Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio - Kent Alexander 4 стр.


Palliser stand auf und sagte in den Larm hinein:»Meine Herren, unser neuer Kamerad.»

Bolitho sah, da? Rhodes ihn anlachelte, und war froh uber dieses freundliche Gesicht. Er schuttelte Hande und murmelte etwas, das ihm angebracht schien. Obersteuermann Julius Gulliver war genauso, wie ihn Rhodes beschrieben hatte: unfrei, gezwungen, irgendwie hinterhaltig. Leutnant John Colpoys, der die Seesoldaten an Bord befehligte, errotete leicht, als er Bolitho die Hand schuttelte und etwas affektiert sagte:»Sehr erfreut, mein Lieber.»

Der Schiffsarzt wirkte rund und gemutlich wie eine aufgeplusterte Eule und roch nach Schnaps und Tabak. Und da war noch Samuel Codd, der Zahlmeister, ein — wie Bolitho schien — ungewohnlich heiterer Vertreter seines Berufsstandes. Schonheit zeichnete ihn nicht aus, denn er hatte sehr gro?e Schneidezahne im Oberkiefer und ein so kleines, fliehendes Kinn, da? die obere Halfte seines Gesichts standig die untere zu vertilgen schien.

Colpoys sagte:»Hoffentlich konnen Sie Karten spielen.»

Rhodes lachelte.»Probieren Sie's doch mal mit ihm. «Zu Bolitho sagte er:»Er wird Ihnen das Fell uber die Ohren ziehen, wenn Sie sich mit ihm einlassen.»

Bolitho setzte sich neben dem Arzt an den Tisch. Dieser holte einen goldgefa?ten Kneifer heraus, der zu seinen roten Pausbacken wenig pa?te, und stellte fest:»Pastete vom Schwein. Ein sicheres Zeichen dafur, da? wir bald auslaufen. Danach«, er warf dem Zahlmeister einen Blick zu,»sind wir wieder auf Samuels Vorrate angewiesen, von denen die meisten schon vor zwanzig Jahren als ungenie?bar erklart wurden.»

Glaser klirrten, und die Luft wurde schwer von Dampf und Essensduften. Bolitho musterte die Tischrunde. So also sahen Offiziere aus, wenn sie sich au?er Sichtweite ihrer Untergebenen befanden.

Rhodes flusterte:»Was halten Sie von ihm?»

«Vom Kommandanten?«Bolitho versuchte, seine Gedanken zu ordnen.»Ich bin beeindruckt. Er ist so, so.»

Rhodes winkte Poad, ihm die Karaffe mit Wein zu bringen.»Gefahrlich?«Bolitho lachelte.»Anders. Aber etwas Angst macht er einem schon.»

Palliser unterbrach ihre Unterhaltung.»Wenn Sie gegessen haben, machen Sie sich mit dem Schiff vertraut, Richard. Vom Kiel bis zum Flaggenknopf, vom Kluverbaum bis zur Hecklaterne. Wenn Ihnen etwas unklar ist, fragen Sie mich. Machen Sie sich moglichst schon mit den Deckoffizieren und den jungen Unteroffizieren bekannt, und pragen Sie sich die Namen Ihrer eigenen Division ein. «Er zwinkerte dem Leutnant der Seesoldaten zu, aber nicht schnell genug, so da? Bolitho es noch bemerkte.»Ich bin sicher, Mr. Bolitho wird alles daransetzen, da? seine Leute es bald mit denen aufnehmen konnen, die er uns heute so erfolgreich an Bord gebracht hat.»

Bolitho sah auf den Teller nieder, den ein Steward vor ihn hingestellt hatte. Das hei?t: Von dem Teller war wenig zu sehen, da er bis zum Rand mit Essen uberhauft war. Palliser hatte ihn also mit seinem Vornamen angesprochen und sogar einen Witz uber seine Freiwilligen gemacht. Demnach waren das die wirklichen Menschen hinter der starren Haltung und den Fesseln der Rangordnung drau?en an Deck. Er hob den Blick und lie? ihn uber den Tisch wandern. Wenn man ihm Zeit lie?, wurde er sich unter ihnen wohlfuhlen, dachte er.

Rhodes sagte zwischen zwei Bissen:»Ich habe gehort, da? wir mit der Montagstide auslaufen. Ein Bursche der Admiralitat war gestern an Bord. Er wei? gewohnlich Bescheid.»

Bolitho versuchte sich zu erinnern, was der Kommandant gesagt hatte: Loyalitat steht obenan. Dumaresq hatte fast die letzten Worte seiner Mutter wiederholt: Die See ist kein Ort fur Traumer.

