Der Mann von f?nfzig Jahren - фон Гёте Иоганн Вольфганг 3 стр.


Unser Major mu?te der Arbeit freilich allen Beifall zusprechen. Teils geflochten, teils gestickt, erregte sie zugleich mit der Bewunderung das Verlangen, zu erfahren, wie sie gemacht sei. Die bunte Seide wartete vor, doch war auch das Gold nicht verschmaht, genug, man wu?te nicht, ob man Pracht oder Geschmack mehr bewundern sollte.

«Es ist doch noch einiges daran zu tun«, versetzte die Schone, indem sie die Schleife des umgeschlungenen Bandes wieder aufzog und sich mit dem Innern beschaftigte.»Ich will nicht streiten«, fuhr sie fort,»aber erzahlen will ich, wie mir bei solchem Geschaft zumute ist. Als junge Madchen werden wir gewohnt, mit den Fingern zu tifteln und mit den Gedanken umherzuschweifen; beides bleibt uns, indem wir nach und nach die schwersten und zierlichsten Arbeiten verfertigen lernen, und ich leugne nicht, da? ich an jede Arbeit dieser Art immer Gedanken angeknupft habe, an Personen, an Zustande, an Freud und Leid. Und so ward mir das Angefangene wert und das Vollendete, ich darf wohl sagen, kostbar. Als ein solches nun durft' ich das Geringste fur etwas halten, die leichteste Arbeit gewann einen Wert, und die schwierigste doch auch nur dadurch, da? die Erinnerung dabei reicher und vollstandiger war. Freunden und Liebenden, ehrwurdigen und hohen Personen glaubt' ich daher dergleichen immer anbieten zu konnen; sie erkannten es auch und wu?ten, da? ich ihnen etwas von meinem Eigensten uberreichte, das, vielfach und unaussprechlich, doch zuletzt zu einer angenehmen Gabe vereinigt, immer wie ein freundlicher Gru? wohlgefallig aufgenommen ward.»

Auf ein so liebenswurdiges Bekenntnis war freilich kaum eine Erwiderung moglich; doch wu?te die Freundin dagegen etwas in wohlklingende Worte zu fugen. Der Major aber, von jeher gewohnt, die anmutige Weisheit romischer Schriftsteller und Dichter zu schatzen und ihre leuchtenden Ausdrucke dem Gedachtnis einzupragen, erinnerte sich einiger hierher gar wohl passender Verse, hutete sich aber, um nicht als Pedant zu erscheinen, sie auszusprechen oder auch ihrer nur zu erwahnen; versuchte jedoch, um nicht stumm und geistlos zu erscheinen, aus dem Stegreif eine prosaische Paraphrase, die aber nicht recht gelingen wollte, wodurch das Gesprach beinahe ins Stocken geraten ware.

Die altere Dame griff deshalb nach einem bei dem Eintritt des Freundes niedergelegten Buche; es war eine Sammlung von Poesien, welche soeben die Aufmerksamkeit der Freundinnen beschaftigte; dies gab Gelegenheit, von Dichtkunst uberhaupt zu sprechen, doch blieb die Unterhaltung nicht lange im Allgemeinen, denn gar bald bekannten die Frauenzimmer zutraulich, da? sie von dem poetischen Talent des Majors unterrichtet seien. Ihnen hatte der Sohn, der selbst auf den Ehrentitel eines Dichters seine Absichten nicht verbarg, von den Gedichten seines Vaters vorgesprochen, auch einiges rezitiert; im Grunde, um sich mit einer poetischen Herkunft zu schmeicheln und, wie es die Jugend gewohnt ist, sich fur einen vorschreitenden, die Fahigkeiten des Vaters steigernden Jungling bescheidentlich geben zu konnen. Der Major aber, der sich zuruckzuziehen suchte, da er blo? als Literator und Liebhaber gelten wollte, suchte, da ihm kein Ausweg gelassen war, wenigstens auszuweichen, indem er die Dichtart, in der er sich allenfalls geubt habe, fur subaltern und fast fur unecht wollte angesehen wissen; er konnte nicht leugnen, da? er in demjenigen, was man beschreibend und in einem gewissen Sinne belehrend nennt, einige Versuche gemacht habe.

