Der Major legte sich zu Bette mit einer Art von unangenehmer Empfindung, die er jedoch sich deutlich zu machen keine Zeit hatte, indem er gar bald einschlief. Sollen wir aber in seine Seele sprechen, so fuhlte er sich etwas mumienhaft, zwischen einem Kranken und einem Einbalsamierten. Allein das su?e Bild Hilariens, umgeben von den heitersten Hoffnungen, zog ihn bald in einen erquickenden Schlaf.
Morgens zur rechten Zeit war der Reitknecht bei der Hand. Alles, was zum Anzuge des Herrn gehorte, lag in gewohnter Ordnung auf den Stuhlen, und eben war der Major im Begriff, aus dem Bette zu steigen, als der neue Kammerdiener hereintrat und lebhaft gegen eine solche Ubereilung protestierte. Man musse ruhen, man musse sich abwarten, wenn das Vorhaben gelingen, wenn man fur so manche Muhe und Sorgfalt Freude erleben solle. Der Herr vernahm sodann, da? er in einiger Zeit aufzustehen, ein kleines Fruhstuck zu genie?en und alsdann in ein Bad zu steigen habe, welches schon bereitet sei. Den Anordnungen war nicht auszuweichen, sie mu?ten befolgt werden, und einige Stunden gingen unter diesen Geschaften hin.
Der Major verkurzte die Ruhezeit nach dem Bade, dachte sich geschwind in die Kleider zu werfen; denn er war seiner Natur nach expedit und wunschte noch uberdies, Hilarien bald zu begegnen; aber auch hier trat ihm sein neuer Diener entgegen und machte ihm begreiflich, da? man sich durchaus abgewohnen musse, fertig werden zu wollen. Alles, was man tue, musse man langsam und behaglich vollbringen, besonders aber die Zeit des Anziehens habe man als angenehme Unterhaltungsstunde mit sich selbst anzusehen.
Die Behandlungsart des Kammerdieners traf mit seinen Reden vollig uberein. Dafur glaubte sich aber auch der Major wirklich besser angezogen denn jemals, als er vor den Spiegel trat und sich auf das schmuckeste herausgeputzt erblickte. Ohne viel zu fragen, hatte der Kammerdiener sogar die Uniform moderner zugestutzt, indem er die Nacht auf diese Verwandlung wendete. Eine so schnell erscheinende Verjungung gab dem Major einen besonders heitern Sinn, so da? er sich von innen und au?en erfrischt fuhlte und mit ungeduldigem Verlangen den Seinigen entgegeneilte.
Er fand seine Schwester vor dem Stammbaume stehen, den sie hatte aufhangen lassen, weil abends vorher zwischen ihnen von einigen Seitenverwandten die Rede gewesen, welche, teils unverheiratet, teils in fernen Landen wohnhaft, teils gar verschollen, mehr oder weniger den beiden Geschwistern oder ihren Kindern auf reiche Erbschaften Hoffnung machten. Sie unterhielten sich einige Zeit daruber, ohne des Punktes zu erwahnen, da? sich bisher alle Familiensorgen und Bemuhungen blo? auf ihre Kinder bezogen. Durch Hilariens Neigung hatte sich diese ganze Ansicht freilich verandert, und doch mochte weder der Major noch seine Schwester in diesem Augenblick der Sache weiter gedenken.
Die Baronin entfernte sich, der Major stand allein vor dem lakonischen Familiengemalde. Hilarie trat an ihn heran, lehnte sich kindlich an ihn, beschaute die Tafel und fragte: wen er alles von diesen gekannt habe? und wer wohl noch leben und ubrig sein mochte?
Der Major begann seine Schilderung von den Altesten, deren er sich aus seiner Kindheit nur noch dunkel erinnerte. Dann ging er weiter, zeichnete die Charaktere verschiedener Vater, die Ahnlichkeit oder Unahnlichkeit der Kinder mit denselben, bemerkte, da? oft der Gro?vater im Enkel wieder hervortrete, sprach gelegentlich von dem Einflu? der Weiber, die, aus fremden Familien heruber heiratend, oft den Charakter ganzer Stamme verandern. Er ruhmte die Tugend manches Vorfahren und Seitenverwandten und verschwieg ihre Fehler nicht. Mit Stillschweigen uberging er diejenigen, deren man sich hatte zu schamen gehabt. Endlich kam er an die untersten Reihen. Da stand nun sein Bruder, der Obermarschall, er und seine Schwester und unten drunter sein Sohn und daneben Hilarie.
