Jury sagte:»Vielen Dank, da? Sie mich mitgenommen haben, Sir.»
Bolitho dachte an Pallisers letzten Satz; dieser konnte es einfach nicht lassen, einen sarkastischen Hieb auszuteilen. Und doch war er es gewesen, der an Spillane gedacht und au?erdem gesehen hatte, was Stockdale mit der Kanone anfing. Ein Mann mit vielen Gesichtern, dachte Bolitho.
Er antwortete:»Achten Sie darauf, da? die Manner sich nachher nicht zerstreuen. «Er brach ab, als er Stockdale entdeckte, der halb von den Ruderern verdeckt — vorn im Boot sa?. Irgendwie hatte er es geschafft, sich schnell in ein kariertes Hemd und eine wei?e Hose zu werfen und mit einem Entermesser zu bewaffnen.
Stockdale tat, als bemerke er Bolithos Verwunderung nicht.
Bolitho schuttelte den Kopf.»Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Ich glaube nicht, da? Sie Arger mit den Leuten haben werden.»
Was hatte der gro?e Boxer gesagt?» Ich werde Sie nicht verlassen. Niemals.»
Der Bootssteurer schatzte den Abstand zur Landungsbrucke, legte dann hart Ruder und befahl:»Riemen ein!»
Der Kutter kam an ein paar Steinstufen zum Stehen, der Bugmann piekte den Bootshaken in einen rostigen Eisenring. Bolitho zog sein Sabelgehange zurecht und schaute zu der neugierigen Menge auf. Sie schien freundlich gesonnen; doch wenige Meter entfernt war ein Mann ermordet worden.
Er befahl:»Auf der Pier antreten!»
Am Kopf der Treppe gru?te er Colpoys' Wachtposten. Die Seesoldaten machten einen recht frohlichen Eindruck und rochen trotz ihrer strammen Haltung stark nach Alkohol. Einer von ihnen trug sogar eine Blume am Kragen.
Bolitho schaute sich um und steuerte mit so viel Selbstvertrauen, wie er aufbringen konnte, auf die nachste Stra?e zu. Die sechs Matrosen marschierten hinter ihm her und tauschten dabei Blicke und Winke mit der auf Balkons und in Fenstern ausliegenden Weiblichkeit.
Jury fragte:»Wer konnte ein Interesse daran haben, den armen Lok-kyer zu ermorden, Sir?»
«Das frage ich mich auch. «Er zogerte einen Augenblick und wandte sich dann in eine enge Gasse, uber der sich die Dacher der anliegenden Hauser so nahe kamen, als wollten sie den Himmel ganz ausschlie?en. Es duftete intensiv nach Blumen, und in einem der Hauser spielte jemand auf einem Saiteninstrument.
Bolitho studierte noch einmal seinen Zettel und musterte dann ein schmiedeeisernes Tor, das auf einen Hof fuhrte, in dessen Mitte ein Brunnen platscherte. Sie waren da.
Er sah, wie Jury mit gro?en Augen all die fremden Dinge betrachtete, und erinnerte sich, wie er selber einst bei ahnlicher Gelegenheit gestaunt hatte.
Leise sagte er:»Sie kommen mit. «Dann hob er die Stimme.»Stockdale, Sie haben hier die Aufsicht. Niemand entfernt sich ohne meinen ausdrucklichen Befehl. Verstanden?»
Stockdale nickte grimmig. Er plante sicherlich, jeden, der gegen den Befehl verstie?, zusammenzuschlagen.
Ein Diener fuhrte Bolitho in einen kuhlen Raum uber dem Hof, wo Dumaresq und ein alterer Herr mit wei?em Spitzbart und einer Haut, die wie weiches Wildleder aussah, sa?en und Wein tranken.
Dumaresq stand nicht auf.»Nun, Mr. Bolitho?«Wenn er uber ihr unerwartetes Kommen beunruhigt war, so verbarg er es gut.»Was gibt es?»
Bolitho warf einen zweifelnden Blick auf den alten Herrn, doch Dumaresq sagte kurz:»Wir sind unter Freunden.»
Bolitho erzahlte, was von dem Augenblick an geschehen war, als der Schreiber das Schiff mit seiner Tasche verlassen hatte.
