Justiz - Фридрих Дюрренматт 8 стр.


«Sie sind doch der komische Rechtsanwalt, der sich in der Spiegelgasse ein Büro in einer Mansarde leistet?«fragte er, die Mädchen betrachtend.

Ich mußte es zugeben.

«Es ist halb zehn«, stellte er fest, grinste und wandte sich wieder zu mir,»ich will zwar nicht indiskret sein, denn ich bin ein höflicher Mensch, Spät, aber ich habe das starke Gefühl, daß Sie heute noch nicht auf Ihrem Büro gewesen sind.»

«Erraten«, sagte ich,»Ihr starkes Gefühl trügt nicht. Ich werde mich vielleicht in einer Stunde oder dann heute nachmittag hinbegeben.»

«So. Heute nachmittag vielleicht. «Er betrachtete mich aufmerksam.»Lieber Spät«, sagte er,»Sie heißen irgendwie richtig. Ich bin heute von sieben bis zehn vor neun auf einem Bauplatz herumgestampft«, sagte er bescheiden.»Ich verdiene Millionen. Gut. Durch meine Bauten, durch meine Spekulationen. In Ordnung. Aber darin steckt Arbeit, Disziplin, verflucht nochmal. Ich saufe wie ein Loch, zugegeben, aber reiße mich dafür auch jeden Morgen zusammen.»

Der Speckkoloß legte mir väterlich den Arm um die Schultern:»Mein lieber Spät«, fuhr er zärtlich fort, ganz fettes Riesengefühl, leuchtend vor Kaffeedampf, Gipfelbrosamen im Gesicht und an den Händen,»mein lieber Spät, ich will Ihnen einmal reinen Wein einschenken: Sie haben ausgesprochen Startschwierigkeiten, da machen Sie mir nichts vor. Das Resultat: Sie sind für einen ernsthaften Menschen nicht vorhanden. Ein Rechtsanwalt, der um neun Uhr dreißig noch nicht hinter seinem Schreibtisch sitzt, ist für einen anständigen Geschäftsmann Luft. Ich will nun nicht gründlicher in Sie dringen, nach einem Faulpelz sehen Sie mir nicht aus, aber zu einem richtigen Salto mortale ins volle Menschenleben haben Sie sich bis jetzt nicht aufraffen können. Und wissen Sie weshalb? Weil Sie nicht zu repräsentieren verstehen, keine Haltung und keinen Bauch besitzen. Studiert zu haben ist ja was Feines, aber mit guten Examen imponieren Sie außer den Schulmeistern niemandem. Ein Schreibtisch genügt nicht, Sie können so lange dahinter thronen, wie Sie wollen, die Kunden kommen nicht angeschwommen. Mit Recht, weshalb sollten sie. Nein, mein Freundchen, Ihre Enttäuschung ist fehl am Platz, VW und Mansarde sind nicht nur ein soziales, sondern auch ein wenig ein geistiges Armutszeichen, nehmen Sie es mir nicht übel. Nichts gegen Redlichkeit und Bescheidenheit, aber ein Rechtsanwalt hat aufzutreten, daß die Erde zittert. Was Sie fürs erste brauchen, sind richtige Büroräume, mit Ihrem Taubenschlag kommen Sie nicht aus, dorthin klettert Ihnen kein Mensch nach, man will schließlich prozessieren, nicht sportliche Höchstleistungen vollbringen. Kurz und gut, so geht das nicht mehr weiter, ich will Ihnen eine Chance geben. Kommen Sie morgen um sieben in der Früh in mein Büro, bringen Sie mir vier Tausenderlappen mit, und dann werden wir Ihnen einige anständige Räumlichkeiten am Zeltweg zuschanzen.»

(Was folgte, waren längere Ausführungen über eine gigantische Bodenspekulation, dazu weiterer Gipfelkonsum und Milchkaffeegenuß, die Ausführungen ironisch und sardonisch, getragen vom Bewußtsein, daß hierzulande die größten Gaunereien nur legal abgewickelt werden können und abgewickelt werden, und dann kam er noch auf ein Strawinsky-Festival und einen Honegger-Zyklus zu sprechen, und wie ich mich erhob, meinte er noch, das Verkehrschaos käme davon, daß wir einen Stadtpräsidenten hätten, der Fußgänger sei.)