«Diese sehen einander gerade genug ins Gesicht«, sagte der Major und fugte nicht hinzu, was er im Sinne hatte. Nach einer Pause versetzte Hilarie bescheiden, halblaut und fast mit einem Seufzer:»Und doch wird man denjenigen niemals tadeln, der in die Hohe blickt!«Zugleich sah sie mit ein paar Augen an ihm hinauf, aus denen ihre ganze Neigung hervorsprach. — »Versteh' ich dich recht?«sagte der Major, indem er sich zu ihr wendete. — »Ich kann nichts sagen«, versetzte Hilarie lachelnd,»was Sie nicht schon wissen.«—»Du machst mich zum glucklichsten Menschen unter der Sonne!«rief er aus und fiel ihr zu Fu?en.»Willst du mein sein?«—»Um Gottes willen stehen Sie auf! Ich bin dein auf ewig.»
Die Baronin trat herein. Ohne uberrascht zu sein, stutzte sie. — »Ware es ein Ungluck«, sagte der Major,»Schwester! so ist die Schuld dein; als Gluck wollen wir's dir ewig verdanken.»
Die Baronin hatte ihren Bruder von Jugend auf dergestalt geliebt, da? sie ihn allen Mannern vorzog, und vielleicht war selbst die Neigung Hilariens aus dieser Vorliebe der Mutter, wo nicht entsprungen, doch gewi? genahrt worden. Alle drei vereinigten sich nunmehr in
Nun dachte man auch wieder an den Sohn. Ihm hatte man Hilarien bestimmt, das ihm sehr wohl bekannt war. Gleich nach Beendigung des Geschafts mit dem Obermarschall sollte der Major seinen Sohn in der Garnison besuchen, alles mit ihm abreden und diese Angelegenheiten zu einem glucklichen Ende fuhren. Nun war aber durch ein unerwartetes Ereignis der ganze Zustand verruckt; die Verhaltnisse, die sonst sich freundlich ineinanderschmiegten, schienen sich nunmehr anzufeinden, und es war schwer vorauszusehen, was die Sache fur eine Wendung nehmen, was fur eine Stimmung die Gemuter ergreifen wurde.
Indessen mu?te sich der Major entschlie?en, seinen Sohn aufzusuchen, dem er sich schon angemeldet hatte. Er machte sich nicht ohne Widerwillen, nicht ohne sonderbare Ahnung, nicht ohne Schmerz, Hilarien auch nur auf kurze Zeit zu verlassen, nach manchem Zaudern auf den Weg, lie? Reitknecht und Pferde zuruck und fuhr mit seinem Verjungungsdiener, den er nun nicht mehr entbehren konnte, der Stadt, dem Aufenthalte seines Sohnes, entgegen.
Beide begru?ten und umarmten sich nach so langer Trennung aufs herzlichste. Sie hatten einander viel zu sagen und sprachen doch nicht sogleich aus, was ihnen zunachst am Herzen lag. Der Sohn erging sich in Hoffnungen eines baldigen Avancements; wogegen ihm der Vater genaue Nachricht gab, was zwischen den altern Familiengliedern wegen des Vermogens uberhaupt, wegen der einzelnen Guter und sonst verhandelt und beschlossen worden.
Das Gesprach fing schon einigerma?en an zu stocken, als der Sohn sich ein Herz fa?te und zu dem Vater lachelnd sagte:»Sie behandeln mich sehr zart, lieber Vater, und ich danke Ihnen dafur. Sie erzahlen mir von Besitztumern und Vermogen und erwahnen der Bedingung nicht, unter der, wenigstens zum Teil, es mir eigen werden soll; Sie halten mit dem Namen Hilariens zuruck, Sie erwarten, da? ich ihn selbst ausspreche, da? ich mein Verlangen zu erkennen gebe, mit dem liebenswurdigen Kinde bald vereinigt zu sein.»
