Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке - Йозеф Рот 7 стр.


Sehr oft träumte er von jener Stunde, in der er die Stiege hinuntergegangen und dem Spitzel mit dem gelüfteten Zylinder begegnet war. Zugleich sah er sich auch die glatte, steinerne Rampe hinuntergleiten. Die Frauen freuten ihn nicht mehr, der Dienst langweilte ihn, die Kameraden liebte er nicht, der Oberst war fad. Die Stadt war fad, das Leben war noch schlimmer als fad. Es gab im Vokabular Taittingers dafür keinen Ausdruck.

Er glitt und sank. Er fühlte sich auch gleiten und sinken. Er hätte gerne mit jemandem darüber gesprochen, mit Mizzi Schinagl zum Beispiel, von der er auch manchmal träumte. Aber es war ihm, als sei er zu stumm und zu stumpf, um das Richtige und Wahre sagen zu können. Er schwieg also. Und er trank.

Indessen dauerte der große Rausch der Mizzi Schinagl kaum drei Wochen. Berauscht war übrigens auch das ganze Haus der Frau Josephine Matzner. Berauscht war ganz Sievering, als es vom alten Pfeifenhändler Schinagl erfuhr, daß seine Tochter zum Gefolge des Schahs von Persien nunmehr gehörte und nach Teheran zu fahren gedenke. Denn dermaßen umgeformt kam die Kunde von dem morgenländischen Abenteuer der Mizzi nach Sievering. Der Zwischenträger und Gerüchteträger gab es viele. Die erste Nachricht brachte der Friseur Xandl. Zuerst glaubte man ihm nicht; er kränkte sich darüber so sehr, daß er die Mizzi anflehte, selber zu ihrem Vater zu gehn. Sie tat es endlich. Sie fuhr im Zweispänner vor. Als sie einstieg, setzte sich der Friseur Xandl an ihre Seite, und er blieb auch längere Zeit auf seinem Platze. Aber als sie sich Sievering näherten, wechselte er den Platz: er setzte sich Mizzi gegenüber auf den Rücksitz.

Das Wiedersehen war herzlich, ja herzerschütternd. Der alte Schinagl weinte. Es waren kaum sechs Monate seit dem Tage vergangen, an dem er ganz Sievering versichert hatte, daß er seine Tochter verstoßen habe und daß er entschlossen sei, sie nie mehr im Leben wiederzusehn. Aber was kann der Mensch gegen die Gewalt des Goldes? Man sah den alten Schinagl die verstoßene Tochter umarmen.

Als Mizzi Schinagl den Laden ihres Vaters verließ, bildeten die Leute draußen eine kleine Gasse. Die Schinagl war lieblich und rührend anzusehn, in ihrem dunkelgrauen Kostüm, mit ihrem großen Hut aus blauem Tuch und dem hellgrauen Sonnenschirm in der Hand. Keine andere Herrscherin hätten die Leute aus Sievering dem befreundeten persischen Lande wünschen können. Sie lächelte, sie grüßte, sie stieg ein, und ihr gegenüber nahm wieder der Friseur Xandl auf dem Rücksitz Platz. Die Peitsche des Kutschers knallte diskret und munter. Dahin, dahin, in die Stadt zurück rollte der Fiaker, und Mizzi winkte mit einem weißen Handschuh. Der alte Schinagl stand vor der Tür und weinte.

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