Dann schaute er uber das Deck der Brigantine, auf die verwundeten Manner, die leise stohnten oder wie kranke Tiere wegzukriechen versuchten.
Einige wurden sich nie mehr bewegen.
Als das Tageslicht weiter zunahm, prufte Bolitho den Degen, den Jury ihm zu seiner Rettung zugeworfen hatte. In dem schwachen Licht sah das Blut auf dem Griff und auf seinem Handgelenk wie schwarze Farbe aus.
Little kam wieder nach achtern. Der neue Dritte Offizier schien ihm noch sehr jung. Im nachsten Augenblick wurde er die Waffe in einer Aufwallung des Ekels daruber, was er mit ihr angerichtet hatte, uber Bord werfen. Das ware ein Jammer. Spater wurde ihm einfallen, da? er sie seinem Vater oder seiner Braut hatte schenken sollen.
Little sagte:»Geben Sie her, Sir, ich werde sie fur Sie reinigen. «Er sah, da? Bolitho zogerte, und fugte warm hinzu:»Sie war ein guter Kamerad fur Sie, und zu seinen Kameraden soll man halten, das sagt Ihnen Josh Little, Sir.»
Bolitho gab ihm die Waffe.»Ich glaube, Sie haben recht. «Er richtete sich straff auf, obwohl ihn jeder Muskel und jede Sehne schmerzten.
«Lebhaft, Leute! Wir haben noch viel zu tun. «Er rief sich die Worte des Kommandanten in Erinnerung:»Nichts geschieht von allein.»
Vom Fu? des Fockmastes aus, neben dem ein Haufen herabgefallener Takelage lag, beobachtete ihn Stockdale. Er nickte befriedigt. Wieder war ein Kampf voruber.
Bolitho wartete mude neben Dumaresqs Tisch in der Kajute der
Heloise
Als Dumaresq das Logbuch der Brigantine durchgeblattert hatte, warf er Bolitho einen Blick zu.
«Setzen Sie sich, Mr. Bolitho, bevor Sie umfallen!»
Er erhob sich und ging zu den achteren Seitenfenstern, pre?te sein Gesicht gegen das dicke Glas und schaute auf die Brigantine, die in Lee der
Dumaresq wandte sich wieder Bolitho zu.»Gute Manner haben ihr Leben verloren — durch Piraten und Morder, niemand anderen!«Von der falschen Berechnung, die beide Schiffe fast zu Wracks gemacht, aufjeden Fall aber schwer beschadigt hatte, kein Wort. Dagegen:»Ich wu?te, da? sie etwas vorhatten. Es wurde mir in Funchal klar, da? es daheim zu viele Augen und Ohren gegeben hatte. «Er zahlte die Argumente an seinen dicken Fingern ab:»Erst mein Schreiber, nur wegen des hhalts der Tasche. Dann die Brigantine, die England zur gleichen Zeit verlie?, als wir aus Plymouth ausliefen, und die dann >zufallig
Bolitho verstand. Hatte die
Dumaresq fugte hinzu:»Wahrhaftig, es pa?t alles zusammen. Wir sind auf der richtigen Fahrte.»
Der Posten drau?en rief:»Der Schiffsarzt, Sir!»
Dumaresq warf dem schwitzenden Doktor einen kurzen Blick zu.»Es wird auch verdammt Zeit, Mann!»
Bulkley zuckte die Achseln, entweder weil ihn Dumaresqs explosives Temperament kalt lie?, oder weil er so daran gewohnt war, da? es ihm nichts mehr ausmachte.
«Der Mann lebt, Sir. Eine schlimme Wunde, aber ohne Verunreinigungen. «Er warf Bolitho einen neugierigen Blick zu.»Au?erdem ist er ein kraftiger Bursche. Ich bin uberrascht und befriedigt, Sie noch in einem Stuck vorzufinden, junger Mann.»
Dumaresq fuhr ungeduldig dazwischen:»Lassen wir das jetzt. Wie darf der Schurke es wagen, ein Schiff des Konigs herauszufordern! Er hat von mir keine Milde zu erwarten, dessen seien Sie sicher.»
Langsam beruhigte er sich. Es war wie nachlassender Seegang, dachte Bolitho.
«Ich mu? so viel wie moglich aus ihm herausholen. Mr. Palliser durchsucht inzwischen die
Der Doktor bemerkte:»Mr. Jury geht's leidlich. Ein ha?licher
Schnitt, aber er ist ein gesunder Junge. Es wird sicher nichts davon bleiben.»
Dumaresq mu?te lacheln.»Ich habe mit ihm gesprochen, als er vom Kutter hochgetragen wurde. Da spielt wohl etwas Heldenverehrung mit, nicht wahr, Mr. Bolitho?»
