Alexander Kent
Die Entscheidung
Kapitan Bolitho in der Falle
Fur Walter J. Minton, der zu dieser Serie den Startschu? gab
Es scheint unerbittliches Gesetz zu sein: wer nichts wagt, kann nicht gewinnen.
John Paul Jones
Der Autor dankt der U.S. Navy fur ihre Unterstutzung bei seinem Besuch der Chesapeake Bay. Sein Dank gilt ferner: Captain A. G. Ellis, Direktor des U.S. Naval Academy Museum in Annapolis; der Hall of Records in Annapolis; dem Mariners Museum in Newport News, Virginia; und der Mugar Memorial Library der Boston University.
A. K.
In fremden Gewassern
Kapitan Richard Bolitho starrte auf den teilweise fertiggestellten Brief, den er an seinen Vater geschrieben hatte, und trug dann mit einem Seufzer seinen Stuhl zum entgegengesetzten Ende des Tisches. Es war druckend hei?, und die trage in der Flaute liegende
schwoite kaum merklich; jedoch erreichte ihn dadurch das harte Sonnenlicht und zwang ihn, noch weiter von den Fenstern abzurucken.
Flaute. Wie sehr er sich an diese Situation gewohnt hatte. Er rieb sich die Augen und hielt seine Feder wieder uber das Papier. Es war schwierig zu wissen, was er schreiben sollte, insbesondere da er niemals wu?te, ob dieser oder ein anderer Brief seinen Weg auf ein heimwarts fahrendes Schiff finden wurde. Es war eigentlich noch schwieriger, sich mit dieser anderen Welt in England verbunden zu fuhlen, die er auf der
Oben auf dem Achterdeck klapperten Blocke und trampelten Fu?e. Jemand lachte, und er horte ein leises Aufklatschen, als einer der Matrosen eine Angel auswarf.
Seine Augen wanderten von dem Brief zu dem offenen Logbuch, das quer uber der Seekarte in der Nahe lag. Das Logbuch hatte sich genauso verandert wie er selbst. An den Ecken abgenutzt, vielleicht gereift. Er starrte das Datum der aufgeschlagenen Seite an: 10. April 1781. Es war fast auf den Tag genau drei Jahre her, seit er in English Harbour zum erstenmal an Bord dieses Schiffes gekommen war, um das Kommando zu ubernehmen. Er konnte, ohne eine Bewegung zu machen, durch das umfangreiche Logbuch hindurch zuruckblicken, und obwohl er nicht einmal eine Seite beruhrte, konnte er sich so viele der Ereignisse ins Gedachtnis zuruckrufen, Gesichter und Begebenheiten, die Anforderungen, die an ihn gestellt worden waren, und wie er mit unterschiedlichem Erfolg damit fertig geworden war. Er hatte oft in ruhigen Momenten in der Kajute versucht, eine Art von vorherbestimmter Linie in seinem Leben herauszufinden, die uber die naheliegenden Erklarungen von Gluck oder gunstigen Umstanden hinausging. Bis jetzt war ihm dies nicht gelungen. Und als er nun in der gewohnten Kajute sa?, in der sich so viel ereignet hatte, konnte er akzeptieren, da? das Schicksal sehr viel mit seinem Hiersein zu tun hatte. Wenn es ihm, als er die
Vielleicht war Colquhouns schicksalhafte Entscheidung an jenem weit zuruckliegenden Tag die Chance gewesen, der Wink des Schicksals, der ihn auf seinen endgultigen Weg gewiesen hatte.
Bolitho war nach Antigua nicht nur als ein Offizier zuruckgekehrt, der wieder zu seiner Schwadron sto?t, sondern zu seinem eigenen Erstaunen als eine Art Held. In seiner Abwesenheit hatten sich Geschichten von der Rettung der Soldaten aus der Delaware Bay und der Zerstorung der Fregatte schnell verbreitet. Nachdem die Neuigkeiten vom Ende der
Wenn Bolitho sich an ihr erstes Zusammentreffen erinnerte und an Colquhouns Warnung uber das Los eines Kapitans, wurde er an die schmale Spanne zwischen Ruhm und Vergessen gemahnt. Ware Colquhoun beim ersten Geleitzug geblieben, hatte er wahrscheinlich nicht das Schicksal der
Acht Glasen schlugen vom Vorschiff, und er konnte sich muhelos vorstellen, wie die Mannschaft sich fur das Mittagsmahl vorbereitete, auch fur die willkommene Portion Rum. Uber seinem Kopf wurden Tyrell und der Steuermann ihre mittaglichen Messungen vornehmen und ihre Ergebnisse vergleichen, ehe sie sie in die Seekarte eintrugen.
