Tyrell hinkte in die Kajute und setzte sich an den Tisch. Unter dem offenen Hemd war seine Haut fast mahagonifarben gebraunt, und sein Haar war in den vergangenen Sommern etwas heller geworden. Er schob die Berechnungen uber die Seekarte, und sie betrachteten gemeinsam die ungefahre Position der
Im Suden lagen die nachsten Auslaufer der Bahamas, das Gebiet der unzahligen Riffe und Klippen, der trugerischen Sandbanke und der Inselchen.
Ungefahr achtzig Meilen westlich lag die Kuste von Florida und im Osten der Hauptschiffahrtsweg fur Schiffe, die von den Westindischen Inseln nach New York und zuruck fuhren. Es war ein Gewirr von Inseln und engen Kanalen, obwohl es fur das ungeubte Auge einer Landratte so aussehen konnte, als ob die See ruhig dalage, nur hier und da unterbrochen von friedlichen, purpurroten Landklumpen, in leichten Dunst gehullt. Dem Seemann aber zeigte die Karte weit mehr und dennoch weniger, als er wissen mu?te, um wirkliche Sicherheit zu kennen. Eine kleine wei?e Schaumkrone konnte auf ein verstecktes Riff hindeuten, der dunklere Fleck auf der Wasseroberflache mochte eine Ansammlung von Wasserpflanzen auf einer unter der Oberflache lauernden Felsspitze sein, deren scharfe Steine den Kiel wegrei?en konnten wie die Schale von einer Orange.
Schlie?lich sagte Tyrell:»Ich schatze, wir haben den verdammten Kerl verloren.»
«Vielleicht. «Bolitho offnete eine Schublade und entnahm ihr zwei lange Tonpfeifen. Er reichte eine davon Tyrell, griff nach dem Tabaksbeutel und fragte dann:»Ist die
Bolitho zundete an der herunterhangenden Laterne seine Pfeife an und ging dann ruhelos zu den Fenstern. In der Nahe der Fensterbank fuhlte er, wie die Frischluft von drau?en ihm kuhlend uber Gesicht und Brust strich. Wenn der Wind die Segel wieder zum Leben erweckte, war es wunschenswert, da? er wie vorher aus Sudosten kam. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um noch naher an diese todlichen Untiefen getrieben zu werden. Sie mu?ten aber nahe genug daranbleiben, um mindestens drei Fahrrinnen beobachten zu konnen, wahrend die
Die dritte Korvette der Flotte, die
«Wenn wir sie erwischen, haben wir uns wieder eine Feder verdient. «Tyrell beobachtete, wie der Rauch seiner Pfeife durch das uber ihm liegende Skylight abzog.»Manchmal frage ich mich, ob das fur den Krieg uberhaupt einen Unterschied macht.»
«Alles hilft, Jethro.»
Bolitho blickte ihn ernst an. Wie nahe sie sich gekommen waren. Die Anrede mit Vornamen, das rituelle Pfeiferauchen, solange der Tabakvorrat reichte, alles war ein Zeichen dafur, was das Schiff aus ihnen gemacht hatte.
Zeit und Entfernung, die unter allen moglichen Bedingungen verbrachten Stunden und Tage, all das hatte die Gemeinschaft der
gezeichnet. Sogar die durch Tod oder Verletzung notwendigen Wechsel, Entlassungen oder Abkommandierungen waren nicht imstande, der Besatzung des kleinen Schiffes den Glauben an ihre Bestimmung zu nehmen.
Ungefahr ein Drittel der Mannschaft war seit Bolithos Kommandoubernahme als Ersatz an Bord gekommen, darunter einige Kolonisten, Neger, ein paar Matrosen der Handelsmarine, die von einem heimwarts fahrenden Schiff gepre?t worden waren, und ein einzelner Grieche, der von seinem eigenen Schiff desertiert war, um dann als Gefangener an Bord einer franzosischen Brigg zu gelangen. Diese Brigg, von der
als Prise aufgebracht, hatte einige neue Manner gestellt, und der Grieche hatte sich als ausgezeichneter Hilfskoch erwiesen.
