Admiral Bolithos Erbe: Ein Handstreich in der Biskaya - Kent Alexander


Alexander Kent

Admiral Bolithos Erbe

Ein Handstreich in der Biskaya

I Landurlaub

Der Sommer 1801 war selbst fur das milde West-England au?ergewohnlich freundlich und warm; er brachte tagelang blauen, wolkenlosen Himmel und reichlich Sonnenschein. Plymouth lag an diesem geschaftigen Julivormittag unter einem so glei?enden Licht, da? die Schiffe, die von der Reede bis zum Sund dicht an dicht ankerten, im Glast zu wabern und zu tanzen schienen, als wollten sie vergessen machen, wie grimmig ihre Batteriedecks drohten und wie tief die Narben aus der Schlacht waren, die manche von ihnen davongetragen hatten.

Eine schnittige Gig glitt zielstrebig unter dem Heck eines hohen Dreideckers durch und wich dabei geschickt einem schwerfalligen Leichter aus, der bis ubers Dollbord mit gro?en Wasserfassern und Tonnen beladen war. Die hellen Riemen der Gig hoben und senkten sich im Gleichtakt, und auch die sauberen karierten Hemden und frisch geteerten Hute der Crew machten ihrem Mutterschiff und dessen Bootsmann alle Ehre. Letzterer beobachtete zwar aufmerksam den Bootsverkehr im Hafen, beschaftigte sich aber im Geiste vor allem mit seinem Passagier: Kapitan Thomas Herrick, den er mit der Gig gerade von der Pier abgeholt hatte.

Herrick war sich der Geistesabwesenheit seines Bootsmanns sehr wohl bewu?t; er spurte auch die Spannung der Bootsgasten, die seinem Blick auswichen, als sie jetzt ihre Riemenblatter horizontal drehten und die Gig wie einen riesigen Kafer uber das helle Wasser gleiten lie?en.

Herrick hatte eine lange, ermudende Reise aus seiner Heimat Kent hinter sich, und je naher er Plymouth gekommen war, um so besorgter hatten sich seine Gedanken mit dem beschaftigt, was ihn erwarten wurde.

Sein Schiff, die mit 74 Kanonen bestuckte

Benbow

Gazette

Solche Leute bekamen nie das Blut zu sehen, das Gemetzel, die zerfetzten Korper und zerrutteten Gemuter, die der Zoll jeder Schlacht waren. Oder das Verhau aus gebrochenen Stagen und gesplitterten Spieren, das ohne Federlesen gekappt werden mu?te, damit der Schaden sich in Grenzen hielt und das Wrack sich wieder in ein Kriegsschiff verwandelte.

Herrick lie? den Blick uber die stark befahrene Reede wandern. Uberall wurden Schiffe ausgerustet oder verproviantiert. Eine schlanke Fregatte erregte seine Aufmerksamkeit, die ohne Rigg und mit hohem Freibord uber ihrem eigenen schmucken Spiegelbild ritt; noch unbelastet von schweren Geschutzen oder voller Mannschaft, schwang sie vor der Helling an ihren Trossen: soeben von Stapel gelaufen. Herrick sah winkende Arme und geschwenkte Hute, bunte Flaggen uber noch leeren Stuckpforten, und fuhlte formlich die wachsende Selbstsicherheit der neuen Fregatte. Ein Schiff wie ein frisch geworfenes Fohlen, dachte er.

Doch so leicht lie?en sich seine Sorgen nicht zerstreuen. Acht Jahre Krieg mit Frankreich und seinen Verbundeten, und England hatte immer noch viel zu wenig Fregatten. Wohin wurde wohl dieser Neubau beordert werden? Wer wurde ihn befehligen und an Bord Ruhm oder Schande ernten?