In dem Jahr, nachdem Bolitho den gro?en Freibeuter zerstort hatte, gab es fur ihn die nachste Uberraschung. Der Admiral hatte ihn zu sich rufen lassen und ruhig verkundet, da? die Admiralitat ebenso wie er selbst es fur richtig hielt, dem Kommandanten der
eine Chance zur Erweiterung seiner Erfahrung zu geben: Beforderung zum Korvettenkapitan. Sogar jetzt, nach achtzehn Monaten, fand er es schwierig, dies zu glauben.
Innerhalb der Flotte hatte dieser unerwartete Sprung auf der Erfolgsleiter einige Unruhe verursacht. Reine Freude seitens der einen, offenen Neid seitens anderer. Maulby hatte die Neuigkeiten besser aufgenommen, als Bolitho zu hoffen gewagt hatte, denn er hatte den lakonischen Kommandanten der
hatte es keine geteilte Meinung gegeben. Alle schienen denselben Stolz, dasselbe Gefuhl fur Leistung zu teilen, das fur sie zu keinem gunstigeren Zeitpunkt hatte kommen konnen. Denn der Krieg hatte sich im letzten Jahr sehr verandert. Er war nicht mehr blo? eine Angelegenheit von Patrouillen oder Geleitzugen fur die Armee.
Die gro?en Machte hatten sich entschieden, und Spanien und Holland zogen zusammen gegen England, um die amerikanische Revolution zu unterstutzen. Die Franzosen hatten eine gut zusammengestellte, machtige Flotte in den West Indies gemustert. Sie stand unter dem Oberbefehl des Compte de Grasse, des fahigsten und talentiertesten verfugbaren Admirals. Admiral Rodney kommandierte die englischen Geschwader, da aber der Druck von allen Seiten taglich gro?er wurde, war es fur ihn sehr schwierig, seine Schiffe dorthin zu schicken, wo sie am dringendsten benotigt wurden.
Und die Amerikaner gaben sich nicht damit zufrieden, ihre Angelegenheiten den Verbundeten zu uberlassen. Sie verwendeten weiterhin Freibeuter, sooft es moglich war, und ein Jahr nach der Zerstorung der
vor der englischen Kuste. Es machte keinen Unterschied, da? der Freibeuter, ebenso wie die
aus der hitzig gefuhrten Schlacht nur als zerschossenes Wrack hervorging. Von den englischen Kapitanen wurde erwartet, da? sie Risiken eingingen und gewannen, und eine Niederlage so nahe der Heimat trug mehr dazu bei, als es die Amerikaner fur moglich gehalten hatten, den Krieg und seine Hintergrunde in die Heimstatten der Englander und auch in ihre eigenen zu tragen.
In den West Indies und entlang der amerikanischen Kuste gewannen die Patrouillenfahrten eine neue Bedeutung. Bolitho hatte es immer fur weit besser gehalten, da? die Augen der Flotte nicht unmittelbar auf ihm ruhten. Getreu dieser Ansicht hatte der Admiral ihm fast vollige Unabhangigkeit angeboten. Er konnte nach eigenem Ermessen patrouillieren und den Feind nach seiner eigenen Methode suchen, selbstverstandlich unter der Voraussetzung, da? seine Bemuhungen von Erfolg gekront waren.
Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zuruck und starrte an die Kajutdecke. Wieder ging ihm das Wort Gluck durch den Kopf.
Maulby hatte uber diese Erklarung gespottet. Er hatte einmal gesagt:»Du bist erfolgreich, weil du dich dazu erzogen hast, wie der Feind zu denken. Verdammt, Dick, ich habe einen mit Konterbande vollgeladenen Lugger aufgebracht, der vom Suden aus Trinidad kam, und sogar dieser elende Kerl hatte von dir und der
gehort!»
Bolitho gab zu, da? ganz gewi? eines stimmte: sie waren erfolgreich gewesen. Allein in den vergangenen achtzehn Monaten hatten sie zwolf Prisen aufgebracht und zwei kleine Freibeuter versenkt, mit einem Verlust von zwanzig Toten und Verletzten und geringem Schaden am Schiff.
Er lie? seine Augen durch die Kajute schweifen, die jetzt weniger elegant gestrichen war, fast sogar schabig nach dem Dienst in so vielen Wettern. Es war eine seltsame Feststellung, da? abgesehen von der unerwarteten Beforderung, die durch den Uniformrock mit den wei?en Aufschlagen und goldenen Besatzen symbolisiert wurde, au?erlich fast nichts darauf hindeutete. Und doch war er ein reicher Mann und zum erstenmal in seinem Leben unabhangig von seinem Zuhause und dem Besitz in Falmouth. Er lachelte traurig. Fast mu?te man sich schamen, verhaltnisma?ig reich zu werden, nur weil man tat, was einem Spa? machte.
Er runzelte die Stirn und versuchte sich auszudenken, was er sich kaufen wurde, wenn sie die Erlaubnis bekommen sollten, einen Hafen anzulaufen. Und dies war langst fallig.