«Wie lange geben Sie dem franzosischen Schiff?»
Bolitho uberlegte.»Vielleicht noch eine Woche. Wenn es bis dann nicht auftaucht, konnen wir annehmen, da? es an uns vorbeigesegelt ist oder irgendwo umgedreht hat. Au?erdem konnte es auf eine der Patrouillen weiter sudlich gesto?en sein.»
«Aye. «Tyrell gahnte.»Und dann konnen wir einige Zeit im Hafen bleiben.»
Auf Deck trampelten Fu?e, und sie horten Buckle rufen:»Alle Mann an Deck! Der Wind frischt auf!»
Es klopfte, und Bethune spahte zu ihnen herein, das runde Gesicht schwei?uberstromt.
«Empfehlung von Mr. Buckle, Sir. Der Wind frischt von Sudosten auf. Die Marssegel der
Auf Deck wurden die Mannschaften bereits gemustert, wahrend die Segel unruhig im Wind killten; der Masttopstander flatterte, als die erste Brise ihn erreichte.
«Klar bei Brassen!«Tyrell ging zur Reling und blinzelte in das glanzende Licht.»Es wird bald wehen, Burschen.»
Bolitho beschattete die Augen mit der Hand und beobachtete die andere Korvette; ihre Segel fullten sich plotzlich und brachten sie heran. Auf der glitzernden Oberflache der See sah er die ersten vom Wind gekrauselten Wellen, dann fuhlte er die von der Sonne ausgetrockneten Planken sich unter seinen Schuhen heben, die unmittelbare Antwort der Blocke und Fallen.
Die Decks der
waren trocken wie Zunder, und es machte keinen Unterschied, wie oft sie befeuchtet wurden. Die Farbe blatterte in der Hitze ab; als er sich umwandte, um die geschaftigen Manner zu beobachten, stellte er fest, da? es schwierig war, die Neger von seiner ursprunglichen Besatzung zu unterscheiden. Sie waren mager und vielleicht ausgedorrt, aber sie sahen gesund und strahlend aus, bereit zu allem.
«Soll ich jetzt den Backbordkutter zu Wasser lassen, Sir?«fragte Tyrell.
Bolitho nickte. Nur wenn sie die Kutter abwechselnd zu Wasser lie?en, konnten sie hoffen, sie vor dem Austrocknen zu bewahren.
«Ja. Sagen Sie Mr. Tilby, er soll…«Er hielt inne und korrigierte sich:»Sagen Sie dem Bootsmann Bescheid, bitte.»
Selbst nach sechs Monaten war es noch schwierig, seinen Namen nicht auszusprechen oder zu erwarten, sein schwei?bedecktes Gesicht nach dem Achterdeck ausschauen zu sehen.
Sie hatten vor der Great Bahama Bank einen spanischen Schoner gestellt, waren aber gezwungen gewesen, auf ihn zu feuern, da er sich nicht ergeben wollte. Dann, wahrend die Enterhaken wie Schlangen durch die Luft flogen, war die
in altbewahrter Art langsseits gegangen. Dieses Manover war so gut eingeubt, da? es auch von den neuen Mannern ohne weiteres bewaltigt wurde. Einige Pistolenschusse, der Anblick der halbnackten Manner mit gezogenen Entermessern, dies genugte, um den Widerstand der Spanier zu brechen, und alles war vorbei, fast ehe es begonnen hatte. Irgendwann mitten in diesem Manover, als die Manner hin und her rannten, um Segel zu reffen und sich zum Entern fertigzumachen, wahrend Bolitho mit dem Arm winkte, um den spanischen Kommandanten zur Ubergabe ohne Blutvergie?en zu bewegen, war Tilby gestorben.