«Er hat mir das Leben gerettet, Sir. Er hatte also keinen Grund, mich zu ruhmen.»
Dumaresq nickte.»Hm, wir werden sehen. «Er wechselte das Thema.»Wir wollen noch vor Anbruch der Dunkelheit gemeinsam lossegeln. Bis dahin mussen alle Mann kraftig zupacken. Mr. Palliser wird auf dem verdammten Piraten einen Ersatzmast aufriggen mussen. «Er schaute Bolitho an.»Informieren Sie das Achterdeck: Der Ausguck im Mast soll stundlich wechseln. Wir werden wegen der uns aufgezwungenen Verzogerung die Augen besonders offenhalten mussen, ob weitere Verfolger hinter uns her sind. Wie die Dinge liegen, haben wir eine nette kleine Prise, und niemand wei? etwas von dem Zwischenfall. Das mag uns in gewisser Weise sogar helfen.»
Bolitho stand mit schweren Beinen auf. Es wurde also keine Ruhepause geben.
Dumaresq sagte:»Lassen Sie die Leute um zwolf Uhr zur Beisetzungsfeier antreten, Mr. Bolitho. Wir werden die armen Burschen auf ihre letzte Reise schicken, solange wir noch beigedreht liegen. «Er zerstreute aufkommende Gefuhle durch den Nachsatz:»Es hat keinen Sinn, damit Zeit zu vertrodeln, wenn wir erst wieder in Fahrt sind.»
Bulkley folgte Bolitho am Posten drau?en vorbei und bis zum Niedergang, der ins Hauptdeck hinunterfuhrte. Der Arzt seufzte.»Er mu? den Bissen erst verdauen. «Bolitho sah ihn an und versuchte, seine Gedanken zu lesen. Aber zwischen den Decks war es zu dunkel, man konnte lediglich die Gerausche und Geruche des Schiffes wahrnehmen.»Sind es die Goldbarren?»
Bulkley hob den Kopf, um die gedampften Rufe von einem lang-seits kommenden Boot, das von der Dunung gegen die Bordwand gedruckt wurde, zu verstehen.
«Sie sind noch zu jung, um alles zu begreifen, Richard. «Er legte seine rundliche Hand auf Bolithos Arm.»Und das soll keine Kritik sein, glauben Sie mir. Aber ich habe andere Manner wie unseren
Kommandanten kennengelernt, und ihn kenne ich besser als manche anderen. Er ist in vieler Hinsicht ein makelloser Offizier, wenn auch etwas starrsinnig. Aber er lechzt nach Taten wie ein Trinker nach der Flasche. Er befehligt diese schone Fregatte, aber insgeheim fuhlt er, da? er zu fruh oder zu spat geboren ist. In einem England, das sich im Friedenszustand befindet, sind die Aussichten gering, sich hervorzutun. Das pa?t mir zwar sehr gut, aber…«Er schuttelte den Kopf.»Ich habe genug gesagt. Aber ich wei?, Sie werden mein Vertrauen nicht mi?brauchen.»
Er ging gemachlich Richtung Niedergang und hinterlie? ein Aroma von Schnaps und Tabak, das sich mit den anderen im Raum schwebenden Geruchen mischte.
Bolitho trat hinaus ins Tageslicht und kletterte schnell die Leiter zum Achterdeck hoch. Er wu?te, da? er sofort stehend einschlafen wurde, wenn er nicht in Bewegung blieb.
Das Batteriedeck der
Rhodes trat an seine Seite.»Gut, da? Sie wieder da sind, Dick. «Er senkte die Stimme, als sie sich zu der neben ihnen treibenden Brigantine umwandten.»Der >Herr und Meisten rannte herum wie ein rasender Lowe, als Sie sich von unserer Bordwand gelost hatten. Ich wurde ihn eine Woche lang lieber mit au?erster Vorsicht behandeln.»
Bolitho betrachtete aufmerksam das andere Schiff. Es kam ihm jetzt mehr denn je wie ein Traum vor. Kaum zu glauben, da? er es geschafft hatte, seine Leute zu sammeln und die
Rhodes war ehrlich begeistert, aber es gab sicher auch Neider. Andere wurden meinen, er habe eben Gluck gehabt oder auch zuviel Erfolg fur einen so jungen Offizier.
Spillane, der neue Assistent des Schiffsarztes, erschien auf der Lee-Laufbrucke und warf ein Paket uber Bord. Bolitho wurde es ubel. Was war darin, ein Bein oder ein Arm? Es hatte von ihm stammen konnen.
Er horte Slade, den Steuermannsmaat, irgendeinen unglucklichen Matrosen lauthals beschimpfen. Da? die
Zur befohlenen Zeit wurden die Toten beigesetzt, wahrend die Lebenden mit entblo?ten Hauptern dastanden und der Kommandant einige Worte aus dem Gebetbuch verlas.