Der Major befand sich bei diesen Worten des Sohnes in gro?er Verlegenheit; da es aber teils seiner Natur, teils einer alten Gewohnheit gema? war, den Sinn des andern, mit dem er zu verhandeln hatte, zu erforschen, so schwieg er und blickte den Sohn mit einem zweideutigen Lacheln an. — »Sie erraten nicht, mein Vater, was ich zu sagen habe«, fuhr der Lieutenant fort,»und ich will es nur rasch ein fur allemal herausreden. Ich kann mich auf Ihre Gute verlassen, die, bei so vielfacher Sorge fur mich, gewi? auch an mein wahres Gluck gedacht hat. Einmal mu? es gesagt sein, und so sei es gleich gesagt: Hilarie kann mich nicht glucklich machen! Ich gedenke Hilariens als einer liebenswurdigen Anverwandten, mit der ich zeitlebens in den freundschaftlichsten Verhaltnissen stehen mochte; aber eine andere hat meine Leidenschaft erregt, meine Neigung gefesselt. Unwiderstehlich ist dieser Hang; Sie werden mich nicht unglucklich machen.»
Nur mit Muhe verbarg der Major die Heiterkeit, die sich uber sein Gesicht verbreiten wollte, und fragte den Sohn mit einem milden Ernst: wer denn die Person sei, welche sich seiner so ganzlich bemachtigen konnen. — »Sie mussen dieses Wesen sehen, mein Vater: denn sie ist so unbeschreiblich als unbegreiflich. Ich furchte nur, Sie werden selbst von ihr hingerissen, wie jedermann, der sich ihr nahert. Bei Gott! ich erlebe es und sehe Sie als den Rival Ihres Sohnes.»
«Wer ist sie denn?«fragte der Major.»Wenn du ihre Personlichkeit zu schildern nicht imstande bist, so erzahle mir wenigstens von ihren au?ern Umstanden: denn diese sind wohl doch eher auszusprechen.«—»Wohl, mein Vater!«versetzte der Sohn;»und doch wurden auch diese au?eren Umstande bei einer andern anders sein, anders auf eine andere wirken. Sie ist eine junge Witwe, Erbin eines alten, reichen, vor kurzem verstorbenen Mannes, unabhangig und hochst wert, es zu sein, von vielen umgeben, von ebenso vielen geliebt, von ebenso vielen umworben, doch, wenn ich mich nicht sehr betriege, mir von Herzen angehorig.»
Mit Behaglichkeit, weil der Vater schwieg und kein Zeichen der Mi?billigung au?erte, fuhr der Sohn fort, das Betragen der schonen Witwe gegen ihn zu erzahlen, jene unwiderstehliche Anmut, jene zarten Gunstbezeigungen einzeln herzuruhmen, in denen der Vater freilich nur die leichte Gefalligkeit einer allgemein gesuchten Frau erkennen konnte, die unter vielen wohl irgendeinen vorzieht, ohne sich eben fur ihn ganz und gar zu entscheiden. Unter jeden andern Umstanden hatte er gewi? gesucht, einen Sohn, ja nur einen Freund auf den Selbstbetrug aufmerksam zu machen, der wahrscheinlich hier obwalten konnte; aber diesmal war ihm selbst so viel daran gelegen, wenn der Sohn sich nicht tauschen, wenn die Witwe ihn wirklich lieben und sich so schnell als moglich zu seinen Gunsten entscheiden mochte, da? er entweder kein Bedenken hatte oder einen solchen Zweifel bei sich ablehnte, vielleicht auch nur verschwieg.
«Du setzest mich in gro?e Verlegenheit«, begann der Vater nach einiger Pause.»Die ganze Ubereinkunft zwischen den ubriggebliebenen Gliedern unsers Geschlechts beruht auf der Voraussetzung, da? du dich mit Hilarien verbindest. Heiratet sie einen Fremden, so ist die ganze, schone, kunstliche Vereinigung eines ansehnlichen Vermogens wieder aufgehoben, und du besonders in deinem Teile nicht zum besten bedacht. Es gabe wohl noch ein Mittel, das aber ein wenig sonderbar klingt und wobei du auch nicht viel gewinnen wurdest: ich mu?te noch in meinen alten Tagen Hilarien heiraten, wodurch ich dir aber schwerlich ein gro?es Vergnugen machen wurde.»