Nicht in der Hitze und im Schrecken des Gefechts oder in einer feindlichen Breitseite, sondern ruhig und ohne Umstande, wahrend er an seinem Lieblingsplatz am Fu? des Fockmasts stand, von wo aus er gewohnlich ein wachsames Auge auf das Schiff hatte. Dalkeith hatte ihn untersucht und berichtet, da? das Herz des Bootsmannes ausgesetzt hatte wie eine Uhr, die abgelaufen ist und einfach nicht mehr weiterkann.
Sein Tod beeindruckte alle tief, die ihn gekannt hatten. So zu sterben war undenkbar. Tilby, der Seeschlachten und unzahlige, durch Trunkenheit verursachte Schlagereien in Hafenkneipen der ganzen Welt uberstanden hatte, war hinubergeglitten, ohne da? jemand es bemerkte.
Als Tyrell Tilbys Besitztumer zusammengesucht hatte, war Bolitho besturzt, da? kaum etwas vorhanden war, was man unter der Mannschaft hatte versteigern konnen, um Geld fur die Angehorigen zu sammeln, die er vielleicht in England hatte.
Zwei kleine Holzmodelle von Schiffen, auf denen er fruher einmal gedient hatte, eines davon zerbrochen, eine Sammlung auslandischer Munzen, eine silberne Bootsmannspfeife, die ihm kein geringerer als Kapitan Oliver von der
Sparrow
Er beruhrte die sonnendurchgluhte Reling und schauderte. Er war jetzt Kapitan; ein Traum, den er getraumt hatte, seit er denken konnte, hatte sich erfullt. Wenn nun der Krieg plotzlich zu Ende ginge, oder er durch andere Umstande gezwungen wurde, die Marine zu verlassen, dann wurde er von seiner jetzigen Position sturzen wie ein fallender Stein. Da er noch nicht in seinem hoheren Rang bestatigt war, wurde er als einfacher Leutnant auf Halbsold enden, und all dies ware nur noch hohnische Erinnerung. Aber viel schlechter waren jene wie Tilby dran. Er lie? seine Augen uber die Manner streifen, die in seiner Nahe an den Brassen arbeiteten, um die
wieder in den Wind zu bringen. Sie besa?en uberhaupt nichts. Wenn sie Gluck hatten, ein bi?chen Prisengeld, vielleicht eine Pramie von einem wohlgesinnten Kapitan, sonst mu?ten sie sich mit weniger an Land begeben, als sie bei Dienstantritt gehabt hatten. Das war ungerecht. Mehr noch, es war unehrenhaft, Manner so schabig zu behandeln, wenn ohne deren Einsatz und Mut das Heimatland schon Jahre zuvor an den Feind gefallen ware.
Er begann uber Deck zu gehen, das Kinn auf die Brust gepre?t. Vielleicht wurde man dies eines Tages andern konnen und aus der Marine eine Institution machen, in der Manner aus allen Schichten genauso gern wie er ihren Dienst in vertretbarer Sicherheit versahen.
«Wahrschau an Deck! Brecher backbords voraus!»
Er tauchte aus seinen Gedanken auf und sagte:»Drehen Sie zwei Strich bei, Mr. Buckle. Wir wollen den Riffen weit aus dem Wege gehen, bis wir klar sind.»
«Aye, Sir.»
Er wandte seine Aufmerksamkeit der anderen Korvette zu und bemerkte, da? es Maulby trotz der Hitze gelungen war, ihren Rumpf neu zu streichen. Die
und jedem fremden Auge mu?ten sie wie Zwillinge vorkommen. Wenn sie getrennt segelten, wurden durch die Tatsache, da? sie sich so ahnlich sahen, der Feind oder seine Spione unsicher gemacht. Wie auch durch den Flaggenspind, in dem fast jede fremde Flagge zu finden war. Tauschung und Uberraschung waren Erfolgsrezepte des Feindes gewesen. Bolitho hatte sich dessen Erfolge zunutze gemacht und drehte nun den Spie? um.