Das erinnerte Herrick an den jungen Leutnant, der ihn mit der Gig abgeholt hatte. Er mu?te an Bord gekommen sein, wahrend er selbst seine sieben kostbaren Tage in Kent verbrachte. So bla? und jung sah er aus, so unsicher, da? Herrick ihn eher fur einen neu angemusterten Midshipman[2] gehalten hatte als fur einen Leutnant. Aber der Krieg hatte so viele Leben gekostet, da? die ganze Flotte nur noch aus Knaben oder alten Mannern zu bestehen schien.

Sinnlos, diesen Jungen danach zu fragen; der furchtete sich ja vor seinem eigenen Schatten.

Herrick blickte zu seinem breitschultrigen Bootsmann auf, der die Gig gerade unter einem weiteren hochragenden Bugspriet hindurchsteuerte, beobachtet von den gluhenden Augen der Galionsfi-gur.

Doch dieser bibbernde Junge in Leutnantsuniform hatte ihn an der Pier erwartet, hatte ehrerbietig seinen Hut gezogen und atemlos in einem einzigen Satz hervorgesprudelt:»Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und der Admiral ist an Bord.»

Zum Gluck stand also wenigstens der Erste Offizier zu seinem Empfang bereit, dachte Herrick grimmig. Aber weshalb war Konteradmiral Richard Bolitho, ein Marineoffizier, unter dem er in allen Winkeln der Welt gekampft hatte, den er verehrte wie keinen zweiten, wieso war Bolitho ausgerechnet jetzt auf der

Gerade fur Bolitho hatte der Landurlaub ganz anders aussehen sollen. Diesmal erwartete ihn eine Frau, eine schone junge Frau, die ihn entschadigen konnte fur den tragischen Verlust, den er vor nicht sehr langer Zeit erlitten hatte. Bolitho war kurz nach London zur Admiralitat gereist und hatte dann wieder nach Cornwall zuruckkehren wollen, in das gro?e alte Haus in Falmouth.

Die Gig naherte sich ihrem Ziel, dem Linienschiff

Benbow,

Benbow wieder seeklar zu machen.

Sein Blick blieb am Besanmast hangen und an der Flagge, die nur ab und zu an seinem Mastknopf auswehte. Es war die Flagge eines Konteradmirals der Roten Territorien,[3] aber Herrick bedeutete er sehr viel mehr. Wenigstens hatte er seine junge Frau Dulcie diesmal daran teilhaben lassen konnen. Obwohl er erst seit kurzem verheiratet war, hatte Herrick sich wie ein gestandener Ehemann zur See George Gilchrist zugefuhrt hatte — vor erst vier Tagen daheim in Maidstone. In der Erinnerung mu?te er lacheln, wodurch sein rundliches Gesicht alle Strenge verlor. Er — und ein erfahrener Ratgeber in Ehedingen!

Der Buggast erhob sich, den Bootshaken einsatzbereit.

Wahrend Herricks Gedanken abgeirrt waren, war die Bordwand der

Die Riemen wurden gepickt, und Tuck, der Bootsmann, zog den Hut. Als ihre Blicke sich trafen, lachelte Herrick kurz.»Danke, Tuck. Gut gemacht.»

Sie verstanden einander ohne viele Worte.

Herrick blickte zur Schanzkleidpforte auf und wappnete sich — wie ihm schien, zum tausendstenmal. Er erinnerte sich an die Zeit, als er sich nicht einmal seines Leutnantsranges sicher gefuhlt hatte. Dann kam der Schritt von der Offiziersmesse zum Achterdeck, und jetzt war er sogar Flaggkapitan des in seinen Augen besten Marineoffiziers, uber den England verfugte; er konnte es immer noch nicht fassen.

Mit seinem neuen Haus in Kent ging es ihm ahnlich. Das war keine Kate mehr, sondern ein stattliches Wohnhaus, sogar mit einem echten Admiral und einigen reichen Kaufleuten als Nachbarn. Dulcie hatte ihn beschwichtigt:»Fur dich, mein Liebster, ist nichts zu schade. Das hier hast du dir hart erkampfen mussen, und eigentlich gebuhrt dir viel mehr.»