c) Privatdetektiv Fredi Lienhard: gleicher Jahrgang wie ich. Hager, schwarzhaarig, ein Mann von auffallender Schweigsamkeit und kurzen Sätzen. Einziges Kind geschiedener Eltern. Als Gymnasiast stand er unter dem Verdacht, seine Mutter samt ihrem Geliebten ermordet zu haben, man fand sie beide nackt in Mamas Schlafzimmer, fein säuberlich hingestreckt, sie auf dem Bett, der Geliebte, ihr Psychiater aus Küsnacht, davor, wie ein Bettvorleger. Lienhard wurde aus der Maturitätsprüfung geholt, er war gerade dabei, aus Tacitus zu übersetzen, als ihn die Polizei schnappte, seine Lage schien aussichtslos, nur er kam in Frage, nur er hatte sich in der Mordnacht im Hause aufgehalten, wenn auch nach seiner Aussage friedlich auf seiner Gymnasiastenbude, in einer Mansarde, vollgestopft mit Klassikern und Büchern über Zoologie. Dazu kam noch das Pech, gerade achtzehn geworden zu sein, so daß er nicht in die Fänge des Jugendanwalts, sondern in die weitaus unbarmherzigeren Jämmerlins geriet. Die Verhöre in der Untersuchungshaft und später vor dem Geschworenengericht fielen denn auch hart genug aus, Jämmerlin rückte dem Gymnasiasten mit allen Regeln der Kunst zuleibe, doch hielt sich Lienhard glänzend, geradezu überlegen, die handfesten Indizien wiesen auf einmal bedenkliche Widersprüche auf, und endlich blieb nichts anderes übrig, als ihn freizusprechen; nicht einmal zur Bevormundung reichte die rechtliche Handhabe. Jämmerlin tobte, erlitt seinen ersten Nervenzusammenbruch, versuchte dann noch mehrere Male, wenn auch vergeblich, ans Bundesgericht zu appellieren, den Prozeß wiederaufzunehmen, um so mehr als sich Lienhard nun zu rächen begann. Der Verdächtige war zu Geld gekommen, zu irrsinnigen Summen, sein geschiedener steinreicher Vater vermachte ihm alles, dazu kamen die Kapitalien seiner finanzkräftigen Mutter, überhaupt rollte, strömte, flog ihm der Pulver von allen Seiten zu, sammelte sich an, summierte, multiplizierte, potenzierte sich, er brachte eine Erbschaft um die andere unter Dach, innerhalb kürzester Frist, Großeltern, Tanten, Onkel rückten eilig, sozusagen per Schub, in die Ewigkeit ein, dazu noch eventuelle Erben, es war, als ob Himmel und Hölle ihren ganzen Vorrat von Todesarten einsetzten, um Lienhard mit allen Gütern zu segnen, und er wurde gesegnet. Eben aus dem Bereiche des tobenden Jämmerlin entlassen und kaum zwanzigjährig, schälte er sich als mehrfacher Millionär heraus. Es war sagenhaft, mehr Glück als Verstand war im Spiel, wenn auch dieser beträchtlich war. Denn gegen den Staatsanwalt ging er ebenso systematisch wie einfach vor: er hielt sich ständig in dessen Nähe auf. Jämmerlin konnte sein, wo er wollte, Lienhard lief ihm über den Weg. Bei jedem Plädoyer grinste ihm irgendwo Lienhards Gesicht entgegen. Aß er in einem Restaurant, aß am Nebentisch Lienhard. Dieser war immer in seiner Nähe. Wo Jämmerlin auch wohnte, im Nebenhaus wohnte Lienhard, zog Jämmerlin wütend in eine Mietwohnung um, plötzlich hauste Lienhard über ihm. Jämmerlin wußte sich nicht mehr zu helfen. Der Anblick Lienhards wurde ihm unerträglich. Er war mehrere Male nahe daran, sich auf ihn zu stürzen, tätlich zu werden, und einmal kaufte er sogar einen Revolver.

Er zog von einer Straße zur anderen, von einem Stadtteil zum anderen, von der Hinterberg-Straße in die C. F. Meyer-Straße, von Wollishofen nach Schwamendingen, und als er endlich weitab von aller Zivilisation in der Katzenschwanz-Straße bei Witikon ein Chalet bauen ließ, wurde neben ihm ebenfalls gebaut. Jämmerlin schwante Ungutes. Daß sich als Bauherr der Prokurist einer Bank herausstellte, beruhigte ihn nur zeitweise. Mit Recht, denn als er im Frühjahr hemdsärmelig zum ersten Mal den jungen Rasen sprengte, winkte ihm über den frisch gestrichenen Gartenzaun Lienhard fröhlich entgegen, benahm sich wie unter alten Bekannten (die sie schließlich waren), stellte sich als neuer Nachbar vor. Der Bankprokurist war nur eine Attrappe gewesen. Jämmerlin wankte zum Haus zurück, kam noch bis zur Veranda. Zweiter Nervenzusammenbruch, dazu Herzinfarkt. Die Ärzte schwankten zwischen Irrenhaus und Klinik. Jämmerlin blieb zu Hause liegen, unbeweglich, wächsern, galt als erledigt. Doch er war zäh. Er rappelte sich wieder hoch, wenn auch innerlich verwüstet. Hinsichtlich Lienhard stille Ergebung. Die beiden blieben nebeneinander wohnen. Am Waldrand. Mit Blick auf Witikon. Jämmerlin wagte sich nicht mehr zu rühren. Um so mehr als er gegen eine andere Tätigkeit Lienhards auch machtlos war. Der war Privatdetektiv geworden, betrieb sein Geschäft in großem Stil. Er hatte in einem der feudalen Geschäftshäuser im Talacker Räume gemietet, gleich eine ganze Etage, von einem Zimmer schwebte man ins andere. Hinter modernen Bürotischen saßen einige gewichtige Herren, alte Sportler, wenn auch bierbäuchig, Zigarren rauchend und zufrieden, mit kurzgeschorenen Haaren, ferner ehemalige Polizisten, die er eingekauft hatte, was Lienhard finanziell bieten konnte, übertraf die Möglichkeiten unserer Stadt beträchtlich. Aber nicht diese Erwerbungen ärgerten Jämmerlin, Geschäft war Geschäft, dagegen ließ sich leider nichts vorbringen. Was ihn quälte, waren ganz andere Anschaffungen. Es war nicht zu übersehen, daß die vornehmen Räume im Talacker öfters von Elementen belebt wurden, die Jämmerlin einst verdonnert hatte, von ehemaligen Zuchthäuslern und schweren Jungen, die nun hier, in die Ehrlichkeit hinübergewechselt, als Fachmänner eingesetzt wurden. Seine» kriminalistische Abteilung «hatte denn auch in unserer Stadt großen Erfolg, trotz der horrenden Honorare, die er zu fordern, und der saftigen Spesen, die er zu berechnen pflegte, denn die > Privatauskunftei Lienhard

