinterfragen. Er hielt den Blick auf die Landschaft gerichtet und machte sich mental Notizen, wie seine Kunden zur Trainingseinrichtung gelangen sollten. Hier, am Rande der Ranch, sah Keaton seine Vision zum Leben erwachen. Dort, auf dem unberührten Land, würde er eine Schlammgrube trockenlegen und seinen Schülern die Freuden des Krabbenlaufens, der Liegestütze und der Sit-ups nahebringen.