Herrick seufzte. Das meiste Geld war sowieso von ihr gekommen. Womit hatte er blo? das Gluck verdient, so eine Frau wie seine Dulcie zu finden?

Ein Wolkchen aus Pfeifentonstaub hing uber den starren Gesichtern und schwarzen Huten, als die Seesoldaten knallend die Musketen aufstampften, wahrend Herrick unter dem Zwitschern der Bootsmannspfeifen gru?end seinen Hut zum Achterdeck hin luftete und auch Wolfe, seinen uberlangen Ersten Offizier, in den Gru? mit einbezog; Wolfe war fur Herrick wohl der ha?lichste, wahrscheinlich aber einer der besten Seeleute, die ihm je begegnet waren.

Der Larm verklang, und Herrick musterte die zum Seitepfeifen Angetretenen mit Wehmut. So viele neue Gesichter, die er sich einpragen mu?te. Einstweilen sah er hinter ihnen immer noch die der anderen Manner, die in der Schlacht gefallen oder in irgendeinem Marinelazarett verschwunden waren.

Aber Major Clinton von der Marineinfanterie war noch da. Und hinter seiner roten Uniformschulter sah der alte Ben Grubb hervor, der Sailing Master.[4] Eigentlich konnte Herrick sich glucklich schatzen, da? ihm noch so viele erfahrene Leute geblieben waren, die nun Rekruten und Gepre?te zu einer Mannschaft zusammenschwei?en mu?ten.

«Also, Mr. Wolfe, vielleicht erklaren Sie mir, warum da oben die Flagge des Admirals weht?»

Er fiel neben dem Leutnant in Schritt, dessen grellrotes Haar wie zwei Leesegel zu beiden Seiten seines Huts hervorstand. Schon kam es ihm vor, als sei er nie von Bord gewesen. Das Schiff hatte ihn vereinnahmt, und das Land dort druben, mit seinen schimmernden Hausern und gezackten Festungswallen, hatte jede Bedeutung fur ihn verloren.

Mit seiner rauhen, trockenen Stimme sagte Wolfe:»Der Admi-ral kam gestern nachmittag an Bord, Sir. «Seine Pranke scho? vor und deutete auf einen Bunsch soeben aufgeschossener Fallen.»Was soll das sein — ein verdammtes Storchennest?«Er wandte sich von dem versteinerten Matrosen ab und bellte:»Mr. Swale, notieren Sie den Namen dieses Idioten! Er ist ein vermaledeiter Weber, kein Seemann!»

Schweratmend fuhr Wolfe fort, an Herrick gewandt:»Die meisten Ersatzleute sind solche Versager, Sir. Kehricht aus dem Karzer und nur ganz vereinzelt ein paar erfahrene Seeleute. «Er rieb sich die fleischige Nase.»Die hier habe ich von einem Indienfahrer. Behaupteten, sie seien vom Kriegsdienst freigestellt. Wollten angeblich auch Papiere besitzen, in denen das bestatigt wurde.»

Herrick grinste schief.»Aber bis Sie die Angelegenheit geklart hatten, war der Indienfahrer schon ohne die Leute ausgelaufen, nicht wahr, Mr. Wolfe?»

Beide hegten keine sonderliche Sympathie fur die vielen erstklassigen Matrosen, die vom Dienst bei der Kriegsmarine freigestellt blieben, blo? weil sie bei der Ostindischen Handeskompanie oder irgendeiner Hafenbehorde dienten. Schlie?lich befand sich England im Kriegszustand. Gebraucht wurden Seeleute, nicht Kruppel oder Kriminelle. Aber die Lage wurde von Tag zu Tag prekarer. Herrick hatte gehort, da? die Pre?kommandos und Werber schon viele Meilen tief im Binnenland umherzogen.

Er blickte zum turmhohen Gro?mast und dem imponierenden Dickicht der Taljen, Rahen und Taue hoch. Wieder drangte sich ihm die Erinnerung an den Pulverrauch und die zerschossenen Segel auf, an die Seesoldaten in den Marsen, die da oben brullten und jubelten und ihre Musketen und Drehbassen auf das Tohuwabohu unten abfeuerten.