Die Damen, besonders die jungere, nahmen sich dieser Dichtart an; sie sagte:»Wenn man vernunftig und ruhig leben will, welches denn doch zuletzt eines jeden Menschen Wunsch und Absicht bleibt, was soll uns da das aufgeregte Wesen, das uns willkurlich anreizt, ohne etwas zu geben, das uns beunruhigt, um uns denn doch zuletzt uns wieder selbst zu uberlassen; unendlich viel angenehmer ist mir, da ich doch einmal der Dichtung nicht gern entbehren mag, jene, die mich in heitere Gegenden versetzt, wo ich mich wiederzuerkennen glaube, mir den Grundwert des Einfach-Landlichen zu Gemute fuhrt, mich durch buschige Haine zum Wald, unvermerkt auf eine Hohe zum Anblick eines Landsees hinfuhrt, da denn auch wohl gegenuber erst angebaute Hugel, sodann waldgekronte Hohen emporsteigen und die blauen Berge zum Schlu? ein befriedigendes Gemalde bilden. Bringt man mir das in klaren Rhythmen und Reimen, so bin ich auf meinem Sofa dankbar, da? der Dichter ein Bild in meiner Imagination entwickelt hat, an dem ich mich ruhiger erfreuen kann, als wenn ich es, nach ermudender Wanderschaft, vielleicht unter andern, ungunstigen Umstanden vor Augen sehe.»

Der Major, der das vorwaltende Gesprach eigentlich nur als Mittel ansah, seine Zwecke zu befordern, suchte sich wieder nach der lyrischen Dichtkunst hinzuwenden, worin sein Sohn wirklich Lobliches geleistet hatte. Man widersprach ihm nicht geradezu, aber man suchte ihn von dem Wege wegzuscherzen, den er eingeschlagen hatte, besonders da er auf leidenschaftliche Gedichte hinzudeuten schien, womit der Sohn der unvergleichlichen Dame die entschiedene Neigung seines Herzens nicht ohne Kraft und Geschick vorzutragen gesucht hatte.»Lieder der Liebenden«, sagte die schone Frau,»mag ich weder vorgelesen noch vorgesungen; glucklich Liebende beneidet man, eh' man sich's versieht, und die Unglucklichen machen uns immer Langeweile.»

Hierauf nahm die altere Dame, zu ihrer holden Freundin gewendet, das Wort auf und sagte:»Warum machen wir solche Umschweife, verlieren die Zeit in Umstandlichkeiten gegen einen Mann, den wir verehren und lieben? Sollen wir ihm nicht vertrauen, da? wir sein anmutiges Gedicht, worin er die wackere Leidenschaft zur Jagd in allen ihren Einzelheiten vortragt, schon teilweise zu kennen das Vergnugen haben, und nunmehr ihn bitten, auch das Ganze nicht vorzuenthalten? Ihr Sohn«, fuhr sie fort,»hat uns einige Stellen mit Lebhaftigkeit aus dem Gedachtnis vorgetragen und uns neugierig gemacht, den Zusammenhang zu sehen. «Als nun der Vater abermals auf die Talente des Sohns zuruckkehren und diese hervorheben wollte, lie?en es die Damen nicht gelten, indem sie es fur eine offenbare Ausflucht ansprachen, um die Erfullung ihrer Wunsche indirekt abzulehnen. Er kam nicht los, bis er unbewunden versprochen hatte, das Gedicht zu senden, sodann aber nahm das Gesprach eine Wendung, die ihn hinderte, zugunsten des Sohnes weiter etwas vorzubringen, besonders da ihm dieser alle Zudringlichkeit abgeraten hatte.

Da es nun Zeit schien, sich zu beurlauben, und der Freund auch deshalb einige Bewegung machte, sprach die Schone mit einer Art von Verlegenheit, wodurch sie nur noch schoner ward, indem sie die frisch geknupfte Schleife der Brieftasche sorgfaltig zurechtzupfte:»Dichter und Liebhaber sind langst schon leider im Ruf, da? ihren Versprechen und Zusagen nicht viel zu trauen sei; verzeihen Sie daher, wenn ich das Wort eines Ehrenmannes in Zweifel zu ziehen wage und deshalb ein Pfand, einen Treupfennig nicht verlange, sondern gebe. Nehmen Sie diese Brieftasche, sie hat etwas Ahnliches von Ihrem Jagdgedicht, viel Erinnerungen sind daran geknupft, manche Zeit verging unter der Arbeit, endlich ist sie fertig; bedienen Sie sich derselben als eines Boten, uns Ihre liebliche Arbeit zu uberbringen.»

