Der Golem / Голем - Густав Майринк 4 стр.


Er schwelgte förmlich in dem Gefühl, für eine Art höheren Wesens gehalten zu werden, in dessen Hände das Wohl und Wehe seines Mitmenschen gelegt ist.

Das hilflose Opfer aber saß, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen vor ihm, Angstschweiß auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede zu fallen, aus Furcht: ihn den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte zu erzürnen.

Und mit den Worten, daß er zur Operation leider erst in einigen Monaten schreiten könne, wenn er von seiner Reise wieder zurück sei, schloß Dr. Wassory seine Rede.

Hoffentlich man solle in solchen Fällen immer das Beste hoffen sei es dann nicht zu spät, sagte er.

Natürlich sprangen dann die Kranken entsetzt auf, erklärten, daß sie unter gar keinen Umständen auch nur einen Tag länger warten wollten, und baten flehentlich um Rat, wer von den andern Augenärzten in der Stadt sonst wohl als Operateur in Betracht kommen könnte.

Da war der Augenblick gekommen, wo Dr. Wassory den entscheidenden Schlag führte.

Er ging in tiefem Nachdenken auf und ab, legte seine Stirn in Falten des Grams und lispelte schließlich bekümmert, ein Eingriff seitens eines andern Arztes bedinge leider eine abermalige Bespiegelung des Auges mit elektrischem Licht, und das müsse der Patient wisse ja selbst, wie schmerzhaft es sei wegen der blendenden Strahlen geradezu verhängnisvoll wirken.

Ein andrer Arzt also, ganz abgesehen davon, daß so manchem von ihnen gerade in der Iridektomie die nötige Übung fehle dürfe, eben weil er wiederum von neuem untersuchen müsse, gar nicht vor Ablauf längerer Zeit, bis sich die Sehnerven wieder erholt hätten, zu einem chirurgischen Eingriff schreiten.

Charousek ballte die Fäuste.

«Das nennen wir in der Schachsprache Zugzwang, lieber Meister Pernath!  Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang,  ein erzwungener Zug nach dem andern.

Halb wahnsinnig vor Verzweiflung beschwor nun der Patient den Dr. Wassory, er möge doch Erbarmen haben, einen Tag nur seine Abreise verschieben und die Operation selber vornehmen.  Es handle sich doch um mehr als um schnellen Tod, die grauenhafte, folternde Angst, jeden Augenblick erblinden zu müssen, sei ja das Schrecklichste, was es geben könne.

Und je mehr das Scheusal sich sträubte und jammerte: ein Aufschub seiner Reise könne ihm unabsehbaren Schaden bringen, desto höhere Summen boten freiwillig die Kranken.

Schien schließlich die Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er nach und fügte bereits am selben Tage, ehe noch ein Zufall seinen Plan aufdecken konnte, den Bedauernswerten an beiden gesunden Augen jenen unheilbaren Schaden zu, jenes immerwährende Gefühl des Geblendetseins, das das Leben zu stetiger Qual gestalten mußte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein für allemal verwischte.

Durch solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht nur seinen Ruhm und seinen Ruf als unvergleichlicher Arzt, dem es noch jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten,  es befriedigte gleichzeitig seine maßlose Geldgier und frönte seiner Eitelkeit, wenn die ahnungslosen, an Körper und Vermögen geschädigten Opfer zu ihm wie zu einem Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.

Nur ein Mensch, der mit allen Fasern im Getto und seinen zahllosen, unscheinbaren, jedoch unüberwindlichen Hilfsquellen wurzelte und von Kindheit an gelernt hat, auf der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden Menschen in der Stadt kannte und bis ins kleinste seine Beziehungen und Vermögensverhältnisse erriet und durchschaute,  nur ein solcher «Halbhellseher» möchte man es beinahe nennen,  konnte jahrelang derartige Scheußlichkeiten verüben.

Und wäre ich nicht gewesen, bis heute triebe er sein Handwerk noch, würde es bis ins hohe Alter weiterbetrieben haben, um schließlich als ehrwürdiger Patriarch im Kreise seiner Lieben, angetan mit hohen Ehren, künftigen Geschlechtern ein leuchtendes Vorbild, seinen Lebensabend zu genießen, bis bis endlich auch über ihn das große Verrecken hinweggezogen wäre.

Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener Atmosphäre höllischer List gesättigt, und so vermochte ich ihn zu Fall zu bringen,  so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen,  wie aus heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.

Dr. Savioli, ein junger deutscher Arzt, hat das Verdienst der Entlarvung,  ihn schob ich vor und häufte Beweis auf Beweis, bis der Tag anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.

Da beging die Bestie Selbstmord!  Gesegnet sei die Stunde!

Als hätte mein Doppelgänger neben ihm gestanden und ihm die Hand geführt, nahm er sich das Leben mit jener Phiole Amylnitrit, die ich absichtlich in seinem Ordinationszimmer bei der Gelegenheit hatte stehenlassen, als ich selbst ihn einmal verleitet, auch an mir die falsche Diagnose des grünen Stars zu stellen,  absichtlich und mit dem glühenden Wunsche, daß es dieses Amylnitrit sein möchte, das ihm den letzten Stoß geben sollte.

Der Gehirnschlag hätte ihn getroffen, hieß es in der Stadt.

Amylnitrit tötet, eingeatmet, wie Gehirnschlag. Aber lange konnte das Gerücht nicht aufrechterhalten werden».

Charousek starrte plötzlich geistesabwesend, als habe er sich in ein tiefes Problem verloren, vor sich hin, dann zuckte er mit der Achsel nach der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trödlerladen lag.

«Jetzt ist er allein», murmelte er, «ganz allein mit seiner Gier und und und mit der Wachspuppe!»

Mir schlug das Herz bis zum Hals.

Ich sah Charousek voll Entsetzen an.

War er wahnsinnig? Es mußten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge erfinden ließen.

Gewiß, gewiß! Er hat alles erfunden, geträumt!

Es kann nicht wahr sein, was er da über den Augenarzt Grauenhaftes erzählt hat. Er ist schwindsüchtig, und die Fieber des Todes kreisen in seinem Hirn.

Und ich wollte ihn mit ein paar scherzenden Worten beruhigen, seine Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.

Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein Zimmer mit runden Fischaugen durch die aufgerissene Tür hereingeschaut hatte.

Dr. Savioli! Dr. Savioli!  ja, ja, so war auch der Name des jungen Mannes gewesen, den mir der Marionettenspieler Zwakh flüsternd anvertraut als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.

Dr. Savioli!  Wie ein Schrei tauchte es in meinem Innern auf. Eine Reihe nebelhafter Bilder zuckte durch meinen Geist, jagte sich mit schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstürmten.

Ich wollte Charousek fragen, ihm voll Angst rasch alles erzählen, was ich damals erlebt, da sah ich, daß ein heftiger Hustenanfall sich seiner bemächtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie er sich mühsam mit den Händen an der Mauer stützend in den Regen hinaustappte und mir einen flüchtigen Gruß zunickte.

Ja, ja, er hat recht, er sprach nicht im Fieber,  fühlte ich,  das unfaßbare Gespenst des Verbrechens ist es, das durch diese Gassen schleicht Tag und Nacht und sich zu verkörpern sucht.

Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. Plötzlich schlägt es sich nieder in einer Menschenseele,  wir ahnen es nicht,  da, dort, und ehe wir es fassen können, ist es gestaltlos geworden und alles längst vorüber.

Und nur noch dunkle Worte über irgendein entsetzliches Geschehnis kommen an uns heran.

Mit einem Schlage begriff ich diese rätselhaften Geschöpfe, die rings um mich wohnten, in ihrem innersten Wesen: sie treiben willenlos durchs Dasein von einem unsichtbaren magnetischen Strom belebt so, wie vorhin das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vorüberschwamm.

Mir war, als starrten die Häuser alle mit tückischen Gesichtern voll namenloser Bosheit auf mich herüber,  die Tore: aufgerissene schwarze Mäuler, aus denen die Zungen ausgefault waren,  Rachen, die jeden Augenblick einen gellenden Schrei ausstoßen konnten, so gellend und haßerfüllt, daß es uns bis ins Innerste erschrecken müßte.