Gemeinsam betraten sie den Schatten der Poop und beugten die Kopfe unter den schweren, niedrigen Decksbalken.

Wolfe sprach als erster.»Der Admiral ist allein gekommen, Sir. «Er zogerte, als furchte er, zu weit gegangen zu sein.»Ich dachte, er wollte seine Lady mitbringen?»

Herrick wandte sich seinem Ersten prufend zu. Wolfe war ein vierschrotiger, manchmal brutaler Mann und hatte auf den unterschiedlichsten Schiffen gedient, von der Kohlenbrigg bis zum Sklaventransporter. Er hatte keine Geduld mit Faulpelzen und kein Verstandnis fur menschliche Schwachen. Aber er war auch kein Schwatzmaul.

Deshalb sagte Herrick, was er dachte.»Das hatte ich ebenfalls gehofft. Wei? Gott, der Mann hatte es verdient…»

Der Rest des Satzes wurde ubertont vom Ruf des Wachtpostens vor der Kajute, der mit seiner Muskete auf den Boden stampfte und ankundigte:»Der Flaggkapitan, Sir!»

Wolfe wandte sich grinsend ab.»Verdammte Holzkopfe!»

Die Tur wurde ihnen von Ozzard, Bolithos Steward, geoffnet. Ozzard war ein seltsamer Kauz. Jetzt galt er als tuchtiger Steward, aber man munkelte, da? er fruher ein noch besserer Anwaltsgehilfe gewesen sei, der vor einer langen Kerkerstrafe oder dem Galgen mit knapper Not zur Marine entkommen war.

Die gro?e Achterkajute, von wei?en Lamellenturen in einen Schlaf- und einen Speiseraum unterteilt, war frisch gestrichen, und den Boden bedeckte wieder eine schwarz-wei? gewurfelte Persenning, welche die Narben der Schlacht den Blicken entzog. Bolitho hatte sich aus einem Heckfenster gebeugt, wandte sich aber jetzt um, seinen Freund zu begru?en. Erleichtert stellte Herrick fest, da? er sich au?erlich nicht verandert hatte. Sein goldbetre?ter Admiralsrock lag achtlos uber einen Stuhl geworfen, er trug nur Hemd und Kniehose. Mit dem schwarzen Haar, von dem eine Strahne ubers rechte Auge fiel, und mit seinem raschen, warmherzigen Lacheln wirkte Bolitho eher wie ein Leutnant als wie ein Flaggoffizier.

Ihr Handedruck war kurz, enthielt fur beide aber eine ganze Welt gemeinsamer Erinnerungen. Dann sagte Bolitho:»Bring uns Wein, Ozzard. «Er zog einen Stuhl fur Herrick heran.»Setzen Sie sich, Thomas. Es tut gut, Sie wiederzusehen.»

Bolithos graue Augen ruhten etwas langer als sonst auf seinem Freund; Herrick wirkte breiter, sein Gesicht etwas voller, aber das lag wohl an den Kochkunsten seiner fursorglichen jungen Frau. Sein braunes Haar hatte hier und da hellgraue Lichter, wie Reif auf einem struppigen Busch. Aber die klaren blauen Augen, die so trotzig, aber auch so verletzt blicken konnten, waren noch dieselben.

Sie stie?en an, und Bolitho fragte:»Wie steht's mit Ihrer Einsatzbereitschaft, Thomas?»

Herrick verschluckte sich fast am Wein. Einsatzbereitschaft? Sie lagen erst seit einem Monat im Hafen, und zwei Schiffe des Geschwaders waren wahrend der Schlacht verlorengegangen! Sogar ihr leichtester Zweidecker, die mit 64 Kanonen bestuckte

Indomitable und die Nicator, beides 74er wie die Benbow, im Reparaturdock fest.

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