Bei solch unerwartetem Anerbieten fuhlte sich der Major wirklich betroffen; die zierliche Pracht dieser Gabe hatte so gar kein Verhaltnis zu dem, was ihn gewohnlich umgab, zu dem ubrigen, dessen er sich bediente, da? er sie sich, obgleich dargereicht, kaum zueignen konnte; doch nahm er sich zusammen, und wie seinem Erinnern ein uberliefertes Gute niemals versagte, so trat eine klassische Stelle alsbald ihm ins Gedachtnis. Nur ware es pedantisch gewesen, sie anzufuhren, doch regte sie einen heitern Gedanken bei ihm auf, da? er aus dem Stegreife mit artiger Paraphrase einen freundlichen Dank und ein zierliches Kompliment entgegenzubringen im Falle war; und so schlo? sich denn diese Szene auf eine befriedigende Weise fur die samtlichen Unterredenden.

Also fand er sich zuletzt nicht ohne Verlegenheit in ein angenehmes Verhaltnis verflochten; er hatte zu senden, zu schreiben zugesagt, sich verpflichtet, und wenn ihm die Veranlassung einigerma?en unangenehm fiel, so mu?te er es doch fur ein Gluck schatzen, auf eine heitere Weise mit dem Frauenzimmer in Verhaltnis zu bleiben, das bei ihren gro?en Vorzugen ihm so nah angehoren sollte. Er schied also nicht ohne eine gewisse innere Zufriedenheit; denn wie sollte der Dichter eine solche Aufmunterung nicht empfinden, dessen treuflei?iger Arbeit, die so lange unbeachtet geruht, nun ganz unerwartet eine liebenswurdige Aufmerksamkeit zuteil wird.

Gleich nach seiner Ruckkehr ins Quartier setzte der Major sich nieder, zu schreiben, seiner guten Schwester alles zu berichten, und da war nichts naturlicher, als da? in seiner Darstellung eine gewisse Exaltation sich hervortat, wie er sie selbst empfand, die aber durch das Einreden seines von Zeit zu Zeit storenden Sohns noch mehr gesteigert wurde.

Auf die Baronin machte dieser Brief einen sehr gemischten Eindruck; denn wenn auch der Umstand, wodurch die Verbindung des Bruders mit Hilarien befordert und beschleunigt werden konnte, geeignet war, sie ganz zufriedenzustellen, so wollte ihr doch die schone Witwe nicht gefallen, ohne da? sie sich deswegen Rechenschaft zu geben gedacht hatte. Wir machen bei dieser Gelegenheit folgende Bemerkung.

Den Enthusiasmus fur irgendeine Frau mu? man einer andern niemals anvertrauen; sie kennen sich untereinander zu gut, um sich einer solchen ausschlie?lichen Verehrung wurdig zu halten. Die Manner kommen ihnen vor wie Kaufer im Laden, wo der Handelsmann mit seinen Waren, die er kennt, im Vorteil steht, auch sie in dem besten Lichte vorzuzeigen die Gelegenheit wahrnehmen kann; dahingegen der Kaufer immer mit einer Art Unschuld hereintritt, er bedarf der Ware, will und wunscht sie und versteht gar selten, sie mit Kenneraugen zu betrachten. Jener wei? recht gut, was er gibt, dieser nicht immer, was er empfangt. Aber es ist einmal im menschlichen Leben und Umgang nicht zu andern, ja so loblich als notwendig, denn alles Begehren und Freien, alles Kaufen und Tauschen beruht darauf.

In Gefolge solches Empfindens mehr als Betrachtens konnte die Baronesse weder mit der Leidenschaft des Sohns noch mit der gunstigen Schilderung des Vaters vollig zufrieden sein; sie fand sich uberrascht von der glucklichen Wendung der Sache, doch lie? eine Ahnung wegen doppelter Ungleichheit des Alters sich nicht abweisen. Hilarie ist ihr zu jung fur den Bruder, die Witwe fur den Sohn nicht jung genug; indessen hat die Sache ihren Gang genommen, der nicht aufzuhalten scheint. Ein frommer Wunsch, da? alles gut gehen moge, stieg mit einem leisen Seufzer empor. Um ihr Herz zu erleichtern, nahm sie die Feder und schrieb an jene menschenkennende Freundin, indem sie nach einem geschichtlichen Eingang also fortfuhr.

