Justiz - Фридрих Дюрренматт 13 стр.


Noch berühmter Bertholds Urenkel, Jakobus der Dritte (1470–1517). Er baute so berühmte Geschütze wie die > Vier Evangelien

Hilfswerkstätte< für Prothesen umwandelte, nach seinem frühen Tod baute sein Bruder Gabriel weiter aus, stellte jegliche nur denkbare Art von Prothesen her, Hand-, Arm-, Fuß-, Beinprothesen, heute versorgt die Hilfswerkstätte den Weltmarkt auch mit Endoprothesen (künstliche Hüften, Gelenke usw.) und mit extrakorporellen Prothesen (künstliche Nieren, Lungen). Den Weltmarkt: der Ausdruck ist nicht übertrieben. Erzielt durch hartnäckige Leistung, durch Qualität, doch vor allem durch entschlossenes Ausnützen der Lage durch den rücksichtslosen Ankauf aller ausländischen Prothesenhersteller (meist Kleinbetriebe). Diese neue Generation begriff die Möglichkeiten, welche die Neutralität unseres Staates einem Prothesenfabrikanten bietet, als die Freiheit nämlich, gleich alle Parteien zu beliefern, Sieger und Besiegte im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Regierungstruppen, Partisanen und Rebellen heute. Ihre Devise:»Steiermann für die Opfer«, wenn sich auch unter Lüdewitz die Produktion der Hilfswerkstätte heute wieder dem ursprünglichen Charakter nähert, der Begriff Prothese ist dehnbar. Der Mensch sucht sich gegen einen Schlag unwillkürlich mit der Hand zu schützen, ein Schild ist damit eine Prothese der Hand, auch ein Stein, den er wirft, eine Prothese der geballten Hand, der Faust; diese Dialektik einmal begriffen, fällt auch die Waffenproduktion, welche die Hilfswerkstätte wiederaufgenommen hat, durchaus unter den Begriff Prothese: Panzer, Maschinenpistolen und Geschütze können als eine Weiterentwicklung der Handprothese gelten. Man sieht, ein erfolgreiches Geschlecht. Stellten die Steiermänner allesamt einfache, rüde, unkomplizierte Gesellen dar, treue Ehemänner, die schwer schufteten, öfters zu Geiz neigten, mit einer manchmal erfrischenden, souveränen Verachtung des Geistes, die es im Bildersammeln nur bis zu einer schwächeren Fassung der Toteninsel brachten und im Sport ausschließlich den Fußball förderten (auch dies mäßig, was den schwierigen Stand des FC Trög in der ersten Liga beweist), so waren die Frauen von einem anderen Kaliber. Entweder große Huren oder große Betschwestern, doch nie beides miteinander, wobei die Huren stets häßlich waren, starke Jochbögen, lange Nasen und breite zusammengekniffene Münder aufwiesen, die Betschwestern dagegen exquisite Schönheiten darstellten. Was nun Monika Steiermann betrifft, die in der Affäre des Dr.h.c. Isaak Kohler unvermutet eine Haupt-, ja eine Doppelrolle spielen sollte, so zählte sie dem Aussehen nach zu den Betschwestern, nach ihrem Lebenswandel beurteilt zu den großen Huren: Nach dem Tod ihrer Eltern (Gabriel Steiermann heiratete 1920 Stefanie Lüdewitz), die auf dem Fluge nach London abstürzten (genauer: verlorengingen, denn weder Eltern noch Privatflugzeug wurden je wiedergefunden), und nach dem tragischen Ende ihres Bruders Fritz, der an der Côte d'Azur unter- und nicht mehr auftauchte, erbte sie, 1930 geboren, das stattlichste Vermögen unseres Landes, während der Prothesenkonzern von ihrem Onkel mütterlicherseits geleitet wurde. Monikas Lebenswandel freilich war weitaus schwieriger zu leiten. Die wildesten und oft lächerlichsten Gerüchte gingen über dieses Mädchen um, verdichteten sich zu Beinahe-Gewißheiten, lösten sich wieder auf, wurden dementiert — stets von Onkel Lüdewitz — und gerade deshalb aufs neue geglaubt, bis ein neuer, noch großartigerer Skandal alles Vorhergewesene übertraf, worauf das Spiel von neuem begann. Man blickte auf die sittenlose Erbin von Abermillionen zwar mißbilligend, doch mit geheimem Stolz, neidisch — die kann sich alles leisten —, doch dankbar, man kam schließlich auf seine Kosten. Die Steiermann wurde die offizielle» Femme fatale mit Weltniveau «einer Stadt, deren Ruf auf der einen Seite durch krampfhafte Bemühungen von Behörde, Kirche und gemeinnützigen Vereinen verzweifelt hochgehalten wurde, auf der anderen Seite durch ihre Strichjungen wieder in Frage gestellt wurde: Durch diese und durch ihre Banken, nicht durch ihre Dirnen, wurde unsere Stadt ein internationaler Begriff. Man atmete beinahe auf. Der Doppelruf, zugleich prüde und schwul zu sein, wurde durch die Steiermann etwas gegen das alltägliche Laster hin korrigiert. Das Mädchen wurde immer populärer, besonders seit unser Stadtpräsident sie in seine berüchtigten Stegreifreden und Hexameter einzuflechten begann, die er des öfteren anläßlich offizieller Feiern zu vorgerückter Stunde zum besten gibt, sei es etwa bei der Verleihung eines Literaturpreises oder beim Jubiläum irgendeiner Privatbank. Daß ich jedoch fürchtete, Monika Steiermann zum zweiten Mal zu begegnen, hatte einen bestimmten Grund. Ich hatte sie bei Mock kennengelernt. Noch zu meiner Stüssi-Leupin-Zeit.