Dann, nach einer schnell eingenommenen Mahlzeit mit einer Extraportion Rum, war die Luft wieder erfullt vom Larm der Hammer und Sagen und dem durchdringenden Geruch nach Farbe und Teer, mit dem die Fugen kalfatert wurden.
Dumaresq kam zum Ende der Nachmittagswache fur einige Minuten an Deck, musterte sein Schiff und dann den aufklarenden Himmel, der ihm mehr verriet als jedes Instrument. Zu Bolitho, der wieder einmal Wache hatte, sagte er:»Schauen Sie sich unsere Leute bei der Arbeit an. Zu Hause werden sie als Raufbolde und nichtsnutzige Saufer gebrandmarkt, aber geben Sie ihnen ein Tauende und ein Stuck Holz, und Sie werden staunen, was sie daraus machen.»
Er sprach mit so viel Gefuhl, da? Bolitho zu fragen wagte:»Glauben Sie, da? es bald wieder Krieg gibt, Sir?»
Einen Augenblick dachte er, er ware zu weit gegangen. Dumaresq fuhr schnell auf seinen kraftigen Beinen herum, und sein Blick war hart, als er sagte:»Sie haben mit dem verdammten Knochensabler gesprochen, nicht wahr?«Dann lachte er in sich hinein.»Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Sie haben noch keine Ranke kennengelernt. «Er ging fur seinen gewohnten Spaziergang auf die andere Seite und sagte nur noch:»Krieg? Ich verlasse mich darauf!»
Bevor die Dunkelheit einbrach und die beiden Schiffe voreinander verbarg, meldete Palliser, da? er auf der Brigantine soweit sei. Die weniger starken Beschadigungen konnten wahrend der Weiterfahrt nach Rio beseitigt werden.
Slade war zur
Dankbar kletterte Bolitho in seine Koje und lie? seine Sachen liegen, wo sie hingefallen waren. Um ihn herum vibrierte und knarrte die
Den Menschen an Bord ging es nicht anders. Bulkley sa? in seinem Krankenrevier, sog an einer langen Tonpfeife und teilte einiges von seinen Alkoholvorraten mit Codd, dem Zahlmeister.
Nebenan, vom Orlopdeck aus kaum sichtbar, schliefen die Verwundeten oder wimmerten leise in der Finsternis.
In der Kajute sa? Dumaresq in Hemdsarmeln und bis zur Taille aufgeknopft und schrieb eifrig in sein privates Tagebuch. Von Zeit zu Zeit sah er scharf zur Tur, als wolle er sie mit Blicken durchbohren und die ganze Lange seines Schiffes kontrollieren. Manchmal sah er auch zu den Decksbalken uber sich auf, weil Gullivers Schritte auf dem Achterdeck ihm sagten, da? der Master noch immer uber die Ursachen der Kollision grubelte und befurchtete, da? die Schuld daran ihm in die Schuhe geschoben werden konnte.
Im Hauptdeck, das kaum Stehhohe bot, schaukelte die Mehrzahl der Besatzung in ihren Hangematten, die im Takt der Schiffsbewegungen hin und her pendelten: wie sauber aufgereihte Erbsenhulsen, die darauf warteten, sich im Nu zu offnen und ihren Inhalt freizugeben, wenn die Wetterlage es verlangte oder die Trommeln zum Gefecht riefen.
Nur einige der Manner, die entweder Wache an Deck gingen oder keinen Schlaf finden konnten, dachten noch an den kurzen, erbitterten Kampf und an die Augenblicke, in denen sie Todesangst kennengelernt hatten; an vertraute Gesichter, die nun ausgeloscht waren, oder an das Prisengeld, das die hubsche Brigantine ihnen einbringen wurde.
Auch Midshipman Jury, der sich in seiner Koje im Krankenrevier hin und her warf, durchlebte den Kampf noch einmal. Er dachte an den schrecklichen Augenblick, als Leutnant Bolithos Sabel weggeschlagen worden war, an sein verzweifeltes Bemuhen, ihm zu helfen, und an den plotzlichen Schmerz in der Magengrube, als hatte ihn hei?es Eisen versengt. Er dachte an seinen toten Vater, an den er sich kaum erinnern konnte, von dem er aber annahm, da? er jetzt stolz auf ihn gewesen ware.
Die Destiny trug alle unterschiedslos: den finsterblickenden Palliser, der Colpoys in der sonst leeren Messe gegenubersa?, vor sich auf dem Tisch die Karten, die ihn zu verhohnen schienen, bis zu Steward Poad, der in seiner Hangematte schnarchte. Sie alle waren auf Gnade oder Ungnade dem Schiff ausgeliefert, dessen Galionsfigur nach dem Horizont zu greifen schien und ihm doch nie naherkam.