Dumaresq stellte fest:»Sergeant Barmouth ist kein Dummkopf. Wenn die Tasche noch da gewesen ware, hatte er sie gefunden. «Er wandte sich um und sagte etwas zu seinem Gastgeber. Dieser schien zu erschrecken, bevor er seine ursprungliche Haltung zuruckgewann.
Bolitho spitzte die Ohren. Dumaresqs Gastgeber lebte zwar auf dem portugiesischen Madeira, doch der Kommandant hatte offenbar mit ihm spanisch gesprochen.
Dumaresq befahl:»Gehen Sie zuruck an Bord, Mr. Bolitho. Eine Empfehlung an den Ersten Offizier, und melden Sie ihm, er soll den Schiffsarzt und alle anderen Leute an Land sofort zuruckrufen. Ich beabsichtige, noch vor Anbruch der Nacht Anker zu lichten.»
Bolitho dachte jetzt nicht an die Schwierigkeiten, ja an das offensichtliche Risiko, den Hafen bei Dunkelheit zu verlassen. Er verstand die plotzliche Eile und die Dringlichkeit, die durch die Ermordung Lockyers ausgelost worden war.
Er machte eine Verbeugung vor dem alten Herrn und sagte:»Ein wunderschones Haus, Sir.»
Der alte Herr lachelte und ve rneigte sich leicht.
Bolitho ging die Treppe hinunter, Jury immer hinter sich, und uberlegte, da? sein Gastgeber offensichtlich verstand, was er uber das schone Haus gesagt hatte. Wenn Dumaresq also mit ihm spanisch und nicht englisch gesprochen hatte, dann nur, damit er und Jury ihn nicht verstanden.
Er beschlo?, diese Erkenntnis als einen Teil des Ratsels fur sich zu behalten.
Noch in derselben Nacht fuhrte Dumaresq sein Schiff wie angekundigt wieder auf See. Bei leichtem Wind lediglich unter Marssegeln und Kluver, wand sich die
IV Spanisches Gold
Leutnant Charles Palliser schlo? die beiden au?eren Lamellenturen von Dumaresqs Kajute und meldete:»Alle versammelt, Sir. «Offiziere und altere Deckoffiziere der
Dumaresq warf einen Blick zum Oberlicht hinauf, auf das ein Schatten gefallen war, wahrscheinlich vom Steuermannsmaat der Wache.
«Schlie?en Sie auch das!»
Bolitho musterte seine Gefahrten und fragte sich, ob sie seine wachsende Neugierde teilten.
Diese Zusammenkunft war unvermeidbar gewesen, aber Dumaresq hatte es gro?e Muhe gekostet, ihnen mitzuteilen, da? sie einberufen wurde, sobald das Schiff frei von Land sei.
Dumaresq wartete, bis Palliser sich wieder gesetzt hatte. Dann sah er sie der Reihe nach an. Sein Blick wanderte vom Offizier der Seesoldaten uber den Arzt, den Master und den Zahlmeister schlie?lich zu seinen drei Seeoffizieren.
Er sagte:»Sie alle sind uber den Tod meines Schreibers informiert. Ein zuverlassiger Mann, auch wenn er einige sonderbare Gewohnheiten hatte. Es wird schwer sein, ihn zu ersetzen. Indessen bedeutet seine Ermordung durch unbekannte Tater mehr als nur den Verlust eines Gefahrten. Ich habe einige Geheimbefehle, uber die ich Sie nun, da die Zeit dafur gekommen ist, in groben Zugen ins Bild setzen mu?. Es hei?t zwar, wenn zwei Leute von einer Sache wissen, ist sie nicht langer ein Geheimnis. Doch ein sehr viel argerer Feind auf einem kleinen Schiff sind Geruchte und das, was sie anrichten konnen.»
Bolitho zuckte zusammen, als der fordernde Blick des Kommandanten einen Augenblick auf ihm ruhte, bevor er weiter in der Kajute herumwanderte.
Dumaresq sagte:»Vor drei?ig Jahren, also bevor die meisten in unserer Mannschaft ihren ersten Atemzug taten, fuhrte ein Kommodore Anson eine Expedition um Kap Hoorn in die Gro?e Sudsee. Seine Aufgabe war es, spanische Niederlassungen zu beunruhigen, denn — wie Sie wissen sollten — wir standen damals im Krieg mit den Dons. «Er nickte grimmig.»Wieder einmal.»
