Bolitho dachte angestrengt nach.»Sie konnen nichts fur den Wind. Aber Sie mussen lernen, mich in Zukunft sofort zu holen, wenn Sie sich unsicher fuhlen. Ich werde deshalb nicht schlechter uber Sie denken. «Er blickte Buckle an.»Was halten Sie davon? Es sind noch vier Stunden bis zur Dammerung.»
Buckle war unzuganglich.»Unmoglich. «Er seufzte.»Ich furchte, wir mussen hart am Wind bleiben und in ungefahr drei Stunden wenden.»
Bolitho stellte sich die Seekarte vor und erinnerte sich an die nachsten Sandbanke, an die Gezeiten.
«Befehlen Sie alle Mann an Deck, Mr. Heyward. Wir wenden sofort.»
«Aber, Sir!«Buckle schien besorgt.»Wir werden niemals unseren vorgeschriebenen Kurs erreichen! Mit einem bestandig wehenden Nordost ist es nicht moglich!»
Bolitho horte das Schrillen der Bootsmannspfeifen unter Deck, das plotzliche Getrampel von Fu?en auf Niedergangen und Leitern.»Ich stimme Ihnen zu, Mr. Buckle. Aber ich habe vor, durch die Sandbanke zu fahren. «Er blickte Tyrell an, der gerade auftauchte.»Wenn wir hier bleiben, werden wir niemals Hilfe anbieten konnen, falls diese bei Tagesanbruch benotigt wird. Wenn wir einmal hinter der Sandbank sind, werden wir zumindest den Wind ausnutzen konnen, sobald sich Gelegenheit dazu ergibt.»
Graves rannte zum Achterdeck, seine Fu?e schienen im Vergleich zu den flusternden Stimmen sehr laut zu sein. Offensichtlich hatte er Zeit gefunden, seine Schuhe anzuziehen.
Bolitho sagte:»Nun gut. Lotgasten in den Bug, dann lassen Sie die Royals und die Marssegel wegnehmen. «Er sprach und dachte schnell.»Sagen Sie dem Bootsmann, er soll die Riemen losmachen lassen, falls der Wind ganz aufhort.»
Tyrell nickte.»Aye, aye, Sir. Ich glaube, wir haben eine faire Chance, durchzukommen. Die Flut ist auf unserer Seite. «Er zogerte.»Wenn sie zuruckgeht, konnte es beschwerlich fur uns werden.»
Bolitho lachelte trotz seiner Gedanken.»Gut gesprochen!»
Schreie ertonten vom Geschutzdeck, wo Unteroffiziere ihre Ausgucks und Manner fur die Brassen abzahlten. Die meisten von ihnen kannten das Schiff so gut, da? die Dunkelheit keinen oder fast keinen Unterschied machte.
Bolitho nickte.»Segel reffen, Mr. Tyrell. «Er senkte seine Stimme.»So schnell wie moglich.»
Innerhalb von Minuten war samtliche Leinwand von den oberen Rahen verschwunden, und die
hob und senkte sich mit laut im Wind knatternden Gro?segeln in einer ungemutlichen Dunung.
Bolitho griff nach den Luvwanten, beobachtete die feinen Gischtstreifen, die uber das Schanzkleid flogen, und den extremen Winkel der Rahen, als Buckle mit Ruder und Segeln versuchte, das Schiff so hart am Wind zu halten, wie er es gerade noch wagen konnte. Und die ganze Zeit uberlegte er rasch. Sobald das Schiff auf Kurs war, wurde der nachste Streifen der Sandbanke und Untiefen ungefahr zehn Meilen vor dem Bug liegen.
Eine falsche Einschatzung der Geschwindigkeit oder Entfernung oder eine falsche oder ungenaue Beschreibung auf der Karte genugte, um sie auflaufen zu lassen. Niemand konnte ihn dafur zur Verantwortung ziehen, wenn er seinen ursprunglichen Befehlen gehorchte und dabei vom Wind abgetrieben wurde. Colquhoun wurde sich wahrscheinlich sogar freuen, ihn moglichst weit weg zu haben, wenn auch nur aus dem Grund, die
nicht einmal als Zuschauer beim Schlu?akt dabeizuhaben. Dafur, da? er seine genauen Befehle mi?achtete, konnte er bestraft werden, aber mit etwas Gluck wurde er in besserer Position sein, um der
«Fertig, Sir.»
Er bi? die Zahne zusammen.»Ruder legen!«Er fuhlte, wie die See in einer starken Gegenstromung gegen den bewachsenen Kiel prallte.»Ruder liegt, Sir!»
Durch die Dunkelheit sah er, wie die Marssegel wild flappten, horte das Getrappel von Fu?en, als die Manner stetig an den Brassen pullten, um die Rahen herum-zuschwingen.