«West-Nordwest liegt an!»
«Sehr gut. «Er blickte auf den Kompa? und auf die Trimmung der Marssegel.»Nicht viel Wind, Mr. Buckle, aber es genugt.»
Den ganzen Nachmittag und fruhen Abend blieben die beiden Korvetten auf gleichem Kurs, ohne da? sich der Wind in Starke oder Richtung geandert hatte.
Die Hundewache ging gerade zu Ende, und Bolitho machte einen erneuten Versuch, seinen Brief zu Ende zu schreiben, als Segel aus Sudwesten gemeldet wurden. Bolitho signalisierte an die
Im dumpfen, bronzenen Sonnenlicht war sie ein prachtiger Anblick mit ihren gro?en Vor- und Besansegeln, die sich uber ihrem schmalen Rumpf wie Flugel ausbreiteten, wie sie da mit wehenden Signalflaggen auf die Korvetten zukam.
Bethune rief:»Haben Depeschen an Bord!»
Bolitho blickte Tyrell an.»Beidrehen, bitte. «Zu Bethune gewandt, fugte er hinzu:»Signal an
Tyrell klammerte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Reling, als die
mit killenden Segeln in den Wind drehte.
«Dieses verdammte Bein!«In ruhigerem Ton fuhr er fort:»Gute oder schlechte Nachrichten, es ist schon, einen Freund zu treffen. Ich fing schon an zu glauben, da? wir die einzigen in diesen verlassenen Gewassern seien.»
Das Beiboot war schon unterwegs, und Bolitho sah, da? Leutnant Odell, der Kapitan des Schoners, selbst kam; er fuhlte eine plotzliche, hoffnungsvolle Erregung.
Odell kletterte an Bord und gru?te mit seinem Hut zum Achterdeck hin. Er war ein schneller, aufbrausender junger Mann, und man sagte von ihm, da? er leicht verruckt sei. Im Augenblick aber schien er ganz ruhig und handigte Bolitho, als er in der Kajute angekommen war, zuerst den umfangreichen Umschlag aus, ehe er sagte:»Ich komme soeben von Kapitan Colquhoun. «Er nahm ein Glas Wein von Fitch entgegen und starrte es an.»Er ist sehr aufgeregt.»
Bolitho schlitzte den Umschlag auf und uberflog die kritzelige Handschrift von Colquhouns Sekretar.
Tyrell stand an der Tur, und Bolitho bemerkte auch Buckles Schatten uber dem Skylight. Er wollte nicht direkt lauschen, aber wenn er zufallig etwas horen sollte, na ja…
Bolitho sah auf und sagte:»Kapitan Colquhoun hat ein Fischerboot aufgebracht und die Mannschaft ausgefragt. «Er strich das feuchte Papier auf dem Tisch glatt.»Das war vor einer Woche.»
Odell wartete, bis Fitch sein Glas wieder gefullt hatte, ehe er trocken sagte:»In Wirklichkeit habe
Bolitho blickte ihn ernst an.»Hier steht auch, da? die Mannschaft wertvolle Angaben uber den Franzmann machen konnte. «Er nickte Tyrell zu und schob den unfertigen Brief von der Seekarte herunter.»Das Schiff ist hier gesichtet worden, in der Nahe der Kuste. «Sein Finger verhielt an der westlichen Spitze der gro?en Bahamainsel.»Inmitten der vorgelagerten Inseln. Nach Aussagen der Fischer fuhrte es Reparaturen aus.»
Tyrell nickte langsam.»Konnte sein. Wenn der Franzose wu?te, da? die Jagd beginnt, wird er die gefahrlichste Passage zwischen den Inseln gewahlt haben, um uns abzuhangen. Das hei?t naturlich nicht, da? er immer noch dort ist.»