Fu?e trappelten uber ihren Kopfen. Bolitho horte, wie weitere schwere Netze mit Vorraten zum Gezwitscher einer Bootsmannsmaatenpfeife an Bord gehievt wurden.

Bald wurden sie weit weg vom Land sein, weg von den schmerzlichen Erinnerungen, den Gedanken an das, was er verloren hatte. Ja, es war gut, wieder unterwegs zu sein.

Wie Leutnant Rhodes vorausgesagt hatte, machte Seiner Majestat Fregatte

Bolitho dachte oft daran, was Rhodes uber den Ersten Offizier gesagt hatte:»Hinter einem eigenen Kommando her. «Palliser wurde bestimmt sein Bestes fur das Schiff geben und ebenso entschieden jedes Versagen bekampfen, dessen Folgen ihm angelastet werden konnten.

Bolitho hatte sich eifrig bemuht, die Manner, mit denen er direkt zusammenarbeiten mu?te, kennenzulernen. Anders als auf den gewaltigen Linienschiffen, hing das Uberleben einer Fregatte nicht von der Dicke ihrer holzernen Bordwande, sondern von ihrer Beweglichkeit ab. Die Besatzung war in Divisionen eingeteilt, weil sie so am besten eingesetzt werden konnte.

Der Fockmast mit seinen Rahsegeln — zuunterst Fock, daruber Mars, Bram und Royal; dazu die Stagsegel: Kluver und Au?enkluver — war entscheidend fur schnelle Halsemanover, aber auch bei der Wende, wenn das Schiff mit dem Bug durch den Wind ging. Wichtig war er auch im Gefecht, wenn der Kommandant plotzlich abfallen wollte, um das empfindliche Heck des Gegners mit einer Breitseite zu beharken.

Am achteren Ende des Schiffes standen Steuermann und Ruderganger und nutzten jeden Mast, jeden Zoll Segel, um das Schiff mit den sparsamsten Kommandos auf Kurs zu halten.

Bolitho hatte die Aufsicht am Gro?mast. Als hochster der drei Masten war er in Abschnitte unterteilt, ebenso die Manner, die an ihm auf enterten, ohne Rucksicht darauf, was sie bei schlechtem Wetter dort oben erwartete.

Diese flinken Toppsgasten waren die Elite der Mannschaft, wahrend an Deck zur Bedienung der Fallen, Schoten, Halsen und Brassen die weniger gewandten Leute abgestellt waren, die neu rekrutierten oder alteren Matrosen, denen man die Arbeit mit der vom Salzwasser steifen Leinwand, einhundert Fu? und mehr uber Deck, noch nicht oder nicht mehr zumuten konnte.

Rhodes befehligte am Fockmast, wahrend ein Steuermannsmaat den Besanmast unter sich hatte, der wegen seiner geringeren Segelzahl am leichtesten zu bedienen war und zur Handhabung seines Gaffelsegels vor allem Korperkrafte brauchte. Die Wache der Seesoldaten auf dem Achterdeck und eine Handvoll Matrosen genugten, um mit dem Besan fertig zu werden.

Bolitho gab sich gro?e Muhe, mit dem Oberbootsmann, einem furchterregenden Mann namens Timbrell, gut auszukommen. Tim-brell hatte ein von Wind und Wetter gezeichnetes Gesicht und war wie ein antiker Krieger uber und uber mit Narben bedeckt. Er war der Erste unter den Seeleuten. Sobald sie frei von Land waren, trat Tim-brell nach Anweisung des Ersten Offiziers in Aktion. Er beseitigte Sturmschaden, besserte Stengen und Rahen aus, erneuerte — wo es erforderlich war — den Farbanstrich und sorgte dafur, da? alle Fugen dicht, das stehende und laufende Gut in Ordnung waren, und hatte noch ein Auge auf die Fachleute, die sich mit diesen verschiedenen Arbeiten beschaftigten: Schiffszimmermann, Segelmacher und viele andere. Timbrell war Seemann bis in die Fingerspitzen und konnte fur einen jungen Offizier ein guter Freund sein, aber auch ein schlimmer Feind, wenn er falsch behandelt wurde.

An diesem speziellen Montagmorgen ging der Betrieb auf der Destiny noch vor dem ersten Tageslicht los. Der Koch hatte eine schnelle Mahlzeit bereitet, als ob er dafur verantwortlich sei, da? sie bald in Fahrt kamen.

Listen wurden noch einmal uberpruft, Namen aufgerufen, Manner auf ihre Platze geschickt. Fur eine Landratte hatte alles wie ein wildes Durcheinander ausgesehen: das viele Tauwerk, das sich an Deck schlangelte, die Manner auf den gro?en Rahen, welche die Segel, die uber Nacht durch unerwarteten Frost hartgefroren waren, losmachten.