Bolitho dachte an den vornehmen Spanier in dem Haus hinter dem Hafen von Funchal, an die Geheimnistuerei und an die verschwundene Dokumententasche, fur die ein Mann hatte sterben mussen.
Dumaresq fuhr fort:»Eines ist sicher: Kommodore Anson mag ein mutiger Mann gewesen sein, aber was ihm fur die Gesunderhaltung seiner Besatzungen einfiel, war mehr als bescheiden. «Er schaute seinen rundlichen Schiffsarzt an und erlaubte seinen Zugen, sich zu entspannen.»Anders als bei uns. Aber vielleicht hatte er keine erfahrenen Arzte, die ihn beraten konnten.»
Einige kicherten, und Bolitho nahm an, die Bemerkung war zur allgemeinen Entspannung eingeflochten worden.
Dumaresq fuhr fort:»Mag dem gewesen sein, wie es will, jedenfalls hatte Anson innerhalb von drei Jahren alle Schiffe seines Geschwaders au?er der
Bolitho erinnerte sich dunkel, da? er etwas von dem Vorfall gelesen hatte. Anson hatte das Schiff nach kurzem Gefecht genommen. Er hatte seine Aktion zeitweise sogar unterbrochen, damit die Spanier ein Feuer, das in ihrer Takelage ausgebrochen war, loschen konnten. Er war namlich erpicht darauf gewesen, das Schatzschiff — die Nuestra Senora de Covadonga — intakt in die Hand zu bekommen. Prisengerichte und die Gewaltigen der Admiralitat hatten seit langem auf solch einen Erfolg gewartet, der ihnen wichtiger war als die Menschenleben, die seinetwegen verloren wurden.
Dumaresq hob den Kopf und gab seine entspannte Haltung einen Augenblick auf. Auch Bolitho horte den Ruf vom Ausguck im Masttopp, der ein entferntes Segel in Richtung Nord meldete. Sie hatten es schon zweimal an diesem Tag gesichtet, denn es war unwahrscheinlich, da? sich mehr als ein fremdes Schiff auf diesem abgelegenen Kurs befand.
Der Kommandant zuckte mit den Schultern.»Spater. «Er verbreitete sich nicht weiter daruber, sondern fuhr fort:»Bis vor kurzem war nicht bekannt, da? damals ein zweites Schatzschiff nach Spanien unterwegs war. Es war die
Dumaresq lachelte ingrimmig.»Das ist wahr, aber ich empfehle, da? Sie Ihre sonstigen Vermutungen auf den Bereich der Offiziersmesse beschranken. Die
Bolitho konnte sich die Aufregung auf dem Achterdeck vorstellen: Sollten sie die Zusammenkunft unter ihren Fu?en storen und Duma-resqs Unwillen in Kauf nehmen? Oder sollten sie das Verhalten des fremden Schiffes einfach in die Logkladde eintragen und das Beste hoffen?
Dumaresq sagte:»Soll hereinkommen!«Er schien seine Stimme nicht ein bi?chen zu heben, und doch drang sie muhelos bis zum vorderen Teil der Kajute.
Es war Midshipman Cowdroy, ein sechzehn Jahre alter Bursche, den Dumaresq schon einmal wegen unnotiger Strenge gegen Leute seiner Wache bestraft hatte.
Er sagte:»Meldung von Mr. Slade, Sir: Der Ausguck hat das fremde Segel wieder in nordlicher Richtung gesichtet. «Er schluckte vor Aufregung und schien unter dem Blick des Kommandanten zusammenzuschrumpfen.
Dumaresq sagte schlie?lich:»Verstanden. Aber wir werden nichts unternehmen. «Als die Tur sich hinter Cowdroy geschlossen hatte, setzte er hinzu:»Obwohl ich annehme, da? der Fremde nicht rein zufallig hinter uns hersegelt.»
Auf der Back wurde die Schiffsglocke angeschlagen. Dumaresq fuhr unbeirrt fort:»Nach neuesten, zuverlassigen Informationen ist der gro?te Teil des Schatzes noch vorhanden: eineinhalb Millionen in Goldbarren.»