«Hol uber die Schoten!»
Graves' heisere Stimme drohnte uber Leinwand und Blocken.»Gro?segel dicht!»
Ein Mann stolperte in der Dunkelheit, und eine scharfe Stimme stellte die Ruhe auf dem Geschutzdeck wieder her.
Bolitho hielt sich in den Wanten fest und schwang mit dem Rumpf herum, als die
ihren Kluverbaum hob, zogerte, und dann schwerfallig durch den Wind glitt.
«An die Brassen!«Tyrell lehnte sich uber die Reling, als ob er jeden einzelnen Seemann in der Dammerung ausmachen wollte.»Kraftig, Leute! Noch mehr!»
Die
widerstand noch etwas, dann ging sie mit vollen Segeln auf den neuen Kurs; Gischt spritzte uber die Niedergange und durchna?te die Manner unten.
Bolitho mu?te schreien, um sich in dem Larm verstandlich zu machen:»So hart es geht, Mr. Buckle!»
«Aye, Sir. «Es klang atemlos.»Kurs liegt an!»
Einige unangenehme Minuten, wahrend die Manner an den Niedergangen herumhetzten. Hier und dort mu?te ein Tau belegt werden. Die Manner zogen geschaftig an den Fallen, wahrend die Leute am Bug mit Leine und Lot bereitstanden, um mit dem Aussingen zu beginnen.
Schlie?lich war auch Buckle zufriedengestellt.»Sud zu Ost, Sir!»
«Sehr gut.»
Bolitho spahte zu den hart gebra?ten Rahen hinauf. Nicht einmal eine Fregatte konnte so hart am Wind segeln. Kein Schiff konnte das.
Tyrell stapfte auf ihn zu, das Hemd klebte ihm am Korper.»Sie wollten das, nicht wahr, Sir?«Er schrie, aber seine Stimme ging im Getose des Wassers unter.»Sie machten sich Sorgen um die
«Langsam, Jethro! Schmerzt es sehr?»
Tyrell zeigte seine Zahne.»Dalkeith sagt, es konnen noch ein paar kleine Splitter im Knochen sein. Diese Pistolenkugeln bersten manchmal, wenn sie einschlagen. «Er stand unbeholfen auf und grinste.»Es geht schon.»
Bolitho beobachtete, wie die Toppsgasten herabglitten, und sagte dann:»Ja. Ich glaube, ich wollte es. Ich kann meine Furcht nicht erklaren. «Er zuckte die Schultern.»Also werde ich es erst gar nicht versuchen. «Er schob seine truben Gedanken beiseite.»Jethro, ich mochte, da? die Leute jetzt ihr Fruhstuck bekommen und einen Schluck Rum. Es hat keinen Sinn, bis Tagesanbruch zu warten, sie sind sowieso zu durchna?t, um zu schlafen. «Er schnippte mit den Fingern.»Dann sollen die Feuer geloscht und die Leute auf Gefechtsstationen gebracht werden. Wir werden nicht klar zum Gefecht machen, aber ich mochte, da? jeder verfugbare Mann an Deck ist, wenn wir die Sandbank uberqueren.»
«Was ist mit Heyward? Werden Sie ihn bestrafen?«Tyrell beobachtete ihn angestrengt.
Bolitho schuttelte den Kopf.»Er hat seine Lektion gelernt, es ist nichts passiert. Als ich ein junger Leutnant war, bin ich einmal auf Wache eingeschlafen. «Seine Zahne schimmerten wei? durch die Dunkelheit.»Ich bin bei Gott nicht stolz darauf, aber ich habe es nie wieder getan!»
Er ging hinuber zum Niedergangsluk.»Ich werde etwas anziehen. Es geht nicht an, da? unsere Leute ihren Kapitan bei Tageslicht so sehen. «Er lachte, und das Lachen klang bis zu einem einsamen Matrosen in der Gro?rah hinauf.»Ich lebe vielleicht wie ein Wilder, aber ich mu? ja schlie?lich nicht so aussehen!»
Tyrell drehte sich wieder zur Reling um und zog sein Bein hoch, als der Schmerz es durchzuckte. Soeben hatte er wieder einen anderen Bolitho kennengelernt. Nackt bis zur Taille, das schwarze Haar uber der Stirn festgeklebt, hatte er genauso jung, wenn nicht junger als Heyward ausgesehen. In so einem Moment war Tyrell geruhrt uber seine Sorge fur die Leute, genauso wie es ihn beeindruckt hatte, da? er sich von den herannahenden Sandbanken nicht ins Bockshorn jagen lie?.
Heyward kam vom Geschutzdeck, um seine Pflicht wieder zu versehen.
Tyrell sagte:»Entlassen Sie die Wache unter Deck. Dann sollen die Unteroffiziere nach achtern kommen.»