Was hatte zum Schluß noch der Student über den Trödler gesagt?  Ich flüsterte mir seine Worte vor: Aaron Wassertrum sei jetzt allein mit seiner Gier und seiner Wachspuppe.

Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?

Es muß ein Gleichnis gewesen sein, beschwichtigte ich mich,  eines jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen zu überfallen pflegt, die man nicht versteht, und die einen, wenn sie später unerwartet sichtbar werden, so tieferschrecken können wie die Dinge von ungewohnter Form, auf die plötzlich ein greller Lichtstreif fällt.

Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck, den mir Charouseks Erzählung verursacht hatte, abzuschütteln.

Ich sah die Leute genauer an, die mit mir in dem Hausflur warteten: Neben mir stand jetzt der dicke Alte. Derselbe, der vorhin so widerlich gelacht hatte.

Er hatte einen schwarzen Gehrock an und Handschuhe und starrte mit vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenüber.

Sein glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Zügen zuckte vor Erregung.

Unwillkürlich folgte ich seinen Blicken und bemerkte, daß sie wie gebannt an der rothaarigen Rosina hingen, die drüben jenseits der Gasse stand, ihr immerwährendes Lächeln um die Lippen.

Der Alte war bemüht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, daß sie es wohl wußte, aber sich benahm, als verstünde sie nicht.

Endlich hielt es der Alte nicht länger aus, watete auf den Fußspitzen hinüber und hüpfte mit lächerlicher Elastizität wie ein großer schwarzer Gummiball über die Pfützen.

Man schien ihn zu kennen, denn ich hörte allerhand Glossen fallen, die darauf hinzielten. Ein Strolch hinter mir, ein rotes, gestricktes Tuch um den Hals, mit blauer Militärmütze, die Virginia hinter dem Ohr, machte mit grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand.

Ich begriff nur, daß sie den Alten in der Judenstadt den «Freimaurer» nannten und in ihrer Sprache mit diesem Spitznamen jemand bezeichnen wollten, der sich an halbwüchsigen Mädchen zu vergehen pflegt, aber durch intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. 

Dann waren das Gesicht Rosinas und der Alte drüben im Dunkel des Hausflures verschwunden.

Punsch

Wir hatten das Fenster geöffnet, um den Tabakrauch aus meinem kleinen Zimmer strömen zu lassen.

Der kalte Nachtwind blies herein und wehte an die zottigen Mäntel, die an der Türe hingen, daß sie leise hin und her schwankten.

«Prokops würdige Haupteszierde möchte am liebsten davonfliegen», sagte Zwakh und deutete auf des Musikers großen Schlapphut, der die breite Krempe bewegte wie schwarze Flügel.

Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern.

«Er will», sagte er, «er will wahrscheinlich »

«Er will zum Loisitschek zur Tanzmusik», nahm ihm Vrieslander das Wort vorweg.

Prokop lachte und schlug mit der Hand den Takt zu den Klängen, die die dünne Winterluft her über die Dächer trug.

Dann nahm er meine alte, zerbrochene Gitarre von der Wand, tat, als zupfe er die zerbrochenen Saiten und sang mit kreischendem Falsett und gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied:

«Wie großartig er mit einem Mal die Gaunersprache beherrscht!» und Vrieslander lachte laut auf und brummte mit:

«Dieses kuriose Lied schnarrt jeden Abend beim Loisitschek der meschuggene Nephtali Schaffranek mit dem grünen Augenschirm, und ein geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grölt den Text dazu», erklärte mir Zwakh. «Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen, Meister Pernath. Später vielleicht, wenn wir mit dem Punsch zu Ende sind,  was meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?»

«Ja, ja, kommen Sie nachher mit uns», sagte Prokop und klinkte das Fenster zu,  «man muß so etwas gesehen haben».

Dann tranken wir den heißen Punsch und hingen unsern Gedanken nach.

Vrieslander schnitzte an einer Marionette.