Sein Atelier in der Nähe des Schaffhauserplatzes war im Winter überheizt, der Eisenofen glutrot, die Luft vom Pfeifen-, Zigarren- und Zigarettenrauch reines Giftgas, dazu alles unvorstellbar schmutzig, um ewig unvollendete Torsen ewig nasse Tücher, dazwischen haufenweise Bücher, Zeitungen, ungeöffnete Briefe, Wein, Whisky, Skizzen, Fotos, Bündnerfleisch. Ich war gekommen, um die Statue zu sehen, die Mock von der Steiermann gemacht hatte, neugierig, weil er mir erzählt hatte, er würde die Statue bemalen. Die Plastik stand mitten in der gewaltigen Unordnung des Ateliers, erschreckend naturalistisch, aber wahrhaftig und lebensgroß. In Gips, fleischfarben angemalt, wie Mock erklärte. Splitternackt und in eindeutig zweideutiger Pose. Ich betrachtete die Statue lange, verwundert — daß Mock das auch konnte. Er war sonst ein Meister im Andeuten: Mit wenigen Schlägen hieb er aus seinen oft zentnerschweren Steinen heraus, was er wollte, arbeitete er im Freien. Ein Auge entstand, ein Mund, eine Brust vielleicht, eine Vagina, den Rest brauchte er nicht zu behauen, aus Andeutungen schuf die Phantasie des Betrachters bald den Kopf eines Zyklopen, bald ein Getier, bald ein Weib. Auch wenn er modellierte, begnügte er sich mit dem Notwendigsten. Man muß modellieren, wie man skizziert, pflegte er zu sagen. Um so staunenswerter, wie er jetzt vorgegangen war. Der Gips schien zu atmen, vor allem weil er meisterhaft bemalt war. Ich trat zurück und dann wieder nahe heran, für die Haupt- und Schamhaare mußte er Menschenhaar genommen haben, um die Täuschung vollkommener zu machen: die Statue wirkte jedoch nicht puppenhaft. Sie strahlte eine bewundernswerte Plastik aus. Plötzlich bewegte sie sich. Sie stieg vom Sockel, würdigte mich keines Blickes, ging in den Hintergrund des Ateliers, suchte, fand eine halbvolle Flasche Whisky und trank. Sie war nicht aus Gips. Mock hatte gelogen. Es war die echte Monika Steiermann.

«Sie sind der vierte, der drauf reingefallen ist«, sagte Mock,»und das dümmste Gesicht haben Sie gemacht. Und von Kunst verstehen Sie auch nichts.»

Ich ging. Die Statue aus bemaltem Gips, die in der anderen Ecke des Ateliers stand, wurde anderntags abgeholt. Von einem Bevollmächtigten des Freiherrn von Lüdewitz, von ihrem Onkel, der die Hilfswerkstätte Trög AG leitete.

Monika Steiermann 1: Je weiter mein Bericht fortschreitet, desto schwieriger wird er zu erzählen. Nicht nur der Bericht verwirrt sich, auch meine Rolle wird zweideutig, ich vermag nicht mehr anzugeben, ob ich handelte oder ob durch mich gehandelt, ja ob mit mir gehandelt wurde. Vor allem bezweifle ich immer mehr, ob es Zufall war, wie Lienhard Monika Steiermann ins Spiel brachte. Mit dem Möbelhändler hatte ich kein Glück, er hatte nun einmal die in der Gagerneck hergestellten Renaissanceschränke durch die Zeugnisse eines von ihm erfundenen römischen Experten für echt erklärt und mit dessen Unterschrift versehen, was ich, aber nicht Jämmerlin übersah. Aber die Reise nach Caracas stand bevor, doch mitten in den Vorbereitungen meldete Ilse Freude Fanter an, einen weiteren Mann Lienhards. Zu meiner Verwunderung kam der dicke, Brissago rauchende Fanter in der Uniform der Stadtpolizei, bei welcher er zwei Jahrzehnte gedient hatte.