«Die Art dieser jungen, verfuhrerischen Witwe ist mir nicht unbekannt; weiblichen Umgang scheint sie abzulehnen und nur eine Frau um sich zu leiden, die ihr keinen Eintrag tut, ihr schmeichelt und, wenn ihre stummen Vorzuge sich nicht klar genug dartaten, sie noch mit Worten und geschickter Behandlung der Aufmerksamkeit zu empfehlen wei?. Zuschauer, Teilnehmer an einer solchen Reprasentation mussen Manner sein, daher entsteht die Notwendigkeit, sie anzuziehen, sie festzuhalten. Ich denke nichts Ubles von der schonen Frau, sie scheint anstandig und behutsam genug, aber eine solche lusterne Eitelkeit opfert den Umstanden auch wohl etwas auf, und, was ich fur das Schlimmste halte: nicht alles ist reflektiert und vorsatzlich, ein gewisses gluckliches Naturell leitet und beschutzt sie, und nichts ist gefahrlicher an so einer gebornen Kokette als eine aus der Unschuld entspringende Verwegenheit.»

Der Major, nunmehr auf den Gutern angelangt, widmete Tag und Stunde der Besichtigung und Untersuchung. Er fand sich in dem Falle, zu bemerken, da? ein richtiger, wohlgefa?ter Hauptgedanke in der Ausfuhrung mannigfaltigen Hindernissen und dem Durchkreuzen so vieler Zufalligkeiten unterworfen ist, in dem Grade, da? der erste Begriff beinahe verschwindet und fur Augenblicke ganz und gar unterzugehen scheint, bis mitten in allen Verwirrungen dem Geiste die Moglichkeit eines Gelingens sich wieder darstellt, wenn wir die Zeit als den besten Alliierten einer unbesiegbaren Ausdauer uns die Hand bieten sehen.

Und so ware denn auch hier der traurige Anblick schoner, ansehnlicher, vernachlassigter, mi?brauchter Besitzungen zu einem trostlosen Zustande geworden, hatte man nicht durch das verstandige Bemerken einsichtiger Okonomen zugleich vorausgesehen, da? eine Reihe von Jahren, mit Verstand und Redlichkeit benutzt, hinreichend sein werde, das Abgestorbene zu beleben und das Stockende in Umtrieb zu versetzen, um zuletzt durch Ordnung und Tatigkeit seinen Zweck zu erreichen.

Der behagliche Obermarschall war angelangt, und zwar mit einem ernsten Advokaten, doch gab dieser dem Major weniger Besorgnisse als jener, der zu den Menschen gehorte, die keine Zwecke haben oder, wenn sie einen vor sich sehen, die Mittel dazu ablehnen. Ein taglich- und stundliches Behagen war ihm das unerla?liche Bedurfnis seines Lebens. Nach langem Zaudern ward es ihm endlich Ernst, seine Glaubiger loszuwerden, die Guterlast abzuschutteln, die Unordnung seines Hauswesens in Regel zu setzen, eines anstandigen, gesicherten Einkommens ohne Sorge zu genie?en, dagegen aber auch nicht das geringste von den bisherigen Brauchlichkeiten fahren zu lassen.

Im ganzen gestand er alles ein, was die Geschwister in den ungetrubten Besitz der Guter, besonders auch des Hauptgutes, setzen sollte, aber auf einen gewissen benachbarten Pavillon, in welchem er alle Jahr auf seinen Geburtstag die altesten Freunde und die neusten Bekannten einlud, ferner auf den daran gelegenen Ziergarten, der solchen mit dem Hauptgebaude verband, wollte er die Anspruche nicht vollig aufgeben. Die Meublen alle sollten in dem Lusthause bleiben, die Kupferstiche an den Wanden sowie auch die Fruchte der Spaliere ihm versichert werden. Pfirsiche und Erdbeeren von den ausgesuchtesten Sorten, Birnen und Apfel, gro? und schmackhaft, besonders aber eine gewisse Sorte grauer, kleiner Apfel, die er seit vielen Jahren der Furstin Witwe zu verehren gewohnt war, sollten ihm treulich geliefert sein. Hieran schlossen sich noch andere Bedingungen, wenig bedeutend, aber dem Hausherrn, Pachtern, Verwaltern, Gartnern ungemein beschwerlich.