«Das gro?te von der Welt!«rief der Lieutenant aus;»denn wer kann eine wahre Neigung empfinden, wer kann das Gluck der Liebe genie?en oder hoffen, ohne da? er dieses hochste Gluck einem jeden Freund, einem jeden gonnte, der ihm wert ist! Sie sind nicht alt, mein Vater; wie liebenswurdig ist nicht Hilarie! und schon der voruberschwebende Gedanke, ihr die Hand zu bieten, zeugt von einem jugendlichen Herzen, von frischer Mutigkeit. Lassen Sie uns diesen Einfall, diesen Vorschlag aus dem Stegreife ja recht gut durchsinnen und ausdenken. Dann wurde ich erst recht glucklich sein, wenn ich Sie glucklich wu?te; dann wurde ich mich erst recht freuen, da? Sie fur die Sorgfalt, mit der Sie mein Schicksal bedacht, an sich selbst so schon und hochlich belohnt wurden. Nun fuhre ich Sie erst mutig, zutraulich und mit recht offnem Herzen zu meiner Schonen. Sie werden meine Empfindungen billigen, weil Sie selbst fuhlen; Sie werden dem Gluck eines Sohnes nichts in den Weg legen, weil Sie Ihrem eigenen Gluck entgegengehen.»
Mit diesen und andern dringenden Worten lie? der Sohn den Vater, der manche Bedenklichkeiten einstreuen wollte, nicht Raum gewinnen, sondern eilte mit ihm zur schonen Witwe, welche sie in einem gro?en, wohleingerichteten Hause, umgeben von einer zwar nicht zahlreichen, aber ausgesuchten Gesellschaft, in heiterer Unterhaltung antrafen. Sie war eins von den weiblichen Wesen, denen kein Mann entgeht. Mit unglaublicher Gewandtheit wu?te sie den Major zum Helden dieses Abends zu machen. Die ubrige Gesellschaft schien ihre Familie, der Major allein der Gast zu sein. Sie kannte seine Verhaltnisse recht gut, und doch wu?te sie darnach zu fragen, als wenn sie alles erst von ihm recht erfahren wollte; und so mu?te auch jedes von der Gesellschaft schon irgendeinen Anteil an dem Neuangekommenen zeigen. Der eine mu?te seinen Bruder, der andere seine Guter und der Dritte sonst wieder etwas gekannt haben, so da? der Major bei einem lebhaften Gesprach sich immer als den Mittelpunkt fuhlte. Auch sa? er zunachst bei der Schonen; ihre Augen waren auf ihn, ihr Lacheln an ihn gerichtet; genug, er fand sich so behaglich, da? er beinahe die Ursache verga?, warum er gekommen war. Auch erwahnte sie seines Sohnes kaum mit einem Worte, obgleich der junge Mann lebhaft mitsprach; er schien fur sie, wie die ubrigen alle, heute nur um des Vaters willen gegenwartig.
Frauenzimmerliche Handarbeiten, in Gesellschaft unternommen und scheinbar gleichgultig fortgesetzt, erhalten durch Klugheit und Anmut oft eine wichtige Bedeutung. Unbefangen und emsig fortgesetzt, geben solche Bemuhungen einer Schonen das Ansehen volliger Unaufmerksamkeit auf die Umgebung und erregen in derselben ein stilles Mi?gefuhl. Dann aber, gleichsam wie beim Erwachen, ein Wort, ein Blick versetzt die Abwesende wieder mitten in die Gesellschaft, sie erscheint als neu willkommen; legt sie aber gar die Arbeit in den Scho? nieder, zeigt sie Aufmerksamkeit auf eine Erzahlung, einen belehrenden Vortrag, in welchem sich die Manner so gern ergehen, dies wird demjenigen hochst schmeichelhaft, den sie dergestalt begunstigt.
Unsere schone Witwe arbeitete auf diese Weise an einer so prachtigen als geschmackvollen Brieftasche, die sich noch uberdies durch ein gro?eres Format auszeichnete. Diese ward nun eben von der Gesellschaft besprochen, von dem nachsten Nachbar aufgenommen, unter gro?en Lobpreisungen der Reihe nach herumgegeben, indessen die Kunstlerin sich mit dem Major von ernsten Gegenstanden besprach; ein alter Hausfreund ruhmte das beinahe fertige Werk mit Ubertreibung, doch als solches an den Major kam, schien sie es als seiner Aufmerksamkeit nicht wert von ihm ablehnen zu wollen, wogegen er auf eine verbindliche Weise die Verdienste der Arbeit anzuerkennen verstand, inzwischen der Hausfreund darin ein penelopeisch zauderhaftes Werk zu sehen glaubte.
