Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio - Kent Alexander 6 стр.


Little hatte seine Ansicht zu erlautern versucht.»Die Sache ist so, Sir: Sie hatten ihn zum Aufentern zwingen sollen, selbst wenn er dann abgesturzt ware und sich die Knochen gebrochen hatte. Oder Sie hatten ihn zur Bestrafung melden mussen. Er hatte drei Dutzend Schlage bekommen, aber das hatte ihn zum Mann gemacht.»

Zogernd mu?te Bolitho Little recht geben. Er hatte den Stolz des Mannes verletzt. Seine Kameraden hatten mit ihm gefuhlt, wenn er auf der Grating festgebunden und ausgepeitscht worden ware. So aber traf ihn nur Verachtung, und das war mehr, als dieser eigenbrotlerische und halsstarrige Matrose ertragen konnte.

Auch am sechsten Tag hielt der Sturm noch an und machte sie durch seine Heftigkeit mutlos und benommen. Zerrissene Segel wurden ausgetauscht, und das Reparieren von Schaden und immer wieder notige Aufklaren an Deck verhinderten jeden Gedanken an eine Verschnaufpause.

Inzwischen wu?te jedermann an Bord, wohin die Reise zunachst ging: zur portugiesischen Insel Madeira. Aber der Anla? blieb weiterhin ein Geheimnis. Au?er fur Rhodes, der streng vertraulich mitteilte, da? sie dort lediglich einen ordentlichen Vorrat Wein fur den personlichen Bedarf des Schiffsarztes ubernehmen wollten.

Dumaresq hatte den Bericht uber den Tod des Matrosen offenbar im Logbuch gelesen, aber Bolitho nicht daraufhin angesprochen. Auf See kamen mehr Manner durch Unfalle um als durch Kugeln und Enterbeile.

Doch Bolitho fuhlte sich schuldig. Little und Forster, ihm an Lebensjahren und Erfahrung weit voraus, hielten seiner Meinung nach nur zu ihm, weil er ihr Vorgesetzter war.

Forster hatte lediglich bemerkt:»Tja, wir waren in dem Augenblick vielleicht nicht ganz auf Draht, Sir.»

Und alles, was Little dazu sagte, war:»Hatte schlimmer kommen konnen, Sir.»

Es war erstaunlich, welche Wandlung die schlie?liche Wetterbesserung brachte. Das Schiff erwachte wieder zum Leben, und die Manner packten zu, ohne sich erst angstlich umzuschauen oder sich mit beiden Handen an den Wanten festzuklammern, wenn sie aufentern sollten.

Am Morgen des siebten Tages, als die Dufte aus der Kombuse zu ersten Wetten verfuhrten, was es wohl zu essen gab, rief plotzlich der Ausguck im Vortopp:»An Deck! Land in Sicht! Land voraus in Lee!»

Bolitho hatte gerade Wache und bat Merrett, ihm ein Fernrohr zu bringen. Der Midshipman sah nach dem Sturm und einer Woche hartester Anstrengungen aus wie ein geschrumpfter alter Mann, aber er war noch ganz munter und kam beim Wachwechsel nie zu spat.

«Lassen Sie mich sehen. «Bolitho richtete das Fernrohr durch eine Lucke in den schwarzen Wanten in die vom Ausguck gemeldete Richtung.

Dumaresq Stimme lie? ihn zusammenfahren.»Das ist Madeira, Mr. Bolitho. Eine zauberhafte Insel.»

Bolitho tippte an seinen Hut. Fur einen Mann seiner Statur bewegte der Kommandant sich erstaunlich gerauschlos.

«Es — hm — entschuldigen Sie, Sir.»

Dumaresq lachelte und nahm das Teleskop aus Bolithos Handen. Wahrend er es auf die ferne Insel richtete, sagte er:»Als ich Wachoffizier war, habe ich immer dafur gesorgt, da? ein Mann meiner Wache aufpa?te und mich warnte, wenn der Kommandant auftauchte.»

Er sah Bolitho an, wobei seine weit auseinanderstehenden, durchdringenden Augen irgend etwas in ihm zu suchen schienen.»Aber Sie machen so etwas naturlich nicht, nehme ich an. Noch nicht.»

Er ubergab Merrett das Glas und setzte hinzu:»Schlie?en Sie sich mir an. Etwas Bewegung ist gut fur das innere Gleichgewicht.»