Der Obermarschall war ubrigens von dem besten Humor; denn da er den Gedanken nicht fahren lie?, da? alles nach seinen Wunschen, wie es ihm sein leichtes Temperament vorgespielt hatte, sich endlich einrichten wurde, so sorgte er fur eine gute Tafel, machte sich einige Stunden auf einer muhelosen Jagd die notige Bewegung, erzahlte Geschichten auf Geschichten und zeigte durchaus das heiterste Gesicht; auch schied er auf gleiche Weise, dankte dem Major zum schonsten, da? er so bruderlich verfahren, verlangte noch etwas Geld, lie? die kleinen vorratigen grauen Goldapfel, welche dieses Jahr besonders wohl geraten waren, sorgfaltig einpacken und fuhr mit diesem Schatz, den er als eine willkommene Verehrung der Furstin zu uberreichen gedachte, nach ihrem Witwensitz, wo er denn auch gnadig und freundlich empfangen ward.

Der Major an seiner Seite blieb mit ganz entgegengesetzten Gefuhlen zuruck und ware an den Verschrankungen, die er vor sich fand, fast verzweifelt, ware ihm nicht das Gefuhl zu Hulfe gekommen, das einen tatigen Mann freudig aufrichtet, wenn er das Verworrene zu losen, als entworren vor sich zu sehen hoffen darf.

Glucklicherweise war der Advokat ein rechtlicher Mann, der, weil er sonst viel zu tun hatte, diese Angelegenheit bald beendigte. Ebenso glucklich schlug sich ein Kammerdiener des Obermarschalls hinzu, der gegen ma?ige Bedingungen in dem Geschaft mitzuwirken versprach, wodurch man einem gedeihlichen Abschlu? entgegensehen durfte. So angenehm aber auch dieses war, so fuhlte doch der Major als ein rechtlicher Mann im Hin- und Widerwirken bei dieser Angelegenheit, es bedurfe gar manches Unreinen, um ins Reine zu kommen.

Bei einer Pause des Geschafts, die ihm einige Freiheit lie?, eilte er auf sein Gut, wo er, des Versprechens eingedenk, das er an die schone Witwe getan und das ihm nicht aus dem Sinne gekommen war, seine Gedichte vorsuchte, die in guter Ordnung verwahrt lagen; zu gleicher Zeit kamen ihm manche Gedenk- und Erinnerungsbucher, Auszuge beim Lesen alter und neuer Schriftsteller enthaltend, wieder zur Hand. Bei seiner Vorliebe fur Horaz und die romischen Dichter war das meiste daher, und es fiel ihm auf, da? die Stellen gro?tenteils Bedauern vergangner Zeit, vorubergeschwundner Zustande und Empfindungen andeuteten. Statt vieler rucken wir die einzige Stelle hier ein:

«Heu!

Quae mens est hodie, cur eadem non puero fuit?

Vel cur his animis incolumes non redeunt genae!»

«Wie ist heut mir doch zumute?

So vergnuglich und so klar!

Da bei frischem Knabenblute

Mir so wild, so duster war.

Doch wenn mich die Jahre zwacken,

Wie auch wohlgemut ich sei,

Denk' ich jene roten Backen,

Und ich wunsche sie herbei.»

Nachdem unser Freund nun aus wohlgeordneten Papieren das Jagdgedicht gar bald herausgefunden, erfreute er sich an der sorgfaltigen Reinschrift, wie er sie vor Jahren mit lateinischen Lettern, gro? Oktav, zierlichst verfa?t hatte. Die kostliche Brieftasche von bedeutender Gro?e nahm das Werk ganz bequem auf, und nicht leicht hat ein Autor sich so prachtig eingebunden gesehen. Einige Zeilen dazu waren hochst notwendig; Prosaisches aber kaum zulassig. Jene Stelle des Ovid fiel ihm wieder ein, und er glaubte jetzt durch eine poetische Umschreibung, so wie damals durch eine prosaische, sich am besten aus der Sache zu ziehen. Sie hie?:

«Nex factas solum vestes spectare juvabat,

Tum quoque dum fierent; tantus decor adfuit arti.»