Heyward fragte zogernd:»Wird das fur mich schlecht ausgehen?»
Tyrell klopfte ihm auf die Schulter.»Bei Gott, nein!«Er lachte uber sein Erstaunen.»Sie haben dem Kapitan einen Gefallen getan! Wenn Sie ihn eher gerufen hatten, ware er gezwungen gewesen, den Kurs zu andern. Ihr Fehler hat es ihm gestattet, eine andere Richtung einzuschlagen. «Er ging pfeifend weg, seine blo?en Fu?e verursachten auf den gischtdurchna?ten Planken ein klatschendes Gerausch.
Heyward ging uber das krangende Deck zu Buckle ans Steuer.»Ich glaube, das verstehe ich nicht.»
Buckle sah ihn zweifelnd an.»Dann versuchen Sie es nicht erst, das ist mein Rat. «Er schlurfte zum Niedergang und fugte hinzu:»Und das nachstemal, wenn Sie mit meinem Schiff lieber Gott spielen mochten, ware ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es zuerst bekanntmachen wurden!»
Heyward blickte auf den Kompa? und ging zur Luvseite hinuber. Leutnant der Wache zu sein, hie? mehr, als nur einen Auftrag zu haben. Er betrachtete die gespannten Gro?segel und grinste. Das ware beinahe ins Auge gegangen, und einmal war er vom plotzlichen Wechsel der Ereignisse so uberwaltigt worden, da? er dachte, das Schiff wurde durchgehen und ihn und alle an Bord mit unwiderstehlicher Gewalt entfuhren. In den letzten Augenblicken hatte er etwas gelernt. Sollte dies alles wieder passieren, so wu?te er, was er zu tun hatte. Dessen war er ganz sicher.
Stockdale wartete in der Kajute mit Bolithos Hemd und fragte ihn, nachdem er ihm ein Handtuch gereicht hatte:»Sind Sie damals wirklich auf Wache eingeschlafen, Sir?»
Bolitho rieb sich Arme und Brust ab und fuhlte, wie das Salz auf seinen Lippen wie eine zweite Haut trocknete.
«Beinahe. «Blieb denn vor Stockdale gar nichts verborgen?» Aber wir mussen die Dinge manchmal etwas ausschmucken.»
Er stieg aus seiner tropfnassen Hose und warf sie quer durch die Kajute. Als er seinen nackten Korper weiter abrieb, lauschte er Heywards gemessenen Schritten an Deck.
Dann sagte er ruhig:»Ich habe einmal von einem Leutnant gehort, der einen Mann auspeitschen lie?, weil er vom Ausguck etwas Falsches berichtet hatte. Danach war der Seemann so eingeschuchtert, da? er bei echter Gefahr den Mund hielt, aus Furcht, wieder geschlagen zu werden. Als Folge davon lief das Schiff auf Grund, und der Leutnant ertrank.»
Stockdale beobachtete ihn aufmerksam.»Geschieht ihm recht. «Er schuttelte eine frische Hose aus und reichte sie hinuber. Ungefahr eine Minute lang sagte er nichts, aber seine Stirne blieb gerunzelt. Dann fragte er:»Und was geschah mit dem Seemann, Sir?»
Bolitho blickte ihn an.»Ich furchte, er wurde wegen Vernachlassigung seiner Pflicht ausgepeitscht.»
Stockdales zernarbtes Gesicht strahlte in einem breiten Grinsen.»Ich habe wieder mal recht, Sir — nicht wahr? Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt!»
Bolitho setzte sich und zog seine Hose vollends an. Wie schon so oft, hatte Stockdale das letzte Wort gehabt.
Verhangnisvolles Schicksal
Leutnant Tyrell hielt sich krampfhaft an der Achterdeckreling fest und starrte angestrengt uber das Steuerbordschanzkleid.»Verdammter Nebel!«Er lehnte sich uber die Reling und versuchte verzweifelt, weiter als bis zum Vorschiff zu sehen.»Und unser gottverfluchtes Gluck!»
Bolitho sagte nichts, sondern ging zur entgegengesetzten Seite des Decks hinuber. Schon vor Beginn der Dammerung, als die Wassertiefe standig gelotet wurde und aller Augen und Ohren gespannt die ausgesungenen Werte horten, auf die Gerausche der entfernten Brandung horchten und gelegentliche Gischtspritzer in der Dunkelheit bemerkten, war er sich des immer dichter werdenden Nebels bewu?t geworden. Das war hier zu dieser Jahreszeit nicht ungewohnlich, doch hatte er erwartet, da? es beim ersten Schein der Morgensonne aufklaren wurde.