«Sie haben uns förmlich von der Außenwelt abgeschnitten, Josua», unterbrach Zwakh die Stille, «seit Sie das Fenster geschlossen haben, hat niemand mehr ein Wort gesprochen».

«Ich dachte nur darüber nach, als vorhin die Mäntel so flogen, wie seltsam es ist, wenn der Wind leblose Dinge bewegt», antwortete Prokop schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: «Es sieht gar so wunderlich aus, wenn Gegenstände plötzlich zu flattern anheben, die sonst immer tot daliegen. Nicht?  Ich sah einmal auf einem menschenleeren Platz zu, wie große Papierfetzen,  ohne daß ich vom Winde etwas spürte, denn ich stand durch ein Haus gedeckt,  in toller Wut im Kreise herumjagten und einander verfolgten, als hätten sie sich den Tod geschworen. Einen Augenblick später schienen sie sich beruhigt zu haben, aber plötzlich kam wieder eine wahnwitzige Erbitterung über sie, und in sinnlosem Grimm rasten sie umher, drängten sich in einen Winkel zusammen, um von neuem besessen auseinander zu stieben und schließlich hinter einer Ecke zu verschwinden.

Nur eine dicke Zeitung konnte nicht mitkommen; sie blieb auf dem Pflaster liegen und klappte haßerfüllt auf und zu, als sei ihr der Atem ausgegangen und als schnappe sie nach Luft.

Ein dunkler Verdacht stieg damals in mir auf: was, wenn am Ende wir Lebewesen auch so etwas Ähnliches wären wie solche Papierfetzen?  Ob nicht vielleicht ein unsichtbarer, unbegreiflicher «Wind» auch uns hin und her treibt und unsre Handlungen bestimmt, während wir in unserer Einfalt glauben unter eigenem, freiem Willen zu stehen?

Wie, wenn das Leben in uns nichts anderes wäre als ein rätselhafter Wirbelwind? Jener Wind, von dem die Bibel sagt: Weißt du, von wannen er kommt und wohin er geht?  Träumen wir nicht auch zuweilen, wir griffen in tiefes Wasser und fingen silberne Fische, und nichts anderes ist geschehen, als daß ein kalter Luftzug unsere Hände traf?»

«Prokop, Sie sprechen in Worten wie Pernath, was ists mit Ihnen?» sagte Zwakh und sah den Musiker mißtrauisch an.

«Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erzählt wurde,  schade, daß Sie so spät kamen und sie nicht mit anhörten,  hat ihn so nachdenklich gestimmt», meinte Vrieslander.

«Eine Geschichte von einem Buche?»

«Eigentlich von einem Menschen, der ein Buch brachte und seltsam aussah.  Pernath weiß nicht, wie er heißt, wo er wohnt, was er wollte, und obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen sein soll, lasse es sich doch nicht recht schildern».

Zwakh horchte auf.

«Das ist sehr merkwürdig», sagte er nach einer Pause, «war der Fremde vielleicht bartlos, und hatte er schrägstehende Augen?»

«Ich glaube», antwortete ich, «das heißt, ich ich weiß es ganz bestimmt. Kennen Sie ihn denn?»

Der Marionettenspieler schüttelte den Kopf. «Er erinnerte mich nur an den Golem».

Der Maler Vrieslander ließ sein Schnitzmesser sinken:

«Golem?  Ich habe schon so viel davon reden hören. Wissen Sie etwas über den Golem, Zwakh?»

«Wer kann sagen, daß er über den Golem etwas wisse?», antwortete Zwakh und zuckte die Achseln. «Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines Tages in den Gassen ein Ereignis vollzieht, das ihn plötzlich wieder aufleben läßt. Und eine Zeitlang spricht dann jeder von ihm, und die Gerüchte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so übertrieben und aufgebauscht, daß sie schließlich an der eigenen Unglaubwürdigkeit zugrunde gehen. Der Ursprung der Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurück, sagt man. Nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner da einen künstlichen Menschen den sogenannten Golem verfertigt haben, damit er ihm als Diener helfe die Glocken in der Synagoge läuten, und allerhand grobe Arbeit tue.

Назад Дальше