So marschierten Kommandant und jungster Offizier der

Seesoldaten, und fur all das, was ihnen bevorstand, ob sie nun segelten oder kampften. In diesem Augenblick steuerten sie eine fremde Insel an, und danach wurde die Reise sie sehr viel weiter fuhren.»Verantwortung kennt keine Grenzen«, hatte Bolithos Vater einmal gesagt. Und:»Fur jeden Kommandanten gibt es nur ein Gesetz: Wenn er Erfolg hat, werden andere die Fruchte ernten. Bleibt der Erfolg aus, fallt alle Schuld auf ihn.»

Dumaresq fragte plotzlich:»Haben Sie sich eingelebt?»

«Ich denke schon.»

«Gut. Falls Sie immer noch uber den Tod des Matrosen grubeln, mu? ich Ihnen sagen: Horen Sie auf damit. Das Leben ist Gottes gro?te Gabe. Es aufs Spiel zu setzen, ist eine Sache; aber es wegzuwerfen, ist Betrug. Der Mann hatte kein Recht dazu. Wir vergessen es am besten. «Als Palliser an Deck erschien, wandte sich Dumaresq diesem zu. Palliser lupfte seinen Hut vor dem Kommandanten, doch sein Blick war auf Bolitho gerichtet.

«Zwei Manner zur Bestrafung, Sir. «Er hielt ihm sein Notizbuch hin.»Sie kennen beide.»

Dumaresq verlagerte sein Gewicht auf die Fu?spitzen, bis es schien, als wurde sein schwerer Korper gleich die Balance verlieren.

«Erledigen Sie das bis zwei Glasen, Mr. Palliser. Wir wollen es hinter uns bringen, die Leute brauchen deswegen nicht ihre Mahlzeit aufzuschieben. «Er schlenderte nach achtern und nickte dabei dem Steuermannsmaat der Wache zu wie ein Gutsherr seinem Wildhuter.

Palliser schlo? sein Notizbuch mit einem Knall.»Empfehlung an Mr. Timbrell, und sagen Sie ihm, er mochte eine Grating zur Bestrafung vorbereiten. «Dann kam er auf Bolithos Seite heruber.»Nun, was gab es?»

Bolitho berichtete:»Der Kommandant hat mir von seinem Heim in Norfolk erzahlt, Sir.»

Palliser schien irgendwie enttauscht.»Verstehe.»

«Warum tragt er eigentlich eine rote Weste, Sir?»

Palliser bemerkte, da? der Wachtmeister mit dem Bootsmann zuruckkam.»Ich bin uberrascht, da? er Sie nicht auch in diesem Punkt ins Vertrauen gezogen hat. «Bolitho verbarg ein Lacheln, als Palliser sich entfernte. Also wu?te der's offenbar auch nicht. Nach drei Jahren gemeinsamer Seefahrt war das immerhin erstaunlich.

Bolitho stand neben Rhodes an der Heckreling und betrachtete das farbenfrohe Bild im Hafen und an der Pier von Funchal. Die

Einheimische Boote mit seltsam geschwungenen Vor- und Achtersteven umruderten die Fregatte, und die Insassen hielten Fruchte und bunte Schals, gro?e Weinflaschen und viele andere Dinge hoch, um die Seeleute, die auf den Laufbrucken oder in den Wanten herumlungerten, zum Kauf zu animieren.

Die

Rhodes zeigte lachelnd auf ein Boot mit drei dunkelhaarigen Madchen, die sich in ihre Kissen zurucklehnten und auffordernd zu den jungen Offizieren hinaufschauten. Es war klar, was sie zum Verkauf boten.

Kapitan Dumaresq war an Land gegangen, kaum da? sich der Pulverqualm ihrer Salutschusse fur den portugiesischen Gouverneur verzogen hatte. Palliser gegenuber hatte er geau?ert, da? er zum Gouverneur gehe, um den ublichen Hoflichkeitsbesuch abzustatten: aber Rhodes sagte spater:»Fur einen rein gesellschaftlichen Besuch war er viel zu aufgeregt, Dick. Da lag Verschworung in der Luft oder ahnliches.»

Die Gig war mit dem Befehl zuruckgekehrt, da? Lockyer, der Schreiber des Kommandanten, mit einigen Papieren aus dem Safe nachkommen solle. Jetzt stand er am Schanzkleid und machte sich mit seiner Dokumententasche wichtig, wahrend die Fallreepsgasten einen Bootsmannsstuhl an der Nock der Gro?rah befestigten, mit dem sie ihn in die Gig hinunterlassen wollten.