Als er jetzt querab schaute, wu?te er, da? der Nebel dichter denn je war. Er bewegte sich mit dem Wind, hing zwischen den Wanten und schien sich in die Takelage zu klammern wie blasse Schlingpflanzen. Uber den Gro?mastrahen konnte er gar nichts sehen, und abgesehen von einem freien Fleck Wassers unterhalb des Achterdecks war auch die See im wallenden Nebel verborgen. Da er mit dem Schiff Schritt hielt, nahm der Nebel den Eindruck der Bewegung weg, und man hatte das Gefuhl, als ob die
wie ein Geisterschiff in einer Wolke schwebte.
Eine Stimme unterhalb des Achterdecks rief:»Marke funf!»
Die Stimme des Seemanns wurde zum Schweigen gebracht, als diese Meldung von den Lotgasten am Anker von Mund zu Mund weitergegeben wurde. Nachdem sie uber der Sandbank waren, hatte Bolitho» Klar Schiff zum Gefecht «befohlen, und da der Nebel sowohl Sicht als auch Gerausche verschluckte, mu?ten sie jede Vorsichtsma?nahme ergreifen.
Er blickte wieder zum Gro?marssegel hinauf. Es zog das Schiff stetig uber die Untiefen, die flappende Leinwand glanzte in dem grauen Licht vor Feuchtigkeit und zeigte an, da? irgendwo uber dem Nebel die Sonne schien und vielleicht sogar Land in Sicht war.
«Tiefe vier!»
Bolitho wanderte nach achtern zum Ruder, wo Buckle mit seinen Mannern stand; der Nebel glitt durch seine gespreizten Beine und lie? ihn wie ein Gespenst erscheinen.
Er salutierte, als Bolitho naher kam, und berichtete:»Das Schiff halt sich gut, Sir. Kurs Sud zu Ost wie vorher.»
Vom Geschutzdeck horte man das kratzende Gerausch von Holz auf Holz, und als Bolitho sich umdrehte, sah er einen der langen Riemen uber dem Wasser schweben und dann wieder in die Reihe der anderen zuruckkehren. Er hatte vor einer Stunde angeordnet, die Riemen auszulegen, denn wenn der Wind abfiel oder sie auf eine Untiefe stie?en, waren sie das einzige Mittel, wieder freizukommen.
«Wahrschau an Deck!«Die Stimme des Ausgucks schien vom Nebel selbst zu kommen.»Schiff an Steuerbord!»
Bolitho starrte nach oben, und es wurde ihm zum erstenmal bewu?t, da? der Nebel leicht gelblich war wie der Nordseenebel. Endlich Sonne. Hoch uber dem Deck, isoliert durch eine Nebelschicht, hatte der Ausguck ein anderes Schiff entdeckt.
Er sah, da? Tyrell und die anderen ihn beobachteten; sie alle waren vom Ruf des Ausgucks in ihren verschiedenen Tatigkeiten aufgeschreckt worden.
Bolitho sagte:»Ich werde aufentern, Mr. Tyrell. «Er machte seinen Sabel los und ubergab ihn Stockdale.»Passen Sie gut auf und vergewissern Sie sich, da? der Anker jeden Moment geworfen werden kann, wenn notig. «Er eilte zum Schanzkleid, hin und her gerissen zwischen dem unerwarteten Anblick eines fremden Schiffes und der wachsenden Ubelkeit beim Gedanken, in den Ausguck hinaufzusteigen.
Dann schwang er sich hinaus in die Gro?wanten und ergriff die bebenden Taue mit solcher Kraft, da? man den Eindruck gewinnen konnte, das Schiff sei in einem Orkan. Durch die Wanten hindurch sah er Graves unten auf dem Geschutzdeck mit eingezogenen Schultern stehen, nicht rechts und nicht links blickend.
Bethune stand in seiner Nahe, eine Hand ruhte auf einem Zwolfpfunder, die andere beschattete seine Augen, als er in den Nebel hinaufspahte. Uberall auf dem Schiff standen die Leute wie Statisten herum, die blo?en Rucken feucht vom Wasser, das unablassig von der Takelage heruntertropfte, so da? es aussah, als schwitzten sie, als kamen sie gerade aus einer Schlacht.
Hie und da sah man ein kariertes Hemd oder die dunkelblau und wei?en der Feuerwerkersmaaten, die sich von den ubrigen abhoben, als hatte der Kunstler gerade noch Zeit gefunden, ihnen die richtige Haltung zu geben, ehe er zu einem anderen Teil des Bildes uberging.
«Marke funf!«Der Laut kam vom Vorschiff wie eine Klage.
In Gedanken stellte Bolitho sich die Karte vor. Die Flut war jetzt auf ihrem Hohepunkt. Bald wurden auch die sogenannten sicheren Rinnen zwischen den Untiefen und Sandbanken naher zueinanderrucken wie gro?e Kiefer, die sich um die Beute schlie?en.