Man ging in den Zimmern auf und ab und gesellte sich zufallig zusammen. Der Lieutenant trat zu der Schonen und fragte:»Was sagen Sie zu meinem Vater?«Lachelnd versetzte sie:»Mich deucht, da? Sie ihn wohl zum Muster nehmen konnten. Sehn Sie nur, wie nett er angezogen ist! Ob er sich nicht besser tragt und halt als sein lieber Sohn!«So fuhr sie fort, den Vater auf Unkosten des Sohnes zu beschreien und zu loben und eine sehr gemischte Empfindung von Zufriedenheit und Eifersucht in dem Herzen des jungen Mannes hervorzubringen.
Nicht lange, so gesellte sich der Sohn zum Vater und erzahlte ihm alles haarklein wieder. Der Vater betrug sich nur desto freundlicher gegen die Witwe, und sie setzte sich gegen ihn schon auf einen lebhafteren, vertraulichem Ton. Kurz, man kann sagen, da?, als es zum Scheiden ging, der Major so gut als die ubrigen alle ihr und ihrem Kreise schon angehorte.
Ein stark einfallender Regen hinderte die Gesellschaft, auf die Weise nach Hause zu kehren, wie sie gekommen war. Einige Equipagen fuhren vor, in welche man die Fu?ganger verteilte; nur der Lieutenant, unter dem Vorwande, man sitze ohnehin schon zu enge, lie? den Vater fortfahren und blieb zuruck.
Der Major, als er in sein Zimmer trat, fuhlte sich wirklich in einer Art von Taumel, von Unsicherheit seiner selbst, wie es denen geht, die schnell aus einem Zustande in den entgegengesetzten ubertreten. Die Erde scheint sich fur den zu bewegen, der aus dem Schiffe steigt, und das Licht zittert noch im Auge dessen, der auf einmal ins Finstere tritt. So fuhlte sich der Major noch von der Gegenwart des schonen Wesens umgeben. Er wunschte, sie noch zu sehen, zu horen, sie wieder zu sehen, wieder zu horen; und nach einiger Besinnung verzieh er seinem Sohne, ja er pries ihn glucklich, da? er Anspruche machen durfe, so viel Vorzuge zu besitzen.
Aus diesen Empfindungen ri? ihn der Sohn, der mit einer lebhaften Entzuckung zur Ture hereinsturzte, den Vater umarmte und ausrief:»Ich bin der glucklichste Mensch von der Welt!«Nach solchen und ahnlichen Ausrufen kam es endlich unter beiden zur Aufklarung. Der Vater bemerkte, da? die schone Frau im Gesprach gegen ihn des Sohnes auch nicht mit einer Silbe erwahnt habe. — »Das ist eben ihre zarte, schweigende, halb schweigende, halb andeutende Manier, wodurch man seiner Wunsche gewi? wird und sich doch immer des Zweifels nicht ganz erwehren kann. So war sie bisher gegen mich; aber Ihre Gegenwart, mein Vater, hat Wunder getan. Ich gestehe es gern, da? ich zuruckblieb, um sie noch einen Augenblick zu sehen. Ich fand sie in ihren erleuchteten Zimmern auf und ab gehen; denn ich wei? wohl, es ist ihre Gewohnheit: wenn die Gesellschaft weg ist, darf kein Licht ausgeloscht werden. Sie geht allein in ihren Zaubersalen auf und ab, wenn die Geister entlassen sind, die sie hergebannt hat. Sie lie? den Vorwand gelten, unter dessen Schutz ich zuruckkam. Sie sprach anmutig, doch von gleichgultigen Dingen. Wir gingen hin und wider durch die offenen Turen die ganze Reihe der Zimmer durch. Wir waren schon einigemale bis ans Ende gelangt, in das kleine Kabinett, das nur von einer truben Lampe erhellt ist. War sie schon, wenn sie sich unter den Kronleuchtern her bewegte, so war sie es noch unendlich mehr, beleuchtet von dem sanften Schein der Lampe. Wir waren wieder dahin gekommen und standen beim Umkehren einen Augenblick still. Ich wei? nicht, was mir die Verwegenheit abnotigte, ich wei? nicht, wie ich es wagen konnte, mitten im gleichgultigsten Gesprach auf einmal ihre Hand zu fassen, diese zarte Hand zu kussen, sie an mein Herz zu drucken. Man zog sie nicht weg. ›Himmlisches Wesen‹, rief ich, ›verbirg dich nicht langer vor mir. Wenn in diesem schonen Herzen eine Neigung wohnt fur den Glucklichen, der vor dir steht, so verhulle sie nicht langer, offenbare sie, gestehe sie! es ist die schonste, es ist die hochste Zeit. Verbanne mich oder nimm mich in deinen Armen auf!‹