Palliser trat zu ihnen und sagte verachtlich:»Schaut euch den alten Narren an. Geht nie an Land, aber wenn doch, dann mu? erst ein Fahrstuhl fur ihn aufgeriggt werden, damit er nicht vom Fallreep fallt und ertrinkt.»

Rhodes grinste, als es endlich gelungen war, den Schreiber ins Boot zu fieren.»Er ist offenbar der Alteste an Bord.»

Uber den Satz dachte Bolitho nach. Das war namlich eine der Entdeckungen, die er gemacht hatte: Sie waren eine sehr junge Besatzung, mit nur wenigen von den alteren Leuten dazwischen, wie er sie auf den gro?en Linienschiffen gewohnt gewesen war. Der Sailing Master eines Linienschiffs zum Beispiel war ublicherweise schon bejahrt, wenn er solch einen verantwortungsvollen Posten erreichte; aber ihr Gulliver war noch keine drei?ig.

Die meisten Manner, die an den Netzen lehnten oder an Deck herumlungerten, sahen gesund aus: hauptsachlich ein Verdienst ihres Schiffsarztes, hatte Rhodes behauptet. Darin zeigte sich der Wert eines Arztes, der sich um die Leute kummerte und wu?te, wie man dem gefurchteten Skorbut und anderen Krankheiten vorbeugte, die ein ganzes Schiff lahmen konnten.

Bulkley war einer der wenigen Bevorzugten, die an Land gehen durften. Der Kommandant hatte ihm befohlen, so viel frisches Obst und Fruchtsafte einzukaufen, wie er fur erforderlich hielt; Codd, der Zahlmeister, hatte ahnliche Anweisungen fur alles erreichbare Gemuse.

Bolitho nahm den Hut ab und lie? die Sonne sein Gesicht warmen. Es ware schon gewesen, Funchal zu durchstreifen und dann in einer der schattigen Tavernen auszuruhen, von denen ihm Bulkley und andere erzahlt hatten.

Die Gig hatte jetzt die Landungsbrucke erreicht, und einige Seesoldaten der

Das war ungewohnlich. Bolitho hatte schon mitbekommen, da? Val-lance nicht gerade der umganglichste Deckoffizier an Bord war. Er wachte eifersuchtig uber seinen Bereich, der von der Pulverkammer bis zur Geschutzbedienung reichte. Jetzt kam er nach achtern und tippte vor Palliser gru?end an den Hut.

«Dieser neue Mann Stockdale, Sir, hat ein Problem an der Kanone gelost, mit dem ich mich schon seit Monaten herumschlug. Es handelte sich um eine Neuerung, mit der ich bisher nicht glucklich war. «Er lachelte, was bei ihm selten vorkam.»Stockdale meint, wir konnten die Lafette so umsetzen, da?…»

Palliser hob beide Hande.»Sie uberraschen mich, Mr. Vallance. Aber tun Sie, was Sie fur richtig halten. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Ihr Stockdale ist zwar ziemlich schweigsam, scheint sich aber hier an Bord wohl zu fuhlen.»

Bolitho bemerkte, da? Stockdale vorn Batteriedeck zu ihm heraufschaute. Als er ihm zunickte, leuchtete das zerschlagene Gesicht des Mannes im Sonnenlicht auf und warf ein Lacheln zuruck.

Jury, der Midshipman der Wache, rief:»Gig sto?t von Land ab, Sir!»

«Das ging aber schnell. «Rhodes griff nach einem Fernrohr.»Wenn der Kommandant schon zuruckkommt, lasse ich am besten. «Er schnappte nach Luft und setzte schnell hinzu:»Sir, sie bringen Lok-kyer zuruck!»

Palliser nahm ein zweites Glas und richtete es auf die grungestrichene Gig. Dann sagte er ruhig:»Der Schreiber ist tot. Sergeant Bar-mouth halt ihn.»

Bolitho lie? sich das Teleskop von Rhodes geben. Im ersten Augenblick bemerkte er nichts Ungewohnliches. Die schlanke Gig naherte sich schnell, die wei?en Riemenblatter hoben und senkten sich in flottem Takt, denn die Manner in ihren rot-wei?-karierten Hemden und mit den geteerten Huten legten sich kraftig ins Zeug.