Das als Vorbemerkung. Unsere Begegnung an diesem Vormittag fand unmittelbar vor dem > Select

«Rechtsanwalt«, sagte er, ohne mich anzusehen, am Steuer seines offenen Porsche,»etwas für mich?»

«Möglich«, antwortete ich.

«Einsteigen«, forderte er mich auf.

Ich gehorchte.

«Ein schneller Wagen«, stellte ich fest.

«Fünftausend«, bemerkte Lienhard und meinte damit, daß er den Porsche für soviel hergeben wolle. Er besaß viele Wagen, manchmal schien es, er fahre jeden Tag mit einem anderen herum.

Dann erzählte ich ihm meine Begegnung mit dem alten Kohler. Lienhard fuhr den See entlang, das war seine Angewohnheit, die wichtigsten Geschäfte wickelten sich in seinem Wagen ab.»Keine Zeugen«, erklärte er einmal. Er fuhr gleichmäßig, peinlich genau und hörte aufmerksam zu. Als ich geendet hatte, hielt er an. In Uetikon. Vor einer Telefonkabine.

«Einträglich«, erklärte er,»Recherchen?»

Ich nickte.»Falls ich annehme.»

Er ging in die Telefonkabine, und als er wieder zurückkam, meinte er:»Seine Tochter ist zu Hause.»

Dann fuhren wir in die Weinbergstraße, parkten vor Kohlers Villa.

«Hineingehen«, forderte mich Lienhard auf.

Ich stutzte.»Ich soll den Auftrag annehmen?»

«Natürlich.»

«Zu undurchsichtig«, gab ich zu bedenken.

Er zündete sich eine Zigarette an.»Wenn Sie den Auftrag nicht annehmen, wird ihn ein anderer annehmen«, sagte er und hielt damit geradezu eine Rede.

Ich stieg aus. Neben dem großen Eingangsportal war im schmiedeeisernen Gitter ein öffentlicher Briefkasten befestigt, glänzte gelb. Mahnend. Der Absagebrief befand sich noch in meiner Tasche. Ich wußte, was meine Pflicht war. Aber warum sollte ich eigentlich den Auftrag Kohlers zurückweisen, den Charaktervollen spielen? Ich hatte Geld nötig, basta. Das lag nicht auf der Straße, da mußte schon eine Chance kommen, und nun war sie da. Ich mußte repräsentieren, wollte ich als Rechtsanwalt Erfolg haben. Architekt Friedli hatte recht, und ich wollte Erfolg haben. Und dann: Der Auftrag Kohlers war im Grunde doch wirklich harmlos, mehr ein wissenschaftliches Unternehmen, er konnte sich solche Extravaganzen leisten.

«Fünftausend wollen Sie für den Porsche?»

«Vier«, antwortete Lienhard.

«Großzügig.»

«Liegt am Auftrag.»

«Den haben Sie doch nicht nötig.»

«Macht Spaß.»

«Ich will zuerst einmal mit Kohlers Tochter reden«, sagte ich.

«Ich warte«, antwortete Lienhard.

Ansprache an den Staatsanwalt: Es läßt sich nicht mehr vermeiden. Ich muß auf meine erste Begegnung mit Hélène kommen. Ein schmerzliches Unternehmen, mit Umsicht zu wagen und nicht zu umgehen. Auch wenn Privates zur Sprache kommen muß. Endlich, denn Sie werden es mit Interesse lesen und anstreichen. Sie: Ganz recht, damit sind Sie gemeint, Herr Staatsanwalt Joachim Feuser. Zucken Sie nur ruhig zusammen.

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