Trotz ihres mit Kupferblech beschlagenen Rumpfes war die Geschwindigkeit der
bei sonst einwandfreien Segelbedingungen um einen vollen Knoten herabgesetzt durch Bewuchs auf dem Unterwasserschiff, der dem Kupfer und allen Bemuhungen trotzte.
Vielleicht wurde er etwas Wein kaufen. Wirklich guten Wein, nicht das saure Zeug, das normalerweise als die einzige Alternative zu fauligem Trinkwasser verwendet wurde. Ein Dutzend Hemden oder mehr. Er spielte mit dem Gedanken eines solchen Luxus. Augenblicklich besa? er nur zwei Hemden, die naherer Betrachtung standhalten konnten.
Vielleicht war es auch moglich, irgendwo einen guten Degen zu finden. Nicht wie jenen, der an Bord des Freibeuters zerbrach, auch keinen kurzen Sabel, wie er ihn seitdem benutzte, sondern etwas Besseres, Dauerhaftes.
Er horte leise Tritte hinter der Tur und wu?te, da? es Tyrell war. Er hatte es auch zu jeder anderen Zeit gewu?t, bei einer anderen Wache. Denn seit seiner Verwundung hinkte Tyrell und mu?te einige Schmerzen ertragen.
In anderer Beziehung hatte sich der Erste Leutnant nicht sehr verandert. Vielleicht hatten auch die vergangenen drei Jahre sie einander so nahegebracht, da? er es nicht bemerkte. Anders Graves, der sich immer mehr zuruckzuziehen schien und nach jedem Gefecht oder Scharmutzel merklich nervoser wurde.
Auf Grund seiner Beforderung zum Kapitan stand Bolitho ein weiterer Leutnant zu, und diese Stellung wurde gerade an dem Tag frei, an dem die beiden Fahnriche das Schiff verlie?en, um sich der Prufungskommission zu stellen. Heyward hatte mit fliegenden Fahnen bestanden, und ruckschauend war es geradezu schwierig, sich ihn noch als Fahnrich vorzustellen.
Bethune hatte seine Prufung nicht bestanden, und zwar nicht nur einmal, sondern gleich dreimal. Bolitho hatte sich schon wiederholt gefragt, wie er ihn loswerden konnte.
Er hatte Bethune sehr ins Herz geschlossen, wu?te aber, da? er gegen dessen verbleibende, wenn auch schwindende Chancen handelte, indem er ihn auf der
zuruckhielt. Seine Navigationskenntnisse waren hoffnungslos, und seine Anstrengungen, das Achterdeck zu ubernehmen und die Leute beim Segelsetzen zu leiten, waren traurig anzusehen. Als Offizier der Seesoldaten oder sogar als Infanterist ware er ganz annehmbar gewesen. Er konnte Befehlen gehorchen, wenn es ihm auch schwerfiel, diese zu formulieren. Im Geschutzfeuer hatte er sehr viel Mut gezeigt und einen jugendlichen Stoizismus, an den nicht einmal die erfahrenen Seeleute so leicht herankamen. Jetzt, im Alter von zwanzig Jahren und ohne Hoffnung, die Prufung zu bestehen, was er sich sehnlichst wunschte, fuhlte er sich als funftes Rad am Wagen. Heyward hatte versucht, ihm zu helfen, sogar mehr, als Bolitho gedacht hatte. Aber es nutzte nichts. Die Schiffsmannschaft akzeptierte Bethune mit einer Gutmutigkeit, die sie auch einem Kind entgegengebracht hatte. Sein Los wurde nicht erleichtert durch die Ernennung eines neuen Fahnrichs, der Heywards Platz einnahm.
Roger Augustus Fowler, sechzehn Jahre alt und mit den schmollenden Gesichtszugen eines verargerten Ferkels, hatte es bald verstanden, eher zu Bethunes Elend beizutragen als dieses zu erleichtern.
Fowlers Ankunft aus England hatte die Kluft zwischen Bolitho und Colquhoun noch vertieft. Der Junge war der Sohn des besten Freundes des Admirals, und daher war seine Uberstellung auf dieses oder ein anderes Schiff fast ein koniglicher Befehl. Der Nachkomme einer einflu?reichen Personlichkeit konnte fur einen jungen und vielbeschaftigten Kapitan ein Hindernis sein, andererseits konnte er ihm aber auch Turen offnen, die ihm auf dem Dienstwege verschlossen geblieben waren.
Colquhoun hatte offenbar bei der Ankunft des Jungen seine Chancen fur letzteres gesehen und war au?erordentlich wutend, als er erfuhr, da? der Admiral die
seiner Fregatte
Es klopfte, und Bolitho drangte seine Uberlegungen in den Hintergrund.