Als die Gig einen Bogen fuhr, um einem treibenden Baumstamm auszuweichen, sah Bolitho, da? Barmouth, der Sergeant der Seesoldaten, den sparlich behaarten Kopf des Schreibers so hielt, da? er nicht auf die Kissen des Hecksitzes fiel. Eine schreckliche Wunde lief quer uber Lockyers Kehle; im Sonnenlicht hatte sie die gleiche rote Farbe wie der Waffenrock des Soldaten.

Rhodes murmelte:»Ausgerechnet jetzt ist der Schiffsarzt an Land. Mein Gott, das wird eine schone Bescherung!»

Palliser schnippte mit den Fingern.»Wo ist dieser Mann, den Sie mit den anderen Neuen an Bord brachten? Dieser Apothekergehilfe, Mr. Bolitho!»

Rhodes antwortete schnell:»Ich hole ihn, Sir. Er hat schon Aushilfsdienst im Krankenrevier gemacht.»

Palliser sah Jury an.»Sagen Sie dem Bootsmannsmaat der Wache, er soll Leute zum Bootshei?en holen!«Er rieb sich das Kinn.»Das war kein Unfall.»

Die Boote der Einheimischen machten Platz, damit die Gig an den Gro?rusten anlegen konnte.

Als die schlanke, unaufgeklarte Gig hochgehei?t und uber die Laufbrucke eingeschwungen wurde, ging es wie ein Aufstohnen durchs Schiff. Blut rann aus dem Boot an Deck, und Bolitho sah, wie der Apothekergehilfe mit Rhodes herbeieilte, um den leblosen Korper in Empfang zu nehmen.

Der Name des Apothekergehilfen war Spillane: ein stets ordentlich gekleideter, aber verschlossener Mann, eigentlich nicht der Typ, der eine sichere Stellung an Land einem Abenteuer zuliebe oder» um Erfahrungen zu sammeln «verlie?, dachte Bolitho. Aber jetzt schien er sich kompetent zu fuhlen; als Bolitho sah, wie er den Matrosen Anweisungen gab, war er froh, da? sie ihn an Bord hatten.

Sergeant Barmouth berichtete:»Also, Sir, ich hatte dafur gesorgt, da? der Schreiber sicher durch die Menge kam, und wollte gerade meinen Platz an der Landungsbrucke wieder einnehmen, als ich einen Schrei horte. Gleich darauf brullten alle durcheinander — Sie wissen ja, wie das in dieser Weltgegend ublich ist, Sir.»

Palliser nickte.»Verstehe, Sergeant. Und was geschah dann?»

«Ich fand Lockyer in einer Gasse, Sir. Mit durchgeschnittener Kehle. «Barmouth wurde bla?, als er seinen eigenen Vorgesetzten uber das Achterdeck auf sich zukommen sah. Nun wurde er alles noch einmal fur Colpoys wiederholen mussen. Der Leutnant der Seesoldaten liebte es nicht — wie die meisten seiner Zunft —, wenn die Marineoffiziere sich in seine Angelegenheiten mischten, egal, wie dringend sie waren.

Palliser fragte kuhl:»Lockyers Tasche fehlte?«»Jawohl, Sir!»

Palliser kam zu einem Entschlu?.»Mr. Bolitho, nehmen Sie den

Kutter, einen Midshipman und sechs Mann. Ich gebe Ihnen die Adresse, wo Sie den Kommandanten finden. Melden Sie ihm, was geschehen ist. Keine Dramatisierung, nur die Tatsachen, soweit Sie sie kennen.»

Bolitho beruhrte kurz seinen Hut. Er war uberrascht, obwohl er noch unter dem Schock des plotzlichen Todes von Lockyer stand. Also wu?te Palliser doch mehr von der Mission des Kommandanten, als er bisher zugegeben hatte. Und als Bolitho den Zettel mit dem Stra?ennamen und einer kleinen Kartenskizze musterte, den Palliser ihm in die Hand druckte, wu?te er, da? dies weder die Residenz des Gouverneurs war noch irgendein anderes offizielles Gebaude.

«Nehmen Sie Mr. Jury, und suchen Sie sich selber die sechs Manner zusammen. Ich mochte aber, da? sie anstandig aussehen.»

Bolitho nickte Jury zu und horte noch, wie Palliser zu Rhodes sagte:»Ich hatte Sie schicken konnen, aber Bolitho und Jury haben noch nagelneue Uniformen und bringen damit unser Schiff weniger in Mi?kredit.»

In kurzester Zeit sa?en sie im Kutter und pullten zum Ufer. Bolitho war erst eine Woche auf See, aber die Zeit schien ihm viel langer, so stark war der Wechsel seiner Umgebung.

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