Sie starrten ihn an, als hatte er eine ungeheuerliche Obszonitat von sich gegeben.
Rhodes fa?te sich als erster.»Und wir sollen ihn finden, Sir?»
Dumaresq lachelte ihn an.»Wie Sie es ausdrucken, klingt es sehr einfach, Mr. Rhodes, und vielleicht finden wir ihn auch einfach so. Aber solch ein riesiger Schatz hat sicherlich bereits einiges Aufsehen erregt. Die Dons werden ihn als rechtma?iges Eigentum reklamieren. Ein Prisengericht wird dagegen vielleicht argumentieren, da? das Schiff bereits von Garrick erobert war, bevor es fluchten und sich verbergen konnte. Der Goldschatz sei damit Eigentum Seiner Britischen Majestat. «Er senkte die Stimme.»Und dann gibt es noch andere, die gern die Hand darauf legen und einen Fall daraus machen wurden, der uns nichts als Unheil bringen durfte. So, meine Herren, jetzt wissen Sie Bescheid. Unser Auftrag hei?t nach au?en hin, da? wir einen Auftrag des Konigs erledigen. Aber wenn die Nachricht von dem Schatz sich plotzlich uberall herumgesprochen hat, mochte ich wissen, wer dahintersteckt.»
Palliser erhob sich, verga? dabei aber nicht, den Kopf einzuziehen, der sonst an die Decksbalken gesto?en ware. Die ubrigen taten es ihm nach.
Dumaresq wandte sich um und schaute auf die glitzernde See, die sich achteraus bis zum Horizont erstreckte.
«Wir segeln zunachst nach Rio. Dort hoffe ich, mehr zu erfahren.»
Bolitho hielt den Atem an. Sudamerika, Rio de Janeiro, das lag uber funftausend Meilen von Falmouth entfernt. So weit weg von zu Hause war er noch nie gewesen.
Als sie Anstalten machten zu gehen, sagte Dumaresq:»Mr. Palliser und Mr. Gulliver bleiben noch hier.»
Palliser rief Bolitho nach:»Ubernehmen Sie bitte meine Wache, bis ich Sie ablose!»
Sie verlie?en die Kajute, jeder mit seinen Gedanken beschaftigt. Ihr ferner Bestimmungsort wurde den Matrosen ziemlich gleichgultig sein. Ob nah oder fern, uberall war Ozean, immer blieb das Schiff sich gleich. Da mu?ten Segel gesetzt, getrimmt, geborgen werden — was auch geschah, am harten Leben des Seemanns anderte sich nicht viel, ob nun England oder die Arktis ihr Ziel war. Aber wenn erst das Gerucht uber einen Goldschatz im Schiff herum war, mochte sich manches andern.
Als er zum Achterdeck hinaufstieg, bemerkte Bolitho, da? die Leute, die sich zur Wachablosung versammelten, ihn neugierig anschauten, aber wegsahen, wenn sein Blick auf sie fiel. Es hatte den Anschein, da? sie schon alles wu?ten.
Slade beruhrte seinen Hut:»Die Wache ist angetreten, Sir.»
Er war ein harter Steuermannsmaat und bei vielen Leuten unbeliebt, besonders bei denen, die seinen hohen Anforderungen an seemannisches Konnen nicht gerecht wurden.
Bolitho wartete, da? die Leute am Ruderrad abgelost wurden, der ubliche Vorgang bei Ubergabe einer Wache. Ein Blick dann nach oben zum Stand der Segel und Rahen, Uberprufung des Kompasses und der Notizen, die der Midshipman der Wache mit Kreide auf eine Schiefertafel geschrieben hatte.
Gulliver kam an Deck und pre?te die Handflachen zusammen wie immer, wenn er nervos war.
Slade fragte:»Schwierigkeiten, Sir?»
Gulliver sah ihn nachdenklich an. Es war zu kurze Zeit her, da? er selber sich noch in Slades Stellung befunden hatte, um die Bemerkung als harmlos anzusehen. Wollte Slade sich damit beliebt machen? Oder sollte anklingen, da? er sich schon den Offizieren der Messe zugehorig fuhlte?