Bolitho hatte den Kommandanten mehrmals an Deck kommen sehen. Er redete mit Palliser oder besprach etwas mit Gulliver, dem Obersteuermann. Falls er erregt war, so zeigte er es jedenfalls nicht, sondern marschierte in seiner festen Gangart uber das Achterdeck, als denke er an ganz etwas anderes als an sein Schiff.

Die Offiziere und Deckoffiziere hatten ihre schon etwas abgetragenen See-Uniformen angezogen, wogegen sich Bolitho und die meisten jungen Kadetten in ihren neuen Jacken mit den blitzenden Knopfen ganz fremd vorkamen.

Bolitho hatte mit der Post aus Falmouth zwei Briefe von seiner Mutter bekommen. Sie stand vor seinem geistigen Auge, wie er sie zuletzt gesehen hatte: zart und liebreizend,»eine Lady, die nie alt wird«, sagten einige Leute von ihr; das Madchen aus Schottland, das Kapitan James Bolitho seit ihrem ersten Zusammentreffen bezaubert hatte. Sie war eigentlich zu schwach, um die Last der Bewirtschaftung des gro?en Hauses und des Gutes allein zu tragen. Seit Richards alterer Bruder Hugh wieder an Bord einer Fregatte diente, weit weg auf See, nachdem er einige Zeit den Zollkutter

Bolitho ging zur Laufbrucke, wo die Manner ihre Hangematten, die sie von unten heraufgebracht hatten, in die Finknetze verstauten. Arme Nancy, sie wurde Bolithos toten Freund sehr vermissen und mu?te nun ganz allein mit ihren enttauschten Hoffnungen fertig werden.

Jemand stand neben ihm: der Schiffsarzt, der zum Ufer blickte. Jedesmal, wenn sich Bolitho bisher mit dem rundlichen Doktor unterhalten hatte, war es ein Gewinn fur ihn gewesen. Bulkley war ein wunderliches Mitglied ihrer Gemeinschaft. Schiffsarzte waren — soweit

Bolitho bisher erfahren hatte — geringe Vertreter ihres Berufsstandes, meist nichts anderes als Schlachter; ihre blutige Kunst mit Messer und Sage wurde von den Seeleuten mehr gefurchtet als eine Breitseite des Gegners.

Aber Henry Bulkley war eine Ausnahme. Er hatte in London ein angenehmes Leben gefuhrt, hatte eine Praxis in einer vornehmen Gegend besessen und Patienten, die reich, aber auch anspruchsvoll waren.

Bulkley hatte es Bolitho in der Stille einer Nachtwache erklart:»Ich begann, die Tyrannei der Kranken zu hassen, die Selbstsucht von Leuten, die nur zufrieden sind, wenn man sie verwohnt. Ich bin zur See gegangen, um dem zu entkommen. Hier habe ich eine Aufgabe und brauche nicht Zeit an Leute zu vergeuden, die zu reich sind, um sich die Muhe zu machen, ihren Korper kennenzulernen. Hier bin ich genauso ein Spezialist wie Mr. Vallance, unser Oberstuckmeister, oder wie der Zimmermeister, und leiste den gleichen Dienst wie sie. Oder wie der arme Mr. Codd, der Zahl- und Proviantmeister, der sich uber jede zuruckgelegte Meile gramt und errechnet, wieviel Kase, Salzfleisch, Kerzen und Leinwand sie ihn gekostet hat. «Er hatte zufrieden gelachelt.»Und ich genie?e das Vergnugen, andere Lander zu sehen. Jetzt bin ich drei Jahre bei Kapitan Dumaresq, und es mogen noch zwei oder drei hinzukommen. Er selber ist naturlich niemals krank. Er wurde es einfach nicht erlauben, da? so etwas passiert.»

Bolitho sagte:»Es ist ein seltsames Gefuhl, so fortzusegeln zu einem Ziel, das nur der Kommandant und vielleicht zwei oder drei weitere Personen kennen. Wir haben keinen Krieg, aber trotzdem Gefechtsbereitschaft.»

Er sah den gro?en Menschen, der sich Stockdale nannte, mit den anderen Matrosen am Fu? des Gro?mastes antreten.

Der Arzt folgte seinem Blick.»Ich habe gehort, was an Land geschehen ist. Sie haben an ihm einen treuen Gefolgsmann. Mein Gott, ein Kerl wie ein Eichbaum! Ich glaube, Little mu? ihm ein Bein gestellt haben, um die Guinee zu gewinnen. «Er warf einen Blick auf Bolithos Profil.»Es sei denn, er wollte von vornherein mit Ihnen kommen — um vor irgend etwas zu fliehen wie die meisten von uns.»