«Sie sind verrückt, Fanter, so zu erscheinen«, sagte ich.

«Es wird nützlich sein, Herr Spät«, seufzte er,»es wird nützlich sein. Monika Steiermann hat angerufen. Sie braucht einen Rechtsanwalt.»

«Warum?«fragte ich.

«Sie werde verprügelt.»

«Von wem?»

«Vom Dr. Benno«, antwortete Fanter.

«Weswegen?»

«Sie habe ihn mit einer anderen im Bett erwischt.»

«Dann sollte sie ihn doch verprügeln. Komisch. Nicht? Und warum soll gerade ich mich um die Steiermann kümmern?»

«Lienhard ist nicht Rechtsanwalt«, antwortete Fanter.

«Wo ist sie denn?»

«Halt bei Dr. Benno.»

«Mensch, Fanter, nicht so umständlich, wo ist Benno?»

«Sie fragen mich umständlich«, meinte Fanter.»Benno verprügelt die Steiermann im > Breitingerhof

«Spät, Rechtsanwalt.»

«Er verprügelt die Steiermann wieder«, lachte Pedroli.»Gehn Sie ans Fenster, dann hören Sie's.»

«Ich bin am Zeltweg.»

«Macht nichts. Es hallt über die ganze Stadt«, meinte Pedroli.»Die Gäste verlassen fluchtartig mein Fünfsternhotel.»

Ich hatte meinen Porsche in der Sprecherstraße parkiert. Fanter setzte sich neben mich, und wir fuhren los.

«Durch die Hegibachstraße«, sagte Fanter.

«Ein Umweg«, gab ich zu bedenken.

«Egal. Die Steiermann hält was aus.»

In der Nähe der Klusstraße bei einer Stopp-Markierung stieg Fanter aus.

«Fahren Sie hier wieder vorbei«, sagte er.

Ende Oktober. Die Bäume rot und gelb. Auf den Straßen Laub. Vor dem Breitingerhof wartete schon die Steiermann, als ich vorgefahren kam, trug nichts als ein schwarzes Herrenpyjama am Leib, dem der linke Ärmel fehlte. Groß. Rothaarig. Zynisch. Schön. Fror. Ihr linkes Auge war blau zugeschwollen. Der Mund aufgeschlagen. Der nackte Arm zerkratzt. Sie winkte mir zu, spuckte in weitem Bogen Blut. Im Hotelportal wütete Benno, auch er zerschlagen und verkratzt, von zwei Gepäckträgern festgehalten, die Hotelfenster voller Menschen. Um die Steiermann Zuschauer, neugierig, grinsend, ein Polizist regelte den Verkehr. In einem weißen Sportwagen saß düster ein junger blonder Mann, offenbar Cuxhafen, ein Jung-Siegfried, sichtlich startbereit. Aus dem Hotel kam Direktor Pedroli, klein und agil, und legte der Steiermann einen Pelzmantel um die Schultern, sicher einen kostbaren, ich kenne mich in Pelzmänteln nicht aus.»Sie frieren, Monika, Sie frieren.»

«Ich hasse Pelzmäntel, du Scheißkerl«, sagte sie und warf ihm den Pelzmantel über den Kopf.

Ich hielt neben ihr.»Lienhard schickt mich«, sagte ich.»Spät, Rechtsanwalt Spät.»

Sie stieg mühsam in den Porsche.

«Total verprügelt«, stellte ich fest.

Sie nickte. Dann schaute sie mich an. Ich wollte eigentlich starten, aber ihr Blick machte mich unsicher.

«Haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen?«fragte sie und hatte Mühe mit Sprechen.

«Nein«, log ich und startete.

«Cuxhafen folgt uns«, sagte sie.

«Wenn schon.»

«Er ist Rennfahrer.»

«Formel 1.»

«Den hängen wir nicht ab.»

«Und wie! Wohin?»

«Zu Lienhard«, sagte sie,»in seine Wohnung.»

«Weiß Cuxhafen, wo Lienhard wohnt?«fragte ich.

«Er weiß nicht einmal, daß es Lienhard gibt.»

Bei der Stopp-Markierung an der Hegibachstraße hielt ich pflichtgemäß. Auf dem Trottoir stand Fanter in seiner Polizeiuniform, trat zum Porsche, verlangte meine Papiere. Ich gab sie ihm, er überprüfte sie, nickte höflich.

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