Ich wei? nicht, was ich alles sagte, ich wei? nicht, wie ich mich gebardete. Sie entfernte sich nicht, sie widerstrebte nicht, sie antwortete nicht. Ich wagte es, sie in meine Arme zu fassen, sie zu fragen, ob sie die Meinige sein wolle. Ich ku?te sie mit Ungestum; sie drangte mich weg. — ›Ja doch, ja!‹ oder so etwas sagte sie halblaut und wie verworren. Ich entfernte mich und rief — ›Ich sende meinen Vater, der soll fur mich reden!‹ — ›Kein Wort mit ihm daruber!‹ versetzte sie, indem sie mir einige Schritte nachfolgte. ›Entfernen Sie sich, vergessen Sie, was geschehen ist.‹»
Was der Major dachte, wollen wir nicht entwickeln. Er sagte jedoch zum Sohne:»Was glaubt du nun, was zu tun sei? Die Sache ist, dacht' ich, aus dem Stegreife gut genug eingeleitet, da? wir nun etwas formlicher zu Werke gehen konnen, da? es vielleicht sehr schicklich ist, wenn ich mich morgen dort melde und fur dich anhalte.«—»Um Gottes willen, mein Vater!«rief er aus,»das hie?e die ganze Sache verderben. Jenes Betragen, jener Ton will durch keine Formlichkeit gestort und verstimmt sein. Es ist genug, mein Vater, da? Ihre Gegenwart diese Verbindung beschleunigt, ohne da? Sie ein Wort aussprechen. Ja, Sie sind es, dem ich mein Gluck schuldig bin! Die Achtung meiner Geliebten fur Sie hat jeden Zweifel besiegt, und niemals wurde der Sohn einen so glucklichen Augenblick gefunden haben, wenn ihn der Vater nicht vorbereitet hatte.»
Solche und ahnliche Mitteilungen unterhielten sie bis tief in die Nacht. Sie vereinigten sich wechselseitig uber ihre Plane; der Major wollte bei der schonen Witwe nur noch der Form wegen einen Abschiedsbesuch machen und sodann seiner Verbindung mit Hilarien entgegengehen; der Sohn sollte die seinige befordern und beschleunigen, wie es moglich ware.
Der schonen Witwe machte unser Major einen Morgenbesuch, um Abschied zu nehmen und, wenn es moglich ware, die Absicht seines Sohnes mit Schicklichkeit zu fordern. Er fand sie in zierlichster Morgenkleidung in Gesellschaft einer altern Dame, die durch ein hochst gesittetes, freundliches Wesen ihn alsobald einnahm. Die Anmut der Jungern, der Anstand der Alteren setzten das Paar in das wunschenswerteste Gleichgewicht, auch schien ihr wechselseitiges Betragen durchaus dafur zu sprechen, da? sie einander angehorten.
Die Jungere schien eine flei?ig gearbeitete, uns von gestern schon bekannte Brieftasche soeben vollendet zu haben; denn nach den gewohnlichen Empfangsbegru?ungen und verbindlichen Worten eines willkommenen Erscheinens wendete sie sich zur Freundin und reichte das kunstliche Werk hin, gleichsam ein unterbrochenes Gesprach wieder anknupfend:»Sie sehen also, da? ich doch fertig geworden bin, wenn es gleich wegen manchen Zogerns und Saumens den Anschein nicht hatte.»
«Sie kommen eben recht, Herr Major«, sagte die Altere,»unsern Streit zu entscheiden oder wenigstens sich fur eine oder die andere Partei zu erklaren; ich behaupte, man fangt eine solche weitschichtige Arbeit nicht an, ohne einer Person zu gedenken, der man sie bestimmt hat, man vollendet sie nicht ohne einen solchen Gedanken. Beschauen Sie selbst das Kunstwerk, denn so nenn' ich es billig, ob dergleichen so ganz ohne Zweck unternommen werden konne.»