Bolitho lachelte. Bulkley kannte nur die Halfte der Geschichte. Stockdale war fur Segelmanover dem Besanmast zugeteilt worden und fur den Gefechtsfall den Sechspfundern auf dem Achterdeck. So war es schriftlich festgelegt und mit Pallisers schwungvollem Namenszug gegengezeichnet worden. Aber irgendwie hatte es Stockdale geschafft, diese Dinge zu andern. Jetzt gehorte er zu Bolithos Division am Gro?mast und zu den Zwolfpfundern der Steuerbord-Batterie, die Bolithos Kommando unterstand.

Eines ihrer Beiboote naherte sich mit kraftigem Ruderschlag vom Ufer, alle anderen waren schon vor dem ersten Hahnenschrei in ihren Halterungen an Deck eingesetzt und festgelascht worden.

Das Beiboot war ihre letzte Verbindung mit dem Land und hatte Dumaresqs abschlie?ende Briefe und Berichte zum Kurier nach London gebracht. Am Ende wurden sie auf irgendeinem Schreibtisch in der Admiralitat landen, eine Notiz wurde dem Ersten Seelord zugehen, dort wurde ein Kreuzzeichen auf einer der gro?en Seekarten eingezeichnet werden: Ein kleines Schiff war mit versiegelten Befehlen in See gegangen. Nichts Neues, nur die Zeiten hatten sich geandert.

Palliser schlenderte zur Querreling, das Megaphon unter dem Arm; sein Blick kreiste wie der eines Raubvogels und spahte nach einem neuen Opfer aus.

Bolitho schaute am Gro?mast empor und konnte gerade noch den langen roten Wimpel hoch oben erkennen, der in einer Bo achtern auswehte. Nordwestwind. Dumaresq wurde ihn auch brauchen, um vom Ankerplatz freizukommen. Das war immer schwierig, aber jetzt — nach dreimonatiger Liegezeit — genugte es, da? ein unaufmerksamer Matrose oder Maat einen Befehl falsch weitergab, um ein stolzes Ablegen innerhalb von Minuten in ein Desaster zu verwandeln.

Palliser rief:»Alle Offiziere bitte nach achtern!«Es klang gereizt, er war sich der Bedeutung des Augenblicks offenbar bewu?t.

Bolitho trat zu Rhodes und Colpoys auf das Achterdeck, wahrend Steuermann und Schiffsarzt sich wie Eindringlinge im Hintergrund hielten.

Palliser sagte:»In einer halben Stunde lichten wir Anker. Gehen Sie auf Ihre Station und behalten Sie jeden Mann im Auge. Sagen Sie Ihren Bootsmannsmaaten, da? sie den Leuten Beine machen und jeden zur Bestrafung notieren sollen, der nicht richtig zufa?t. «Er warf Bo-litho einen merkwurdigen Blick zu.»Ich habe diesen Stockdale Ihnen zugeteilt. Mit ist selber nicht klar, warum, aber er meinte, da sei sein Platz. Sie mussen eine besondere Anziehungskraft haben, Mr. Bolitho, obwohl ich bei Gott nicht ahne, worin die bestehen sollte.»

Sie legten die Hand gru?end an ihre Hute und begaben sich auf ihre verschiedenen Stationen. Pallisers Stimme folgte ihnen, durch das Megaphon hohl und eindringlich:»Mr. Timbrell! Noch zehn Manner ans Ankerspill! Wo ist der verdammte Vorsanger?«Das Sprachrohr schwenkte herum wie die Peitsche eines Kutschers.»Zum Teufel, Mr. Rhodes, ich mochte den Anker noch heute kurzstag gehievt haben, nicht erst nachste Woche.»

Klink, klink, klink — das Spill drehte sich widerwillig, als die Manner sich kraftig in die Spillspaken warfen. Kopfschlage und aufgeschossene Buchten der Fallen und Schoten wurden von ihren Belegnageln gelost, und wahrend Offiziere und Kadetten in der bewegten Flut der an Deck aufgereihten Matrosen wie blau-wei?e Inseln wirkten, schien es, als erwache das Schiff selber zum Leben.

Bolitho warf einen Blick hinuber zum Land. Noch immer keine Sonne; ein leichter Regenschauer malte Krauselmuster aufs Wasser, die sich dem Schiff naherten. Die wartenden Manner zitterten vor Kalte und trampelten mit nackten Fu?en aufs Deck.

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