Zu Deutsch:

«Ich sah's in meisterlichen Handen

— Wie denk' ich gern der schonen Zeit! —

Sich erst entwickeln, dann vollenden

Zu nie gesehner Herrlichkeit.

Zwar ich besitz' es gegenwartig,

Doch soll ich mir nur selbst gestehn:

Ich wollt', es ware noch nicht fertig,

Das Machen war doch gar zu schon!»

Mit diesem Ubertragenen war unser Freund nur wenige Zeit zufrieden; er tadelte, da? er das schon flektierte Verbum: dum fierent, in ein traurig abstraktes Substantivum verandert habe, und es verdro? ihn, bei allem Nachdenken die Stelle doch nicht verbessern zu konnen. Nun ward auf einmal seine Vorliebe zu den alten Sprachen wieder lebendig, und der Glanz des Deutschen Parnasses, auf den er doch auch im stillen hinaufstrebte, schien ihm sich zu verdunkeln.

Endlich aber, da er dieses heitere Kompliment, mit dem Urtexte unverglichen, noch ganz artig fand und glauben durfte, da? ein Frauenzimmer es ganz wohl aufnehmen wurde, so entstand eine zweite Bedenklichkeit: da?, da man in Versen nicht galant sein kann, ohne verliebt zu scheinen, er dabei als kunftiger Schwiegervater eine wunderliche Rolle spiele. Das Schlimmste jedoch fiel ihm zuletzt ein: jene Ovidischen Verse werden von Arachnen gesagt, einer ebenso geschickten als hubschen und zierlichen Weberin. Wurde nun aber diese durch die neidische Minerva in eine Spinne verwandelt, so war es gefahrlich, eine schone Frau, mit einer Spinne, wenn auch nur von ferne, verglichen, im Mittelpunkte eines ausgebreiteten Netzes schweben zu sehen. Konnte man sich doch unter der geistreichen Gesellschaft, welche unsre Dame umgab, einen Gelehrten denken, welcher diese Nachbildung ausgewittert hatte. Wie sich nun der Freund aus einer solchen Verlegenheit gezogen, ist uns selbst unbekannt geblieben, und wir mussen diesen Fall unter diejenigen rechnen, uber welche die Musen auch wohl einen Schleier zu werfen sich die Schalkheit erlauben. Genug, das Jagdgedicht selbst ward abgesendet, von welchem wir jedoch einige Worte nachzubringen haben.

Der Leser desselben belustigt sich an der entschiedenen Jagdliebhaberei und allem, was sie begunstigen mag; erfreulich ist der Jahreszeitenwechsel, der sie mannigfaltig aufruft und anregt. Die Eigenheiten samtlicher Geschopfe, denen man nachstellt, die man zu erlegen gesinnt ist, die verschiedenen Charaktere der Jager, die sich dieser Lust, dieser Muhe hingeben, die Zufalligkeiten, wie sie befordern oder schadigen: alles war, besonders was auf das Geflugel Bezug hatte, mit der besten Laune dargestellt und mit gro?er Eigentumlichkeit behandelt.

Von der Auerhahnbalz bis zum zweiten Schnepfenstrich und von da bis zur Rabenhutte war nichts versaumt, alles wohl gesehen, klar aufgenommen, leidenschaftlich verfolgt, leicht und scherzhaft, oft ironisch dargestellt.

Jenes elegische Thema klang jedoch durch das Ganze durch; es war mehr als ein Abschied von diesen Lebensfreuden verfa?t, wodurch es zwar einen gefuhlvollen Anstrich des heiter Durchlebten gewann und sehr wohltatig wirkte, aber doch zuletzt, wie jene Sinnspruche, nach dem Genu? ein gewisses Leere empfinden lie?. War es das Umblattern dieser Papiere oder sonst ein augenblickliches Mi?befinden, der Major fuhlte sich nicht heiter gestimmt. Da? die Jahre, die zuerst eine schone Gabe nach der andern bringen, sie alsdann nach und nach wieder entziehen, schien er auf dem Scheidepunkt, wo er sich befand, auf einmal lebhaft zu fuhlen. Eine versaumte Badereise, ein ohne Genu? verstrichener Sommer, Mangel an stetiger gewohnter Bewegung, alles lie? ihn gewisse korperliche Unbequemlichkeiten empfinden, die er fur wirkliche Ubel nahm und sich ungeduldiger dabei bewies, als billig sein mochte.

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